Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank für das Geschenk. Europa ist ein Geschenk und, ich glaube, an dem Punkt sind wir uns alle einig, ein Geschenk, das es gilt als eine Friedensgarantie zu bewahren. Das ist auch eine Herausforderung.
Mit Blick zurück auf die vergangenen Jahre ist ziemlich deutlich: Wir stehen mehr denn je an einem Scheideweg. Die Finanzkrise ist noch lange nicht überwunden und Griechenland noch nicht stabilisiert, der Ukrainekonflikt schwelt vor sich hin. All diese Problemfelder werden gegenwärtig von der Flüchtlingskrise überdeckt und flankierend dazu ist bei Wahlen ein Erstarken von rechtspopulistischen und europafeindlichen Parteien zu beobachten. Zusätzlich müssen die EU-Partner nun entscheiden, wie sie mit den britischen Forderungen nach noch mehr Differenzierung umgehen. Jenseits des großen Themas „Vertragsänderungen“ und der anderen politisch und inhaltlich derzeit nicht weniger wichtigen Fragen – Sie sprachen sie an –, die Vertiefung des Binnenmarkts, was für uns eine Notwendigkeit ist, um unseren Standort als wirtschaftlich starkes Land auch weiter auszubauen, die Rolle der nationalen Parlamente, um für Akzeptanz für Europa, aber auch für mehr Mitbestimmung der Bürger zu werben, die Regelung zur Freizügigkeit – dahinter mache ich drei Ausrufungszeichen, aber auch einige Fragezeichen –, das wird die Antwort der Mitgliedstaaten auf den britischen Forderungskatalog die künftige Struktur der EU maßgeblich definieren. Die Beschlüsse des EU-Gipfels vom Februar 2016 sind ein Signal an die Mitgliedstaaten. Dem Subsidiaritätsprinzip folgend zielt die Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas nicht darauf, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Unterschiede und Gestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten gegen ihren erklärten Willen weitgehend zu harmonisieren. Es bleibt bei der Einheit in Vielfalt.
In diese Zeit fällt die Vorlage der europapolitischen Strategie der Landesregierung. Lassen Sie mich etwas zu den Worten sagen, die Sie noch zusätzlich als Gedanken eingefügt haben. Sie sagten: Europäische Werte drohen zu verwässern – zumindest in diesem Kontext. Ja, Sie drohen zu verwässern. Aber dagegen muss man etwas tun und da muss man aber auch ehrlich genug sagen: Wer meint, Euro und Flüchtlingskrise haben nichts miteinander zu tun, der irrt. Es geht in beiden Fällen um die kon
krete Ausgestaltung europäischer Solidarität, um Rechtstreue und Vertragstreue und Verlässlichkeit. Bei der europapolitischen Strategie, die Sie vorgelegt haben, geht es um Prioritätensetzung und die konsequente Ausrichtung an Thüringer Interessen und Handlungsmöglichkeiten. Die Strategie muss diese Interessen konkretisieren und Instrumente zur Durchsetzung dieser Interessen beschreiben.
Wie in vielen anderen Punkten auch ist festzustellen, dass die Landesregierung auf Bewährtem aufbaut. Das ist grundsätzlich erst einmal gar nicht schlecht. Herrn Minister Hoff ist dafür zu danken, dass er in einer Vielzahl von Themen an die vormaligen Formulierungen zur Bedeutung der Europäischen Union für Thüringen aus der CDU-SPDRegierungszeit erinnert hat. Allerdings fehlt an einigen Stellen die damals vorhandene Klarheit der Aussagen, welche Position die Landesregierung denn nun ganz konkret in den einzelnen Punkten vertritt. Die Bürger erwarten zu Recht klare Aussagen und nicht verwaschene Aussagen und Fragestellungen. Sie wollen Antworten. Was wollen Sie denn mit solchen Sätzen sagen? Ich zitiere: „[Die Landesregierung] erteilt allen eine klare Absage, die den notwendigen Schutz der EU-Außengrenzen mit deren kompletter Schließung verwechseln.“ Was soll das? Es geht nicht um die Schließung der Außengrenzen, es geht um den wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen und damit die Rückkehr zu Schengen.
In einem Raum des freien Personenverkehrs müssen unbedingt die Außengrenzen gesichert und effiziente Grenzkontrollen durchgeführt werden. Und dafür sind die beteiligten Staaten gemeinsam verantwortlich. Wir wollen nicht die dauerhafte Schließung von Grenzen im Inneren der Europäischen Union und nicht die nationalstaatlichen Alleingänge. Das kann man aber nur hinkriegen – und da erinnere ich an den Bürgerdialog, der vor zwei Tagen hier stattgefunden hat und den Vertreter des Bundesinnenministers, der genau das zum Thema gemacht hat und dort auch einige Auffassungen vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Man sollte da nichts anderes hineininterpretieren; man sollte schon bei der Klarheit der Worte bleiben. So stehlen Sie sich an vielen Stellen mit unklaren Formulierungen und Phrasen aus der Verantwortung, vor allen Dingen auch dann, wenn der eine oder andere Koalitionspartner vielleicht einer anderen Auffassung sein könnte, so zum Beispiel beim Freihandelsabkommen TTIP.
Wie ist denn nun die konkrete Haltung der Landesregierung? Das dürfte nicht ganz einfach sein, denn Sie haben innerhalb Ihrer Regierung schon einen
Spagat zu absolvieren, wenn es um die Frage nach der konkreten Haltung dazu geht. Da würde ich das nicht auf die Frage verschieben, ob es einen Leseraum für TTIP gibt oder nicht. Man könnte höchstens zurückfragen: Haben Sie den Leseraum schon genutzt? Haben Sie sich informiert? Die Bundesratsmitglieder können das ja auch tun.
Aber das ist nicht das Thema. Sondern für uns ist das Thema: Wie wirkt sich TTIP bis nach Thüringen aus? Was haben wir davon zu erwarten? Wir haben das im Ausschuss diskutiert. Ich gebe Ihnen vollkommen recht: Zum Glück ist unser Europaausschuss ein Ausschuss, in dem man wirklich sachlich und von einem Leitgedanken „Pro Europa“ getragen diskutieren kann, in dem man quer über die Parteigrenzen hinaus auch manche Dinge diskutieren kann, die man sich in diesem Raum vielleicht gar nicht vorstellen kann. Ich finde dieses Klima sehr angenehm und darum: Das sollten wir auch bewahren. Ich glaube, das hat jeder Vorsitzende des Europaausschusses bisher als Kunststück hingekriegt und das ist auch ein hohes Gut. Aber trotzdem geht es darum, dass in einer europapolitischen Strategie natürlich erst mal klare Positionen zum Ausdruck gebracht werden.
Natürlich geht es bei einer europapolitischen Strategie einer Landesregierung immer darum, welche Auswirkungen europäische Politik auf das Land, auf Thüringen, auf unsere Kommunen und natürlich auf die Bürger hat. Dabei müssen die für Thüringen besonders wichtigen Themen identifiziert werden. Wir stimmen überein, wenn es um die Bedeutung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens geht und um die Frage, wie viel Geld für die europäische Kohäsionspolitik nach 2020 nach Thüringen fließen wird: Wir werden auch in der nächsten Förderperiode noch Unterstützung brauchen, um die Erfolge der bisherigen Infrastrukturentwicklung zu sichern und wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu bleiben.
Es hat schon Anstrengung, enorme Anstrengung gekostet, überhaupt in eine Übergangsförderung hineinzukommen. Ich will das mal in den Mittelpunkt stellen. Da haben sich alle angestrengt, ihren Teil dazu beizutragen, weil es Spitz auf Knopf stand. Das war nicht so einfach, weil man uns auch nicht den roten Teppich ausrollt und wir auch innerhalb Deutschlands um unsere Positionen kämpfen müssen. In diesem Zusammenhang ist es schon auch von erheblicher Bedeutung, wo die Schwerpunkte gesetzt werden. Ich will einen Schwerpunkt ansprechen: In diesem Zusammenhang ist es auch von Bedeutung, wie intensiv sich die Landesregierung weiterhin in die zukünftige Gestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik einbringt. Umfang und Ausgestaltung müssen beispielsweise mit Blick auf die unterschiedlichen Standortbedingungen in Europa, die Entwicklung der Märkte und den Beitrag der
Landwirtschaft zur Erreichung der Energieziele der Europäischen Union kritisch geprüft werden. Die Agrarunternehmen bilden den zweitgrößten Wirtschaftszweig in Thüringen. Jetzt werfen Sie mal einen Blick in die vorgelegte Strategie: Nicht einmal zwei Seiten widmen Sie diesem enorm wichtigen Unternehmensbereich für Thüringen – mit Zielen, die die Bauern nun wahrlich nicht vom Hocker reißen werden.
Meine Damen und Herren, ich denke, wir werden genügend Gesprächsstoff für den Ausschuss haben. Aber ich will auch noch zu ein paar anderen Themen kommen: Aussagen, die Sie zu den Schwerpunkten Investitionen, Innovationen, neue Technologien treffen, dürften schon etwas umfangreicher, etwas stärker untersetzt sein. Denn hier entscheidet sich, was in Zukunft in Thüringen entwickelt, hergestellt, exportiert werden kann, was mit europäischer Förderung rechnen kann.
Wie Sie alle wissen, ist Thüringen ein von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägtes Land. Zwar schreiben Sie, dass die Kommission das Programm „Vorfahrt für KMU“ weiter stärken will, doch sehen Ihre dargestellten Handlungserfordernisse in dieser Richtung eher mau aus. Für uns sind doch Fragestellungen ganz konkret: Wie können kleine und mittelständische Unternehmen von Innovationsfonds profitieren? Wie können kleine und mittelständische Unternehmen an die Mittel aus EFSE und EFSI herankommen? Welche bürokratischen Hemmnisse stehen der Nutzung von Förderfonds, von Fördermitteln entgegen? Was können wir tun, um kleine und mittelständische Unternehmen in ihren Initiativen, in ihrer Investitionspolitik zu unterstützen?
Meine Damen und Herren, zur Sozialunion ist wesentlich mehr zu finden. Das war auch in Ihren Ausführungen, Herr Minister Hoff, in dieser Weise deutlich spürbar. Die soziale Dimension der Europäischen Union zu stärken ist richtig. Was bedeutet das aber auch im Einzelnen? Auch hier steht die Fragestellung: Was heißt das konkret? Wie steht die Landesregierung zur Frage der besseren Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, um die Mobilität der Arbeitnehmer in Europa zu fördern, Fehlanreize zu beseitigen, die eine Einwanderung in die Systeme zur Folge haben? Je besser, meine Damen und Herren, ein Missbrauch von Sozialleistungen verhindert wird, umso mehr wird die Akzeptanz der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Bevölkerung gestärkt. Diese Themenbereiche sind durchaus wichtig, Sie sprechen sie an. Wir wollen fragen: Wie konkret werden sie auf Thüringen heruntergebrochen? Was muss nachgebessert werden? Auf welche Schwerpunkte muss man stärker achtgeben?
aber mehr Beachtung verdient hätten, weil sie über Jahre hinweg zeigen, dass man dort einen Entwicklungsweg gehen kann, der in eine positive Richtung geht und der alle Anstrengungen verdient, zumal in den letzten Jahren eine stattliche Anzahl von Projekten des Austauschs in Regionalpartnerschaften initiiert wurde. Es bestehen mehr als 300 Arbeitskontakte zu Partnern in 70 europäischen Regionen. Ich glaube, so viel hätte man nicht mal vermutet, wenn man das abgefragt hätte. Hier geht es um tragfähige Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, wissenschaftlichem, kulturellem und sozialem Gebiet. Es sei nur am Rande daran erinnert – Sie haben es auch nur kurz gestreift: Die im Weimarer Dreieck seit nunmehr 25 Jahren bestehende Zusammenarbeit von Deutschland, Frankreich und Polen hat dabei eine ganz besondere Bedeutung. Ich finde, diese Bedeutung sollten wir nicht vergessen,
sondern wir sollten diese Beziehung zu Frankreich und zu Polen aktiv gerade auch von Thüringen aus – hier ist diese Verbindung begründet worden – weiter fortsetzen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht nachlassen und uns auch bei veränderten politischen Konstellationen nicht von unseren Partnerregionen abwenden, sondern die Kontakte aufrechterhalten. Das sage ich ausdrücklich, denn unser Arbeitskreis der CDU-Landtagsfraktion war gerade zu einem Arbeitsbesuch in Wroclaw/Breslau, um sich dort vor Ort zu informieren. Ich kann das nur empfehlen, das auch weiterhin und verstärkt zu tun.
Stichwort Bürgerbeteiligung: Sie hatten von Anfang an die Absicht – so sagen Sie –, die Bürgerinnen und Bürger nicht nur mitzunehmen, sondern sie auch zu fragen, wohin es europapolitisch gehen soll. Nun: Fragen ist nett, aber die Anregungen und Wünsche auch zu berücksichtigen, ist noch besser. Aus diesem Grund werden wir Sie auffordern, uns die Stellungnahmen der befragten Thüringerinnen und Thüringer zur Kenntnis zu geben und zu erläutern, wie die 150 Befragten ausgewählt wurden, die die Strategie bewertet haben, und wie sie in die Strategie Eingang gefunden haben. Sollte es sich bei den 150 um die Gäste des schon längere Zeit zurückliegenden ersten Ideensammelns handeln, könnte kaum von repräsentativer Beteiligung gesprochen werden. Da besteht in der Tat Nachbesserungsbedarf. Außerdem sollte die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ein ständiger Tagesordnungspunkt sein – denn an wen richtet sich die europäische Politik, wenn nicht an die Bürger? Je schwieriger die Herausforderung, umso dringender ist es bei den Thüringerinnen und Thüringern, für Europa zu werben. Das zeigen auch die Ergebnisse des Thüringen-Monitors, dass die Anstrengung
notwendig ist. Dabei geht es nicht darum, Kritik an der Europäischen Union wegzuwischen oder als europafeindlich abzutun, meine Damen und Herren. Es geht darum, durch Information eine breite, sachliche Debatte über europapolitische Themen zu ermöglichen und gerade jungen Leuten im Studium, in der Ausbildung und im Beruf die Möglichkeit zu eröffnen, in anderen Mitgliedstaaten eigene Europaerfahrungen zu sammeln. Auf diese Weise erhält Europa in Thüringen den Platz, den es aufgrund seiner tatsächlichen Bedeutung haben müsste, nicht in Sonntagsreden und nicht als Gegenstand zur Pflege von Vorurteilen, sondern mitten im Alltag, meine Damen und Herren.
Weiterhin lesen wir in Ihrer Strategie – ich zitiere: „Die Landesregierung bekennt sich auf dieser Grundlage zu einer Fortsetzung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Thüringer Landtag in EU-Angelegenheiten, um die demokratische Rückkopplung europäischer Entscheidungen auf Landes- und kommunaler Ebene zu gewährleisten.“ Das dürfte selbstverständlich sein. Hier setzt die bestehende Vereinbarung zwischen Landesregierung und Landtag seit Langem konfliktfrei Maßstäbe und dahinter sollte es auch kein Zurück geben.
Und trotzdem, meine Damen und Herren, waren einige Ihrer Anmerkungen hoffentlich nicht so zu verstehen, dass von dieser gut praktizierten Verfahrensweise nun abgerückt werden sollte.
Meine Damen und Herren, wie steigert man Europakompetenz und Europafähigkeit der Verwaltung? Wo bleiben hier neue Ideen und Strategien? In dem einseitigen Abschnitt, den Sie dem Thema widmen, war es mehr oder weniger eine Beschreibung des Status quo. Wir merken aber alle sehr deutlich: Es ist umso wichtiger, frühzeitig Thüringer Interessen in die europäische Gesetzgebung einfließen zu lassen, frühzeitig von Entwicklungen Kenntnis zu nehmen, frühzeitig unsere Interessen zu vertreten. Sie haben die Thüringen-Vertretung in Brüssel angesprochen: Das ist richtig, diese zu stärken, ihre Kompetenz auszubauen. Aber dazu muss man auch die notwendigen Voraussetzungen schaffen und man muss auch die Voraussetzungen schaffen, dass Beamtinnen und Beamten aus der Verwaltung und aus den Behörden – ruhig auch der Kommunalbehörden – die Möglichkeit gegeben wird, in Europa vor Ort Erfahrungen zu sammeln, Europakompetenz zu erlernen und mit dem Wissen um das Funktionieren der europäischen Strukturen sich auch stärker für ihre Interessen vor Ort einzubringen. Denn alle wissen wir: Wenn einmal Ideen in Worte und Richtlinien gegossen sind, dann ist es schwer zu korrigieren. Also müssen wir frühzeitig Einfluss nehmen und das heißt, von den Dingen zu wissen in ihrem Entstehen. Insofern ist es schon auch – und das sage ich positiv – immer gut wahrgenommen worden, wenn der Ausschuss in Europa seine Gesprächsrunden geführt hat, auf aktuelle
Schwerpunkte Einfluss genommen hat. Das hat auch dazu beigetragen, dass eine Übergangsregelung nach dem Ausscheiden aus der Höchstförderung gefunden wurde. Mit Blick auf die zukünftige Finanzierung, aber auch mit Blick auf zukünftige Regelungen, die sich nicht immer im Rahmen der Subsidiarität befinden, sondern manche Regelungen, die von der Kommission auf den Weg, auf die Schiene gesetzt werden, auch die Kompetenzregelung, ein wenig großzügig auslegen – darauf muss man frühzeitig Einfluss nehmen und muss unsere Interessen dort zum Ausdruck bringen. Ich darf nur an die Debatte um die Privatisierung der Trinkwasserversorgung erinnern, wo ein frühzeitiges Eingreifen und Intervenieren auch ermöglicht hat, dass ein Umsteuern erfolgte. Es könnten viele andere Beispiele genannt werden. Das zeigt, wie wichtig es ist, schnell und zeitig von den Dingen, die im Gespräch sind, Kenntnis zu erlangen.
Meine Damen und Herren, wer die vorgelegte Strategie im Blick hat, vermisst einen Abschnitt zum europäischen Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts. Gerade angesichts der Vorfälle in Paris, in Belgien und nicht zuletzt in der vorigen Woche auch in Deutschland finde ich es als Europäer als enorm wichtigen Gegenstand und ich glaube, auch darüber werden wir im Ausschuss reden. Denn auch der europäische Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts hat durchaus Auswirkungen auf unsere Wirklichkeit vor Ort, auf das Sicherheitsgefühl, aber auch auf die sicherheitspolitischen Interessen unseres Landes und der Menschen in unserem Land und deshalb gehören auch da ein paar Worte mehr dazu.
Meine Damen und Herren, wer mit offenen Augen durch unser Land geht, kann an vielen Stellen und Projekten sehen, wie stark Thüringen von Europa profitiert hat. Die Thüringer Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren deutlich an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen, die Infrastruktur ist in unserem Land auf einem modernen Stand und wir zählen zu einem der attraktivsten Investitionsstandorte in Deutschland und Europa. Das heißt aber nicht, dass man sich auf den gut bestellten Äckern ausruhen könnte. In Brüssel für die Interessen von Thüringen einzutreten, für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger von Thüringen, damit das hervorragende Standing Thüringens auch in Zukunft erhalten bleibt, das ist, glaube ich, vornehmliche Herausforderung. Die notwendige Diskussion darüber, wo wir mehr und wo wir weniger Europa brauchen, können wir uns nicht ersparen. Mehr Europa, wo es nötig ist, wenig Europa, wo es möglich ist, meine Damen und Herren, das ist, glaube ich, in diesen Tagen die Devise.
Europa ist in der Vergangenheit immer dann zusammengerückt, wenn es von außen bedroht wurde. In Zeiten, in denen es an Solidarität und Zusammenhang mangelt und es überwiegend die Ge
fahr des Rückfalls in nationale Interessen gibt, ist es eine neue Herausforderung, Frieden, Freiheit und Wohlstand zu gewährleisten. Wenn Europa auf der weltpolitischen Bühne und in der Weltwirtschaft seine Wettbewerbsfähigkeit und sein Standing behalten will, um so die Basis für Wohlstand und Lebensqualität zu halten, dann muss es mit Einigkeit, Flexibilität und Kreativität auf die sich verändernden Anforderungen reagieren und dann muss es auch einen Spielraum für die Interessen der Länder geben und vielleicht auch für einen etwas langsameren Weg in Richtung weitere Vergemeinschaftung. Nur entlang eines gemeinsamen Wertegerüsts kann das Gemeinsame bewahrt und die Gemeinschaft zusammengehalten werden. Es ist in unserem Interesse, in dem Interesse Thüringens und natürlich unserer Bürgerinnen und Bürger. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Walsmann. Als Nächster hat Abgeordneter Hey für die SPD-Fraktion das Wort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Präsident, liebe Besucherinnen und Besucher auf der Besuchertribüne, der eine oder andere hat vielleicht beim Hören des heutigen Themas der Regierungserklärung schon abgeschaltet, weil die Symbiose aus Europa und Thüringen vermeintlich nicht zu den spannendsten Themen zählt. Aber in der Tat steckt in diesem Papier, um das es geht, auch in der Regierungserklärung, jede Menge brisanter Stoff. Eine europapolitische Strategie ist richtig und wichtig, vielleicht in diesen Tagen mehr denn je.
Herzlichen Dank also an die Landesregierung auch zur Vorlage dieser europapolitischen Strategie! Lange Zeit wurde Europapolitik nicht sonderlich beachtet. Das ist anders geworden in den letzten Jahren. Denken Sie nur an die Krise um den Euro, die Bankenrettung in Europa, die Rettungsschirme, die Krise um Griechenland, aktuell die Flüchtlingsfrage. Das sind alles Themen, die immer mehr in den Blickpunkt unseres Tagesgeschehens gerückt sind.
Insbesondere bestimmt dabei natürlich ein Thema unser tägliches Nachrichtenbild, das ist das um die Flüchtlinge. Wenn wir wissen, dass Krieg und Gewalt Flüchtlingsströme auslösen, dann ist es doch logisch und es ist vor allem mehr denn je wichtig, dass wir über die Ursachen dieser Kriege diskutieren müssen, auch in den Landesparlamenten, im Bundestag, in der Bundesregierung und natürlich auch im Europäischen Parlament. Und wenn das so ist, dann muss auch unweigerlich die Frage
gestellt werden, weshalb denn seit Monaten Hunderttausende, sogar Millionen weltweit auf der Flucht sind. Herr Hoff hat das ja bereits dankenswerterweise angesprochen. Was die Herausforderungen um das Flüchtlingsthema angeht: Natürlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es ein Problem, dass von 28 Mitgliedstaaten 24 andere Auffassungen bei diesem Thema haben, mit all den Auswirkungen, die wir in den letzten Wochen und Monaten verfolgt haben. Das muss man klar benennen und offen ansprechen. Und spätestens hier gehen die Meinungen zum Teil diametral auseinander, was denn die beste Vorgehensweise wäre, nicht nur in der europäischen Familie, das ist eine Diskussion auch hier in unserem Land. Wenn man dann einen Teil der Meinungsführerschaft hört, der einen ja regelmäßig belächelt, wenn man sagt, diese Herausforderung ist nur gemeinsam und nur zusammen in Europa zu schultern – ich bin Herrn Hoff deshalb für seine klaren Worte noch einmal dankbar –, dann unterstreiche ich das gern für meine Fraktion noch einmal: Ja, wir brauchen eine gesamteuropäische Antwort in dieser Frage, daran führt kein Weg vorbei. Ich will sagen, weshalb ich das mit so felsenfester Überzeugung vertrete. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder schwierige Situationen in der Europäischen Union. Ich erinnere da nur an die Anstrengungen zur Rettung der gemeinsamen Währung vor gar nicht allzu langer Zeit. Da ist es zusammen gelungen, mit einem ungeheuren Kraftakt viele Milliarden Euro bereitzustellen, um die gemeinsame Währung zu stabilisieren. Als durch die Bankenkrise die europäische Währung in Gefahr war, hat es die EU damals geschafft, in kürzester Zeit Billionen von Euro bereitzustellen zum Aufspannen der Rettungsschirme. Es hatte ja eine Zeit lang, sage ich immer mal salopp, den Eindruck, als gäbe es von Portugal bis Zypern und von Irland bis Griechenland überhaupt keine Sonne mehr, weil alles unter Rettungsschirmen war. Ich halte es für wichtig, noch einmal zu betonen: Gemeinsam ist das gelungen. Hier hat Europa zusammengestanden. Es waren schwierige Zeiten und noch ist in dieser Hinsicht auch nicht alles überstanden. Aber dieses Beispiel zeigt: Wenn hier jeder als Nationalstaat, also jeder einzeln gehandelt hätte, wenn die gemeinsame Idee einer Wirtschafts- und Währungsunion allen schnurzegal gewesen wäre, dann hätte das alles nicht gestemmt werden können. Deshalb ist es doch logisch, deshalb ist es doch sonnenklar: Bei der jetzigen Herausforderung gilt es wieder zusammenzustehen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Auch deshalb ist es jetzt wichtig, überlebenswichtig, auch für die Glaubwürdigkeit europäischer Politik, eine europäische Antwort auf diese Herausforde
Zur Sprache gekommen ist dankenswerterweise auch das Thema „Bürgerbeteiligung“; im Übrigen gerade auch in diesen Zeiten eine Sache, die nicht hoch genug einzuschätzen ist. Herr Hoff hat es schon angesprochen: Es gab hier eine Bürgerveranstaltung unter dem Motto „Zukunftsdebatte zur Thüringer Europapolitik“, wo sich übrigens sage und schreibe 150 Teilnehmer tummelten, also von Desinteresse am Thema „Europa“ in diesem Sinne überhaupt keine Spur. Hier im Landtag gab es Anfang der Woche auf Einladung des Europäischen Informationszentrums eine weitere Veranstaltung, die auch die Frage stellte, wie es weitergeht mit Europa. Da waren mehr als 200 Teilnehmer da. Das zeigt, die Leute wollen sich informieren, sie wollen reden, sie wollen diskutieren und das ist gut so. Jedes Format dieser Art, jeder Abend, jede Gesprächsrunde, jede Veranstaltung in dieser Richtung ist wichtig, weil es gegen Europa, gegen die Europäische Union genügend Vorbehalte – es gibt zum Teil sogar Vorurteile – gibt. Das ist festzustellen. Das hängt aber auch damit zusammen, weil so einiges, was da als Europa in EU-Verpackung bei den Bürgern draußen ankommt, durchaus suspekt erscheint. Ich will jetzt nicht wieder mit so Kinkerlitzchen wie der Verordnung über die Verkrümmung von Gurken oder den Umgang mit Einfuhrzöllen für Bananen von den Kanarischen Inseln anfangen. Aber ich will das hier auch mal klar ansprechen: Es gibt da reichlich Unverständliches an Entscheidungen.
Gehen wir mal weg von Gurken, ich will Ihnen ein aktuelles Beispiel nennen: Seit 1948 wird in England der legendäre Land Rover Defender gebaut. Das ist das widerstandsfähigste Geländefahrzeug der Welt. Die Älteren unter uns hier im Plenum kennen vielleicht noch die Fernsehserie „Daktari“, der Wagen hat dort eine entscheidende Rolle gespielt.