Meine Damen und Herren, auch mit Blick auf aktuelle Geschehnisse muss man konstatieren, dass das sogenannte „rechte Auge“ häufig noch Probleme hat, dass eindeutige Anzeichen einfach nicht gesehen werden, zum Beispiel, als im Juni 2015 in Jena drei indische Studierende brutal zusammengeschlagen wurden und die ermittelnden Beamten zunächst keine rassistischen Motive erkennen konnten – trotz des Hitlergrußes, trotz der Aussage der Geschädigten, die Gewalttäter hätten ausländerfeindliche Parolen skandiert. Oder erst in der vergangenen Woche in Nordhausen, wo ein Brandsatz in einer Asylbewerberunterkunft in Verbindung mit mit SS-Runen und Galgenzeichnungen versehenen Drohbriefen offenbar nicht dazu führte, dass die Polizei rassistische Motive sah. Eine von ezra – der mobilen Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt – 2014 veröffentlichte Studie mit dem Titel „Die haben uns nicht ernst genommen“ berichtet, mehr als die Hälfte der befragten Opfer habe den Eindruck gehabt, die Polizei sei nicht an der Aufklärung der politischen Motive der Täter interessiert. Genauso schlimm: Viele fühlten sich mit Vorurteilen seitens der Beamtinnen und Beamten konfrontiert.
Meine Damen und Herren, es sind nicht nur die im Laufe der Ermittlungen zu den NSU-Morden zutage getretenen Fehler. Es sind nicht nur die durch die Thüringer – meist CDU-geführten – Landesregierungen über Jahre als Panikmache diskreditierten Warnungen aus der Zivilgesellschaft vor rassistisch motivierter Gewalt – Innenminister Trautvetter hat zum Beispiel einmal zu Projekten wie MOBIT und ABAD, der Anlaufstelle für Betroffene von rechtsextremen und rassistischen Angriffen und Diskriminierungen in Thüringen, behauptet, diese Projekte versuchten – Zitat – „‚ein örtliches Gegengewicht zu wahrgenommenen Tendenzen‘ zu schaffen. Er halte es aber nicht für richtig, an die Problematik rechtsextremer Gewalt mit einem politischen Ansatz heranzugehen.“ Es ist nicht nur die jahrelange Relativierung wissenschaftlicher Forschung zu rassistischen, antisemitischen, völkischen, nationalistischen Einstellungen durch die Beschwörung einer von links bestehenden Gefahr. Es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Dieses Problem heißt Rassismus. Es würde in seiner Realitäten verkannt – das hat Frau Henfling vorhin schon angedeutet –, wenn die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit, mit Neonazismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Homophobie usw. auf Neonazis und die extreme Rechte beschränkt bliebe. Das ist auch der Grund, weshalb in der Empfehlung des NSUUntersuchungsausschusses von einer EnqueteKommission „Rassismus“ die Rede ist, die Maßstä
be setzen und beispielsweise Vorschläge für die öffentliche Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entwickeln soll. Der Abgeordnete Tischner von der CDU hat bereits am Mittwoch in seiner Rede zum Landesprogramm die Tragfähigkeit des Konzepts der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit infrage gestellt – wörtlich hat Herr Tischner gesagt, die „grundlegende wissenschaftliche Theorie der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ sei „eine Engführung, die sich die Politik nicht zu eigen machen sollte.“ Begründet wurde das von ihm mit der Ignoranz soziologischer Kategorien – wörtlich: „Ob Gruppen, ob Klassen oder Kollektiv, alles Begriffe, die von links und rechts besetzt sind.“ Angesichts dieser Aussage und auch des inzwischen vorliegenden Alternativantrags der CDU – auch wenn er im bilateralen Gespräch, Herr Tischner, nichts genützt hat –: Ich finde das wirklich schade und hätte auch von einem Mitglied des Kuratoriums der Landeszentrale für politische Bildung tatsächlich anderes erwartet.
Ich fühle mich verpflichtet, hier noch ein paar Sätze zum Thema „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rassismus“ zu sagen. Wilhelm Heitmeyer nennt es: das Syndrom der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Es besteht aus verschiedenen Einzelelementen, wie etwa der Abwertung von Langzeitarbeitslosen, der Abwertung von Asylsuchenden, von Obdachlosen oder Behinderten, aber auch der Homophobie, dem Element der Etabliertenvorrechte, des Sexismus oder des Antisemitismus – alles Abwertungen, die auch Deutsche treffen können. Es trifft nicht zu, wie es Herr Höcke hier dargestellt hat, dass sie keine Deutschen beträfen. Das sind alles Einzelelemente, die nicht abschließend benannt wurden. Bei der letzten Folge der zehnjährigen Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ 2011 wurden zwölf Elemente gezählt, aber nicht abschließend benannt; es können immer noch welche dazukommen, die sind auch unterschiedlich gewertet. Aber diese Einzelelemente haben alle einen gemeinsamen Kern: die Ideologie der Ungleichwertigkeit. Nicht enthalten ist politischer Extremismus, er ist kein Element dieses Syndroms der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.
Ich will noch etwas zur Rede von Herrn Tischner sagen. Herr Tischner, ich finde es infam – wo ist er denn?
Herr Tischner ist gar nicht da. Ich finde es infam, wenn Herr Tischner uns vorwirft, wir würden nervös werden, sobald nur das Wort „Grundgesetz“ gesagt wird, weil wir am Konsens des NSU-Untersuchungsausschusses festhalten, bloß weil wir Ihre – meine Damen und Herren der CDU – an Artikel 3 Grundgesetz angelehnte Formulierung aus fachlichen Gründen, die wir Ihnen gestern versucht ha
ben nahezubringen, ablehnen. Das ist eine infame Unterstellung, die mit der Sache überhaupt nichts zu tun hat.
Wenn wir so argumentieren würden, dann müsste man Ihnen vorwerfen, Sie lehnten die Thüringer Verfassung ab. Warum, meine Damen und Herren der CDU, verwenden Sie nicht die dort gewählten Formulierungen, wie etwa die der „ethnischen Zugehörigkeit“ oder der „sozialen Stellung“, sondern halten bockbeinig und dickköpfig am Begriff der „Rasse“ fest, der seit Jahren überholt ist und in der politischen Debatte auch nicht mehr verwendet werden sollte?
Meine Damen und Herren, die Zuschreibung bestimmter Merkmale aufgrund einer tatsächlichen oder angenommenen Zugehörigkeit zu einer Gruppe und die Ablehnung, Ausgrenzung, Diskriminierung von Menschen aufgrund dieser Zuschreibung – das ist es, was Rassismus bzw. gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausmacht und was zu den Fehlern der Behörden in den Neunzigern und bis heute, die im Untersuchungsausschuss festgestellt wurden, führte. Die CDU-Abgeordneten im vorigen NSU-Untersuchungsausschuss haben das begriffen. Ich finde es ebenfalls sehr bedauerlich, dass Sie nun diesen Konsens wieder verlassen wollen, und zwar mit fragwürdigen Begründungen wie der, das Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sei zu unbestimmt, um Diskriminierungen konkret zu benennen – die einzelnen Elemente hat Herr Tischner selbst in seiner Rede benannt – oder dem Argument, es sei fragwürdig, den Einzelnen zum Teil einer Gruppe zu erklären und ihm eine Gesamtheit von Attributen zuzuschreiben – sozusagen als Vorwurf an diejenigen, die die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit untersuchen. Wir haben sie ja nicht erfunden, meine Damen und Herren der CDU. Nicht diejenigen, die Ursachen und Erscheinungsformen von Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit untersuchen wollen, erklären Menschen zu Gruppen zugehörig und schreiben ihnen Eigenschaften zu.
Meine Damen und Herren, zu ignorieren, dass Menschen aus Gründen einer Ideologie der Ungleichwertigkeit so abgestempelt werden, ist Teil des Problems. Wilhelm Heitmeyer schreibt bereits 2005 zum gesellschaftlichen Umgang mit schwachen Gruppen, ich zitiere:
„Eine andere Variante besteht darin, die Situation schwacher Gruppen gar nicht erst zu thematisieren“
ich fände es gar nicht so schlecht, wenn Sie zuhören würden, was wir von diesem einen Wissenschaftler zitieren, Herr Voigt, das schadet Ihnen nicht.
Er schreibt also: „Eine andere Variante besteht darin, die Situation schwacher Gruppen gar nicht erst zu thematisieren,“ – so wie Sie das mit Ihrem Änderungsantrag machen – „sie also aus der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion auszuschließen, zu vergessen, mithin sie nicht anzuerkennen, um nicht über Verbesserung ihrer Lage nachdenken zu müssen.“
In einem Vorschlagspapier Ihrer Fraktion, das ich gestern gesehen habe, heißt es, der Begriff der Feindlichkeit sei zu unbestimmt. Darauf kann ich nur erwidern, wie Anetta Kahane kurz und bündig die Auswirkungen beschreibt, nämlich: „Feindlichkeit schafft Feindlichkeit“,
Ich will abschließend nochmals versuchen, Ihnen das Konzept begreifbar zu machen mit einer kurzen Definition des Begriffs durch Wilhelm Heitmeyer, die ich sehr einleuchtend finde und die Ihren Versuch,
den Auftrag der Enquete-Kommission auf die individuelle Ebene zu ziehen, ad absurdum führt. Herr Heitmeyer schreibt: „Menschenfeindlichkeit zielt nicht auf ein Feindschaftsverhältnis zu einzelnen Personen, sondern bezieht sich auf Gruppen. Werden Personen aufgrund ihrer gewählten oder zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit als ungleichwertig markiert und feindseligen Mentalitäten der Abwertung und Ausgrenzung ausgesetzt, dann sprechen wir von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Hierdurch wird die Würde der betroffenen Menschen antastbar und kann zerstört werden.“
Das Problem, meine Damen und Herren, heißt Rassismus. Die Enquete-Kommission muss versuchen, präventive Konzepte und Handlungsoptionen zu entwickeln, die dieses Problem eindämmen. Das ist der uns durch den Untersuchungsausschuss beschriebene Auftrag. Das ist die uns in Verantwortung gegenüber den Opfern des NSU und ihren Angehörigen obliegende Pflicht, meine Damen und Herren. Das ist die vor uns liegende Aufgabe. Wir von der Linken sind bereit, sie anzugehen. Ich möchte Sie, meine Damen und Herren der CDU,
Herr Tischner, noch einmal einladen, diese Aufgabe gemeinsam mit uns zu stemmen. Vielen herzlichen Dank.
Gibt es weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten? Herr Emde? Oder Herr Hoff, wollen Sie sofort sprechen?
(Zuruf Prof. Dr. Hoff, Minister für Kultur, Bun- des- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Nein, ich warte!)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sitze hier die ganze Zeit und überlege mir: Was ist das eigentlich für eine Debatte?
Wir hatten in diesem Landtag schon verschiedene Enquete-Kommissionen und haben uns eben einfach daran orientiert, dass wir gesagt haben: zu bedeutenden gesellschaftsrelevanten Themen. Das haben wir dann eben alle gemeinsam so erkannt, dass es bedeutend ist, und haben eine EnqueteKommission mit einem entsprechenden Untersuchungsauftrag eingesetzt. Und das soll doch auch das Ziel sein. Jetzt wissen wir schon seit zwei Jahren, dass Rot-Rot-Grün vorhat, so eine EnqueteKommission ins Leben zu rufen. Da hätte ich schon erwartet, dass man sich mit den Fraktionen in diesem Hause dazu längerfristig mal austauscht.
Aber was passiert? Wir erfahren aus einer Drucksache mit Datum vom 30.11., dass man heute diese Enquete-Kommission auf den Weg bringen will. Was macht meine Fraktion – ich meine, man hat ja auch noch mehr zu tun, es läuft die Landtagssitzung –: Wir suchen das Gespräch, um einen Kompromiss zu erzielen, wie dieser Untersuchungsauftrag und die Überschrift lauten könnten.
Meine Damen und Herren, wenn man wirklich einen breiten politischen Konsens in diesen Fragen haben möchte, dann muss es doch wohl so sein, dass man zunächst einmal zuhört, dass man Argumente abwägt, dass man Konsens sucht – und zwar jenseits von aktuellen politischen Mehrheiten.
Herr Emde, erinnern Sie sich daran, dass auch Ihre Fraktion in der letzten Legislatur im Rahmen der Abstimmung zum NSU-Abschlussbericht der Einsetzung dieser Enquete-Kommission bereits zugestimmt hat?
Frau Lehmann, genau darum geht es doch, dass man sich gemeinsam auf den Titel und den Arbeitsauftrag verständigt.
Es war ja wohl lange genug Zeit, nicht nur eine Woche mitten im größten Arbeitsgetümmel. Ich will damit sagen: Wenn man den Konsens in den Fragen, über die wir hier reden, wirklich will, dann soll er langfristig tragfähig sein. Dann muss man den Konsens eben jenseits aktueller politischer Mehrheiten suchen. Schauen Sie mal, in den aktuellen Umfragen hat selbst Ihre Regierung keine Mehrheit mehr.
Wenn Sie das Thema wirklich nach vorn bewegen wollen, dann brauchen Sie doch mindestens die Union dazu – vielleicht auch noch andere. Deswegen kann ich nur noch einmal appellieren, dass wir uns zurückziehen und noch mal in ein oder zwei Ausschüsse gehen. Herr Tischner hatte den Bildungsausschuss genannt, es kann auch der Innenausschuss sein. Lassen Sie uns gemeinsam danach suchen!