Protokoll der Sitzung vom 20.05.2016

im Übrigen auch an den freien Schulen –, wurde eindringlich gefordert, die Zugangsbarrieren zu den Thüringer Gymnasien endlich zu beseitigen für diese Kinder, die zu uns gekommen sind, mit ihren Familien oder auch allein,

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Die For- derungen lesen!)

indem die Frage der zweiten Fremdsprache – wie in anderen Bundesländern im Übrigen auch – schnell und im Sinne der Kinder und Jugendlichen gelöst wird. Das war zum Teil die einzige Forderung, die die Gymnasien in diesem Bereich gestellt haben. Ich vermute, dass diese Forderung, die bei der Umsetzung eines gelingenden Integrationskonzepts elementar ist, den Schulen unerlässlich ist, bei der CDU aber schlicht keine Rolle spielt.

Warum ist das so, lieber Kollege Tischner? Ist das ein Versehen oder eine weitere Fortschreibung des Trennsystems im Bildungsbereich à la CDU? Lieber Herr Tischner, diesen Fragen können wir uns dann – wie insgesamt der Verbesserung Ihres Antrags – im Ausschuss widmen oder auch einen Koalitionsantrag dann gemeinsam abstimmen.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Mit euch gibt es keinen Koalitionsantrag!)

Ich möchte ein zweites Thema benennen, was offensichtlich völlig an Ihnen vorbeigeflogen ist: Frau Ministerin hat ausgeführt, dass die Schulen mit erheblichen Mitteln ausgestattet worden sind, um Lehr- und Lernmittel- sowie Schulbuchfreiheit zu realisieren. Leider ist es auch so – und das ist ja auch der Hausleitung bekannt –, dass eben nicht alle Schulen und auch nicht sofort die Lehr- und Lernmittel zur Verfügung haben, die sie brauchen. Das greifen Sie aber überhaupt nicht auf. Das ist aber notwendige Voraussetzung für eine gelingende Integration in Schule. Dankenswerterweise hat Frau Ministerin mit ihrem Haus in den letzten Wochen und Monaten in 2015 auch noch einmal jede Schatulle umgedreht, um das rauszubekommen, was die Schulen dringend brauchen. Das ist wesentliche Grundlage, das brauchen die Schulen. Hier sollten wir im Ausschuss weiter daran arbeiten und diskutieren, wie wir es eventuell so gestalten können, dass das sofort an den Schulen ankommt,

was auch gebraucht wird – unbürokratisch und zielorientiert.

Vor welcher Situation stehen wir nun in Thüringen? Zuwanderung von Menschen nach Thüringen hat es in den letzten 25 Jahren schon immer gegeben. In meiner Heimatstadt Jena sind Schulen schon seit 20 Jahren damit befasst, dass Kinder aus Familien mit und ohne Status und vor allem aus Familien, in denen die Mütter und Väter als Wissenschaftler an den Hochschulen, als Ärzte am Universitätsklinikum oder als Fachkräfte der wissens- und exportorientierten Industrie arbeiten, ganz normal beschult werden. Allein an der Friedrich-SchillerUniversität Jena arbeiten Wissenschaftler aus 112 Ländern. Natürlich ist da auch immer wieder Bedarf da. Da kommen kurzfristig Kinder in den Schulen an ohne die entsprechenden Sprachvoraussetzungen. Denen haben sich die Schulen in Jena, aber auch insgesamt in Thüringen in ganz verantwortungsvoller Weise gestellt. Nun ist es natürlich so, wenn man gerade diese Fachkräfte, gerade diese Wissenschaftler dringend braucht und diese Menschen dann zu uns kommen und fragen, was ist denn bei euch in Thüringen los, das sind schon fast sächsische Verhältnisse, das, was da in Erfurt auf dem Domplatz passiert, dass dort Ausgrenzung aufgrund der Herkunft oder der Religion passiert, da sind sehr viele dabei …

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Nein, nein, nein! Kommen Sie mal zum Antrag!)

Hören Sie einfach mal zu!

Da sind sehr viele dabei, die natürlich ihren Glauben hier weiterleben wollen und natürlich auch die Kinder ihren von ihren Eltern vermittelten Wertekanon und ihren Glauben weiterleben wollen. Diese Menschen fühlen sich aufgrund einer Situation in der Gesellschaft, die maßgeblich geprägt wird von einer Partei hier im Landtag, von einer Fraktion, an den Rand gedrängt. Wir lassen das in Thüringen nicht zu. Wir werden es auch in Jena weiterhin nicht zulassen. Ich sage, die AfD ist schlecht für die Kultur in Thüringen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie ist schlecht für das gesamte Land und fügt uns in Thüringen erheblichen Schaden zu. Das werden wir auch weiter nicht zulassen.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Da haben wir ja was richtig gemacht!)

Die Schulen haben Erfahrungen, wie schon gesagt, dass auch Kinder kurzfristig aus unterschiedlichen Ländern meist ohne deutsche Sprachkenntnisse in die Schulen kommen und dort meist zügig integriert werden. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Konzepte, die von den einzelnen Schulen und dem Alter der Kinder und Jugendlichen abhängen. Wir

kennen Schulen, die gute Erfahrungen mit einer frühen und vollständigen Integration der Kinder in den regulären Unterricht haben. Wir kennen Schulen, die Kinder am Nachmittag gezielt Sprachförderung zuteil werden lassen. Es gibt aber auch positive Erfahrungen mit temporären, sogenannten Vorschaltklassen, wenn dies dem sprachlichen Entwicklungsstand des Kindes entspricht. Allen Schulen aber, die erfolgreich gelingende Konzepte der Integration von Kindern und den Umgang mit Heterogenität praktizieren, ist eines gemein: Ihnen ist jedes Kind willkommen. Sie fragen nicht als Erstes wie die CDU: Schaffe ich das? Sondern sie geben dem Kind die Gewissheit: Du bist willkommen und wir freuen uns, dass du da bist in unserer Schule und mit uns zusammen den Schulalltag lebst.

(Beifall DIE LINKE)

In den meisten Schulen in den anderen Bundesländern ist der Umgang mit kultureller und sprachlicher Heterogenität seit mehr als vierzig Jahren tägliche Routine und Daueraufgabe. Frau Ministerin ist schon darauf eingegangen. Wenn ich das mal hochrechne, in Thüringen etwa 3,7 Prozent Kinder mit einem anderen kulturellen oder sprachlichen Hintergrund. In Nordrhein-Westfalen sind es in etwa 9 Prozent und in Berlin sind es 12 bis 13 Prozent. Nur, um das mal ins Verhältnis zu setzen. Ich höre aus diesen Ländern keine sogenannte Zunahme der Belastungen, wenn Kinder ihrer Schulpflicht gemäß in den Schulen beschult werden. Die neuen Bundesländer sind derzeit in einer nachholenden Entwicklung, was die schulische Integration von Kindern mit Migrationshintergrund anbetrifft. Ja, da gibt es natürlich auch Lerneffekte. Das muss man auch mal sagen. Deswegen haben wir uns auch ausführlich im Ausschuss damit beschäftigt und werden es auch weiter tun.

Natürlich können und werden wir uns mit den Zahlen auch im Ländervergleich weiter befassen. Lassen Sie mich aber bereits heute feststellen: Das, was andere Länder uns dort voraushaben, das können wir uns auch zu eigen machen. Da können wir auch mal hinschauen und das im Ausschuss weiterberaten. Die Verbände und Gewerkschaften – Sie haben mich vorhin darauf angesprochen – weisen nicht zu Unrecht darauf hin, dass zur Beschulung von zusätzlich mit besonderem sprachlichem Förderbedarf versehenen Kindern mehr Pädagogen, mehr Fachlehrer wie Sprachlehrkräfte benötigt werden. Auch zusätzliche Lehr- und Lernmittel werden immer wieder gefordert. Dem haben wir uns aber als regierungstragende Fraktionen gestellt, Frau Ministerin hat es schon ausgeführt. Wir haben im Doppelhaushalt 300 befristete Lehrerstellen geschaffen, zusätzlich 50 DaZ-Lehrer und nicht zuletzt 800.000 Euro zusätzlich für Lehr- und Lernmittel realisiert. Dass diese zusätzlichen Pädagogen, aber vor allem die Lehr- und Lernmittel umfänglich und schnellstens ohne besonderen büro

kratischen Aufwand an die Schulen gehören, das ist der Wille des Haushaltsgesetzgebers gewesen und ist es immer noch. Hier können auch wir uns Verbesserung weiter vorstellen.

Insgesamt – das führte Frau Ministerin Klaubert im Februar auch im Bildungsausschuss aus – arbeiten derzeit in etwa – jetzt hat sie vorhin neuere Zahlen gesagt – 110 DaZ-Lehrer in den Thüringer Schulen, um die derzeit circa 6.600 Kinder in besonderer Sprachförderung zu unterstützen. Nun kann man sicherlich mit den Verbänden und Gewerkschaften trefflich streiten, ob dies dem Bedarf entspricht, zu viel oder zu wenig ist. Aber eins ist natürlich wieder klar, Herr Tischner und Herr Emde, Sie haben mit Ihrer Verweigerungshaltung in der Haushaltsberatung noch nicht mal deutlich machen können, was Ihnen dort wichtig ist, wo Sie wirklich Schwerpunkte setzen würden. Überhaupt nichts haben Sie an Änderungsanträgen eingebracht. Bevor Sie populistisch besondere Belastungen in Thüringen ausmachen, wie in Ihrem Antrag steht, die ich persönlich Herausforderungen nenne und bei denen wir den Schulen mehr und mehr Personal und Lernmittel zur Verfügung stellen, sage ich, machen Sie erst mal Ihre Arbeit, bevor Sie ständig nur kritisieren.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Danke, gleichfalls!)

(Unruhe CDU)

Herr Kollege Bühl hat ausgeführt, dass der Antrag aus den Gesprächen und aus den Erfahrungen aus den Schulen stammen würden. Was ist denn wirklich Grundlage Ihres Antrags? Am 11.11.2015 veröffentlichten die Landeselternvertretung, die Landesschülervertretung und der Thüringer Lehrerverband eine gemeinsame Erklärung mit dem Titel „Flüchtlingskinder an Thüringens Schulen:“ – nun hören Sie mal genau zu – „so schaffen wir das!“. Der positive Grundtenor zieht sich auch wie ein roter Faden durch die Resolution, die ich damals bereits begrüßte und deren Kernaussage ich nachhaltig unterstütze, eben „so schaffen wir das!“.

Aber es lohnt sich, bereits im Vorfeld einmal auf die Resolution zu gucken und auf die Unterschiede zwischen der Resolution und Ihrem Antrag und vor allen Dingen die Unzulänglichkeiten Ihres Antrags einzugehen.

Feststellung Nummer 1: Ihr Antrag ist eine mit konservativer Tastatur im Copy-and-Paste-Verfahren verschlechterte Resolution der LEV, LSV und des tlv. Ein Beispiel: Während die Resolution „so schaffen wir das!“ von einer so früh wie möglichen Beschulung, spätestens aber nach drei Monaten spricht und mit dem Vorschlag eines Clearingverfahrens zur Unterstützung an den Schulen einen innovativen Hinweis auf Verbesserung bringt, wird die CDU beim Thema „Schulpflicht“ mehr als schwammig, indem Einzelfallentscheidungen nach

individuellem Entwicklungsstand gefordert werden. Ein klares Bekenntnis zur Schulpflicht liest sich anders und steht bei Ihnen in Ihrem Antrag überhaupt nicht drin.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Unruhe CDU)

Kollege Tischner, ich denke, auch Sie haben die überwiegend positive Erfahrung an den Schulen bei der Integration von Kindern erlebt, wie diese Kinder, auch die Schulen den Unterricht bereichern, wie hoch deren Bereitschaft und deren Freude am und für das Lernen ist. Das macht die Bereicherung aus, das können und sollten wir unterstützen.

Feststellung Nummer 2: Die Forderung, dass Flüchtlingskinder die Werte und Normen unserer christlich-jüdisch-abendländlich geprägten Gesellschaft sowie kulturelle Normen und des Weiteren schon in Vorschaltklassen und damit Grundkenntnisse der Verfassung der parlamentarischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vermittelt werden, ist eine pauschale Diskriminierung von Kindern und mit Inhalt und Geist des Schulgesetzes überhaupt nicht zu vereinbaren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Tischner, hören Sie mal zu, denn Sie waren nicht dabei. Frau Staatssekretärin und ich waren vor zwei Tagen in Jena bei einer Tagung, und zwar vom Zentrum für religionspädagogische Bildungsforschung mit dem Titel „Unterschiede wagen – Gemeinsamkeiten profilieren“. Bei dieser Tagung ging es um den schulischen Umgang mit kultureller und religiöser Heterogenität. Prof. Michael Wermke, der Veranstalter, führte dort aus oder stellte dort die Frage, warum ein Kind mit Migrationshintergrund, er nannte dieses Kind Ali, welches nicht aufräumen wollte und darauf verwiesen hat, dass das doch andere Kinder, vielleicht auch Mädchen machen können, warum dieses Kind oder das Verhalten dieses Kindes aufgrund seiner Herkunft als kulturelles oder gar religiöses Problem wahrgenommen wird. Warum, so die Religionspädagogen, ist das so? Warum wird das Verhalten, ein ähnliches Verhalten eines Sven oder Kevin, welches ganz klar ein Disziplinproblem ist, als solches bei Sven und Kevin gesehen, aber bei Ali eben nicht? Das Verhalten, so die Religionspädagogen der Uni Jena, muss übersetzt werden und genauso wie bei Sven und Kevin das mögliche Verhalten von Ali durch professionelle Elternarbeit, so die Forderung, durch die Pädagogen erfasst und auf eine gelingende Schulkultur bei allen Kindern hingewirkt werden. Jetzt sage ich mal,

(Unruhe CDU)

in der Resolution „So schaffen wir das!“ ist genau so ein Absatz enthalten, bei Ihnen fehlt er völlig.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Ihre Rede- zeit ist gleich um!)

Die Einschätzung der Jenaer Religionspädagogen, dass Religionen immer der Gefahr der politischen Radikalisierung unterliegen, die teile ich.

(Unruhe CDU, AfD)

Aber ich sage Ihnen auch, wie es Prof. Wermke gemeint hat, lieber Kollege Emde. Er hat noch mal extra ausgeführt, die politische Radikalisierung geht nicht von den Menschen aus, die zu uns kommen, sondern von denen,

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Von Ihrer Par- tei!)

die sich diesen Menschen in den Weg stellen und nicht für eine gelingende Integration sorgen, insbesondere hier rechts in diesem Haus.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Ganz rechts sitzt Herr Ramelow, gucken Sie mal!)

Deswegen plädieren die Jenaer Religionspädagogen für einen islamischen Religionsunterricht. Wir erinnern uns daran, dass das auch eine Diskussion war, die schon vor einem guten Jahr in Thüringen geführt worden ist. Lassen Sie uns dieses Ansinnen, was sich auch in den Lehrplänen niederschlagen kann, lassen Sie uns das im Ausschuss diskutieren, lassen Sie uns dort auch mit den Menschen, die sich auf wissenschaftlicher Seite darüber Gedanken machen und Erkenntnisse dazu haben, weiter diskutieren. Wie bereits ausgeführt, möchte die CDU, dass Kinder Rechtsnormen und christlichjüdisch-abendländische Werte vor dem Besuch einer regulären Klasse vermittelt bekommen.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD)

Was die Wissenschaft über diese Vorstellung …

Herr Wolf, Sie haben das Wort noch.

Danke schön. Also, Herr Brandner, ich glaube, Sie sollten sich besser etwas zurückhalten mit Ihren persönlichen Anfeindungen. Was die Wissenschaft …

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Sie sind wohl der Vizepräsident?)

Ja, es ist einfach nur peinlich. Es ist peinlich, was Sie hier an Äußerungen tätigen in diesem Hohen Haus.

Meine Herren Kollegen, ich würde vorschlagen, Ihren Dialog nach draußen zu verlegen.

Wie bereits ausgeführt möchte die CDU, dass Kinder Rechtsnormen und christlich-jüdisch-abendländische Werte vor dem Besuch von regulären Klassen vermittelt bekommen. Was die Wissenschaft über diese Vorstellungen und das dahinterstehende Menschenbild und Bildungsbegriff denkt, habe ich bereits ausgeführt. Aber ich frage Sie: Wie stellen Sie sich das denn überhaupt vor? Sollen Kinder, sieben oder acht Jahre alt, bevor sie überhaupt einmal eine reguläre Schulstunde erleben dürfen, Lehrinhalte vermittelt bekommen, die im Regelschulbereich in den Klassenstufen 9 und 10 im Lehrplan stehen?