Protokoll der Sitzung vom 31.05.2017

(Abg. Kellner)

daraus erwuchs Protest. Da kann man sagen: berechtigterweise Protest. Es gab schon seit Mitte der 2000er-Jahre Versuche – man kann sagen, verschiedener Landesregierungen, verschiedener Couleur und Zusammensetzungen –, diese Ungerechtigkeiten zumindest anzugehen oder vielleicht sogar zu beseitigen. Die Erkenntnis, die wir heute haben, ist: Sie lassen sich leider nicht mehr beseitigen. In der letzten Legislatur, die Kollegen der CDU-Fraktion werden sich sicherlich noch daran erinnern, sind wir das Thema auch angegangen. Einen Schritt habe ich vergessen, der ist ganz wichtig, das ist die Rechtsprechungsrealität, die uns dann ereilt hat. Es gab dann Gerichtsurteile, die haben den winzigen Faden der Hoffnung, der in dem damaligen Gesetz formuliert war, nämlich, die Gemeinden sollen Beiträge erheben, zu einem Ermessen konstruiert, das nach damaliger vermeintlicher Rechtsauffassung auch praktiziert wurde. Die Gerichte haben spätestens mit dem Urteil von 2006 – meine ich, wäre es gewesen –, dem sogenannten Benshäuser Urteil, das „sollen“ in ein „müssen“ verwandelt. So war dieser Ermessensspielraum schlicht und ergreifend nicht mehr vorhanden. Aus dieser Tatsache heraus gab es Bestrebungen und resultierend daraus war natürlich die kommunale Praxis in der Realität, dass jetzt all die Kommunen, die bisher noch keine Beiträge erhoben hatten, aber in ihre Straßen investiert hatten, sozusagen im Nachgang diese Beiträge aus Gründen – das sage ich mit vollem Fug und Recht – der Gerechtigkeit hätten erheben müssen. Da gab es an dieser Stelle noch mehr Proteste. Wir haben uns in der letzten Legislatur in der CDU-SPD-Landesregierung und Koalition wirklich über viele Monate, denke ich, vielleicht sogar mehr als ein Jahr Gedanken gemacht, wie man diesem Problem in irgendeiner Weise beikommen könnte. Auch damals ist schon die Idee der rückwirkenden Beitragsbegrenzung in Form einer Stichtagsregelung geboren worden. Das ist kein neues Kind, was da in dem Gesetzentwurf der jetzigen Koalition vor einigen Monaten aufgeschrieben worden ist. Schon damals waren es nicht zuletzt auch handfeste, man kann sagen relevante juristische Gründe, am Ende sogar verfassungsrechtliche Gründe, die die damalige Koalition davon abgehalten haben, eine solche Regelung ins Kommunalabgabengesetz einzubauen.

Wir haben uns jetzt in dieser Legislatur, weil es auch Verpflichtungen aus einigen Formulierungen des Koalitionsvertrags gibt, des nach wie vor schwelenden Problems anzunehmen und der nach wie vor schwelenden Ungerechtigkeit zu widmen, die darin besteht, dass die einen zahlen sollen, die anderen nicht. Wir haben diesen Versuch gemeinsam mit der Landesregierung gestartet. Ich sage jetzt ganz deutlich und ganz bewusst: Natürlich gab es auch im Vorfeld bei der Entstehung dieses Gesetzentwurfs in der ursprünglichen Fassung Bedenken. Wir haben aber diesen Versuch gewagt. Wir

haben es gewagt. Die Anhörung hat jetzt – das hat Kollege Kellner richtigerweise beschrieben – das Ergebnis gezeitigt, dass es – da muss ich jetzt sagen, aus meiner Sicht, weil ich die Vorgänge von damals noch kenne – nach wie vor die gleichen juristischen und verfassungsrechtlichen Bedenken gibt. Wie damals haben wir in der Koalition gesagt, dass wir diesen Teil des Gesetzentwurfs verwerfen und von einer rückwirkenden Stichtagsregelung absehen. Die zweite Anhörung hat gezeigt, dass sämtliche Anzuhörenden genau diesen Schritt nicht nur begrüßen, einige haben sich sogar gefreut – bis auf die Bürgerinitiative, Kollege Kuschel.

(Beifall DIE LINKE)

Alle anderen haben sich gefreut, dass wir diesen Schritt nicht gemacht haben. Wir haben aber einen weiteren Schritt getan. Jetzt betreten wir Neuland, meine Damen und Herren. Wir haben uns nicht nur Gedanken gemacht, wie man das Problem in der Vergangenheit lösen kann – es lässt sich juristisch nicht sauber lösen, es würde neue Ungerechtigkeiten erzeugen, das ist auch klar und es war ein Abwägungsprozess, den wir da vorgenommen haben. Jetzt gehen wir den Schritt in die Zukunft und sagen, bis zu dem Zeitraum – jetzt muss ich überlegen, damit ich nichts Falsches sage – 2021 müssten zumindest der Theorie nach alle Kommunen einen Beitrag erhoben haben, jedenfalls die, die in ihre Straßen investiert haben und das sind eigentlich so gut wie alle. Wenn man diesen Schritt annimmt oder zugrunde legt, dann kann man sagen, dann lasst uns eine neue Regelung für die Zukunft ins Auge fassen, die, grob formuliert, so funktioniert, dass wir es den Kommunen in das eigene Ermessen, wenn man so will in das Ermessen der kommunalen Selbstverwaltung stellen, dann Beiträge für Straßeninvestitionen nicht zu erheben, wenn es ihre haushalterische Situation erlaubt. Das kann man als politischen Gedanken aus meiner Sicht legitimerweise tun und ins Auge fassen. Natürlich müssen wir uns auch da ehrlich in die Augen schauen und sagen: Auch das kann dazu führen, dass neue Ungerechtigkeiten möglicherweise auf den Plan kommen. Die Chance aber ist – und das ist der Unterschied zu früheren Regelungen an der Stelle –, dass es wirklich im Ermessen oder in der Entscheidungskraft der jeweiligen Kommune – wenn man so will: der kommunalen Familie – liegt, ob das geschieht.

Die Gefahr – was in der Anhörung von einigen Anzuhörenden aufgeworfen wurde –, dass eine solche Gesetzesänderung, durch die etwas in die Entscheidungshoheit einer Gemeinde gestellt wird, wenn es um Belastungen für Bürger geht, natürlich auch in durchaus populistischer Weise bei kommunalen Wahlkämpfen ins Feld geführt werden kann, die kann man an dieser Stelle, glaube ich, nicht ganz außer Acht lassen. Ich will das auch gar nicht tun, aber es liegt eben an den Bürgerinnen und

Bürgern und an den gewählten Vertretern in den Kommunen selbst, ihre Verantwortung wahrzunehmen, einen solchen Schritt zu gehen, und wenn sie ihn gehen, dann im Einklang mit ihren Bürgerinnen und Bürgern. Das ist die Voraussetzung dafür.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen, auch wenn ich anfangs – und da mache ich aus meinem Herzen gar keine Mördergrube – mit mäßiger Begeisterung einer solchen Änderung nahegetreten bin, sage ich aus der heutigen Sicht: Ein solcher Schritt ist mutig. Und, meine Damen und Herren von der Opposition, diesen Mut gebührt es eigentlich an der Stelle mal zu unterstützen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich werbe ausdrücklich dafür, diesem Teil des Gesetzes zuzustimmen. Und ich werbe auch dafür, einem zweiten Teil, nämlich dem, was unter TOP 2 a hier subsumiert ist, zuzustimmen – da sind wir beim Thema „Kurbeitrag“ oder „Änderung des § 9 Thüringer Kommunalabgabengesetzes“.

Es war ursprünglich – das müssen wir hier noch mal sagen, Kollege Kellner hat es, glaube ich, vorhin auch berechtigterweise getan – eine Initiative der CDU-Fraktion, dieses Thema aufzunehmen mit einer Änderung des § 9 im Thüringer Kommunalabgabengesetz, um die Möglichkeit zu schaffen, Einnahmen aus Kurbeiträgen für den Öffentlichen Personennahverkehr zu verwenden. Wir haben dieses Anliegen damals nicht deshalb abgelehnt, weil wir den Vorschlag für falsch hielten, sondern weil zunächst ein milderes Mittel als eine Gesetzesänderung zur Anwendung kommen sollte, was uns geboten erschien. Es gab nämlich auch die Rechtsauffassung – die gibt es nach wie vor –, dass die jetzige Gesetzesregelung dies auch schon ermöglicht. Einige Kommunen in Thüringen haben das auch in ihrer kommunalen Praxis gezeigt, dass es möglich ist. Dazu gab es ein klarstellendes Rundschreiben des Thüringer Innenministeriums, um eben diese Praxis bei allen Kommunen zur Kenntnis zu geben und auch letztendlich durchzusetzen. Das hat aber – das müssen wir uns eingestehen – nicht bei allen so in der Weise gefruchtet. Es gab nach wie vor Fragen und es gab nach wie vor Unsicherheiten bei der Anwendung dieses Paragrafen.

Jetzt spielt in den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen ein weiterer Aspekt – und den bitte ich bei der ganzen Debatte nicht außer Acht zu lassen – mit hinein, und zwar die neue Tourismuskonzeption, speziell auch für den Thüringer Wald, die vom Thüringer Wirtschaftsministerium auf den Weg gebracht worden ist. Dort geht es sozusagen um ein ganzheitliches Modell touristischer Vermarktung. Natürlich braucht man, um Tourismus zu vermarkten, auch die entsprechenden finanziellen Ressourcen. Vor allen Dingen die Kommunen brauchen die

se Ressourcen. Und dem Beispiel anderer Länder folgend eine Tourismusabgabe unter dem bisherigen Begriff, Entschuldigung, wenn ich das so etwas mit einer süffisanten Nebenbemerkung hier aufgreife, Fremdenverkehrsbeitrag – ich weiß, das war die Formulierung auch aus früheren Zeiten, da war es nicht der Tourismus, da war es der Fremdenverkehr – kann man alles Mögliche verstehen.

(Beifall DIE LINKE)

Natürlich haben wir das Interesse, dass Fremde, die zu uns kommen, auch Verkehr haben. Wie auch immer, das war damit nicht gemeint. Einen Tourismusbeitrag einzuführen war jedenfalls die erklärte Absicht, um eben auch Investitionen der Kommunen in ihre ganz kleinteilige touristische Infrastruktur – nicht ausschließlich damit, aber immerhin – anzuschieben und zu ermöglichen. Deshalb haben wir diese Idee der Verwendungsbreite des ursprünglichen Kurbeitrags erweitert auf einen allgemeinen Tourismusbeitrag, der wieder im Ermessen der Kommunen liegt. Ob dieser Beitrag von den Gewerbetreibenden in einer Kommune erhoben wird, liegt einzig und allein in der Entscheidungshoheit des jeweiligen Stadtoder Gemeinderats. Wenn er erhoben wird, ist ganz klar vorgegeben, für welche Zwecke er zu verwenden ist, nämlich für die touristische Infrastruktur. Es ist auch ausgeschlossen in unserem Gesetzentwurf, dass diese Einnahmen beispielsweise, wenn die Kommune – ob nun verschuldet oder unverschuldet – in Haushaltsnotlagen oder in die berühmt-berüchtigte Haushaltssicherung hineinrutscht, dass diese Einnahmen sozusagen auf ihre allgemeinen Einnahmen angerechnet werden. Das haben wir also auch ausgeschlossen. Diese Sorge gab es nämlich. Wenn ich mir das Ergebnis der Anhörung noch einmal in Erinnerung rufe – ja, der Gemeinde- und Städtebund war gegen die Einführung. Das kann man nicht anders sagen, aber samt und sonders alle anderen mit dem Tourismus mehr oder weniger befassten Institutionen und Anhörungsvertreter – auch aus anderen Bundesländern – haben die Einführung dieses Beitrags befürwortet, sodass wir uns in unserer Absicht an der Stelle bestärkt sehen. Ich bitte noch mal ganz herzlich in alle Fraktionen hinein, dass Sie dazu bereit sind, diesen für die Weiterentwicklung unseres Tourismus in Thüringen aus unserer Sicht sehr notwendigen Schritt mitzugehen. Deswegen bitte ich auch für diesen Teil des Kommunalabgabengesetzes um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Abgeordneter Kuschel, Fraktion Die Linke, das Wort.

(Abg. Höhn)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich werde zum Teil der Straßenausbaubeiträge reden. Mein Kollege Knut Korschewsky wird dann zum zweiten Teil der Tourismusabgabe die Position der Fraktion hier wiedergeben.

(Beifall DIE LINKE)

Heute ist ein guter Tag für Bürgerinnen und Bürger und auch für die Kommunen, weil wir eine Regelung schaffen,

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Deshalb der Schlips!)

die ausgewogen ist und die beruhigend wirken wird und ein Problem einer Lösung nahe bringt, an der die CDU 20 Jahre gescheitert ist. Insofern stimmt es, was Kollege Uwe Höhn hier gesagt hat, es sei ein mutiges Projekt der Koalition. Ich bin überzeugt, dieser Mut lohnt sich. Deshalb also im Namen unserer Fraktion und auch persönlich in meinem eigenen Namen einen besonderen Dank der Landesregierung, die uns in diesem Prozess begleitet hat, sowohl was den Ministerpräsidenten, aber auch den Innen- und Kommunalminister, den Justizminister und die Finanzministerin betrifft. Der besondere Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium für Inneres und Kommunales, die vor großen Herausforderungen standen, um den politischen Willen, den wir dann formuliert haben, auch gemeinsam mit uns umzusetzen. Ich bitte also den hier anwesenden Staatssekretär, das zu übermitteln. Persönlich gilt mein Dank besonders auch Dirk Adams und Uwe Höhn. Wir drei kommunalpolitischen Sprecher standen in der besonderen Verantwortung, dieses Projekt zum jetzigen Stand zu führen. Ich weiß, alle drei mussten wir von unseren grundsätzlichen Positionen abweichen, um diesen Kompromiss zu finden. Das ist beispielhaft gelungen.

(Beifall DIE LINKE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Thamm hat hier berichtet und Herr Kellner hatte das noch mal wiederholt und hat hier die These aufgestellt, in der öffentlichen Anhörung hätte niemand zugestimmt und es hätte hier Vorbehalte gegeben. Das ist nicht ganz korrekt, deshalb will ich es korrekt wiedergeben. Sowohl der Bund der Steuerzahler als auch die Thüringer Bürgerallianz für sozial gerechte Kommunalabgaben haben durchaus Zustimmung signalisiert – die Bürgerallianz als Dachverband der Bürgerinitiativen – mit dem Hinweis, es ist ein weiterer Schritt in Richtung Beitragsabschaffung. Es ist für sie nicht das Ende, aber es ist auch nicht so, dass es völlig verhindert oder völlig negiert wurde. In der zweiten Anhörung hat zudem auch der Verband der Thüringer Wohnungswirtschaft darauf hingewiesen, dass der von

der Koalition gefundene Kompromiss durchaus ein tragbarer ist.

Meine Damen und Herren, zur Richtigstellung: Es wurden Bedenken geäußert, sowohl verfassungsrechtliche Bedenken als auch Bedenken, was den gerechten Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern betrifft. Aber das Äußern von Bedenken heißt nicht, dass ein Gesetzentwurf völlig verworfen wurde. Das ist natürlich immer so, dass gerade in Anhörungen, wenn Chancen und Risiken eines Projekts abgewogen werden, eher auf die Risiken verwiesen wird und Bedenken geäußert werden. Dafür sind die Anhörungen da. Die Koalition von Linke, SPD und Grünen hat beispielhaft bewiesen, dass wir auf dort vorgebrachte Anregungen reagieren und uns damit auseinandersetzen, also nicht dogmatisch handeln. Ich habe in zehn Jahren Opposition gerade die CDU anders kennengelernt. Dort wurden oftmals Bedenken, die in Anhörungen geäußert wurden, vom Tisch gewischt.

(Beifall DIE LINKE)

Damit wurde auch in großem Maße der Sachverstand der Anzuhörenden missachtet. Wir wählen einen anderen Ansatz und stellen uns dort gern der Kritik, wenn dort darauf verwiesen wird, dass wir angeblich Vorschläge machen, die nicht durchsetzbar gewesen wären.

Auch die rückwirkende Erhebung der Beiträge – also die Begrenzung – wäre lösbar gewesen, aber die Risiken wären sehr hoch gewesen und wir mussten abwägen. In Abwägung dieser Risiken haben wir uns für eine andere Lösung entschieden – die weit über das hinausgeht – als die Begrenzung der rückwirkenden Erhebung.

In dem Zusammenhang darf ich darauf verweisen: Wir müssen abwarten, inwieweit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den nächsten Jahren auch in Thüringen zur Wirkung kommt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich 2013 und im Jahr 2015 zu Fällen in Bayern und Brandenburg mit dieser rückwirkenden Erhebung von Beiträgen auseinandergesetzt. Da ist mir natürlich bekannt, dass die Rechtslage in Thüringen vergleichbar, aber nicht identisch ist. Aber es bleibt abzuwarten. Das ist aber Sache in der Gewaltenteilung, wo wir respektieren müssen, wenn Gerichte uns als Gesetzgeber dann Vorgaben machen. Wir gehen jetzt erst mal davon aus, dass wir eine Lösung gefunden haben, die eine Lösung für das Heute und Morgen darstellt und, wie gesagt, viel weiter geht als die ursprünglich geplante Begrenzung der rückwirkenden Erhebung.

Das möchte ich einfach noch mal durch die Darstellung der Fakten dokumentieren: Ursprünglich hatten wir vorgesehen, für die Gemeinden ein Ermessen für Beitragspflichten zu schaffen, die vor 2006 entstanden sind. Das heißt, nur für den Zeitraum

1991 bis 2006 hätten wir den Kommunen einen Lösungsansatz geboten. Da waren aber die Voraussetzungen für die Gemeinden viel höher, sodass nach unserer überschlägigen Prüfung etwa nur 60 Prozent der Gemeinden von dieser Begrenzung der rückwirkenden Erhebung überhaupt hätten Gebrauch machen können, weil die anderen Bedarfszuweisungen bekommen haben oder nicht leistungsfähig sind. Ab 2007 hätte sich an der jetzigen Rechtslage überhaupt nichts geändert. Da darf ich daran erinnern, dass wir in Thüringen im Vergleich zu den anderen Bundesländern die schärfsten Regelungen zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen haben. Es gibt inzwischen mehrere Bundesländer, die die Beiträge entweder noch nie kannten oder wieder abgeschafft haben. Hamburg und Bremen hatten sie nie im klassischen Sinne, BadenWürttemberg hat sie 1997 abgeschafft, Berlin im Jahr 2012 – übrigens mit den Stimmen der CDU. So vielfältig kann das politische Leben auf Landesebene sein, so vielfältig kann das sein. Weitere Bundesländer haben jetzt eine Regelung, haben schon länger eine Regelung, die wir jetzt übernehmen, nämlich es in das Ermessen der Gemeinden zu stellen, Sachsen seit 2007, nicht durch Handlung des Gesetzgebers, sondern durch Entscheidung des dortigen Oberverwaltungsgerichts. Auch das Saarland hat dieses Ermessen schon seit Jahren in seinem Kommunalabgabengesetz und im vergangenen Jahr hat Niedersachsen das Ermessen für die Gemeinden eingeführt.

Es ist also in allen Bundesländern Dynamik in diesem Prozess und insofern betreten wir nicht gänzlich Neuland, weil andere Bundesländer es schon vorgemacht haben. Für uns hier in Thüringen ist es etwas Neues. Wir stärken deshalb auch die Kommunen, weil die Kommunen jetzt selbst entscheiden können. Die kommunale Seite wird ja nicht müde, immer wieder von uns zu verlangen, dass wir ihnen für ihr Handeln mehr Gestaltungsoptionen geben. Jetzt geben wir ihnen dieses Ermessen und es gibt wieder einzelne Stimmen; ich weiß nicht, ob das, was der Gemeinde- und Städtebund dort wiedergibt, tatsächlich für alle Gemeinden gilt. Ich persönlich habe andere Erfahrungen. Mit mir reden viele Bürgermeister, die sagen: Gebt uns das Ermessen, wir können das vor Ort selbst entscheiden und tragen das dann auch mit unseren Bürgerinnen und Bürgern aus. Die dort geäußerten Bedenken, dass das zu Verwerfungen führt, kann ich nicht teilen, denn kommunale Selbstverwaltung lebt davon, dass Gemeinden selbst entscheiden können. Wenn sie das nicht mehr können, findet keine kommunale Selbstverwaltung mehr statt. Die Gemeinden müssen in vielen Bereichen, wo es um Gebühren und Entgelte, um Abgaben geht, dieses Ermessen ausüben, ohne dass wir dabei feststellen, dass es zu Verwerfungen kommt. Sie müssen die Hebesätze für die Grund- und Gewerbesteuer selbst festsetzen, die Höhe der Friedhofsgebühren, die Eintritts

gelder für die Schwimmbäder, die Benutzungsgebühren für Bibliotheken. All das müssen Gemeinden beschließen und auch vor Ort austragen.

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Natürlich!)

Jetzt wird von der CDU hier was ganz Großes angeführt: Unsere vorgeschlagene Regelung würde zu neuen Ungerechtigkeiten führen. Ich muss noch mal darauf verweisen: Auch einmalige Straßenausbaubeiträge kommen immer wieder, denn nach einem Zeitraum von 20, 25 Jahren müssen Verbesserungen, Erneuerungen durchgeführt werden. Dann stehen die gleichen Grundstückseigentümer vor den gleichen Problemen. Wir sind jetzt in dieser Phase, wo die Investitionen nach 1990 wieder zur Erneuerung anstehen. 125 Gemeinden haben aber die Form der wiederkehrenden Beiträge. Da besteht dieses Problem, was die CDU hier beschreibt, nämlich der Ungleichbehandlung, überhaupt nicht. Insofern müssen wir es differenziert sehen. Unsere Regelung eröffnet Chancen und hat natürlich auch Risiken, das ist doch unbestritten. Wir gehen aber davon aus, dass diese Risiken beherrschbar sind. Das zeigen übrigens die Erfahrungen in den anderen Bundesländern. In Sachsen wurde 2007 dieses Ermessen eingeführt, inzwischen haben das 95 Prozent der Gemeinden in Sachsen in Anspruch genommen, ohne dass dort bekannt ist, dass irgendwelche Verwerfungen auftreten. Sie handeln in eigener Regie. Ich habe hohes Vertrauen in die kommunale Ebene, dass die ganz verantwortungsbewusst mit dieser Sache umgeht. Es wurde hier geäußert, es gäbe Unklarheiten, was die Definition der dauernden Leistungsfähigkeit betrifft.

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Ja!)

Da haben Sie aber auch nur einen Teil vom OVG wiedergegeben. Die dauernde Leistungsfähigkeit ist in der Gemeindehaushaltsverordnung definiert und sie ist seit über 20 Jahren geübte Praxis. Sie ist nämlich Anlage zu jedem Haushalt, ist also Bestandteil jedes Haushaltsplans und kann damit von den Bürgerinnen und Bürgern auch nachvollzogen werden. Sie betrifft eben nicht, wie Herr Kellner hier beschreibt, Wechsel von einem Jahr zum anderen, sondern umfasst immer einen Zeitraum von fünf Jahren, nämlich das abgelaufene Haushaltsjahr, das aktuelle und die drei folgenden. Insofern können die von Ihnen beschriebenen Schwankungen, die möglicherweise auftreten, abgefedert werden, und es ist im Zeitraum von drei Jahren zu betrachten. Also hören Sie auf, hier irgendwelche Ängste zu schüren und Menschen wieder zu verunsichern!

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Ich fordere die Gemeinden auf, diese Chance zu nutzen und im Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen.

Ich bin mir sicher, das machen die Gemeinden auch.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Kellner, auch in einer anderen Frage waren Sie nicht ganz genau. Sie haben auf die Anfragen verwiesen, die ich gestellt habe. 777, ob das stimmt, weiß ich nicht, ich habe es nicht nachgerechnet, denn die Statistik führe ich persönlich nicht, aber das kann man überprüfen, es können mehr gewesen sein.

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Das sind noch mehr gewesen!)

Sie müssen aber dazu sagen, dass die Landesregierung zu den 642 Anfragen in der 4. Legislaturperiode extra ein Rechtsgutachten eingeholt hat. Neun Monate hat sie dafür gebraucht. Prof. Brenner hat festgestellt, durch meine Anfragen wird die Arbeitsfähigkeit der Landesregierung gefährdet. Wenn ich gewusst hätte, dass das so einfach ist, hätte ich mir noch mehr Anfragen einfallen lassen. Das heißt, Ihre Landesregierung hat die Beantwortung der Anfragen verhindert. So gehen Sie mit Parlamentsrechten um. Das macht die jetzige Landesregierung nicht, denn das Fragerecht der Abgeordneten ist ein hohes Gut, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Unruhe CDU)

Ich kann die Enttäuschung einiger verstehen, die auf die Begrenzung dieser rückwirkenden Erhebung gehofft hatten, aber auch die werden von der neuen Regelung profitieren, nämlich bei künftigen Ausbaumaßnahmen. Es war eine Abwägung. Ich persönlich hätte mir auch etwas anderes gewünscht, bin aber trotzdem der Koalition ganz dankbar, dass wir diese Lösung jetzt gefunden haben. Insofern ist es auch ein guter Tag für die Bürgerinnen und Bürger. Ich will mit einem Zitat von John F. Kennedy abschließen: „Irrtümer werden erst dann zum Fehler, wenn man sich weigert, sie zu korrigieren.“ Danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)