Protokoll der Sitzung vom 23.06.2016

Das ist das erste Potenzial, das wir haben: Abbau dieser Doppelstrukturen. Ich will das anhand der Stadt Weimar erläutern. Wir haben uns damit beschäftigt. Die Stadt Weimar als kreisfreie Stadt erfüllt alle städtischen Aufgaben und die Landkreisaufgaben. 20 Kilometer weiter, in Apolda, haben wir die gleiche Ämterstruktur für die Landkreisaufgaben. So weit also, was Bewegung von Bürgern, Entfernung zu Behörden betrifft. Weimar ist gern bereit, für diese Landkreisaufgaben jährlich etwa 8 Millionen Euro städtische Mittel einzusetzen, nur um diese Landkreisaufgaben zu erfüllen. Es gibt nicht eine Landkreisaufgabe, die kostendeckend ist. Es sind alles Aufgaben, die letztlich Zuschüsse bedürfen. Gleichzeitig schlägt der Oberbürgermeister dem Stadtrat vor, die 250.000 Euro für das Kulturfest zu streichen. Die Schizophrenie muss man mir mal erklären: Für Landkreisaufgaben gibt diese Stadt selbstverständlich jedes Jahr 8 Millionen aus und für das Kulturfestival stehen 250.000 Euro im Jahr nicht zur Verfügung. Dann kommt die CDU und entfaltet Horrorszenarien, dass angeblich künftig ein Kreistag über die Kultur in Weimar entscheidet, und dabei wissen Sie ganz genau, dass die städtischen Aufgaben – und dazu gehört die Kultur – überhaupt nicht betroffen sind vom Status der Kreisfreiheit. Vom Status der Kreisfreiheit sind nur die Landkreisaufgaben betroffen. Das ist unser Appell insbesondere an die kreisfreien Städte, dass wir dort die entsprechenden Potenziale sehen und die kreisfreien Städte dann als kreisangehörige Ge

meinden fit machen und ihnen Potenziale in die Hand geben, um die städtischen Aufgaben ausreichend zu finanzieren, da diese städtischen Aufgaben eben Auswirkungen auf die Region als Ganzes haben, weil gerade Umlandgemeinden von dieser städtischen Infrastruktur in erheblichem Maße profitieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, hohe Kosten sind auch dadurch entstanden, dass die CDU in der Vergangenheit die Aufgaben des Landes, die kommunalisiert wurden, in den übertragenen Wirkungskreis überführt hat. Übertragener Wirkungskreis heißt, das Land ist nicht nur Rechts-, sondern auch Fachaufsicht. Damit müssen die Kommunen bei jeder Entscheidung eine Rückkopplung mit Landesbehörden vornehmen. Wer schon einmal mit einer Landesbehörde verhandelt hat, weiß, wie lange dort Entscheidungsprozesse dauern. Dort sitzen Beamte und Beschäftigte, die hoch dotiert sind; nahezu 90 Prozent der Kosten, die dabei entstehen, sind Personalkosten. Die sind alle miteinander beschäftigt, ehe eine Entscheidung getroffen ist. Rot-Rot-Grün will das anders machen, das haben wir dann im Grundsätzegesetz, das kommt ja heute noch. Wir sagen, Grundsatz der Aufgabenübertragung ist der eigene Wirkungskreis. Das stärkt die Verantwortung der Kommunen, weil sie selbst entscheiden können, und es erzeugt Effizienzgewinne, weil eine ständige Rückkopplung mit den Landesbehörden nicht mehr erforderlich ist. Da hatten manche Landesbehörden die Befürchtung, dass die Fachlichkeit leidet, weil da wieder das kommt wie bei der CDU, kein Vertrauen in die kommunale Ebene, Verlust an Kontrolle. Die Befürchtung brauchen Sie nicht zu haben, weil wir ein Regulativ auf kommunaler Ebene haben, das wir eben auf Landesebene nicht haben, das ist die Öffentlichkeit und das sind Bürgerinnen und Bürger. Die Wechselwirkungen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Gemeinden, die sorgen dafür, dass die Anzahl der Fehlentscheidungen auf gemeindlicher Ebene bei Weitem nicht so hoch ist wie in Landesbehörden. Davon sind wir überzeugt.

Meine Damen und Herren, hohe Transaktionskosten sind ganz offensichtlich in den Verwaltungsgemeinschaften. Dort haben wir eine hohe Kostenstruktur, die zwar nirgends abgebildet ist, die aber da ist. Zunächst wird die Finanzkraft jeder einzelnen Gemeinde zersplittert, weil jede Gemeinde ihren einzelnen Haushalt hat. Das heißt, eine Konzentration von Finanzmitteln ist überhaupt nicht möglich. Das hat das letzte Hilfsprogramm gezeigt. Das hat 135 Millionen gekostet, bei den Gemeinden sind 18,71 Euro Investitionspauschale pro Einwohner angekommen. Bei 571 Gemeinden mit weniger als 1.000 Einwohnern sind also nicht mal 20.000 Euro bei der Gemeinde angekommen. Was will eine Gemeinde mit 20.000 Euro machen? Klar, die freut sich, die könnte irgendwo ein Fenster er

neuern oder eine Parkbank aufstellen, aber Effekte erziele ich doch dadurch nicht. Habe ich aber eine größere Gemeindestruktur und kann die Investitionsmittel konzentrieren, dann kann ich auch entsprechende Investitionen, die Nachhaltigkeit entwickeln, auf den Weg bringen. Deswegen wollen wir die Verwaltungsgemeinschaften weiterentwickeln zu Einheits- oder Landgemeinden.

Das Zweite sind die hohen Kosten des mehrfachen Vorhaltens des Ortsrechts. Jede selbstständige Gemeinde hat durchschnittlich 13 Satzungen, die fortgeschrieben, die gepflegt werden müssen, die Haushaltssatzung jedes Jahr. Die müssen alle gesondert betrachtet werden. Eine Verwaltungsgemeinschaft mit zehn Gemeinden, da muss die Verwaltung, bestehend meist aus acht bis neun Beschäftigten, allein 130 Satzungen im Jahr bewirtschaften. Das ist natürlich bei einer Einheits- oder Landgemeinde nicht der Fall. Das heißt, wir schaffen Ressourcen in der Verwaltung, die für andere Dinge zum Einsatz kommen können, zum Beispiel um sich um Einnahmen zu kümmern. Die Verwaltungsgemeinschaften kümmern sich nicht um die Einnahmen der einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei der Grund- und Gewerbesteuer. Es gibt keine Rückkopplung mit der Grundsteuerstelle des Finanzamts. Es gibt keine Beschäftigung mit den Problemen der Zerlegung der Gewerbesteuer bei mehreren Betriebsstätten. Damit gehen erhebliche Einnahmen verloren und die Verwaltungsgemeinschaft sagt, das ist der Haushalt der Gemeinde. Notfalls haben die wahrscheinlich die Vorstellung, dass der ehrenamtliche Bürgermeister das klärt. Und wir haben einen dritten Punkt, dass nämlich der ehrenamtliche Bürgermeister bzw. der Gemeinderat für Beschlussvorbereitung und vor allen Dingen Beschlussdurchführung zuständig ist, der aber gar keinen Zugriff auf die Verwaltung hat, denn die ist bei der Verwaltungsgemeinschaft. Das heißt, es muss ein ständiger Austausch da sein zwischen dem Bürgermeister und dem Gemeinderat und der Verwaltungsgemeinschaft, schon bei der Beschlussvorbereitung. Wer das mal miterlebt hat, wie die Verwaltungsgemeinschaften sich zurücklehnen und Bürgermeister und Gemeinderäte ins Leere laufen lassen, um nur einen Beschluss zu formulieren, und dann geht es noch einmal um die Beschlussdurchführung, mit welch hohem Aufwand das verbunden ist: Wenn du da keinen ehrenamtlichen Bürgermeister hast, der von der VG vorn rausgeschmissen wird und der hinten wieder drin ist, dann kümmern die sich nicht um die Beschlussdurchführung, weil die sagen, das ist nicht ihr eigentliches Geschäft, sondern nur für den übertragenen Wirkungskreis.

Dann haben wir im Gesetz stehen, dass der VGVorsitzende nicht nur Behörde, sondern auch kleine Kommunalaufsicht ist, also Dauerbaustelle. Das alles funktioniert nicht. Dort sind die Potenziale für

diese Reform. Wenn wir das beheben, dann haben wir leistungsfähige Verwaltungen, die sich um die tatsächliche Gemeindeentwicklung kümmern können und nicht um diesen Kram, wie nun am besten ein Beschluss umgesetzt wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu Recht wird auf die aktuelle Umfrage des MDR verwiesen. Rot-Rot-Grün nimmt diese Umfrage sehr ernst, auch wenn man sicherlich überspitzt formulieren könnte: Wenn ich Fragen geschickt stelle, bekomme ich auch gewünschte Antworten. So leicht machen wir es uns nicht. Es ist ein komplexes Reformvorhaben, das natürlich auch ganz schwierig in Einzelfragen zu beantworten ist. Aber wir werden unsere Kommunikationsstrategie weiter überdenken und nachjustieren. Wir werden den Dialog weiter führen müssen und er wird auch an Dynamik gewinnen; insbesondere wenn dann die ersten und die einzelnen Neustrukturierungsmaßnahmen kommen, kommt die Stunde der Wahrheit. Jetzt ist das ja alles noch relativ abstrakt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Einwohnergröße, die immer wieder definiert wird, ist nur ein Kriterium für Gemeindeneugliederungen. Es gibt eine Vielzahl anderer. Auch für die Öffentlichkeit möchte ich das noch mal benennen, weil oftmals so getan wird, wenn wir die Einwohner sichern, dann war es das schon. Neben der Einwohnerzahl als Mindesteinwohnerzahl und als Sollgröße ist vorgeschrieben, jetzt auch durch den Änderungsantrag von Rot-Rot-Grün, dass die neue Gemeinde eine geordnete Haushaltswirtschaft nachweisen muss. Das bildet übrigens die CDUForderung nach Effizienzbewertung ab, Nummer 6 des Antrags der CDU. Das heißt, wenn Sie unseren Änderungsantrag zur Kenntnis genommen hätten, hätten Sie sich das ersparen können, Herr Fiedler. Also Leistungsfähigkeit ist für uns ein wichtiges Kriterium.

Drittes Kriterium: Zentralörtliche Funktionen. Jede neue Gemeinde muss eine zentralörtliche Funktion wahrnehmen, also Grundzentrum, Mittelzentrum oder Oberzentrum sein. Dann haben wir gesagt: Keine Abwehrfusion mehr gegen die städtischen Zentren. Also selbst wenn sich Gemeinden im unmittelbaren Umfeld eines Mittel- oder Oberzentrums zusammenfinden und die 6.000er-Grenze erreichen, können sie nicht davon ausgehen, dass wir als Gesetzgeber das befürworten, denn das grundsätzliche Ziel der Reform ist die Stärkung der städtischen Zentren. Eine Vielzahl von Gemeindeneugliederungen in der Vergangenheit waren Abwehrfusionen gegen die städtischen Zentren. Das werden wir nicht mehr zulassen.

Ich finde es immer belustigend, wenn Herr Fiedler formuliert, dass wir die Gemeinden derart entmündigen, es gibt keine Gemeinderäte und keine Bürgermeister mehr. Lieber Herr Fiedler, Sie wissen

es, auch Gemeinden, die jetzt selbstständig sind in einer größeren Einheit, die haben einen Bürgermeister und einen Gemeinderat, nicht mehr ausschließlich für die einzelne Ortschaft oder einzelne Ortsteile zuständig, aber natürlich gibt es diese demokratischen Gremien. Wir haben doch Erfahrungen seit 1994 mit Einheitsgemeinden und seit 2007 mit Landgemeinden, wie das funktionieren kann. Die größeren Strukturen haben bisher immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass insbesondere die Ortsteile und Ortschaften eben nicht das Gefühl haben, benachteiligt zu werden. Beschäftigen Sie sich mal mit der Gemeinde Ilmtal im Landkreis Ilm-Kreis um Stadtilm herum! Das sind über 20 Siedlungsgebiete, 12 ehemalige selbstständige Gemeinden, seit 1994 selbstständig. Dort ist alles das, was Sie beschrieben haben, nicht mal ansatzweise zu erkennen. Oder ich nehme den Landkreis Sonneberg. Die hatten noch nie das Instrument der Verwaltungsgemeinschaft. Die haben sich gleich auf Einheitsgemeinden konzentriert. Jetzt werden Sie nicht müde und sagen, der Landkreis Sonneberg ist gut aufgestellt. Das hat vielleicht eine Ursache darin, dass Sie dieses Übergangsmodell Verwaltungsgemeinschaft nicht gewählt haben. Sie können doch aber hier nicht den

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das kann ich sowieso nicht nachvollziehen!)

Untergang des gesamten Gemeinwesens beschreiben, wenn in der kommunalen Praxis in Thüringen seit Jahren ein anderer Beleg vorhanden ist, nämlich dass die Modelle der Einheitsgemeinden tatsächlich eine höhere Effizienz zur Folge haben, was aus Sicht des Bürgers, wenn er eine leistungsfähige Gemeinde hat, natürlich auch von Wert ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, abschließend noch eine Bemerkung zur Kreisfreiheit von Gera. Selbst mal unterstellt, Gera würde die Einwohnergrenze von 100.000 überschreiten, haben wir in Gera ein spezielles Problem, das wir nicht ausblenden können, das ist die Sozialstruktur der Stadt. Gera hat in den vergangenen zwanzig Jahren sehr davon profitiert, dass es eine Bergwerksregion war mit vielen Pensionären mit einer Bergwerksrente, die also erheblich über der Grundsicherung im Bereich SGB XII lag. Diese Generation ist endlich. Und die nachfolgende Generation und die Zuzüge nach Gera sind im Regelfall Zuzüge in die sozialen Sicherungssysteme.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Und aus den Landkreisen!)

Ja, weil in Gera die Infrastruktur da ist, die diese Leute im ländlichen Raum nicht finden, also gehen sie in die Stadt. Das hilft aber der Stadt jetzt fiskalpolitisch nicht, sondern mit jedem Zuzug wächst der Druck auf den städtischen Haushalt.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Den Regionen hilft es auch nicht!)

Der Vorteil ist ja, wenn ich diese Aufgaben in einem Landkreis wahrnehme, dass diese solidarisch steuerkraftabhängig finanziert werden über das Instrument der Kreisumlage, während bei einer kreisfreien Stadt die das allein leisten muss. Die hat das Instrument und diese Ausgleichsfunktion nicht. Sie muss mit ihrer Steuerkraft hinkommen. Gera und Weimar haben eine Realsteuerkraft von 17 Prozent. Nur 17 Prozent der Einnahmen dieser beiden Städte resultieren aus eigenen Steuereinnahmen. Das ist eine hohe Abhängigkeit von Landeszuweisungen. 60 Prozent sind Landeszuweisungen. Da muss man sogar überlegen, ob da noch der Grundsatz kommunaler Selbstverwaltung überhaupt ansatzweise gegeben ist, weil man eigentlich davon ausgeht, etwa 40 Prozent der städtischen Einnahmen müssen eigene Steuereinnahmen sein. Dann kann man von Selbstverwaltung reden. Damit müssen wir uns beschäftigen. Deswegen sind für uns Sozialstruktur und die Ausgaben in den sozialen Transfersystemen ganz wichtig. Da brauchen wir das solidarische Finanzierungsmodell der Landkreise – nur dafür. Deshalb können Landkreise dann eine andere Größenordnung haben, weil wir auch eine Funktionalreform II machen, Aufgaben mit örtlichem Bezug auf die Gemeinden übertragen und die Landkreise tatsächlich, insbesondere mit dem Schwerpunkt im Sozial- und Jugendhilfebereich, eine solidarische Finanzierung leisten, um die hohen Kosten von den städtischen Zentren wegzuholen, denn dort konzentrieren sich natürlich die Leistungsbezieher und das Umland profitiert, ist aber an der Finanzierung nicht beteiligt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute beginnt ein neuer Abschnitt für Thüringen, für die Thüringer Gemeinden. Wir gehen davon aus, viele Gemeinden werden das nutzen. Ich bin immer ein Mann klarer Worte. Ich prognostiziere, wir kriegen 70 Prozent der Neugliederungsfälle in der Freiwilligkeitsphase vom Tisch. Da bleiben immer noch 30, die wir dann als Gesetzgeber neu zu ordnen haben. Das ist eine hohe Herausforderung. Wir werden alle dafür werben, Rot-Rot-Grün. Die CDU, wenn sie nicht abseits dieser Reformen stehen will, sollte sich ebenfalls bei der Umsetzung dieser Reformen konstruktiv einbringen. Danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Als Nächster erhält Abgeordneter Höhn für die SPD-Fraktion das Wort. In der Zwischenzeit wäre ich dankbar, wenn die PGFs vielleicht mal kurz hier nach vorn kommen könnten.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: In der Zwi- schenzeit?)

(Abg. Kuschel)

Nein, in der Zwischenzeit hat Herr Höhn das Wort.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nicht während der Rede- zeit!)

Dann unterbrechen wir mal für 2 Minuten und Herr Höhn bekommt dann das Wort.

Vielen Dank. Dann nehmen wir die Sitzung wieder auf. Ich darf in der Zwischenzeit darüber informieren, wir haben uns darauf verständigt, auf die Mittagspause zu verzichten, würden jetzt also diesen Tagesordnungspunkt durcharbeiten und dann sofort mit der Fragestunde im Anschluss beginnen. Herr Höhn, jetzt haben Sie das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren – so durfte ich auch in diesem Parlament noch keine Rede beginnen, aber es ist für alles auch das erste Mal –, ich habe mir vorgenommen, zu drei Komplexen im Zusammenhang mit dem Vorschaltgesetz und den anderen Anträgen hier vom Rednerpult aus die Positionen unserer Fraktion – und das ist nicht zu vermeiden, dass auch die eine oder andere persönliche Position da mit einfließt – darzulegen.

Zunächst einmal, meine Damen und Herren, ist es mir ganz wichtig, ein paar grundsätzliche Sätze zu Art und Weise, zu Stil und Rhetorik der letzten Wochen und Monate im Zusammenhang mit der jetzt in Rede stehenden Gebietsreform zu verlieren, weil das, was ich da erleben durfte, ich kann sagen, was ich da erleben musste, weit über das hinausgeht, was ich mir als Parlamentarier unter einer sachbezogenen, von mir aus auch emotionalen Debatte vorstellen konnte.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn hier von diesem Pult aus, wie am gestrigen Tag geschehen, vom Kollegen Fiedler von der CDU-Fraktion regelrechte Kriegsrhetorik zur Anwendung kommt, wir würden gegen die kommunale Familie zu Felde ziehen beispielsweise, wenn in öffentlichen Veranstaltungen Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus – und auch da tut sich wieder die CDU-Fraktion besonders hervor – in einer Art und Weise mit den Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren, wir würden die Axt anlegen oder wir würden die Kommunen strangulieren, dann ist das eine Rhetorik, die ich einfach so unterirdisch finde im Zusammenhang mit diesem wichtigen Reformvorhaben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das wollte ich an dieser Stelle auch mal loswerden. Sie müssen sich nicht wundern, wenn Sie dann als Blaupause für diejenigen hier in diesem Haus die

nen, denen parlamentarischer Stil ohnehin nicht sehr viel wert ist, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So sieht keine Verantwortung für das Land aus, das will ich Ihnen ganz deutlich sagen. Man kann in der Sache kritisch miteinander umgehen und das ist auch der Sinn und Zweck der parlamentarischen Demokratie, über den Weg der unterschiedlichen Positionen, über die Debatte zu einer gemeinsamen Lösung zu finden. Das ist eigentlich der Kern und den habe ich in den letzten Wochen und Monaten mehrfach sehr, sehr deutlich verletzt gesehen und das Niveau so mancher Diskussionen war eigentlich nicht mehr zu unterschreiten.

Wenn ich mir Ihre Rede, Herr Kollege Fiedler, von vorhin noch mal so ein bisschen Revue passieren lasse, dann fällt mir eines auf: Wesentliche inhaltliche Kritik – bis auf die Kritik, dass Sie diese Reform ohnehin seit Jahren schon ablehnen, und ansonsten Kritik an der Zeitschiene dieses Verfahrens – habe ich von Ihnen nicht vernommen.

(Beifall SPD)

Wenn es mehr nicht ist, was Sie da zu bieten haben, das ist aber wirklich arg dünn. Ich will Ihnen das auch noch mal hier ganz deutlich vor Augen führen. Sie haben an der Zeitschiene Kritik geübt. Ich will mal eine ganz andere Zeitschiene aufmachen, zu der Verfahrenszeitschiene komme ich noch. Sie wissen, dass seit mindestens zehn Jahren, seit 2006, als der Thüringer Landtag eine Enquetekommission zur Weiterentwicklung der kommunalen Strukturen eingesetzt hat unter dem Vorsitz, glaube ich, unseres heutigen Präsidenten – und da lohnt ein Blick in den Abschlussbericht dieser Enquetekommission; die heutige Finanzministerin nickt, Frau Taubert war damals für unsere Fraktion Mitglied in diesem Gremium –, bekannt ist bzw. dass damals richtigerweise erkannt wurde, dass aufgrund der demografischen und fiskalischen Herausforderungen – man höre und staune – Vorsorge getroffen werden muss in Bezug auf die kommunalen Strukturen. Auch wenn man das genau liest, was in dem damaligen Bericht steht, schon damals wurde beispielsweise das perspektivisch mittel- und langfristige Ende der Verwaltungsgemeinschaften eingeläutet. Den nächsten Schritt, den haben Sie selbst noch in Alleinregierung, in Alleinverantwortung für dieses Land vollzogen. Sie haben die Kommunalordnung damals novelliert und Sie haben ein Instrument geschaffen, die Thüringer Landgemeinde, das ausweislich Ihrer eigenen Begründung damals im Gesetzentwurf dafür gedacht war, mittelund langfristig ein Substitut für die Verwaltungsgemeinschaft darzustellen. Die Kette geht weiter. Woran es Ihnen dann gemangelt hat, meine Damen und Herren, das war neben dem politischen Willen der gesetzgeberische Wille, das dann am Ende

(Präsident Carius)

auch umzusetzen. Wir haben dann in der Periode, als wir gemeinsam politische Verantwortung für dieses Land gehabt haben – 2009 bis 2014 –, einen sehr weitreichenden Beschluss, der heute hier schon mehrfach zitiert worden ist, zusammen auf den Weg gebracht.

Ich finde, dieser Beschluss war einer der wesentlichen Punkte der damaligen Legislatur. Auch da mangelte es dann am Ende an dem Willen und an der Fähigkeit, diesen Beschluss des Landtags in gesetzgeberische Aktivitäten umzumünzen. Der damalige Innenminister hat diesen Beschluss schlichtweg ignoriert. Auch damals wurde formuliert: Verwaltungsgemeinschaften beispielsweise sollen weiterentwickelt werden zu Einheits- oder Landgemeinden und haben perspektivisch keinen Bestandsschutz. Das war eine ganz, ganz wichtige Stufe.

Was wir heute tun, meine Damen und Herren, und da komme ich sozusagen zum Ende der Kausalkette: Wir setzen als Koalition von Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen politischen Willen, der seit über zehn Jahren dieses Land bestimmt, nun endlich in gesetzgeberische Aktivitäten um und das braucht das Land, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: So ein Ge- schwafel!)

Auf diesem Weg dahin, das will ich gar nicht verkennen, das ist auch hier angesprochen worden, gab es ein einziges Prinzip, wenn es darum ging, kommunale Strukturen zu verändern. Ich lasse an der Stelle einmal ausnahmsweise die 3.000-Einwohner-Grenze als ein Kriterium kurzerhand außer Acht. Es gab ein wesentliches Prinzip, eigentlich drei Prinzipien: Freiwilligkeit, Freiwilligkeit, Freiwilligkeit. Da sind viele gute Fusionen entstanden. Ich könnte Ihnen die Beispiele aufzählen, das haben wir schon mehrfach von diesem Pult aus getan, ich verzichte aus Zeitgründen darauf. Aber es sind auch viel zu viele problematische Fusionen entstanden, vor allem im Umfeld unserer Mittelzentren. Dadurch hat sich ein Ungleichgewicht im Land ergeben, das sich letztendlich in diesen finanziellen Ungleichgewichten dokumentiert hat. Ich habe ehrlich gesagt keinen bescheuerteren Satz in diesen letzten Wochen und Monaten gehört als den: Wir haben kein Strukturproblem, wir haben ein Finanzierungsproblem. – Ja, mein Gott, auf welchem Planeten leben Sie eigentlich, meine Damen und Herren?

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und „bescheuert“ gehört aber auch nicht hier herein!

Entschuldigung, Herr Präsident. Das kommt nicht wieder vor.