Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, vor uns liegt ein Antrag in der Drucksache 6/1645 der AfD, Thema „Wirksame Maßnahmen gegen die Asylkrise ergreifen“. Ein Antrag, der einzig und allein wieder darauf abzielt, keine wahrhaftigen Lösungen für unseren Freistaat zu finden und zu erörtern. Nein, es geht nur weiter darum, Ängste und Hass zu schüren. Ich gehe auf einzelne Punkte ein.

Zu Punkt 1: Wir brauchen keine Obergrenze. Wir brauchen Ideen und ordentliche Unterkünfte.

Zu Punkt 2: Wenn ein Flüchtling nach einer Zeit nachweisen kann, dass er eine Arbeit hat, dann muss der Zuzug seiner Frau und auch der Kinder genehmigt sein.

Zu Punkt 4: Wie sollte denn diese Grenzsicherung aussehen? Vielleicht eine neue Mauer mit Schießanlage, Herr Möller?

Zu 6: Eine ausschließliche Versorgung mit Sachleistungen lehne ich ab. Was wäre denn der zweite Schritt? Alle ALG-II-Empfänger bekommen Lebensmittelmarken? Das kann nicht Ihr Ernst sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wohl kaum ein Thema beschäftigt uns derzeit immer noch so wie das Thema „Flüchtlinge“. Jede Nachrichtensendung berichtet von Menschen, die alles in ihrer Heimat aufgeben. Sie fliehen tausende Kilometer vor Krieg, Zerstörung, Tod und auch wirtschaftlicher Not. Ich sehe Bilder von Vätern und Müttern, die für sich und ihre Kinder keinen Ausweg sehen als das Risiko einzugehen, sich in Schlauchboote zu setzen und das Mittelmeer in Richtung Sicherheit zu überqueren. Ich stelle mir unweigerlich die Frage: Was hätte Herr Möller gemacht, um seine Kinder vor dem Krieg zu retten?

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Er- schossen!)

Welches Risiko wäre er eingegangen?

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Ich hätte ge- kämpft!)

Es ist meine feste Überzeugung, dass wir heute und jetzt in der Verantwortung stehen vor allem vor uns selbst, für die Werte des Humanismus, die wir uns in das Grundgesetz, in Gesetze, in Parteiprogramme und bisweilen auch in Sonntagspredigten geschrieben haben. Wir stehen in der Verantwortung, unsere vermeintlich hohen moralischen Maßstäbe in Handeln umzusetzen.

Wir alle wissen, das Ziel vieler Schutzsuchenden ist Europa und vor allem Deutschland. Das steht völlig außer Frage. Unsere Verantwortung für die Menschen, für die, die kommen und auch die, die schon da sind – also für die Flüchtlinge und natürlich auch für die Menschen in Deutschland – ist groß. Denn

(Abg. Rothe-Beinlich)

wer von Fehlanreizen durch Geldleistungen spricht, der sollte schlicht einfach den Mund halten, der hat einfach zu wenig Ahnung.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, statt ständig von einer Asylkrise zu sprechen, sollten sich alle Gedanken machen, wie wir die Flüchtlinge mit Aufenthaltstiteln besser integrieren. Wir müssen uns überlegen, wie bürokratische Hürden für ausländische Bewohner vereinfacht werden. Wer in Thüringen einen Aufenthaltstitel bekommt, ist fast auf sich gestellt. Nur wenige helfen bei der Wohnungssuche, geschweige denn beim Ausfüllen von Anträgen zu ALG II oder Ersteinrichtung für die Wohnung. Ich selbst setze mich auch im realen Leben mit Flüchtlingen auseinander und sehe täglich die Probleme, vor denen Flüchtlinge stehen, Probleme, die Otto Normalverbraucher nicht sehen und verstehen. Es prallen zwei Welten aufeinander, ein Lernprozess für beide Seiten. Für Menschen, die unsere Sprache gerade lernen, ist es besonders schwer, sich zurechtzufinden. Integrationsbegleiter als Ansprechpartner, das wäre das A und O. Unsere Regierung hier, aber noch mehr im Bund – sage ich – klärt den Bürger besser auf, wir müssen das unseren eigenen Bürgern klar machen und zeigen, dass sie nicht benachteiligt werden, nicht nur mit Worten. Nach Worten müssen auch Taten folgen.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Ja genau, das sieht man!)

Dass die AfD so einen Zulauf hat bei den letzten drei Landtagswahlen, das ist doch ganz klar Schuld fehlender Aufklärung bei dem Thema Flüchtlinge und Integration.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Den Antrag der AfD kann man einfach nur ablehnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Es liegen mir jetzt keine … Herr Abgeordneter Brandner. Sie haben noch 40 Sekunden.

Danke. Meine Damen und Herren, wir haben gemutmaßt, warum die wesentlichen Vertreter der Landesregierung nicht hier sind und haben die Lösung gefunden: Sie wollten sich dieses Peinliche von Frau Rothe-Beinlich nicht anhören. Denn was Sie vom Stapel gelassen haben, Frau Rothe-Beinlich, war eher unterirdisch. 1,48 Millionen neue Asylbewerber in diesem Jahr, davon geht Ihr Ministerpräsident Ramelow seit Ende Januar 2016 aus. Das habe ich bereits mehrfach hier vorgerechnet. Er sagte bisher unwidersprochen oder unkorrigiert in einem Interview: 40.000 neue in Thüringen im

Jahr 2016. Knapp 1,5 Millionen in diesem Jahr neue in Deutschland, das ist nicht unsere Erfindung, das ist Ihr Ministerpräsident, der die Zahl in die Welt gesetzt hat, Frau Rothe-Beinlich.

(Beifall AfD)

Es liegen mir jetzt keine weiteren Wortmeldungen der Abgeordneten vor. Für die Landesregierung spricht Frau Staatssekretärin Dr. Albin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Derzeit kommen deutlich weniger Flüchtlinge nach Thüringen als noch im vierten Quartal 2015. Es lässt sich jedoch nicht sicher prognostizieren, wie sich die Zahlen im laufenden Jahr entwickeln werden.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: 1,481 Mil- lionen, sagt Ramelow!)

Die Ursachen für Flucht sind mitnichten beseitigt. Flüchtlinge suchen sich deshalb Ausweichrouten. Es ist unsicher, wie gut die Türkei die mit der Europäischen Union getroffenen Vereinbarungen einhält oder ob sie das überhaupt will. In Mazedonien, dem ersten Land auf der sogenannten Balkanroute, herrscht Staatskrise. Die Zeiten sind dynamisch, es können also auch wieder mehr Menschen nach Thüringen gelangen. Die Landesregierung nutzt diese Atempause. Unser Schwerpunkt ist jetzt die Integration der Neuangekommenen. Hierfür ergreifen wir wirksame Maßnahmen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Ihr Antrag trägt den Titel „Wirksame Maßnahmen gegen die Asylkrise ergreifen“. Die mir vorliegende Fassung stammt aus dem Januar dieses Jahres. Gedanklich sind Sie immer noch im vergangenen Jahr. Deshalb müssen Sie Ihre Anträge auch nicht aktualisieren und an die Wirklichkeit anpassen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Wir sind in diesem Jahr, das Jahr fängt doch im Januar an!)

Ich will Ihnen dennoch antworten und das müssen Sie jetzt auch aushalten. Ihr Antrag zielt in erster Linie auf weitgehende Restriktionen und Einschränkungen des Flüchtlingsschutzes in Thüringen und Deutschland. Die leitenden Prinzipien des Antrags sind Abwehr und Ausgrenzung.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Gentele)

Die leitenden Prinzipien der Flüchtlingspolitik der Landesregierung hingegen sind Humanität, Verantwortungsübernahme und Zukunftsgewandtheit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Vorschläge der AfD sind aus Sicht der Landesregierung verfassungs-, europa- und völkerrechtlich bedenklich. Sie sind integrationspolitisch fatal und sie offenbaren zudem eine gewisse historische Kurzsichtigkeit – und das wissen Sie auch!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, verfassungsrechtliche wie auch europa- und völkerrechtliche Bedenken ergeben sich etwa gegenüber den Diskussionen um Obergrenzen. Jeder Asylsuchende, der nach Deutschland kommt, hat nach dem Grundgesetz wie auch nach der Europäischen Qualifikationsrichtlinie und der Genfer Flüchtlingskonvention Anspruch auf eine individuelle Prüfung seines Antrags.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Hat er nicht!)

Eine feste Obergrenze hingegen würde diesen Anspruch untergraben. Es bedürfte Änderungen der entsprechenden EU-rechtlichen Vorgaben und wohl auch des Grundgesetzes. Die europapolitische Fragwürdigkeit zeigt sich zudem, wenn man sich die Möglichkeiten einer „systematischen Sicherung der deutschen Außengrenzen“ vergegenwärtigt, wie sie die AfD-Fraktion fordert. Ein Vierteljahrhundert nach der friedlichen Revolution müssten gemäß dieser Logik an den deutschen Grenzen wieder Zäune errichtet werden, die selbst der Sicherung bedürften.

Welche Konsequenzen dies mit sich bringen würde, haben wir an der Diskussion dieses Themas nach den entsprechenden Äußerungen von Frau Petry und Frau von Storch gesehen. Im Übrigen verursacht die Errichtung und Unterhaltung von Grenzen Kosten und sie sind eine Einschränkung der Grundfreiheiten in der Europäischen Union. Ein Land in der Mitte Europas wie Deutschland und ein Bundesland in der Mitte Deutschlands wie Thüringen können sich solche Beschränkungen gar nicht leisten. Ihre Forderungen legen die Axt an unseren Wohlstand, der unter anderem auch dem europäischen Binnenmarkt zu verdanken ist.

Eine solche Politik kann die Landesregierung nicht mittragen, auch wenn wir momentan ähnliche Entwicklungen in anderen europäischen Ländern beobachten müssen. Eine Politik, die zu einem Rückgang der Flüchtlingszahlen bei dramatischen, humanitären Kosten geführt hat. Die übrigen Auswirkungen wird man erst später bilanzieren können. Die Landesregierung bekennt sich vielmehr nach wie vor zu Europa und der europäischen Solidarität.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört auch, dass die Steuerung der Flüchtlingsmigration in Europa und die Bekämpfung der Fluchtursachen aus Sicht der Landesregierung nicht in nationalen Alleingängen geschehen darf. Zu verantwortungsvollen und nachhaltigen Ergebnissen kann Deutschland, kann die europäische Staatengemeinschaft nur in enger Kooperation untereinander und in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern gelangen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren. Auch integrationspolitisch senden Forderungen wie die nach einer noch strikteren Beschränkung des Familiennachzugs die falschen Signale aus. Und ich möchte hinzufügen: Die Maßnahmen, die Sie fordern, sind ein Rezept für Integrationsversagen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach Auffassung der Landesregierung ist es geboten, Menschen, die nach Thüringen kommen, weil sie vor den Zuständen in Ihrer Heimat geflohen sind, gesellschaftlich zu integrieren und sie nicht an den Rand der Gesellschaft zu stellen. Abschottung, Ausgrenzung und Segregation sind nicht nur inhuman, sie schaffen vielmehr weitere schwerwiegende Probleme,

(Beifall DIE LINKE)

Probleme, vor denen Sie doch immer warnen. Wie jedoch sollen sich Menschen, die von ihren Frauen und Kindern getrennt sind, in ihre Arbeit und die Gesellschaft einbringen oder auch nur Sprachkurse machen? Daher spricht sich die Landesregierung deutlich dagegen aus, noch tiefer in das Recht des Familiennachzugs einzugreifen, als dies mit den Änderungen des Asylpakets II geschehen ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Migrationspolitik der Landesregierung hat andere Prämissen als die, welche sich im Antrag der AfD und ähnlicher Forderungspapiere niederschlagen.