Ich glaube, jeder Euro ist gut angelegtes Geld, auch für die parlamentarische Debatte, die zum Teil in dieser Form nicht sehr sachlich geführt wird.
aber es gibt durchaus widersprüchliche Dinge, auch in Bezug auf die Umfragewerte, die dort kolportiert werden. Nach dem Lesen gab es bei mir in einzelnen Bereichen ein paar Fragen, die dann aufgetreten sind. Darauf will ich gern eingehen. Ich habe mich ein bisschen gewundert, dass diese Regierungserklärung zum Thüringen-Monitor mit dem Thema Thüringen und Europa heute sogar Anlass war bei meinem Vorredner, dem Herrn Mohring, noch mal auf Bestechungsskandale oder Affären einzugehen. Diese Biege da hinzubekommen, das war schon à la bonne heure.
Ich möchte mich aber doch eher mehr mit dem Thema befassen, dass den Thüringen-Monitor in diesem Jahr übertitelt, das ist Thüringen und Europa. Dankenswerterweise hat es der Ministerpräsident eingangs noch einmal gesagt: Die Entstehung des Thüringen-Monitors ist auch sehr interessant und sehr wichtig, weil wir wissen, von Mai bis Juni 2014 wurden die Fragen damals gestellt und dann ausgewertet und uns nun zusammengefasst in dieser Form als Kompendium zugeleitet. Das war ein Zeitpunkt Mai bis Juni 2014, als der Ukraine-Konflikt zwar schon auftrat, aber längst nicht in dieser Form, wie wir ihn heute beispielsweise in den Nachrichten verfolgen können. Der Terror des IS hat damals zwar auch schon eine Rolle gespielt, aber es gab noch nicht diese immensen Flüchtlingsbewegungen aus den betroffenen Staaten auch nach Europa. Griechenland war auch immer schon ein latentes Problem – auch zur damaligen Zeit –, nie aber so diskutiert wie jetzt beispielsweise wieder in diesen Tagen. Es gab noch keine Pegida und Sügida und was da alles noch so über die Straßen gelaufen ist.
Es wäre interessant zu wissen, wie denn die Umfragen ausgefallen wären zu genau diesem Zeitpunkt, wenn man in den letzten Wochen einfach mal unter Berücksichtigung all der aktuellen Ereignisse, die ich hier kurz versucht habe anzureißen, das noch einmal aufzugreifen versucht hätte, dann glaube ich, dass vielleicht die eine oder andere Frage von der Thüringer Bevölkerung anders beantwortet worden wäre. Aber das ist natürlich viel Spekulation.
Ich sage das, weil ich meinen Fokus auf das eigentliche Thema des Thüringen-Monitors legen möchte, nämlich Thüringen und Europa. Die Expertise, Güte und Reichweite der Messung des Rechtsextremismus, die hier beigefügt war, quasi als zweiter Teil – dazu haben auch der Ministerpräsident und meine Vorredner schon viel gesagt. Ich habe dazu jetzt auch ein paar Seiten, die ich einfach weggelegt habe, weil sich da einiges doppelt, bin aber durchaus in Bezug auf vieles, was im Thüringen-Monitor zum Beispiel an Vorurteilen aufgetreten ist, meinem Vorredner sehr dankbar, dem Herrn Kubitzki, der noch einmal sehr dezidiert auf die Frage des Umgangs mit Langzeitarbeitslosen in dieser Situation und in dieser Spezifik eingegangen ist.
Aber wenn es um das Hauptthema Thüringen und Europa geht, ist eine Umfrage in diesem ThüringenMonitor für mich sehr interessant gewesen. Das war die Umfrage: Wie fühlen sich die Befragten eigentlich in erster Linie oder als was betrachten sie sich? Da kommt in großer Übereinstimmung: Zunächst einmal fühlen sich die Befragten als Thüringer, dann als Deutsche, dann als Ostdeutsche und ganz zuletzt als Europäer. Das war so diese Abstufung. Das hat sicher mit den regionalen Bezügen zu tun, die jeder Mensch in seiner Lebensumwelt hat. Das prägt uns, das ist klar. Aber das muss – habe ich mir überlegt – auch noch tiefer stecken.
Ein interessanter Ansatz dazu ist eine weitere Umfrage. 49 Prozent der Menschen, so lese ich es im Thüringen-Monitor, verstehen nicht, wie die Europäische Union funktioniert. Das ist quasi jeder Zweite. Für mich noch alarmierender: 25 Prozent, also ein Viertel, wollen das auch gar nicht wissen. Selbst wenn sie das Angebot an Informationen nutzen könnten, sagen sie, das interessiert mich überhaupt nicht, wie das in der EU da vor sich geht.
Jetzt kann man das als europaunfreundlichen Akt werten, aber dazu ist es ganz gut, sich auch mal folgendes Befragungsergebnis genauer anzusehen. Einer meiner Vorredner ist bereits auf die Frage eingegangen: „Was bedeutet die Europäische Union für unser Land“, also für Thüringen? Da haben 86 Prozent übereinstimmend gesagt: Zunächst einmal – und das ist der größte übereinstimmende Wert – bedeutet das Frieden. Das finde ich bemerkenswert, weil das eine der Grundideen des gemeinsamen europäischen Gedankens ist – Frieden. Das ist nicht selbstverständlich, wenn Sie sich allein die Soldatenfriedhöfe in den Ländern unseres Kontinents anschauen. Europa stand einst auch für Blutvergießen, für furchtbare Kriege, jetzt ist es eher ein Stabilitätsfaktor in der Welt. Wenn 86 Prozent der Leute sagen, Frieden sei gut, sei wichtig, sei das, was sie mit der Europäischen Union in Bedeutung auf die Korrelation zu Thüringen verbinden, dann ist das eine sehr gute Sache. Dann geht es aber weiter. Mehr als die Hälfte der Befragten verbinden mit der Frage „Was bedeutet die Europäische Union für Sie?“ das Stichwort „mehr Kriminalität“. 70 Prozent sagen „Geldverschwendung“; 82 Prozent sagen „mehr Bürokratie“. Europa wird also – das haben wir auch beim Studium dieses Thüringen-Monitors gemerkt – sehr differenziert gesehen und oftmals zumindest als politisches Gebilde sehr, sehr kritisch. Es passiert immer wieder, dass man im Gespräch mit Menschen beim Thema „Europa“ oder „Europäische Union“ zum Beispiel mit dem Wort der Gurkenkrümmungsverordnung konfrontiert wird – sagen immer wieder auch die Leute, es ist denen so haften geblieben. Sie kennen das. Da gab es – die gibt es schon lange nicht mehr – eine Verordnung, dass eine europäische Gurke auf 10 Zentimeter nur 10 Grad gebogen sein
soll. Aber das hat sich eben eingeprägt und das steht als Synonym für größtenteils unverständliche rechtliche Bestimmungen. Da ist die Gurkenverordnung nur das eine. Aber es gibt zum Beispiel auch die Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsturzvorrichtungen für land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf Rädern. Ich habe da dreimal lesen müssen. Da geht es darum, wenn Sie auf einem Trecker sitzen, tun Sie das auf einem bestimmten Sitz und auch das ist europäisch mittlerweile normiert.
Es gibt in Europa – es ist nicht zu glauben – die DIN EN 12586. Wenn Sie mal nachgooglen, also die Experten nennen immer die DIN-Nummer, der Laie sagt, das ist zum Beispiel die sogenannte Schnullerkettenverordnung. Die ist 52 Seiten stark und da steht zum Beispiel: Beim Vorhandensein von zwei Befestigungen, zum Beispiel einer Befestigung am Kleidungsstück und einer Befestigung am Schnuller, stellt das Lösen einer der beiden Befestigungen kein Versagen dar, sofern die gelöste Befestigung den Anforderungen von Punkt 5.1.11 entspricht. Das steht da drin.
Es gibt ernsthaft eine EU-Verordnung über Pollenund Wassergehalt von Honig, bei der auch die elektrische Leitfähigkeit von Honig normiert wird. Sie beträgt übrigens 0,8 Millisiemens pro Zentimeter bei Waldhonig. Wenn Menschen so etwas hören, meine Damen und Herren, dann schütteln sie den Kopf. Zu mir sagte mal ein Bürger in Gotha: Wenn die in Brüssel sich Gedanken darüber machen, wie schnell sie uns die Glühbirnen aus dem Handel nehmen, dann ist es weit gekommen. – Sie merken, die Kritik an diesem Konstrukt Europäische Union macht sich zum Teil eben auch an diesen gefühlten Bürokratiemonstern fest.
(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Herr Kollege, war die Bemerkung zu den Glühbirnen mit den Grünen abgesprochen?)
Wir sprechen uns generell immer ab, aber ich habe eben gesagt, dass das ein Bürger in Gotha zu mir gesagt hat. Ich werde ja wohl noch hier vorn am Podium kolportieren können, was Bürger im Bürgerbüro zu mir sagen.
Wobei ich jetzt sagen will, die Kritik an Europa richtet sich auch noch in eine ganz andere Richtung. Es geht um Bürgerferne, die der Europäischen Union immer wieder unterstellt wird. Man hört, es würden vorrangig die Interessen gut bezahlter Lobbyisten oder mächtiger Regierungen bedient. Viel tiefer greift die Kritik an Europa hinsichtlich der Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürger zur Gestaltung europäischer Politik. Die werden landläufig als sehr schwach empfunden. Es ist so, dass wir alle fünf Jahre seit 1979 das Europäische Parlament
wählen können, aber viele Leute sagen, sie haben nicht das Gefühl, in irgendeiner anderen Art und Weise noch Einfluss auf diese Europäische Union nehmen zu können. Das ist nicht wahr, es gibt beispielsweise die Europäische Bürgerinitiative, aber da beginnt das Problem, die ist in der Regel gar nicht bekannt. Es ist gar nicht klar, welche Art und welche Wirkungsweise diese Europäische Bürgerinitiative hat. Vielen Bürgern ist auch nicht klar, welche Aufgaben das Europäische Parlament zu erledigen hat, welche Positionen die Kandidaten zu bestimmten Fragen vertreten und welche konkreten Auswirkungen ihre Stimmabgabe hat. 2014 – das war schon sehr bemerkenswert – haben die Leute beispielsweise bei der Europawahl – suggestiv war das damals so – Angela Merkel ihre Stimme gegeben – die war nämlich auf den Europaplakaten – und nicht etwa dem Jean-Claude Juncker, obwohl das in der Presse damals immer wieder so dargestellt wurde. Es gibt viele Leute, die in ihrem eigenen Wahlkreis noch verankern können, wer ist beispielsweise für mich im Gemeinde- oder Stadtrat. Die kennen ihren Bürgermeister. In der Regel kennen sie auch noch ihren Landtagsabgeordneten. Beim Bundestag wird es manchmal schon ein bisschen schwieriger; die Wahlkreise sind größer. Aber wenn Sie dann einmal auf der Straße fragen: Wer ist denn Ihr zuständiger Europaabgeordneter? Dann ist meistens Schweigen. Das heißt, die Ergebnisse des Thüringen-Monitors unterstreichen alle diese genannten Behauptungen.
Es ist völlig egal, Herr Mohring, wer oder welche Partei dann diesen Abgeordneten stellt. Er ist schlichtweg unbekannt.
Die Kluft zwischen der Europäischen Union und den Bürgern ist ein weithin bekanntes Phänomen. Das stellt im Übrigen auch die Europäische Kommission in ihrem „Weißbuch über eine Kommunikationspolitik in Europa“ fest. Dort ist das schon fundamentiert. Brüssel, steht in diesem Weißbuch, ist den Menschen fern und fremd. Die Richtungsentscheidungen der EU, so scheint es, bilden nicht immer die Mehrheitsmeinung der Europäer. Es gibt Beispiele, weil vorhin so trefflich darüber diskutiert wurde, Herr Mohring hat diesen Faden aufgenommen und hat gesagt: Wie ist das denn beispielsweise mit den Volksbefragungen? Auch Herr Höcke hat das eine oder andere darauf geantwortet. Dann müssen wir uns das auch mal ansehen. Das ist schon sehr interessant, wenn man sich die Geschichte der Europäischen Union auch in dieser Frage versucht einmal näherzubringen. 1992 haben die Dänen den Vertrag von Maastricht abgelehnt. 2001 lehnen die Iren den Vertrag von Nizza ab. 2005 verweigern die Franzosen und Niederländer
dem Verfassungsvertrag ihre Zustimmung. 2008 lehnen die Iren erneut die Europäischen Vertragsrevisionen ab. Ein weiteres Beispiel: Die Deutschen waren lange Zeit gegen eine Währungsunion, die es nun schon seit gut 15 Jahren hier in Deutschland gibt. Die Bundesregierung hat die damals maßgeblich vorangetrieben. Im Thüringen-Monitor lese ich jetzt, dass in unserem Bundesland, in Thüringen, nahezu 30 Prozent der Menschen gerne die D-Mark zurückhätten. Das ist nahezu jeder Dritte. Im Jahr 2013 haben 20 Prozent der Europäer, wenn ich das wieder einmal ein bisschen hochzoome, einen EU-Beitritt der Türkei befürwortet. Das war jeder Fünfte. Jeder Dritte hat ihn abgelehnt. 37 Prozent ist das völlig egal. Die haben dazu überhaupt keine Meinung. Die sagen, ob die Türkei dazugehört oder nicht, das interessiert sie nicht. Die Schwierigkeit dieser Europäischen Union, dieser europäischen Politik besteht beispielsweise auch in der Formulierung einer gemeinsamen Außenpolitik. Sie beginnt mit der grundsätzlichen Debatte über die Grenzen Europas, beginnt mit eben auch diesem Beitritt der Türkei bis hin zum Verhältnis zu Russland und der Mittelmeerpolitik. Aber die Mehrheit der Europäer –jetzt wird es sehr interessant –, sagt, eine Mitgliedschaft in dieser Europäischen Union ist von Vorteil für ihr Land. 65 Prozent der Leute – Herr Höcke sollte sich diese Umfragewerte auch mal genauer anschauen – sind dieser Auffassung.
Wir sind da an genau dem Punkt, der sich in vielen Teilen auch hier im Thüringen-Monitor widerspiegelt: Die Akzeptanz der Europäischen Union und Europas hängt vor allem davon ab, inwieweit die Menschen Europa verstehen und inwieweit sie die Prozesse in diesem Europa nachvollziehen können. Das ist nicht immer der Fall. Deshalb ist es legitim, auch zum Beispiel einen Zusammenhang herzustellen bei der Tatsache, dass das Unverständnis über viele Prozesse in der Europäischen Union dazu führt, dass sich die Menschen nicht näher mit dem Wesen der EU beschäftigen wollen und schlussendlich dann vielleicht nicht einmal mehr zur Europawahl gehen und daran teilnehmen. Sie bringen sich auch nicht als Bürger der Europäischen Union in diese Wertegemeinschaft EU ein, weil sie das Gefühl haben, dass alles so weit weg und so lebensfremd ist, was in dieser EU vor sich geht. Sie zeigen kein Interesse daran, sich zu beteiligen. Das ist auch ein weiterer Punkt im Thüringen-Monitor, die Möglichkeiten der Partizipation, also der Teilhabe an bestimmten Prozessen und Abläufen. Ich bin sehr dankbar, dass Herr Ramelow darauf sehr genau eingegangen ist. Das beschäftigt uns nicht nur im Zusammenhang mit dem ganz einfachen Beispiel der geringen Beteiligung an der Europawahl. Das ist auch schon ein Dauerthema allein hier in unserem Land, in dem der Thüringen-Monitor entstanden ist. Ich sage nur: Landtagswahl 2014 und die Hälfte geht nicht hin. Das kann ich jetzt auf die
europäische Ebene hochzoomen, aber das ist auch hier schon bereits im regionalen Bezug so. Denken Sie nur mal an die Beteiligungsverhältnisse beispielsweise bei den Kommunalwahlen bei Ihnen zu Hause in den einzelnen Wahlkreisen. Die Frage ist also: Wie bekomme ich die Leute wieder zum Beispiel in die Wahlkabinen? Aber das ist es nicht allein. Es geht nicht nur um diesen Akt, der alle vier, fünf, alle sechs Jahre vollzogen werden soll, sondern wie wir die Menschen wieder dafür gewinnen, dass sie sich mehr beteiligen an den Vorgängen, an Entscheidungen, die sie letztendlich auch mit betreffen.
Wir haben uns da als Fraktion während unserer Winterklausur Gedanken gemacht, wie das möglich ist, vielleicht schaut der eine oder andere mal in unser Initiativpapier, das da in Tabarz entstanden ist,
wo wir uns als Fraktion hier in diesem Hohen Haus Gedanken gemacht haben, wo wir sagen: Das Interesse an demokratischen Prozessen muss zum Beispiel bereits in der schulischen Bildung stärker gefördert werden. Das trifft auch das Interesse an der Europäischen Union, insbesondere natürlich schon im kommunalen Bereich. Wir haben uns überlegt, wie Entscheidungsmöglichkeiten vor Ort bei Vorhaben in den Gemeinden, in den Städten besser mit den Bürgerinnen und Bürgern erörtert werden und wie sie besser eingebunden werden können.
Wir glauben, dass bei aller sicher zumindest zum Teil auch nachvollziehbaren Europakritik bestimmte Vorurteile abgebaut werden können, wenn verständlicher gemacht werden kann, was Europa eigentlich ist. Das ist nicht nur eine Wertegemeinschaft, in der wir leben wollen, sondern das ist auch ganz konkret an der Frage festzumachen, welchen Nutzen wir davon haben, in dieser Wertegemeinschaft zu leben. Wenn wir in diesen Tagen und auch in diesem Jahr immer trefflich über 25 Jahre Wiedervereinigung reden, dann muss man auch an dieser Stelle gerade bei diesem Thema sagen: Durch den Mauerfall wurde nicht nur das deutsche Volk wiedervereint, sondern für uns Thüringerinnen und Thüringer hieß das mit einem Schlag zum Beispiel, wir gehören jetzt zu dieser großen Gemeinschaft Europas, zu dem Teil der Europäischen Union. Der Fall der Mauer bedeutete also für uns unmittelbar mehr Freiheit, Chancen, mehr Gerechtigkeit – obwohl das mittlerweile in Teilen der Umfragen im Thüringen-Monitor infrage gestellt wird – und das Leben in Frieden und Demokratie innerhalb der Grenzen Deutschlands, aber auch innerhalb der Europäischen Union.
Das sind diese Vorzüge Europas, von denen wir profitieren, dass es durch die Europäische Union mit einem großen einheitlichen Binnenmarkt die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen gibt. Der Euro
hat sich als zweitwichtigste Währung neben dem Dollar etabliert und Europas Rolle in der Wirtschaft gestärkt. Es gibt mehr Verbraucherschutz, die Kennzeichnung von Lebensmitteln und Produktstandards für Kinderspielzeug beispielsweise, mehr Freizügigkeit, das unkomplizierte Reisen ohne größere Beschränkungen im Ausland. Das fällt uns als Erstes auf, dass wir hier in Erfurt in das Auto steigen und bis Lissabon durchfahren können, ohne – wenn alles klappt – eine einzige Passkontrolle über uns ergehen lassen zu müssen. Das betrifft aber nicht nur das Reisen, auch das Leben, das Lernen, das Arbeiten im Ausland, gerade für unsere jüngeren Menschen, und das gemeinsame Forschen. Das ist sehr wichtig. Das ist jetzt grenzüberschreitend alles möglich dank dieser europäischen Wertegemeinschaft. Dass es einen gemeinsamen Wertemaßstab gibt, der zum Beispiel die Menschenrechte mit einfasst, Demokratie, sozialen Zusammenhalt und Chancengleichheit, und dass es eine klare Absage an den Extremismus, an Hass und Gewalt gibt und die Verteidigung dieser Werte in einer Welt, in der das nicht überall selbstverständlich ist. Denken Sie nur an die jüngsten Ereignisse in Paris – Charlie Hebdo –, was da in Europa für eine Solidaritätswelle, egal welcher Nation, egal welches Parteibuch die Leute da getragen haben, welcher politischen Gesinnung sie waren.
Des Weiteren heißt natürlich Europa auch mehr Energiesicherheit, mehr Umweltschutz und Sicherheit allgemein. Während die eine Seite bei diesen grenzüberschreitenden Verkehren zwar gesagt hat, ich befürchte da mehr Kriminalität, ist es aber so, dass die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität jetzt in einer ganz anderen Dimension, in einer ganz anderen Qualität innerhalb dieser EU erfolgen kann. Ich will es ganz konkret machen: Wer den Thüringen-Monitor aufmerksam gelesen hat, dem sind doch folgende Zahlen nicht entgangen, nämlich die, die die Summen an Geldern beziffern, die aus Europa hier nach Thüringen in den Jahren 2014 bis 2020 fließen werden. Das ist nämlich die nächste Förderperiode. Das ist alleine beim ESF, also beim Europäischen Sozialfonds, eine Summe von 499 Millionen Euro – fast eine halbe Milliarde – und bei EFRE, also der Strukturfonds für regionale Entwicklung, rund 1,17 Milliarden Euro allein für Thüringen. Ja, es stimmt, dass die Tranchen geringer ausfallen als in der Förderperiode zuvor, also von 2007 bis 2013. Aber man stelle sich nur mal vor, was alles hierzulande nicht gefordert und gefördert werden könnte, was wegbrechen würde, wenn diese Mittel aus der EU plötzlich nicht mehr zur Verfügung stünden und wenn wir sie nicht mehr erhalten würden. Das funktioniert nun mal nicht immer, alles, was mit der Europäischen Union zusammenhängt, infrage zu stellen, aber dann das Geld, was von dieser Europäischen Union auch für die Region Thüringen beispielsweise bereitsteht, bereitwillig einzustecken. Diese ESF- und EFRE
Mittel – das betrifft fast jede Gemeinde, fast jede Stadt in Thüringen –, die kommen wirklich auch vor Ort an.
Noch einmal Zahlen, die belegen, wie wichtig die Europäische Union für Thüringen ist: 2012, vor gut zwei Jahren, haben die Thüringer Unternehmen in das Ausland für rund 13 Milliarden Euro Waren exportiert, rund 8 Milliarden davon allein in die EUStaaten. Das ist weit mehr als die Hälfte, also über 60 Prozent. Deshalb stimmt das auch, was dpa gestern in einer Meldung ganz trefflich so zusammengefasst hat: Die Mehrheit der Thüringer – wenn man mal einen ganz großen Bogen bei all den unterschiedlichen Umfragen in diesem Thüringen-Monitor spannt – ist europafreundlich eingestellt, wenn ihnen der Nutzen der Zugehörigkeit zu dieser Wertegemeinschaft auch klar ist. Deshalb sage ich das für meine Fraktion noch einmal ganz deutlich und ich möchte das an dieser Stelle mit einem Zitat von Martin Schulz tun, der im Europawahlkampf gesagt hat: Ich trete an, die Europäische Union wieder „vom Kopf auf die Füße zu stellen“. Das hat er damals gesagt.
Das ist ein Eindruck, den etliche Menschen auch in Thüringen haben, dass da manches in der EU kopfsteht und wieder auf die Füße gestellt werden muss. Das schafft man nur, indem man Europa besser erklärt und nicht immer nur kritisiert, indem man deutlicher herausstellt, welche Vorteile jeder Einzelne von uns in diesem Staatenbund hat – auch Sie in der AfD-Fraktion –,wenn Sie denn in dieser Europäischen Union auch mental angekommen sind. Das schafft man nur, wenn man die Teilhabemöglichkeit für die Europäerinnen und Europäer verbessert. Das geht auch aus dem ThüringenMonitor hervor – sehr interessant: Die Kritik der Befragten an bestimmten Entscheidungsprozessen in der EU, die hat schon einen sehr existenziellen Wert eingenommen, denn allein 73 Prozent der Befragten stimmen überwiegend darin überein, dass sie sagen, das Interesse der Städte und Gemeinden beispielsweise in Thüringen wird nicht ausreichend in der EU berücksichtigt. Das ist eine vielleicht nicht fundierte Meinung, aber die haben die Leute latent. Deswegen glauben wir, dass es einen Reformbedarf natürlich auch in der Europäischen Union gibt, dass ein neues Leitprojekt der europäischen Integration über den EU-Kommissionspräsidenten mit eingespeist werden muss und genau das eben auch das Thema der Subsidiarität betrifft. Die EU-Kommission muss der Subsidiarität Vorfahrt geben und europäisch ist nur zu regeln, was national, regional und dezentral nicht besser geregelt werden kann. Ich darf einmal, auch wenn das jetzt dem einen oder anderen nicht schmecken wird, aus dem damaligen Wahlprogramm der Sozialdemokraten zur EU-Wahl zitieren, weil man es eigentlich nicht trefflicher formulieren kann: „Politisch bedeu
tet Respekt für Vielfalt in Europa, dass Aufgaben dort angepackt werden sollten, wo sie am besten politisch zu lösen sind. Die EU sollte nur das regeln, was die Städte, Kommunen, Länder oder Staaten nicht besser selbst regeln können. […] Dies ist ein Gebot der Bürgernähe.“
Dann geht es natürlich auch um Transparenz und Beteiligung. Die EU-Kommission soll für diese Transparenz, für die Beteiligung und die Akzeptanz sorgen und das Instrument dieser Europäischen Bürgerinitiative muss gestärkt werden. Es geht auch um die Frage der Legitimation. Diese Diskussion wurde im letzten Jahr sehr engagiert geführt, die Forderung nämlich nach einem starken Kommissionspräsidenten, der seine Legitimation vielleicht auch direkt von den Wählerinnen und Wählern in Europa erhalten sollte. Die Stimme entscheidet über das Personal, das ist unsere Auffassung. Momentan wird dieser Kommissionspräsident noch vom Europäischen Rat vorgeschlagen und vom Europäischen Parlament gewählt.
Kurz gefasst: Die europäische Idee muss in der Wahrnehmung von einem Eliteprojekt zu einem Zustimmungsprojekt der Bevölkerung werden. Das ist unserer Meinung nach eine wichtige Richtschnur, aber auch ein guter Ausblick auf das Projekt Europäische Union, das längst nicht abgeschlossen und natürlich auch immer noch in der Entwicklung ist und das nicht leichtfertig zerredet oder aufs Spiel gesetzt werden darf. Ganz zum Schluss will ich in diesem Zusammenhang jemanden zitieren, der genau das alles so trefflich auf den Punkt bringt, nämlich Jean Monnet, einer der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft, ein französischer Unternehmer, der niemals ein politisches Amt in dieser Europäischen Union angestrebt hat und auch nie eines bekleidete. Er hat das große Ziel, das uns alle verbindet, folgendermaßen beschrieben: „Wir einigen keine Staaten, wir bringen Menschen einander näher.“ Das ist das Entscheidende: Wir einigen keine Staaten, wir bringen Menschen einander näher. Das ist die Perspektive, das ist ein Auftrag und da gibt es, wenn ich den Thüringen-Monitor mit all den sehr unterschiedlichen Umfrageergebnissen sehe, noch ein hartes Stück Arbeit, aber es lohnt sich, diese Arbeit in Angriff zu nehmen, denn Europa ist ein großes Projekt und die Europäische Union ist ein wichtiger Bestandteil auch des Lebens der Thüringerinnen und Thüringer, auch wenn das auf den ersten Blick manchmal gar nicht so scheint. Aber diese Tatsache zu erkennen, ist wichtig. Europa funktioniert nur im Einklang mit allen Staaten und auch mit allen Regionen. Europa funktioniert also nicht ohne Thüringen, aber umgekehrt Thüringen auch nicht ohne Europa. Ich danke Ihnen.
Danke schön. Das ist keine Zwischenfrage, sondern eine Endfrage. Sie haben gerade Ihren Herrn Schulz zitiert, der – denke ich mal – mit Ihrer Zustimmung gesagt hat, Europa müsse von dem Kopf wieder auf die Füße gestellt werden. Welche Auffassung vertreten Sie denn, wer Europa vorher umgedreht hat, von den Füßen auf den Kopf?
Herr Schulz hat, Herr Brandner, damals das Stimmungsbild, das sich unter anderem auch in den Umfragewerten des Thüringen-Monitors widerspiegelt, einfach wiedergegeben, dass die Leute der Überzeugung sind, dass sich da einiges in diesem europäischen Apparat verselbstständigt hat. Ich habe ein paar dieser illustren Verordnungen zum Teil hier zitiert, bei denen der eine oder andere den Kopf schüttelt. Er meint damit nicht das gesamte Konstrukt der Europäischen Union, sondern er meint einzelne Abläufe. Dazu habe ich in der Rede einiges gesagt. Da geht es auch um Partizipation, es geht um die Legitimierung beispielsweise des Europäischen Präsidenten oder des damaligen Ratspräsidenten, wo man darüber nachdenken könnte, wird der vielleicht direkt gewählt. Das meint er mit „vom Kopf auf die Füße stellen“ und nicht, was vielleicht der eine oder andere in ihrer Fraktion versucht da schon wieder hineinzudeuten.
Danke schön. Meine Frage war aber die nach der Verantwortlichkeit. Wer ist denn Ihrer Auffassung nach dafür verantwortlich, dass Europa vorher von den Füßen auf den Kopf gestellt wurde?
Herr Brandner, das Zuhören hilft in der Regel immer. Wenn ich Ihnen eben schon gesagt habe, dass Herr Schulz jetzt nicht gesagt hat, dass Europa generell oder die Europäische Union vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss, wie Sie es verstehen, dann muss ich auch nicht auf diese zweite Frage antworten, weil es keinen Verantwortlichen gibt, der Europa von den Füßen auf den Kopf gestellt hat. Es geht einfach um bestimmte Teilfragen, die in der Europäischen Union geklärt werden müssen. Nichts ist so gut, um das vielleicht mal abschließend zu sagen, als dass es nicht noch besser gemacht werden könnte. Bauen wir einfach weiter an diesem Haus Europäische Union und zerreden wir es nicht, dann wäre uns auch hier in diesem Parlament schon viel gedient.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hey. Jetzt hat Herr Abgeordneter Adams von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.