Protokoll der Sitzung vom 28.01.2015

(Beifall AfD)

(Staatssekretär Hoppe)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Abgeordnete Henfling das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Markus Hoppe hat hierzu schon die wichtigsten Sachen aufgeführt. Lassen Sie mich aus grüner Sicht noch mal etwas dazu sagen. Wir halten eine vorgezogene Evaluierung – wie hier von der CDU beantragt – für nicht zielführend und werden das auch entsprechend ablehnen.

Wir wollen das Vergabegesetz hinsichtlich seiner Praxistauglichkeit genauso überprüfen und wir wollen natürlich auch insbesondere grüne Aspekte in diesem Vergabegesetz stark machen. Momentan sind wir da bei Kannbestimmungen. Wir sind der Meinung, dass dort bei Umwelt- und Sozialstandards Mussbestimmungen hineingehören. Für uns ist das wichtig, weil eine Verwirklichung des Dreiklangs aus Ökonomie, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit ein wichtiges Anliegen ist. Beispielsweise bei der Ausschreibung für Caterer ist es, denke ich, nicht das große Problem, hier über fairen Kaffee zu reden.

Was die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation angeht, werden die immer wieder als bürokratiefördernd eingeschätzt. Aber uns ist es hier wichtig festzuhalten, dass eine Unterschreitung von Mindeststandards nicht tragbar ist, und zwar nirgendwo auf der Welt. Zugleich verstehen wir durchaus, dass gerade für den Mittelstand durch das Gesetz hohe bürokratische Hürden entstehen. Daher haben wir uns bei der Verabschiedung des Vergabegesetzes auch dafür eingesetzt, dass die Schwellenwerte verdoppelt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass Firmen ein guter Zugang zu den Ausschreibungen und Vergaben ermöglicht wird. Entsprechend haben wir hier auch Vorschläge zur Ausarbeitung von Präqualifizierungsverfahren und zur Ausformulierung von Ausschreibungsbausteinen unterbreitet. Ich denke, wir werden dies angehen. Eine vorgezogene Evaluierung lehnen wir an der Stelle ab und wir werden auch mehrheitlich diesen Antrag ablehnen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU hat Abgeordneter Wirkner das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, werte Gäste, das Beste kommt immer zum Schluss.

(Heiterkeit im Hause)

Zunächst erst einmal gestatten Sie mir in eigener Sache ein Wort: Ich bin heute zum ersten Mal bei Ihnen hier am Rednerpult. Es hat 64 Jahre gedauert, um hierherzukommen. Fast 25 Jahre Selbstständigkeit mit einem Handwerksunternehmen haben mich gedrängt, politisch aktiv zu werden, um zum Beispiel auch zu dem Thema „Evaluierung der Vergaberichtlinien“ zu sprechen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sehr gut, Herbert!)

(Beifall CDU)

Ich spreche also heute zu Ihnen als jemand, der aus der Praxis kommt und im Umgang mit diesen Mechanismen Bescheid weiß. Wenn ich mir etwas wünsche, ist es, dass es hier in den nächsten Jahren einen Konsens gibt, sich allen Themen zu widmen, die darauf ausgerichtet sind, Arbeit zu erhalten und Arbeit zu schaffen.

(Beifall CDU, AfD)

Ich möchte, bevor ich zu dem eigentlichen Antrag komme, etwas ausholen. Es ist allgemein bekannt, dass es über die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns eine breite Debatte gibt. Ich sage Ihnen hier ganz klar: Ich persönlich bin dafür. Mindestlöhne gibt es im Handwerk in vielen Branchen schon seit vielen Jahren. Ich bin auch der Meinung, es wird höchste Zeit, dass das Lohngefüge für arbeitende Menschen angehoben wird,

(Beifall SPD)

weil man durch Arbeit Einkommen sichern soll, um sein eigenes Auskommen für sich und seine Familie zu garantieren,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und weil man auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung dafür Sorge tragen muss, dass man irgendwann am Lebensende, wenn es mit der Arbeit zu Ende ist, auch eine entsprechende Rente bekommt. Wir wollen nicht, dass viele Menschen in eine Rentenfalle geraten, und deswegen müssen wir Arbeit organisieren. Wenn der Mindestlohn Bestand haben soll und die Menschen mehr Geld verdienen müssen, dann brauchen wir Unternehmen, die bereit sind, Menschen zu beschäftigen, und zwar nicht nur zu Mindestlöhnen, sondern im tariflich gebundenen Lohnbereich, der mitunter noch wesentlich höher liegen sollte als bei 8,50 Euro. Es gibt heute genügend Handwerksbranchen, in denen das so ist. Wir brauchen also Unternehmen und vor

allen Dingen brauchen wir Unternehmer, die bereit sind, den Mut aufzubringen, ein Unternehmen zu gründen und Menschen zu beschäftigen.

(Beifall CDU, AfD)

Wenn das nicht gelingt, nützt uns weder Mindestlohn und es nützt uns auch keine Vergaberichtlinie, an der sich zum Schluss keiner mehr beteiligt. Und Unternehmen brauchen Arbeit. Sie gestatten mir, dass ich das jetzt zum Thema Handwerk speziell zum Ausdruck bringe, weil ich mich damit schon seit fast 25 Jahren beschäftige. Das Handwerk bekommt Aufträge aus dem Privatsektor – zum Glück, sage ich. Seit 24 Jahren beteilige ich mich natürlich auch, wie andere, weil es mitunter sehr notwendig ist, weil man mit der Auftragssituation auch im Privatsektor bestimmten Schwankungen unterliegt, öffentliche Aufträge zu bekommen und sich am Wettbewerb zu beteiligen, um einen öffentlichen Auftrag zu bekommen. Wenn ich von einer Zeitspanne von 24 Jahren rede, dann muss ich Ihnen sagen, vor 10, 15 Jahren war einfach alles leichter. Wenn Sie einen Auftrag von 30.000 Euro haben wollten, dann haben Sie vielleicht in den Vorbedingungen zu den Ausschreibungstexten 20 Seiten gehabt und 10 bis 15 Seiten Leistungstext, heute haben Sie für den gleichen Leistungsumfang in Euro 30 bis 40 Seiten Vorbedingungen – hier sitzen Architekten, die das wissen – und vielleicht 10 Seiten Leistungstext. Zu den ganzen Vorbedingungen gehört eine gesamte Reihe von Mechanismen, die das Leben bzw. die Ausführung solcher Ausschreibungsunterlagen oder das Ausfüllen dieser Ausschreibungsunterlagen äußerst kompliziert gestalten. Zum Beispiel brauchen Sie jedes Mal, wenn Sie sich an einer Ausschreibung beteiligen, von der Generalstaatsanwaltschaft eine Bescheinigung dafür, dass Sie ein ordentlicher Bürger in diesem Staat sind. Und wenn Sie zehn Leute beschäftigt haben, dann brauchen sie zehnmal Unbedenklichkeitsbescheinigungen von Krankenkassen, dass Sie ordnungsgemäß ihre Beiträge abgeführt haben. Und weil Sie ja versicherungspflichtige Arbeitsplätze bieten, brauchen Sie auch noch von der Berufsgenossenschaft und von vielen anderen Institutionen Unbedenklichkeitsbescheinigungen, und das nicht etwa nur einmal im Jahr, sondern jedes Mal, wenn Sie sich an einem öffentlichen Auftrag beteiligen.

Ich sage Ihnen, da gibt es inzwischen völlig neue Mechanismen. Wenn einer seine Krankenkasse mal eine Woche über den Termin hinaus nicht bezahlen kann, dann kommt das Zollamt ins Haus. Wenn einer seine Verpflichtungen gegenüber den Finanzämtern nur um eine Woche überzogen hat, haben sich die Finanzämter jetzt neuerdings einfallen lassen, bei der Unbedenklichkeitsbescheinigung zu differenzieren: a) hat er immer regelmäßig bezahlt, b) zahlt er unregelmäßig oder c) bezahlt er gar nicht. Sie werden praktisch, wenn Sie Ihre Einkommensteuer oder andere Steuern vielleicht eine

Woche nicht abgeführt haben, wie ein Verbrecher behandelt und ans Schwarze Brett geschlagen. Das ist auch ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht von kleinen Unternehmen.

Es geht auch nicht nur um das Formelle in diesem Vergabesystem. Wir brauchen Wettbewerb. Der Wettbewerb ist eben nicht mehr da. Wissen Sie warum? Der Wettbewerb ist nicht mehr da, weil wir durch die Agenda 2010 und die Novellierung der Handwerksordnung viele Kleinbetriebe geschaffen haben, die als Kleinunternehmen fungieren, den Kunden bis 17.500 Euro Jahresumsatz keine Mehrwertsteuer berechnen müssen, die sich nicht dem gesamten Prozedere unterwerfen müssen, weil sie keine Arbeitnehmer haben, also haben sie auch keine Abgaben an Sozialversicherungen, keine Berufsgenossenschaft. Sie sind praktisch an der sozialen Marktwirtschaft überhaupt nicht beteiligt. Sie zahlen keine Arbeitgeberanteile in das Sozialsystem ein, aus dem unser Staatssystem funktioniert, aus dem wir Geld bekommen wollen, damit wir uns alles das leisten, was wir uns wünschen. Diese EinMann- und Kleinunternehmen sind natürlich berechtigt, sich nach den Vergaberichtlinien auch an der Vergabe zu beteiligen. Sie haben dadurch eine andere Kostenspirale als ein Unternehmer, der Menschen beschäftigt. Seit dieser Zeit – das kann ich Ihnen sagen, seit das so schlimm ist – beteiligen sich immer weniger daran. Ich weiß das aus der Praxis. Der Wettbewerb ist verzerrt. Wir müssen auch in diesen Ausschreibungskriterien unterscheiden und uns grundsätzlich dazu bekennen, was ein Kleinunternehmen ist. Es kann doch nicht sein, dass die, die alles aufbringen und das Staatssystem mit Steuerabgaben und Abgaben in das Sozialsystem unterstützen, benachteiligt sind gegenüber denen, die all das nicht bringen müssen. Schon aus diesem Grund wünsche ich mir, dass diese Vergaberichtlinien evaluiert werden, und zwar nicht erst nächstes Jahr, sondern jetzt,

(Beifall CDU, AfD)

damit in Zukunft wieder Arbeit gesichert und organisiert werden kann, damit Arbeitsplätze sicher sind und damit es Spaß macht, sich selbstständig zu machen und Menschen einzustellen, um ihnen soziale Sicherheit für die nächsten Jahre und für ihr gesamtes Leben zu garantieren. Das ist mein Wunsch, wenn ich heute den Antrag stelle, diesen Antrag der CDU-Fraktion an den Ausschuss für Wirtschaft und Wissenschaft zu überweisen und das nicht so lapidar einfach abzutun und zu sagen, es ist alles in Ordnung. Es ist nicht in Ordnung, es werden immer weniger versicherungspflichtige Arbeitsplätze im Handwerk geschaffen; wir haben nur noch kleine und Ein-Mann-Unternehmen, Hausmeisterservices.

(Zwischenruf Abg. Dr. Voigt, CDU: Sag doch einfach: Ablehnen!)

Wir haben so viele kleine Unternehmen, das ist eine ungewollte Konkurrenz, wenngleich ich sage, ich bin nicht gegen ein kleines Unternehmen. Ich sage, es hat jeder das Recht, sich selbstständig zu machen, aber es müssen im Wettbewerb eine klare Linie und gleiche Voraussetzungen sein.

Jetzt möchte ich zu dem Herrn Adam noch etwas sagen. Wir kennen uns ja noch nicht, aber Sie haben …

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Adams!)

Bitte? Herr Adams.

Ich habe mir gestern extra Ihre Rede noch einmal angehört, und zwar Ihre Antrittsrede hier, als wir zur konstituierenden Sitzung waren. Da haben Sie einen Satz ausgesprochen, der hat mich schon damals sehr berührt. Sie wollen durch mehr Innovation dem Handwerk goldenen Boden bereiten, goldenen Boden. Sie haben das zweimal gesagt.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Energiewende!)

Sie wollen dem Handwerk goldenen Boden bereiten.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das ist doch ein Morast!)

Ich wünsche, es gelingt Ihnen. Es fehlt mir der Glaube daran, dass es jemals gelingen wird, dass es beim Handwerk wieder goldenen Boden geben wird. Aber ich lade Sie selbstverständlich ein, jetzt – und das meine ich ernst und ganz ehrlich – mitzutun an diesem Antrag, dass wir vielleicht doch dieses Vergabegesetz etwas vereinfachen können im Interesse derer, die arbeiten und die auf dem freien Markt bestehen müssen.

Leider ist der Herr Ministerpräsident nicht da. Er hat in seiner Antrittsrede einen wichtigen Satz geprägt: Er will nicht alles anders, aber vieles besser machen. Ich lade ihn heute ein, hier zu beginnen.

(Beifall CDU, AfD)

Als ich jetzt erfuhr, dass er auf den Spuren von Ludwig Erhard wandelt – jetzt muss ich Ihnen das einmal sagen, das ist eigentlich mein politisches Vorbild, weil ich immer ein Vertreter der sozialen Marktwirtschaft war und bin –, dieser Ludwig Erhard hat im Jahr 1947 einmal gesagt: „Die Richtung ist klar, die wir einzuschlagen haben, die Befreiung von der staatlichen Befehlswirtschaft, die alle Menschen in das entwürdigende Joch einer alles Leben überwuchernden Bürokratie zwingt, die jedes Verantwortungs- und Pflichtgefühl, aber auch jeden Leistungswillen abtöten und darum auch den frömmsten Staatsbürger zum Rebellen machen muss.“ Ich hoffe, dass es hier so weit nicht kommt, und ich bitte Sie, diesen Antrag zu unterstützen und Ihre Meinung noch einmal zu überdenken. Ich bitte

Sie also, diesen Antrag an den Ausschuss für Wirtschaft und Wissenschaft zu überweisen. Danke sehr.

(Beifall CDU, AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wirkner. Jetzt hat das Wort Herr Abgeordneter Hausold, Fraktion Die Linke.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Herbert, der Praktiker, und jetzt kommt der Theoreti- ker!)

(Heiterkeit CDU)

Herr Präsident, meine verehrten Damen und Herren, ich sehe das nicht ganz so, wenn ich gerade höre, dass wir jetzt sozusagen vom Praktiker Herrn Wirkner zum Theoretiker Hausold kommen. Im Übrigen: Die Stärke der Politik sollte ausmachen, dass Theorie und Praxis gut zusammengehen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Da weiß ich nicht, wie das bei der CDU-Fraktion ist. Aber, Herr Wirkner, ich habe mit großem Interesse und – ich muss auch sagen – mit weitgehender Zustimmung – wir hatten das Thema „Mindestlohn“ schon ein Stück weit im Ausschuss gehabt – Ihren Ausführungen hier zugehört. Wie gesagt, ich finde das ganz toll, Sie sind neu hier im Landtag, Sie haben gesagt, Sie haben das jetzt erst im 64. Lebensjahr geschafft. Ich finde, das ist sehr gut, dass Sie das geschafft haben und die Wählerinnen und Wähler das so bestimmt haben, denn – und das sage ich ohne jede Ironie – jemand, der so konsequent dem Mindestlohn in der CDU-Fraktion vom Grundsatz her zustimmt und verteidigt, den hätte ich mir viele Jahre eher in dieser Fraktion in diesem Landtag gewünscht.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Ramelow, Ministerpräsident: Gustav musst du in Schutz nehmen!)