Protokoll der Sitzung vom 25.02.2015

(Ministerin Werner)

e) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „Überörtliche Kommunalprüfung bestätigt Notwendigkeit einer Verwaltungs- und Gebietsreform“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/280

Es hat das Wort der Abgeordnete Kuschel für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Thema, das uns in der letzten Legislatur immer wieder begleitet hat, wird auch in der sechsten Wahlperiode seine Fortsetzung finden. Dazu genügt ein Blick auf die Tagesordnung der anstehenden Plenarsitzung. Die CDU hat uns mit ihrem Ausscheiden aus der Regierungsverantwortung hier eine große Baustelle hinterlassen, um nicht zu sagen Chaos. Sie hat es also versäumt, hinsichtlich einer effizienten und zukunftsfähigen Verwaltungs- und Gebietsreform ein Konzept auf den Weg zu bringen. Spätestens seit 2004 war klar, dass ein solches Konzept notwendig ist. Die Linke hat in den vergangenen zehn Jahren immer wieder hier die Forderung für eine Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform erhoben. Die Forderung wurde immer zurückgewiesen. Das ist noch nachvollziehbar bei den Spielregeln des jetzigen Parlamentarismus, aber selbst Hinweise aus den eigenen Reihen hat die CDU ignoriert. Ich verweise darauf, dass die von der CDU selbst eingesetzte Expertenkommission in ihrem Bericht ausreichend Hinweise und die Notwendigkeit für eine solche Reform begründet hat und jetzt ganz aktuell der Präsident des Landesrechnungshofs, den ich hier herzlich zur Debatte begrüße, der in seinem Bericht des Landesrechnungshofs zur überkommunalen Prüfung auch noch einmal diese Notwendigkeit einer Verwaltungs- und Gebietsreform betont hat.

Die Freiwilligkeitsphase, auf die die CDU immer gesetzt hat, hat zu Verwerfungen geführt in diesem Lande. Das wird also viel Geld, viel Zeit und viel Überzeugungskraft kosten, diese Verwerfungen wieder zu korrigieren. Ich möchte nur auf einige hinweisen. Es gab eine Vielzahl von Abwehrfusionen gegen die städtischen Zentren. Das führt jetzt dazu, dass wir insbesondere Probleme haben, die städtischen Zentren ausreichend zu finanzieren. Millionen sind erforderlich. Wir haben städtische Konstrukte inzwischen, die einem kleinen Landkreis ähneln, wie die Stadt Sonneberg. Die hat jetzt einen unmittelbaren Zugang zum Rennsteig durch den Ortsteil Spechtsbrunn mit einer Größenordnung, wo die fiskalischen Wirkungen von städtischem Verdichtungsraum und ländlichen Räumen

völlig aufgehoben werden. Solche Strukturen sind dauerhaft nur mit hohen Landeszuschüssen am Leben zu erhalten. Es wurde die Enklave Steinach hinterlassen. Bei der Bildung der Gemeinde Frankenblick wurde Schalkau nicht mit berücksichtigt. Mein Lieblingsbeispiel, weil ich ja dort herkomme, ist die Bildung der Gemeinde Amt Wachsenburg um die Stadt Arnstadt herum. Das sind Fehlentwicklungen, mit denen werden wir uns in den nächsten Jahren zu beschäftigen haben.

Heute eine aktuelle Meldung in den Medien: In der Gemeinde Wildenspring, eine Gemeinde mit 200 Einwohnern bei Großbreitenbach, haben vier der sechs Gemeinderäte ihr Amt niedergelegt aufgrund der Gesamtsituation. Die Gemeinde will freiwillig mit Großbreitenbach fusionieren. Das geht aber zurzeit nicht, weil keine gemeinsame Flurgrenze da ist. Dazwischen liegt die Gemeinde Böhlen. Wir kommen aber nicht umhin. Hier sind beide Kommunen bereit – Großbreitenbach und Wildenspring wollen fusionieren und es scheitert an einem Dritten. Hier sehen wir, welche Handlungsbedarfe wir haben.

Wir haben 600 Gemeinden mit weniger als 1.000 Einwohnern. Da braucht man kein großer Experte zu sein, um zu wissen, dass eine solche Struktur dauerhaft nicht finanzierbar ist. Wir haben in einigen kreisfreien Städten eine Struktur, die nur mit Millionenbeträgen des Landes am Leben zu erhalten ist. Wir haben Verwaltungsgemeinschaften, wo sich seit Jahren zeigt, dass sie Konstruktionsfehler aufweisen, sowohl hinsichtlich der Finanzierung als auch der Rolle des VG-Vorsitzenden. Wir haben Landkreise, die 60 Prozent ihrer Ausgaben im Sozial- und Jugendhilfebereich tätigen müssen, ohne dass die Landkreise aber dort Gestaltungsoptionen haben. Sie sind dort letztlich nur Vollzugsbehörde und es entsteht der Dauerkonflikt der Kreisumlagen. All diese Dinge müssen wir korrigieren. Der Landesrechnungshof macht zu Recht darauf aufmerksam, dass diese kleingliedrige Struktur erhebliche Probleme auch hinsichtlich der Fachkräfte erzeugt. Die öffentliche Verwaltung leidet unter Fachkräftemangel, in den kleinen Verwaltungen können wir aber jungen, leistungsfähigen Fachkräften keine Entwicklungsperspektiven bieten. Das heißt, wenn wir wollen, dass unsere Gemeinden und Landkreise leistungsfähig werden, müssen wir optimierte Größen finden, auch für das Personal, damit dort Entwicklungen stattfinden können. Das ist gegenwärtig nicht möglich. Ohne eine angemessene Besoldung und Vergütung werden wir diesen Fachkräftemangel nicht beherrschen.

Es geht auch noch um eine andere Frage, die aus demokratietheoretischer Sicht von Bedeutung ist. Wenn Gemeinden nichts mehr zu entscheiden haben, werden sich weniger Menschen finden, die auf kommunaler Ebene Mandate übernehmen. Auch daran müssen wir denken, das heißt, wir müssen

(Präsident Carius)

die Gemeinden wieder in die Lage versetzen, auch tatsächliche Entscheidungspotenziale zu haben. Das geht nur im Rahmen einer Verwaltungs- und Funktionalreform.

Ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Die Koalition muss sich auf den Weg machen, diese Dinge zu beheben. Am morgigen Tag oder möglicherweise auch erst am Freitag werden wir einen entsprechenden Antrag zur Leitbildentwicklung auf den Weg bringen. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kuschel. Das Wort hat nun der Kollege Jörg Kellner aus der CDUFraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kuschel, das Thema ist ein unendliches Thema, das Thema, das Sie ständig aufrufen, zu jeder Zeit, wir hätten uns den Tagesordnungspunkt heute sparen können.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Ja, Herr Kellner, Sie hätten es ja lösen können! Es bleibt richtig!)

Das, was Sie heute vorgebracht haben, wurde alles schon einmal gesagt, schon vielmals gesagt, nichts Neues. Also, ich habe jedenfalls nichts Neues entdecken können. Weil Sie angekündigt haben, dass die Prüfung, die überörtliche Kommunalprüfung, der Jahresbericht 2015 Hinweise gegeben hat oder sogar der Präsident, Herr Dette, den ich auch begrüße, empfiehlt, die Gemeindestrukturreform auf den Weg zu bringen, das konnte ich hierin nicht entdecken. Sie sind dem auch letztendlich nicht nachgegangen, haben auch kein Zitat gebracht, das hätten Sie mit Sicherheit gebracht, wenn Sie denn Entsprechendes gefunden hätten in dem Jahresbericht. Ich konnte jedenfalls nichts entdecken, was dazu führt oder dem entspricht, was Sie gerade hier vorgetragen haben. Sie haben wieder allgemein geredet, was alles versäumt wurde, was noch gemacht werden müsste und dass es auf den Weg gebracht werden sollte und dass Sie ja jetzt auf dem Weg sind.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Sei- te 23, Seite 25 geht es weiter, alle sind gleich, alle Gemeinden!)

Ja, Seite 23, das habe ich gelesen. Wenn Sie aber alles lesen, Seite 25, da bezieht sich dieser Absatz

auf eine kleine Verwaltungsgemeinschaft – steht extra drin, eine kleine Verwaltungsgemeinschaft – und da sollte man über eine größere Struktur nachdenken. Eine kleine Verwaltungsgemeinschaft,

(Unruhe DIE LINKE)

und ich kann Ihnen – Herr Kuschel, Sie müssen alles lesen und Sie können nicht eins nehmen, was Ihnen gerade gefällt und auf die ganze Struktur aller Verwaltungsgemeinschaften übertragen. Es gibt viele Verwaltungsgemeinschaften, die machen hervorragende Arbeit.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Jawohl, bra- vo, prima!)

Das ist so und das können Sie nicht ignorieren und das ist ein Fall, der hier angesprochen wird. Wenn Sie den

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Nen- nen Sie mal ein Beispiel!)

da kann ich Ihnen viele Beispiele nennen –, wenn Sie aber den Bericht gelesen hätten, Herr Kuschel, dann hätten Sie festgestellt, dass die überwiegende Kritik in diesem Jahresbericht nicht die kleinen Strukturen und Einheiten trifft, sondern die Städte. Die Städte werden hier ganz massiv, ich sage nicht angezählt, aber kritisiert, da sie erheblichen Nachholbedarf haben, auch was das Personal anbelangt, was die fachlichen Qualifikationen anbelangt usw. – 13 Städte, eine Gemeinde. Das steht in dem Bericht. Jetzt weiß ich nicht, wo Sie das hergenommen haben, dass unbedingt größere Strukturen erforderlich sind, damit so etwas nicht mehr – und wenn ich bei dem Bericht bleiben will – in solchen Berichten auftaucht.

Das gehört einfach dazu. Das sind Sie uns schuldig geblieben in Ihrer ganzen Rede. Sie haben wieder ein langes Eingangsstatement geführt und auf die Vergangenheit verwiesen. Ich bin gespannt, wie Sie die Zukunft gestalten wollen, die Kommunen übrigens auch. Das ganze Land Thüringen ist sehr gespannt, wie Sie dieses ändern wollen, Ihrer Meinung nach effektiver gestalten wollen und wenn Sie auch sagen, die Freiwilligkeitsphase, die wir propagieren und an der wir nach wie vor festhalten, hätte nicht das gebracht, was Sie sich vorstellen. Das kann ich mir schon gut vorstellen; was Sie sich vorstellen, will ich mir lieber nicht vorstellen.

Aber dass da eine erhebliche Verringerung stattgefunden hat, das können Sie nicht leugnen und ich denke, es haben sich noch eine ganze Menge Gemeinden auf den Weg gemacht, nämlich auch diese Freiwilligkeitsphase zu nutzen. Im Übrigen sprechen Sie ja auch von Freiwilligkeitsphasen, also es kann ja doch nicht ganz so verkehrt gewesen sein. Ich brauche hier nicht länger auszuführen, wir werden noch Gelegenheit haben am Freitag, dieses Thema umfassend zu erörtern. Hier spare ich mir

(Abg. Kuschel)

das, denn das Thema, was Sie aufgerufen haben, haben Sie im Prinzip nicht angesprochen, nämlich diesen Jahresbericht, den haben Sie jetzt missbraucht, instrumentalisiert,

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Da freut er sich schon!)

um hier den ersten Aufschlag zu haben. Aber, mit Verlaub, ich hätte Ihnen mehr zugetraut, zumindest ein paar Zitate aus dem Jahresbericht habe ich vermisst. Es zeigt schon, der Bericht gibt es nicht her. Vielen Dank.

(Beifall CDU, AfD)

Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Höhn.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt gewiss viele gute Gründe für eine umfassende Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform. Das ist in den letzten Jahren schon oft ausführlich von diesem Pult aus diskutiert worden. Die Ergebnisse der jüngsten überörtlichen Prüfung des Thüringer Rechnungshofs spielen da sicherlich eine Rolle. Das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen. Die Probleme, die darin aufgezeigt werden – fairerweise muss man sagen, sie betreffen natürlich auch Verwaltungen in kleineren Größenordnungen, aber es sind auch die kreisfreien Städte nicht ganz frei von Fehlern. In Verwaltungen sitzen Menschen und Menschen machen bekanntlich Fehler, die einen mehr, die anderen weniger. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass in kleineren Kommunen oder in kleineren Verwaltungseinheiten die fachlichen Anforderungen, die heutzutage an Entscheidungen der kommunalen Ebene geknüpft sind, nicht erfüllt werden können, ist durchaus höher zu bewerten. Das ist für mich jedenfalls eine Selbstverständlichkeit.

Ich will aber einen Aspekt nennen – ich will da auch nicht vorgreifen, wir haben ja sicherlich im Laufe dieser Plenardebatte noch Gelegenheit, das Thema beim Tagesordnungspunkt 10 – ist es, glaube ich – zu vertiefen. Aber eine Notwendigkeit ist für mich noch wesentlich relevanter als die Ergebnisse der überörtlichen Kommunalprüfung. Ich denke, wir sind uns jedenfalls zu einem guten Teil im Plenum darüber einig, dass dieses Land eine grundlegende Reform auch seiner Landesverwaltung benötigt. Wenn ich das sage, dann meine ich mit Landesverwaltung nicht nur die Ministerien, nicht nur die Frage der Mittelbehörde, sondern eben auch die kommunale Ebene. Immer dann, wenn über dieses Thema diskutiert wird, ist ein Argument, eines der tragenden Argumente, dass man der kommunalen

Ebene mehr Verantwortung in Zukunft überstellen möchte. Dafür bin ich ausdrücklich, dafür sind wir auch von der SPD-Fraktion ausdrücklich.

(Beifall SPD)

Aber wenn das so ist, meine Damen und Herren, wenn man eine umfassende Reform der Landesverwaltung in Angriff nimmt, mit einer Neustrukturierung auch der Ebenen, von den Ministerien angefangen, dann kommt der kommunalen Ebene eben mehr Bedeutung zu. Die Aufgaben, die dann zu erfüllen sind, sind wesentlich von größerer fachlicher Tiefe, als das heute der Fall ist. Dann brauchen die Kommunen, um diese fachliche Tiefe abzubilden, entsprechendes Fachpersonal, entsprechende Leute, die das können.

(Beifall DIE LINKE)

Dann kommt man von der ganz anderen Seite zur Notwendigkeit von größeren Strukturen. Das ist doch völlig unzweifelhaft. Deshalb ist das für mich auch ein Punkt, der eine ganz große Rolle spielt. Die Kommunen muss man dabei an die Hand nehmen, meine Damen und Herren. Wir haben in den letzten 20 Jahren erlebt, dass man auf das Freiwilligkeitsprinzip bei kommunalen Zusammenschlüssen als das allheilbildende Mittel gesetzt hat. Es sind auch viele gute Körperschaften und sehr sinnvolle und sehr schlagkräftige Körperschaften entstanden. Wer wollte das bezweifeln, meine Damen und Herren? Aber wer wollte bezweifeln, dass im Rahmen dieser Freiwilligkeit auch Strukturen entstanden sind, die einer geordneten und gedeihlichen Landesentwicklung entgegenstehen? Auch da könnte ich noch genügend Beispiele anführen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Der Kollege Kuschel hat einige genannt. Ich sage nur eins, auch wenn ich damit vielleicht den einen oder anderen, den ich persönlich kenne, treffe, aber das Ortseingangsschild der Gemeinde Frankenblick, wenn ich da durchfahre, und das kommt öfter vor, das verursacht nach wie vor noch körperliche Schmerzen bei mir.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Oder wenn ich an die Dinge denke, die wir im Norden Thüringens mit der Gemeinde Ilfeld und Nordhausen vollzogen haben oder die eine oder andere tragende Verwaltungsgemeinschaft, die wir zugelassen haben. Das sind alles Dinge, die einer geordneten Entwicklung entgegenstehen. Damit meine ich, mit geordneter Entwicklung, dass wir gar keine andere Chance haben angesichts sinkender finanzieller Ressourcen,

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: So ein Quatsch!)

als auf das Zentrale-Orte-Prinzip zu setzen als Kernpunkte kommunaler Entwicklung, und da ist ei

(Abg. Kellner)

niges, meine Damen und Herren, von dem, was in den letzten Jahren gemacht worden ist, dieser Entwicklung entgegenstehend. Das sollten wir in Augenschein nehmen, das sollten wir in Angriff nehmen. Ich bin mir sicher – das wird die Debatte, denke ich, zeigen; ich weiß nicht, ob die morgen oder übermorgen stattfindet –, dass diese Koalition dieses Thema nun endlich so aufgreift und so in die Hand nimmt, dass am Ende ein Mehrwert für den Freistaat Thüringen herauskommt. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)