Protokoll der Sitzung vom 20.04.2016

Ich bitte die Landesregierung im Namen meiner Fraktion, sich im gleichen Sinne beim Bund zu engagieren, denn die Stärkung der Aufarbeitung im Freistaat in Sachen DDR-Unrecht ist ein gemeinsames und, wie ich finde, ein zentrales Anliegen unserer Koalition und auch des gesamten Parlaments. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Weitere Wortmeldungen vonseiten der Abgeordneten liegen nicht vor, sodass für die Landesregierung Frau Staatssekretärin Winter das Wort erhält.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, im Herbst des Jahres 1989 erzwangen die Menschen in der DDR das Ende der SED-Diktatur. Die Sicherung der Akten der Staatssicherheit begann nicht in Berlin, nein, sie begann in Erfurt und in Suhl – am 4. und 5. Dezember 1989.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Pelke)

Erfurt, Gera und Suhl sind Orte von historischer Bedeutung, an denen die Erinnerung an die Ereignisse der friedlichen Revolution lebendig ist. Der bürgerrechtliche Impuls, die Akten des Staatssicherheitsdienstes vor der Vernichtung zu bewahren und sich mit der SED-Diktatur auseinandersetzen zu wollen, mündete unter anderem in der Errichtung der Behörde des Bundesbeauftragten für die StasiUnterlagen, BStU, als zeitlich befristete Sonderbehörde. Zentrales Anliegen der Behörde und gleichzeitig ihr größtes Verdienst ist die Öffnung der Akten des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR für die Aufarbeitung, insbesondere der Zugang der Betroffenen zu ihren Akten. Das ist immer noch – man kann es gar nicht oft genug betonen – ein Meilenstein der demokratischen Vertrauensbildung und beispielgebend für andere postdiktatorische Gesellschaften.

Gleichzeitig war und ist die BStU wesentlicher Akteur in der Aufarbeitung und Bildung und hat die Erinnerungskultur zur DDR geprägt. Da sich seit der friedlichen Revolution eine Aufarbeitungslandschaft herausgebildet hat, zu der zahlreiche – gerade auch in Thüringen, das wissen wir – zivilgesellschaftliche Initiativen und auch staatliche Institutionen gehören, ist sicherlich eine Standort- und Perspektivbestimmung sinnvoll und notwendig. Das hat der Bundestag in Auftrag gegeben und das Ergebnis der Expertenkommission liegt jetzt seit zwei Wochen vor. Grundsätzlich ist das Instrument der Evaluation heute Standard und wird in jedem Gesellschafts- und Politikbereich gefordert. Von daher sind eine Bestandsaufnahme und eine Evaluation durch eine Expertenkommission, der ich an dieser Stelle ausdrücklich danke, erst mal sicher gut. Honorige Menschen aus Thüringen, die darin mitgearbeitet haben, sind gerade von Frau Rothe-Beinlich genannt worden. Denen möchte ich an dieser Stelle auch vonseiten der Landesregierung für ihre Mitarbeit in dieser Kommission danken.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu den Empfehlungen der Kommission, wie sie jetzt vorliegen, kann diskutiert werden, ob, in welchem Maße und wie sie umgesetzt werden. In diesem Prozess fordern die Bundesländer Mitspracherecht und hier wird sich Thüringen vonseiten der Landesregierung aktiv einbringen. Es geht letztlich um zwei Säulen: die Akteneinsicht und die historisch politische Bildung und Aufarbeitung. Die prioritäre Forderung – so hatte ich mich auch schon mal in den Medien geäußert – ist, dass die Akten für die Bürgerinnen und Bürger ohne Einschränkung zugänglich bleiben. Es ist hier gerade schon fraktionsübergreifend deutlich geworden, dass dies auch die Haltung im Landtag ist. Das ist auch die Haltung im Expertengutachten. Die Kommission empfiehlt nun die Integration der Stasi-Unterlagen ins Bundesarchiv. Das bedeutet, die Akten werden zugänglich

bleiben, denn nichts anderes tun Archive. Sie bewahren die Akten und machen sie zugänglich – auch in zehn Jahren, in 20 Jahren, auch in 100 Jahren. Das ist gut so. Ich will an der Stelle schon sagen, dass ich das Minderheitenvotum, das Frau Neubert abgegeben hat, wirklich rückwärtsgewandt und wenig konstruktiv finde.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wissen, ich bin auch für die Archive zuständig. Wenn ich sie da im Minderheitsvotum zitieren: „... [Akten, die in] den Labyrinthen von Archiven versinken“, bin ich doch etwas erstaunt und verwundert, denn wir erleben hier in Thüringen bei unseren Staatsarchiven, wie bürgernah Akten zugänglich gemacht werden. Im Bundesarchiv wie auch hier bei uns in den Staatsarchiven liegen weitere Akten zur DDR: DDR-Akten außerhalb der Stasi, nämlich der SED, Akten des FDGB usw.

Die Expertenkommission sagt auch, die Bestände der Außenstellen bleiben im jeweiligen Bundesland, wobei auf „dezentrale Aufarbeitung zu achten“ ist, so schreibt sie, und „der historische Ort berücksichtigt werden“ soll. Das bedeutet: Die Aktenbestände bleiben in Thüringen. Auch da waren vorher die Befürchtungen, die Expertenkommission könnte eine Zentralisierung im Bundesarchiv an einer Stelle fordern.

Die von der Expertenkommission für die Standortentscheidung empfohlene enge Abstimmung mit den Ländern wird die Thüringer Landesregierung einfordern und deutlich machen, dass die Außenstellen in ihrer dezentralen Verteilung wichtig sind. Ausgangspunkt ist dabei ohne Zweifel der Wunsch nach Erhalt möglichst aller drei Außenstellen. Da habe ich auch den Auftrag hier aus dem Plenum schon klar mitgenommen.

Wir müssen aber auch auf die Realität gucken, was ist, wenn der Bund über seine Bundesbehörde anders entscheiden will und wir uns in die Diskussion einbringen, das aber anders entschieden wird. Dann wird man gucken müssen, über welche Varianten man diskutieren kann. Wichtig ist nämlich die Erreichbarkeit der Akteneinsicht, auch gerade für ältere Menschen, für Menschen in schwierigen sozialen Situationen. Gerade bei Opfern der SED-Diktatur haben wir davon einige.

Das Beispiel Cottbus zeigt, wie es funktionieren kann. Dort hat nämlich die BStU statt einer Außenstelle, wo die Akten lagern, eine Beratungsstelle mit Leseraum eingerichtet. Beraten ist wichtig, Lesen ist wichtig, Betreuung ist wichtig. Wir werden uns also nicht grundsätzlich einer Diskussion mit dem Bund verschließen, wenn er in eine andere Richtung diskutieren will. Ich will aber noch mal betonen: Vorrang hat der Erhalt der Standorte hier in Thüringen.

(Staatssekretärin Dr. Winter)

Die zweite wichtige Säule ist die historisch-politische Bildung – auch das ist hier schon angesprochen worden. Das Wissen um das Leben in der DDR mit allen Facetten, um die Stasi, aber auch um alles, was dazu gehört, ist wichtig und es ist richtig. Wir erleben, dass das Wissen noch nicht überall auskömmlich vorhanden ist. Die Außenstellen der BStU mit ihrer Belegschaft sind wichtige Akteure in dieser Bildungsarbeit. Sie sind gut vernetzt. Sie arbeiten mit im Geschichtsverbund, wo verschiedene Vereine, Verbände, aber auch Institutionen des Landes und auch unsere Grenzmuseen teilnehmen.

Roland Jahn, den ich persönlich sehr schätze, mehrmals getroffen habe seit meinem Amtsantritt, fühlt sich Thüringen bekanntermaßen besonders verbunden und hat unter seiner Amtsführung nicht zuletzt durch häufige persönliche Besuche die Nähe zu den Thüringer Akteuren mit der BStU sogar noch verstärkt. Ich finde es also gut, dass die Expertenkommission den Bildungsaspekt der BStU mit einbezieht. Für Thüringen ist es wichtig, dass Lücken, die, sollte der Bund anders entscheiden, als wir es hier wünschen, entstehen könnten, an allen drei Standorten vermieden werden und wenn nötig der Bund dann im Rahmen seiner Möglichkeiten Kompensation leistet. Das gilt ganz sicher für den Standort Suhl, wo wir keine eigene Aufarbeitungs- oder Bildungseinrichtung haben, und auch an den anderen Standorten, wo wir die gerade schon erwähnten Bildungsstätten haben, Andreasstraße und Amthordurchgang. Die müssten in so einem Fall gestärkt werden und das wäre dann eine mindeste Folgeforderung.

Ich will auch zur Bildung sagen: Zum Wissen um die DDR gehört mehr als das Wissen und der Blick auf die Stasi. Der Blick auf die Stasi hatte eine Entlastungsfunktion, letztlich vielleicht auch Entlastungsfunktion weg von SED, von anderen Organisationen. Mir geht es um die Thematisierung der Topografie der Macht derer, die alle in unterschiedlichen Rollen mitgewirkt haben, ein Wissen um die scheindemokratische Parteienlandschaft, der Gleichschaltung und Mitläuferschaft von Blockparteien oder auch den Alltag in der SED-Diktatur. Mir wäre es auch wichtig, gerade im Bundesverbund mitzuwirken, dass das auch in den Westbundesländern mehr noch als Teil einer gemeinsamen Geschichte gesehen wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Landesregierung wird die Zeit in den nächsten Monaten für die inhaltliche Diskussion in Thüringen und die Diskussion mit dem Bund für den Erhalt der Außenstellen nutzen; für den Erhalt der Bildungslandschaft, landesfinanziert und mit unseren eigenen Gedenkstätten, aber auch mit Unterstützung der BStU für unsere Bildung, für die Aufarbeitung

und für eine weiterhin transparente mögliche Akteneinsicht. Ich danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin Winter. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit den ersten Teil der Aktuellen Stunde und rufe auf den zweiten Teil

b) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Landesregierung muss für Klarheit sorgen – Planungssicherheit für Thüringer Krankenhausstandorte gewährleisten“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/2014

Das Wort hat als Erster Abgeordneter Zippel für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, in der vergangenen Woche stellte der Verband der Ersatzkassen, der vdek, die Frage, wie viele der Thüringer Krankenhäuser versorgungsnotwendig seien. Die Antwort des vdek – ich zitiere –: „Bei mindestens acht Häusern muss die Bedarfsnotwendigkeit ernsthaft hinterfragt werden.“ Deutlicher gesagt: Mindestens acht Krankenhäuser in Thüringen wurden zum Abschuss freigegeben. Meine Damen und Herren, ich halte das für ein fatales Signal.

(Beifall CDU)

Nur eine Woche, nachdem die Landesgesundheitskonferenz zum ersten Mal tagte – und ich freue mich schon darauf, auch dazu heute noch kritisch ausführen zu dürfen –, wird bereits an der wichtigsten Säule der medizinischen Versorgung gesägt. Unsere Krankenhauslandschaft hat sich über Jahrzehnte bewährt. Eine wohnortnahe medizinische Versorgung ist eine Frage der Lebensqualität, ja, im Notfall ist sie lebenswichtig.

(Beifall CDU)

Aber es geht nicht nur um Gesundheitspolitik. Unsere Krankenhäuser haben auch eine wirtschaftspolitische, finanzpolitische, arbeitsmarktpolitische, kurz: eine strukturpolitische Bedeutung. In nahezu allen Regionen gehören die Krankenhäuser zu den größten Arbeitgebern. Sie stärken die Finanzkraft der Kommunen. Sie sind wichtige Auftraggeber für die lokale Wirtschaft. Sie tragen zum Erhalt von Le

(Staatssekretärin Dr. Winter)

bensqualität gerade auch in strukturschwachen Regionen bei und verhindern so auch Abwanderung. Auf den Punkt gebracht: Unsere Krankenhäuser sind nichts, was man leichtfertig infrage stellen sollte.

(Beifall CDU)

Durch solche Vorstöße wie den des vdek wird nur eines erreicht: Es wird massiv Unsicherheit erzeugt; Unsicherheit bei den Patienten, Unsicherheit beim Klinikpersonal. Und wie oft erreichen uns Klagen aus unseren Wahlkreisen, wie schwer es gerade in den kleinen Krankenhäusern ist, geeignetes Fachpersonal zu finden. Welche Argumente hat denn eine Klinikleitung noch, wenn das Krankenhaus nun auch noch öffentlich angezählt wird? Dass diese Unsicherheit überhaupt entstehen kann, daran trägt die Landesregierung zumindest eine Mitschuld. Je länger der neue Landeskrankenhausplan auf sich warten lässt, desto größer wird die Unruhe.

(Beifall CDU)

Da können Sie gern lachen, aber das ist natürlich so: Zeitverzögerungen stiften immer Unruhe. Versorgungssicherheit braucht Planungssicherheit; Planungssicherheit für die Träger, für die Klinikleitungen und auch für die Mitarbeiter.

Und noch einen Vorwurf kann ich der Landesregierung und den rot-rot-grünen Fraktionen hier im Haus nicht ersparen: Schauen Sie sich die Krankenhäuser an, die auf die Abschussliste gesetzt wurden. Es trifft vor allem den ländlichen Raum. Nun tritt das ein, wovor wir seit Monaten warnen. Sie haben mit Ihrer Gebietsreformdebatte die Büchse der Pandora geöffnet und nun folgen andere in Ihrem Kielwasser. So ist das!

(Beifall CDU, AfD)

Sie ziehen seit Monaten durchs Land und stellen Kreise und Kreisstädte infrage. Es war nur eine Frage der Zeit, bis andere Ihren Fußstapfen folgen. Jetzt trifft es eben die Krankenhäuser.

(Beifall AfD)

Sie haben eine Strukturdebatte losgetreten. Hier sehen Sie die Folgen dieser Debatte. Ich sage: Das ist kein Zufall. Man muss es so deutlich sagen: Wir erleben derzeit einen Generalangriff auf den ländlichen Raum. Landkreise und Gemeinden sollen zerschlagen werden, angeblich überflüssige Krankenhäuser sollen geschlossen werden. Beides entspricht derselben Denkweise, die da heißt: Thüringen besteht aus drei Großstädten, der Rest ist Pampa, der Rest muss mit dem zufrieden sein, was halt übrig bleibt.

Meine Damen und Herren, das ist nicht unser Bild von Thüringen. Deshalb haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt, um Sie aufzufordern: Bekennen Sie sich zu den Thüringen Krankenhäusern ohne

Wenn und Aber. Ich weiß, Sie werden mir gleich Ihren Koalitionsvertrag als Argument entgegenhalten. Nun, in Ihrem Koalitionsvertrag steht vieles, zum Beispiel ein beitragsfreies Kita-Jahr, von dem sich mindestens eine Regierungsfraktion schon innerlich verabschiedet hat und das deshalb auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben wurde. Ihren Koalitionsvertrag würde ich deswegen als Argument lieber nicht anführen.

(Beifall CDU)

Deshalb noch einmal: Bekennen Sie sich zu den Thüringer Krankenhäusern, zu allen Standorten, nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Legen Sie die Karten auf den Tisch und forcieren Sie die Arbeit und die Veröffentlichung des überfälligen neuen Landeskrankenhausplans und beenden Sie die Quellen der Unsicherheit für die Krankenhausstandorte, für die Klinikangestellten und für die Patienten. Vielen Dank.

(Beifall CDU, AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zippel. Als Nächster hat Abgeordneter Kubitzki für die Fraktion Die Linke das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, nach der emotionsgeladenen Rede von Herrn Zippel – in einer Sache muss ich Ihnen Recht geben, Herr Zippel –: