Protokoll der Sitzung vom 05.05.2017

und zwar nicht von oben verordnet oder vorgegeben, sondern dort, wo Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer das vor Ort wünschen. Und wir können eben mitnichten bislang von einem flächendeckenden Angebot sprechen. Es gibt Landkreise, wie das schöne Eichsfeld, wo es heute keine einzige Gemeinschaftsschule gibt. Und dass wir als rot-rotgrüne Koalition dazu die gesetzlichen Regelungen, die sich in den zurückliegenden Jahren als hemmend bei der Errichtung von Gemeinschaftsschulen herausgestellt haben, anpassen wollen, steht ebenfalls im Koalitionsvertrag, auch daran arbeitet das Ministerium. Auch die nächste Frage, welche Mindestgröße für einzelne Schulformen – Sie haben hier ja gerade orakelt, wie viele Schulen angeblich geschlossen würden – aus Sicht der Landesregierung zukunftsfest sind, ist zunächst Beratungsgegenstand der Expertenkommission. Das Ministerium wird sicherlich Schlüsse daraus ziehen und auch wir müssen diese dann hier als Abgeordnete beraten. Ich will allerdings darauf hinweisen, dass Thüringen das einzige Bundesland ist, welches nur eine unverbindliche Empfehlung zu Schulmindestgrößen hat und gleichzeitig einen im Ländervergleich hohen Personaleinsatz aufweist. Das wird uns immer wieder vorgehalten. Auch wir stehen für den Grundsatz „Kurze Wege für kurze Beine“, aber trotzdem muss man sich auch klarmachen, dass die Qualität einer Schule davon abhängt, dass auch eine Mindestanzahl von Schülerinnern und Schülern da ist, damit zum Beispiel ein Kursangebot gemacht werden kann oder auch entsprechend viele Fachlehrerinnen und Fachlehrer zum Einsatz kommen. Daher ist es nur folgerichtig, angesichts langfristig zurückgehender Schülerinnenzahlen darüber nachzudenken, wie wir das Schulwesen so aufstellen können, dass wir überall im Freistaat gute Bildung für alle hier lebenden Menschen garantieren können – für alle hier lebenden Menschen, auch das unterscheidet uns übrigens elementar von der AfD-Fraktion.

Was wäre natürlich ein AfD-Antrag ohne eine gehörige Portion – ich nenne es mal – Verschwörungstheorie. So geht es der Fraktion zufolge offenkundig Rot-Rot-Grün darum, unliebsame Schularten gezielt zu schwächen. Das ist natürlich völliger Blödsinn. Auch die vermeintlich unliebsame Schulart wird zugleich mitgeliefert. So wird uns nämlich unterstellt, dass wir als Koalition die Förderschulen schließen wollen. Auch diese Behauptung geht vollkommen an der Realität vorbei, weil dies nie im Gespräch war, diskutiert wurde. Ganz im Gegenteil.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Na klar!)

Wir beraten eben nicht über eine Abschaffung von Förderschulen, sondern darüber, was nämlich die

letzte Koalition nicht geschafft hat, ob und inwieweit sich bestimmte Förderschularten beispielsweise zu regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren oder aber auch zu inklusiven Schulen weiterentwickeln können, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Das wollen im Übrigen ganz viele Förderzentren, die bringen bestmögliche Voraussetzungen mit, die haben das personelle Know-how, die haben die entsprechenden räumlichen und sächlichen Voraussetzungen.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Verteidi- gen Sie die freie Trägerschaft?)

Das haben wir schon vielfach vorgestellt. Das Bildungsministerium hat seine Eckpunkte und Überlegungen mit dem Inklusionsbeirat und allen relevanten Akteurinnen und Akteuren im Land intensiv beraten und hat nun ausgehend von diesen Beratungen ein Strategiepapier zur weiteren inklusionspolitischen Entwicklung vorgelegt. An diesem Vorgehen ist aus unserer Sicht jedenfalls nichts auszusetzen. Sicherlich lässt sich immer auch über Details der gemachten Vorschläge streiten, aber auf Details des Strategiepapiers geht der oberflächlich bleibende Antrag von Ihnen ja überhaupt nicht ein. Dann müsste sich die antragstellende Fraktion nämlich auch mit den dort aufgeführten Argumenten inhaltlich auseinandersetzen, was Sie leider aber überhaupt nicht tun.

Zu Ihren Forderungen: So fordern Sie beispielsweise die Landesregierung auf, das gegliederte Schulsystem in Thüringen zu erhalten und keine Maßnahmen zu ergreifen, einzelne Schularten in ihrem Bestand zu bedrohen. Es ist völlig zu Recht immer wieder auch von uns darauf hingewiesen worden, dass niemand, ich will das ganz deutlich sagen, bestehende Schularten infrage stellt, ganz und gar nicht. Wir wollen, dass sie sichere Entwicklungsperspektiven erhalten. Ich glaube, weitere Ausführungen muss ich hier gar nicht tätigen.

Weiter fordern Sie die Regelschule als „das Herzstück“ des Thüringer Bildungssystems – das war ja Lieblings-CDU-Sprech – zu stärken. Begründet wird dies damit, dass das notwendig sei, um die Lehrstellen in Thüringen wieder zu besetzen. Zudem müsse das Gymnasium wieder seinen ursprünglichen Zweck erfüllen. Offenkundig ist der AfD die Thüringer Übergangsquote an das Gymnasium ein Dorn im Auge. Im Schuljahr 2014/2015 wechselten 43,5 Prozent der Grundschüler der Klasse 4 in die 5. Klassenstufe des Gymnasium und Thüringen bewegt sich hier sehr nahe am Bundesschnitt, der für das Schuljahr 2014/2015 40,5 Prozent beträgt. Dieser Trend ist auch nicht, wie suggeriert werden soll, politisch motiviert, sondern bundesweit gleich, meine sehr geehrten Damen und Herren, und die Über

trittsquoten zum Gymnasium waren in Thüringen auch schon zu CDU-Zeiten hoch und selbst der CSU-regierte Freistaat Bayern hat 38,9 Prozent oder das CDU-regierte Sachsen 42,4 Prozent. Im Übrigen ist der Trend zum Gymnasium, ich nenne es mal so, auch überhaupt nicht neu. Schließlich ist das Gymnasium im Zuge der Bildungsexpansion seit den 90er-Jahren die meistbesuchte Schulform in Deutschland, während die Hauptschule seit den 70er-Jahren ihrem Namen nicht mehr gerecht wurde und zu Recht so in Thüringen ja auch nie eingeführt wurde. Uns geht es auch nicht darum, ein Gegeneinander von Gemeinschafts- und Regelschule oder Regelschule versus Gymnasium zu betätigen. Das Gegenteil ist der Fall. Uns geht es vielmehr um die Anerkennung des Schulwahlverhaltens der Eltern und der Schülerinnen und Schüler sowie der demografischen Entwicklung. Dabei geht es darum, wohnortnah gute Bildung zu garantieren und den Zugang zu allen Bildungsgängen, übrigens auch im ländlichen Raum, zu ermöglichen. Da muss man sich überlegen, wie das gelingen kann. In diesem Kontext – das will ich ganz deutlich sagen – sehen wir die Gemeinschaftsschule mit dem Vorteil des längeren gemeinsamen Lernens als ein sinnvolles Instrument an, zur Standortsicherung und auch zur Aufrechterhaltung von Regelschulstandorten beizutragen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich habe das unlängst aus Erfurt berichtet, wir haben in Hochheim gerade die Debatte. Da werden wir eine Gemeinschaftsschule auf den Weg bringen. Heute werden wir Ihren Antrag also ablehnen. Das verwundert sicherlich nicht.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Antrag ein unsinniges und vor allem auf Mutmaßungen und Unterstellungen basierendes Berichtsersuchen enthält und die Forderungen völlig an der Realität vorbeigehen.

Mein Kollege Herr Wolf von der Linken hat es schon gesagt, uns flatterte dann vor eineinhalb Stunden auch ein sogenannter Alternativantrag der CDU auf den Tisch. Der ist leider nicht wirklich sehr viel besser als der Antrag der AfD, das muss ich sagen. Auch hier wird erst mal das Märchen bedient, wir würden die Förderschulen abschaffen wollen. Dass dem nicht so ist, habe ich ausgeführt. Die Frage der Einschulung und die Reichweite des Elternwillens werden wir im Zuge des inklusiven Schulgesetzes sehr genau mit allen Akteurinnen und Akteuren in Thüringen diskutieren. Dass wir Gemeinschaftsschulen zu einem flächendeckenden Angebot ausbauen, habe ich ebenfalls ausgeführt. Bei der Bezahlung von Gemeinschaftsschullehrkräften geht es auch nicht um eine Bevorzugung, sondern darum, dass die Lehrkräfte, die an einer

Schule gemeinsam tätig sind, auch gleich bezahlt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Daher unterstützen wir das Anliegen, die Lehrkräftebezahlung hier entsprechend anzupassen. Der Alternativantrag will weiter kleine Grundschulen insbesondere im ländlichen Raum erhalten und Regelschulen stärken. Wie bereits erwähnt: Hierzu arbeitet eine Kommission im Auftrag der Landesregierung und wir werden natürlich die Ergebnisse der Kommission abwarten. Allerdings werden wir danach über neue Schulstrukturen in Thüringen nachdenken müssen. Ein Weiter-so-komme-was-wolle hilft jedenfalls nicht, das will ich ganz deutlich sagen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Warum nur für Gymnasien und Spezialgymnasien bei der CDU die Eigenverantwortung ausgebaut werden soll, erschließt sich uns als Bündnis 90/Die Grünen nicht. Wir sind davon überzeugt, dass wir für alle Schulen im Land über geeignete Möglichkeiten nachdenken müssen für mehr Eigenverantwortung.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Deswe- gen habt ihr es ja abgeschafft!)

Wir haben nicht die Eigenverantwortung abgeschafft. Hören Sie doch mal auf mit Ihren Märchen, Herr Tischner!

(Beifall DIE LINKE)

Wir Grüne wollen beispielsweise selbstverständlich ein eigenes Schulbudget. Wir wollen die Personalauswahl vereinfachen. Wir wollen zu flexibleren Instrumenten kommen etc. Die Modernisierung der beruflichen Bildung ist im Übrigen ein kontinuierliches Thema, an der eine Reihe von Akteurinnen und Akteuren – ich nenne nur mal die IHKs, die Wirtschaftsverbände, die Gewerkschaften und selbstverständlich auch das Bildungsministerium – schon lange arbeiten. Warum wir dies dann hier in einem Antrag aufgreifen sollten, erschließt sich mir jedenfalls nicht. Auch wird es im Antrag nicht mal begründet.

Die Aufrechterhaltung der schulartspezifischen Lehrerbildung halten wir Grüne angesichts der zunehmenden pädagogischen Herausforderungen im Sinne von Inklusion und vor allem im Sinne der absehbaren Schulstrukturentwicklung hin zum längeren gemeinsamen Lernen jedenfalls für wenig zielführend.

Im Übrigen haben wir uns im Koalitionsvertrag auch zur schulstufenbezogenen Lehrerausbildung bekannt. Dass Schulen in freier Trägerschaft wichtige Bestandteile der Thüringer Schullandschaft sind, das wissen wir Grüne nun wirklich selbst. Dass wir

diese konsequent stärken, können Sie allein mit einem Blick in den Landeshaushalt erkennen. Dafür bedarf es ebenfalls keines CDU-Antrags. Wir werden diesen deshalb auch ablehnen. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Als Nächster hat Abgeordneter Tischner für die CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Zuschauer am Livestream, fast am Ende einer Debatte kann man so ein bisschen Revue passieren lassen, was wir gerade schon gehört haben. Bei Frau Rothe-Beinlich möchte ich mich bedanken. Wir sind uns zwar nicht einig, das hätte mich gewundert, aber mit Ihnen ist es wenigstens ein Diskutieren auf fachlicher Ebene.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke Ihnen auch für die Feststellung, dass die AfD häufig bei der CDU abschreibt.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, das ist so!)

Bei Herrn Wolf ist es leider ein bisschen anders. Sie sind zwar in Ihrer Fraktion für Lernen und Bildung zuständig, aber das heißt noch lang nicht, dass Sie lernfähig sind,

(Beifall CDU)

denn wie Sie heute wieder hier rumgepöbelt haben, wie Sie heute wieder beleidigt haben, das ist eben nun mal das, was wir von Ihnen erwarten. Nicht umsonst laufen Ihnen deswegen die Leute aus der Koalition weg.

(Beifall CDU)

(Heiterkeit DIE LINKE)

Dann hoffe ich sehr, meine Damen und Herren, dass die Lehrerverbände aufmerksam zuhören, was wir von Herrn Wolf und von Frau Rothe-Beinlich eben gehört haben. Herr Wolf hat einmal mehr Stadt- und Landschulen in seiner Rede gegeneinander ausgespielt. Er hat einmal mehr die kleinen Schulen im ländlichen Raum infrage gestellt. Das zeugt tatsächlich davon, dass Sie aus Ihrem Jena nicht herauskommen, denn Thüringen ist viel mehr als nur Jena. Wir sind stark ländlich geprägt. Reden Sie doch mit Ihren Kollegen auch in Ihrer Fraktion.

(Beifall CDU)

Und, meine Damen und Herren, mit Frau Muhsal ist es einfach nur mühselig. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

(Abg. Rothe-Beinlich)

Meine Damen und Herren, ich möchte meine Rede mit einigen Schlagzeilen aus den letzten zehn Jahren beginnen: Sachsen und Thüringen haben bestes Bildungssystem. Thüringen auf Platz 2 im Bildungsvergleich der Länder. – Es wäre gut, wenn die Landesregierung auch zuhört, dann passt das vielleicht auch so ein bisschen in die Arbeit hinein. – Thüringen belegt in Bildungsstudien erneut Spitzenplatz. Bundesweite Bildungsstudien, Thüringen landet auf 2. Platz –

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Ja, woran liegt das?)

alles Schlagzeilen der letzten Jahre. Und wie lautet die letzte Schlagzeile der IQB-Studie im vergangenen Herbst? Thüringen liefert eine solide Performance. Das heißt übersetzt: Thüringen ist bemüht.

Meine Damen und Herren, genau hier beginnt das Problem. Wir haben es in den vergangenen Jahren als Politik viel zu sehr zugelassen, dass an unserem Schulsystem herumgedoktert wurde. Viel zu sehr wurde das Schulsystem zum Experimentierfeld erziehungswissenschaftlicher Forschungsdiskussionen, wo sich in vielen Ansätzen zeigt, es geht an der Schulpraxis vorbei, es belastet die Schulen und wir müssten besser heute als morgen mit diesen Dingen aufhören.

Meine Damen und Herren, wenn uns die ersten Studien zeigen, Thüringer Schüler bewegen sich zum Mittelmaß, dann muss uns das aufrütteln. Nun möchte ich keine Totenglocken läuten, aber wir alle müssen wenigstens diese Alarmglocken hören und nicht lange zögern, bevor wir zum Löschangriff übergehen.

Was hat das Thüringer Bildungssystem stark gemacht? Meine Fraktion ist fest davon überzeugt – und es ist gut, dass die AfD das auch so sieht –, es war vor allem die Beständigkeit in der Bildungspolitik über Jahrzehnte, es war eine verlässliche Schulstruktur, die vorhanden ist, es gab eine Schulstruktur, die jeden einzelnen Schüler nach seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten fördert, es gab und gibt Lehrerinnen und Lehrer, die in ihrer Profession so qualifiziert waren und sind, dass sie dem Schüler und dem Bildungsgang entsprechend fördern und fördern können und konnten, und es wurde eine Durchlässigkeit des Bildungssystems entwickelt, die von der Förderschule über die Regelschule bis zum beruflichen Gymnasium den Kindern gerecht werden kann. In diesem Sinne ist es das völlig falsche Signal, meine Damen und Herren, zentralistische Schuldebatten zu befördern, Einheitsschulsysteme in Stadt und Land durchzudrücken und die Lehrerausbildung in Thüringen durch Gedankenspiele um die Einheitslehrer weiter zu schwächen. Ebenso untragbar ist die vom neuen Duo infernale im Bildungsministerium beschriebene Bevorzugung der Gemeinschaftsschule. Ich zitiere: Die angedachten Zulagen für Lehrerinnen und Lehrer an Ge

meinschaftsschulen sind das völlig falsche Signal für viele, viele Kollegen beispielsweise an den Regelschulen. Wer in Briefen solche Botschaften an die Lehrerschaft verkündet, Frau Staatssekretärin, der braucht sich nicht zu wundern, wenn die Unzufriedenheit bei den Kolleginnen und Kollegen im Land massiv wächst. Hören Sie auf mit diesen Planspielen, stabilisieren Sie unser noch erfolgreiches Schulsystem und lassen Sie den Einheitsbrei, er ist wider die Vernunft und er ist wider die Natur der Menschen. Wer Gleichheit überzieht, wird ganz schnell zu Unfreiheit kommen.

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Sie müssen sich nicht beklagen!)