Protokoll der Sitzung vom 01.09.2017

Es muss eine Deregulierung mit Augenmaß sein. Forderungen, wie sie der Landesverband der CDUMittelstandsvereinigung in seinem Positionspapier zur Thüringer Wirtschaftspolitik 2014 bis 2019 formuliert, sind mit uns nicht zu machen. Dort wird festgehalten, ich zitiere: „Bei der Deregulierung darf weder auf Verbands- noch auf Einzelinteressen Rücksicht genommen werden. Ausschlaggebendes Kriterium hierfür darf allein der Markt sein.“ Wohin diese ungezügelte Deregulierung zugunsten eines wildgewordenen Marktes führt, haben uns die Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 und ihre Auswirkungen gezeigt. Dass Bürokratieabbau im Einvernehmen mit der Wirtschaft ohne Frage möglich und notwendig ist, belegen die bereits heute existierende Clearingstelle im Thüringer Wirtschaftsministerium und die Verbesserungen für die Thüringer Unternehmen bei der Bürokratieentlastung. Ich möchte an dieser Stelle auszugsweise die Ausweitung der Möglichkeiten bei der elektronischen Übermittlung von Formularen und Dokumenten, die Einführung elektronischer Mahnverfahren und die Schaffung eines gemeinsamen Mahngerichts für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nennen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Thüringen hat wirtschaftlich eine gute Entwicklung zurückgelegt. Wir von der SPD werden diesen Erfolgsweg auch weiterhin mit aller Kraft unterstützen. Dazu gehört auch ein Testleitfaden mit Vorbild des KMUTests, den wir gern gemeinsam mit dem Thüringer Wirtschaftsminister ohne Not und Hast auf den Weg bringen wollen. Vielen Dank.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Das klappt, wenn Sie keine Eile haben!)

Für die Fraktion der AfD hat Abgeordneter Möller das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste und vor allem liebe Kollegen der CDU-Fraktion! Im Ziel sind wir uns ja einig: Belastungen des Mittelstands möchten wir natürlich auch reduzieren. Aber beim Weg zu diesem Ziel gehen unsere Vorstellungen dann doch weit auseinander.

Ihr Antrag, der jetzt auch wieder Gegenstand der Beratung ist, erschöpft sich auf eineinhalb Seiten im Wesentlichen in Phrasen und gibt am Ende als Lösung einen Leitfaden frei, der natürlich auch nur Phrasen beinhaltet. Die sollen dann bei künftigen Rechtssetzungen berücksichtigt werden, beachtet werden. Mal ganz ehrlich, liebe Kollegen: Das kann doch nicht ernsthaft Ihr Beitrag zum Bürokratieabbau sein. Es ist Ihnen doch sicherlich aufgefallen,

dass es schon jede Menge Bürokratie gibt. Da hilft es nicht, in irgendwelchen Leitfäden zu blättern, sondern, meine Damen und Herren, da müssen Sie mit Unternehmern sprechen, Sie müssen Ihre eigenen politischen Zielvorstellungen überdenken und Sie müssen die Regelungen, die dem Bürokratieabbau im Weg sind und die sich sozusagen überholt haben, streichen oder Sie müssen sie vereinfachen.

(Beifall AfD)

Vor allem aber müssen Sie als Teil der etablierten Politik Ihre Affekte gegenüber Unternehmern endlich in den Griff kriegen, denen man offenkundig bis ins Detail misstraut, sonst hätte man ja beispielsweise nicht hier in Deutschland dieses einzigartig komplizierte System an Berichts- und Dokumentationspflichten geschaffen, was auch weltweit seinen Vergleich sucht.

(Beifall AfD)

An der vorhandenen Bürokratie in Deutschland, die Innovation, Fortschritt und Wirtschaftswachstum ausbremst, trägt die CDU – das muss ich leider so sagen – die Hauptverantwortung. Denn die meisten wirtschaftspolitischen Regeln sind normalerweise Bundessache und selbst da, wo es das Landesrecht betrifft, kann ich Sie daran erinnern, liebe Kollegen: Die Verunreinigungen des Thüringer Vergaberechts mit ökosozialistischen vergabefremden Kriterien sind in einer Landesregierung unter der Führung der CDU verabschiedet worden. Meine Damen und Herren, glauben Sie ernsthaft, Sie hätten diesen damals geschaffenen bürokratischen Ballast für Unternehmen unterlassen, wenn Sie einen Leitfaden in der Hand gehabt hätten und darin hätten blättern können? Das denke ich nicht und ich glaube, das glauben Sie auch nicht.

Faktisch ist es bei Ihnen so, dass man fast von so etwas wie einem Bürokratieaufbau- und Bürokratieabbauzyklus sprechen könnte, wenn man sich mal die Forderungen und das politische Tun der CDU anschaut. Vor der Wahl wird mit eineinhalbseitigen Anträgen dem Wähler Bürokratieabbau als politisches Ziel vorgegaukelt. Das ändert sich dann drastisch nach der Wahl, dann geht es ja um erfolgreiche Koalitionsverhandlungen mit der SPD oder gar mit den Grünen, vor allem darum, Verfügungsmasse zu haben, die man notfalls auch über Bord gehen lassen kann. Und was ist das erste, was als Verfügungsmasse in Koalitionsverhandlungen über Bord geht? Richtig, es sind die Ansprüche, die Bürokratie abbauen zu wollen. Dann gibt es eben Zugeständnisse an den roten Koalitionspartner oder in manchen Ländern auch an den grünen Koalitionspartner, dann macht man eben Zugeständnisse bei den Dokumentationspflichten zum Mindestlohn und dann drückt man eben ein Auge zu bei vergabefremden Kriterien im Vergabegesetz.

(Abg. Helmerich)

Meine Damen und Herren, da ist noch lange nicht Schluss. Als streng gläubiger Anhänger der Heilserwartungen durch den angestrebten permanent fortschreitenden europäischen Einigungsprozess sind Sie auch bereit, mit Belehrungs- und Dokumentationspflichten, Zertifizierungspflichten, Beweislastregeln massiv den Mittelstand zu belasten,

(Beifall AfD)

wenn dafür nur der europäische Einigungsprozess gefördert wird. Und wenn das Ganze dann in eine EU-Richtlinie gegossen ist und im Bundestag oder hier im Landtag umgesetzt werden muss, dann zucken Sie mit den Schultern und sagen: Das kommt aus Brüssel, wir müssen es umsetzen. Aber in Brüssel hat man von Ihrem Widerstand leider nichts mitbekommen.

(Beifall AfD)

Auch daran, meine Damen und Herren von der CDU, ändert ein Leitfaden nichts. Jetzt könnten Sie natürlich noch das Argument bringen, dass die CDU unter allen Altparteien immerhin noch am unternehmerfreundlichsten ist. Das stimmt. Das ist so. Aber, meine Damen und Herren, Sie können das nicht ernsthaft den Linken, den Grünen und der SPD vorwerfen, denn bei denen steckt die Unternehmerfeindlichkeit und das Misstrauen gegenüber den Unternehmern sozusagen in den politischen Genen. Dafür können die nichts.

(Beifall AfD)

Sie können allerdings als bürgerliche Kraft – als Vertreter der Unternehmen, als die Sie sich immer gern darstellen – nicht einfach auf die antikapitalistischen Reflexe Ihrer linken Koalitionsgenossen im Bund oder noch weiter links Stehenden in den Ländern verweisen, wenn Sie zum Zweck des Machterhalts insoweit Zugeständnisse machen und damit für den Bürokratieaufwuchs in Deutschland maßgeblich mitverantwortlich sind.

(Beifall AfD)

Um echte Verbesserungen beim Abbau und der Verhinderung von Bürokratie zu schaffen, braucht es mehr als ein paar Seiten gedrucktes Papier. Wir haben davon in dieser Legislaturperiode hier im Thüringer Landtag schon einiges in Anträgen der AfD-Fraktion angesprochen. Wir haben steuerrechtliche Stellschrauben genannt, die zur Entschlackung von Bürokratie führen würden. Da ist teilweise schon was geschehen, aber es reicht bei Weitem nicht. Es wäre wesentlich mehr drin. Insofern muss ich sagen: Wer wirklich Bürokratieabbau betreiben möchte, der reflektiert seine eigenen Fehler. Wer stattdessen Leitfäden zusammenpinseln möchte, der möchte vor allem dem interessierten Wähler nur Aktivität vorgaukeln, wo tatsächlich gar keine ist. Das ist eine Art von Politik, mit der wir von

der AfD uns nicht anfreunden können. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Als nächster Redner hat Abgeordneter Wirkner, Fraktion der CDU, das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten,

(Beifall CDU)

„Belastungen des Mittelstands reduzieren“ – eine Forderung. Ich hätte nicht gedacht, dass man sich so politisch einem Thema widmen kann, um politische Auseinandersetzungen in einem Parlament zu erzwingen. Das Thema ist viel zu wichtig, um es zu lax zu behandeln.

(Beifall CDU)

Zunächst einmal möchte ich Ihnen, Herr Wucherpfennig, recht herzlich danke sagen für den umfassenden Bericht zum Beratungsgegenstand „Belastungen des Mittelstandes reduzieren, KMU-Test in Thüringen einführen“ – kleine mittelständische Unternehmen heißt das Wort, nur für diejenigen, die das nicht so richtig wissen. Wie der Ausschussvorsitzende treffend berichtet hat, warten wir schon seit nunmehr über einem Jahr auf einen Kabinettsbeschluss der Landesregierung zur Einführung eines sogenannten KMU-Tests in Thüringen. Eigentlich sollte dies bereits seit dem 1. August 2016 im Rahmen der Weiterentwicklung des Prüfbogens „Prüffragen für Thüringer Rechtsvorschriften“ in Kraft getreten sein. So wurde uns das zumindest immer in Aussicht gestellt. Ich kann mich noch an eine der letzten Wirtschaftsausschusssitzungen im Jahr 2016 erinnern, als ich den damaligen Staatssekretär Georg Maier gefragt hatte, wann nun dieser Prüfbericht vorliegt. Er hatte uns damals verbindlich zugesagt: spätestens am Jahresende 2016.

(Beifall CDU)

Wir haben heute neun Monate später, wir nähern uns schon dem Jahr 2018 – und die Zusagen sind bis heute nicht eingehalten. Kleine und mittelständische Unternehmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind das Rückgrat unserer Gesellschaft. Gestatten Sie mir, Frau Vorsitzende, dass ich noch mal auf einen Tagesordnungspunkt von vorgestern zurückkomme. Da hat die SPD eine Aktuelle Stunde beantragt zu dem Thema „Durch gezielte Wirtschaftsförderung gleichwertige Lebensverhältnisse auch in strukturschwachen Regionen schaffen“. So weit zunächst, so gut. Wir haben jeder entsprechend seiner Redezeit zu diesem The

(Abg. Möller)

ma referiert, jeder hatte gute Ideen, jeder hat ein anderes Herangehen an diese Vorgehensweise. Allgemein wird wahrscheinlich angenommen, dass Wirtschaftsförderung nur bedeutet, Geld für Investitionen zu geben, finanzielle Spritzen für irgendwelche Neuerungen. Nein, das ist es nicht. Wirtschaftsförderung ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, die alle Ressorts betrifft, alle Ministerien.

Und da fange ich heute mal bei Herrn Holter an, dem neuen Bildungsminister, der für eine zeitgemäße Bildung in unserem Land verantwortlich ist. Da denke ich zum Beispiel an das Bildungsfreistellungsgesetz – da waren Sie noch nicht hier in unserem Landtag,

(Zwischenruf Holter, Minister für Bildung, Ju- gend und Sport: Gutes Gesetz!)

wozu ich dann noch einiges zur Ausführung bringe. Ich habe da eine völlig andere Meinung. Selbst aus Regierungskreisen wurde behauptet: Wir brauchen das gar nicht. Die Realität zeigt, dass es niemand in Anspruch nimmt und trotzdem hat Rot-Rot-Grün das hier in diesem Landtag durchgesetzt.

Dann gibt es das Kindertagesstättengesetz – im Übrigen sind auch Kindergärten weiche Standortfaktoren und immer Einflussfaktor für wirtschaftliche Entwicklung in einer Region.

(Zwischenruf Holter, Minister für Bildung, Ju- gend und Sport: Da stimme ich Ihnen zu!)

Das ist so.

Dann haben wir das Justizministerium: Das sorgt für Rechtssicherheit für mittelständische Unternehmen, so ist zumindest der Anspruch. Dann haben wir ein Ministerium für Arbeit und Soziales, Frau Werner. Ich kann mich noch erinnern, als wir hier über die Sonn- und Feiertagsarbeit diskutiert haben, über die gesetzlichen Regelungen – all das war hier schon mal in der Diskussion. Dann haben wir das Wirtschaftsministerium. Dort gibt es natürlich Investitionsförderung, dort wird auch ein neues Vergabegesetz erarbeitet, was entschlackt, was vereinfacht werden muss – transparent, für jeden verständlich. Dann haben wir das Finanzministerium mit seinen Aufgaben – und da wurde hier gleich zu Beginn unserer Legislaturperiode ein Gesetz gegen unseren Willen verabschiedet, nämlich die Erhöhung der Grunderwerbsteuer. Nur mal als Beispiel: Thüringen verlangt im Durchschnitt der Bundesrepublik die höchste Grunderwerbsteuer.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: So ist es!)

Welche Einflüsse das auf den individuellen Wohnungsbau, auf die Ansiedlung von Betrieben hat, das bleibt abzuwarten. Ich persönlich bin der Meinung, das war damals eine falsche Entscheidung.

(Beifall CDU, AfD)

Dann haben wir noch ein Ministerium für Energie und Umwelt. Wir haben heute die Regierungserklärung von Frau Siegesmund gehört. Natürlich ist Umweltschutz auch ein Wirtschaftsfaktor, ohne Zweifel. Aber wenn ich mir gesetzgeberische Maßnahmen anschaue, was zum Beispiel Energieeffizienzgesetze beim Wohnungsbau betrifft, wo man heute nachweisen muss, dass 30 Prozent der erforderlichen Energie durch erneuerbare Energien oder andere Energieformen generiert werden, was das Bauen wesentlich teurer macht... Wenn wir jahrelang über Ökostrom reden und die Preise immer mehr steigen: Wie wollen wir die Bevölkerung mit auf den Weg dieses ökologischen Umgestaltungsprozesses nehmen?

Und dann kommt noch das Innenministerium, ebenfalls Gesetzgeber.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Nein, nein, die Gesetzgeber sind wir und das bleibt auch so!)

Da denke ich nur an Wirtschaftskriminalität, da denke ich an die Verhinderung von Diebstahlskriminalität.

(Beifall AfD)