Protokoll der Sitzung vom 17.05.2001

Propaganda mag zwar der Regierung eine gewisse Kraft verleihen, sie ist aber nicht von Dauer. Die Menschen durchschauen sehr schnell, dass in Ihrem Programm, Herr Ministerpräsident, nichts Konkretes geregelt ist. Warum ist die Landesregierung eigentlich nicht bereit, sich dem Volk dadurch zu öffnen, dass sie sich für Volksabstimmungen auf Bundesebene einsetzt? Würde sich eine Mehrheit der Bürger für die Osterweiterung aussprechen, so gäbe dies der Regierung auch viel mehr Sicherheit in ihrem politischen Handeln.

Ich glaube aber, dass eine deutliche Mehrheit der Wähler gegen die EU-Erweiterung nicht nur jetzt, sondern auch in den nächsten zehn Jahren stimmen wird. Die angedachten Staaten des Ostens sind noch nicht reif für die EU. Die Unterschiede auf allen Gebieten sind viel zu groß und vor allem wird eine Bevölkerungswanderung nie gekannten Ausmaßes in Richtung Westen einsetzen. Die mitteldeutschen Länder sind hierfür das beste Beispiel. Über eine Million Menschen sind bereits nach Westdeutschland abgewandert, obwohl in den letzten zehn Jahren gigantische Investitionen getätigt wurden. Wenn Polen, die Tschechen, die Ukraine, Ungarn, Weißrussland, Kroatien, Rumänien, Bulgarien und die baltischen Staaten der Europäischen Union beitreten, dann werden wir in Deutschland den größten Massenansturm aus dem Osten erleben.

Nach einer kürzlich veröffentlichten IFO-Studie ist mit einer Zuwanderung von vier bis sechs Millionen Osteuropäern nach Deutschland zu rechnen. Die Internationale Organisation für Migration, eine Abteilung der UNO, erwartet gar, dass zwölf Millionen Zuwanderer nach Deutschland kommen.

Aber allein der Beitritt Polens ist weder für Deutschland noch für Polen in den nächsten Jahren zu verkraften. Nach der UNO

Studie wollen nach einem EU-Beitritt 15 % der Polen als Einwanderer und 35 % als Gastarbeiter nach Deutschland gehen.

Die Probleme der Massenzuwanderung werden in Ihrem Programm, Herr Ministerpräsident, überhaupt nicht angesprochen. Schemenhaft deuten Sie die Wettbewerbsfähigkeit und die Probleme auf dem Arbeitsmarkt an. Sie nennen keine Lösungsvorschläge, setzen stattdessen wieder auf Propaganda. Die Menschen sollen dahin gehend sensibilisiert werden, dass in den nächsten drei bis fünf Jahren der Beitritt mittel- und osteuropäischer Staaten erfolgen wird. Wir finden aber weder in Brandenburg noch in Deutschland eine Mehrheit für diese absurden Pläne. Deshalb scheuen Sie auch wie bei der Einführung des Euro die Volksabstimmung. Sie setzen auf die Arbeitsgemeinschaft deutsch-polnischer Chefredakteure, damit die Berieselung mit Propaganda von den Chefetagen der Medien im Sinne der Regierung erfolgt.

(Beifall bei der DVU)

Die EU-Erweiterung bedeutet auch eine unzumutbare finanzielle Belastung der Deutschen. Wir haben jahrzehntelang die EUTöpfe finanziert, insbesondere zum Wohle Südeuropas. Jetzt ist das Maß voll. Deutschland ist nicht das Sozialamt für Osteuropa. Wirtschaftshilfen für Ostpreußen können übrigens bilateral vereinbart werden.

(Aufhören! bei der CDU)

Hierzu bedarf es nicht des Beitritts zahlreicher osteuropäischer Staaten. Es mag sein, dass der eine oder andere Staat das wirtschaftliche Gefälle zur jetzigen EU in den nächsten zehn oder fünfzehn Jahren abbauen wird. Aber dann ist immer noch genug Zeit, um über den Beitritt zu verhandeln...

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluss Ihres Beitrages!

... wenn gewährleistet ist, dass die Zuwanderung aus dem Osten nach Deutschland unterbleibt. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort geht an die CDU-Fraktion. Herr Abgeordneter Habermann, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin jetzt eigentlich geneigt, mich mit dem Beitrag von Herrn Firneburg auseinander zu setzen, aber ich werde mir das ersparen, denn ich glaube, das lohnt sich nicht, zumal ja auch eine Menge Halbwahrheiten verkündet worden sind, die einer exakten Überprüfung natürlich nicht standhalten können.

(Homeyer [CDU]: So ist es!)

Einen Redebeitrag zu Europa unter das Motto „Deutschland, Deutschland über alles” zu stellen, das halte ich ohnehin für völlig unzutreffend.

(Beifall bei CDU, SPD und PDS)

Meine Damen und Herren! Es ist ohnehin ein gutes Zeichen, dass wir uns am Ende der Europawoche hier im Landtag mit einem europapolitischen Thema beschäftigen. Ich finde das gut, gleichzeitig quasi als Abrundung dieser Aktionswoche für eine gute Sache.

Durch meine Vorredner ist ja eigentlich schon genügend gesagt worden, sodass ich mich nur auf wenige Aspekte beschränke und diese hier etwas vertiefen möchte.

Ich teile zum Ersten die Formulierung der fünf vorrangigen Ziele der Europapolitik des Landes Brandenburg. Das ergibt sich zum einen aus der Notwendigkeit, die wir als Mitglied der Europäischen Union vor allen Dingen im Hinblick auf die Erweiterungsprozesse der EU zu realisieren haben, und zum anderen aus der gegenwärtig in der Bevölkerung vorherrschenden Diskussionslage.

Die von der Landesregierung formulierten fünf vorrangigen Ziele sind nach meiner Meinung nicht nur inhaltlich zu betrachten, sondern auch in der Wahl der Reihenfolge. Ich begrüße es außerordentlich, dass als erster Punkt genannt wird, dass das Europa im Bewusstsein der Brandenburger zu stärken wäre.

(Beifall bei der CDU)

Wir wissen ja alle, dass die europäischen Problemstellungen, vor allen Dingen die Erweiterung der Europäischen Union, nun nicht auf 100%ige Zustimmung in der Bevölkerung treffen. Das stimmt. Aber gerade deswegen ist es notwendig, zu informieren und aufzuklären. Die Europäische Union kann insgesamt nur erfolgreich sein, wenn sie auch von der Bevölkerung akzeptiert, das heißt angenommen wird. Und eine solche Akzeptanz setzt nun einmal Wissen voraus, Wissen über die Vor- und Nachteile, Wissen über die Chancen und Risiken.

Das heißt für mich, dass dieser Diskussions- und Aufklärungsprozess von einem hohen Grad an Wahrhaftigkeit geprägt sein muss, denn es wäre äußerst fatal, nur die Chancen herauszustellen und die Risiken klein zu halten, denn man verlöre dann zwangsläufig an Glaubwürdigkeit.

Zum Zweiten wäre die Mitgestaltung des Erweiterungsprozesses besonders hervorzuheben.

Die für die Wirtschaft maßgeblichen positiven Gründe für die EU-Erweiterung sind einleuchtend. Das heißt also, dass Brandenburg aus einer Randlage der Europäischen Union in eine Mittellage kommt, dass viele Transferleistungen über unser Land in den Osten Europas gehen werden, dass die EU-Außengrenze mit der Ballung von grenzüberschreitenden Straftaten verlagert wird, dass die Länder Osteuropas, die der EU beitreten, einen immensen Investitionsbedarf haben und den sicherlich auch zu einem Teil über Unternehmen des Landes Brandenburg abdecken werden. Das alles spricht für den Bereich der Chancen dieses Erweiterungsprozesses.

Frau Stobrawa, erlauben Sie mir noch einen Einschub. Das ist auch quasi eine Antwort auf Ihre Befürchtung in puncto hohe Arbeitslosigkeit in den Grenzregionen. Wenn Sie jetzt die Probleme des Strukturwandels im Osten in den gleichen Kontext mit der EU-Erweiterung bringen wollen, dann schüren Sie unnötige Ängste. Ich sehe das in der Umkehrung als eine Chance, diesen Strukturwandel in diesen Bereichen sogar eher zu bewältigen, nicht so, wie Sie es dargestellt haben in puncto Befürchtung.

Natürlich gibt es aber auch Risiken, und die sollen durchaus nicht verschwiegen werden und müssen genau so offen diskutiert werden wie die Chancen der Erweiterung. Für viele ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Freizügigkeit im Dienstleistungsbereich ein Bedrohungspotenzial. Aber sehen wir doch einmal die Sache aus einem anderen Blickwinkel! Wenn es uns - Europäische Union und Beitrittsländer - im Verlaufe der nächsten Jahre gelingt, die Umweltinfrastruktur in den Beitrittsländern enorm zu verbessern, also bei der Wasser-, bei der Abwasser-, bei der Müllentsorgung, im Bereich der Luftverschmutzung und Ähnlichem, dann baut sich auch automatisch das Ungleichgewicht im Wettbewerb ab. Das muss man sehen.

Oder wenn es gelingt, unsere Standards in Bezug auf den Arbeits- und Umweltschutz oder die Sozialpolitik in den Nachbarregionen einzuführen bzw. deren Standards den unseren anzugleichen, dann sind auch im Bereich der Beschäftigung die Differenzen zum Arbeitsmarkt in Polen oder Tschechien beispielsweise nicht mehr so groß wie jetzt. Es ist damit durchaus vorstellbar, dass man nicht unbedingt auf Übergangsfristen verzichten kann, aber dass man sie wesentlich verkürzen kann. Das wäre politisch sicherlich für alle Beteiligten ein Positivum.

Das europäische Programm der brandenburgischen Landesregierung - auf die anderen Schwerpunkte möchte ich nicht eingehen halte ich für eine wichtige und notwendige Dokumentation. Ursprünglich wollte ich allerdings noch kritisch vermerken, dass ich mir zur Kontrollfähigkeit dieses Programmes, Herr Minister, gewünscht hätte, dass dieses noch etwas stärker untergliedert und in Einzelmaßnahmen aufgeteilt worden wäre. Ich muss diesen Wunsch jedoch relativieren, denn wenn ich nur an die schnelle Entwicklung der letzten Zeit denke, auch im Hinblick auf das Aktionsprogramm der EU zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit, die derzeitigen Finanzierungsschwierigkeiten bei diesem Programm und damit die Umsetzungsmöglichkeiten dieses Programms in die praktische Nutzung - genau das wäre das Beispiel gewesen -, dann ist es vielleicht doch klüger, wie in diesem Programm ausgeführt, komplexe Aufgaben zu formulieren, die dann auch in diesen Komplexen nachgefragt werden können.

Alles in allem ist es gut, wenn Landesregierung und wir davon überzeugt sind, dass wir in der Europapolitik im Prozess der EU-Osterweiterung aktiv sein müssen, um dieses größte Vorhaben - ich bezeichne es wirklich als das größte Vorhaben nach der deutschen Wiedervereinigung - auch zu einem Erfolg bringen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort geht noch einmal an die Landesregierung. Herr Mi

nister Schelter hat noch dreieinhalb Minuten, die er gern nutzen möchte. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich bei Ihnen, Herr Lenz, herzlich bedanken für eine Reihe wertvoller Anregungen, bei Ihnen, Herr Abgeordneter Habermann, dafür, dass Sie Ihre Bedenken gegenüber dem Aufbau des Programms überwunden und hier wichtige Aspekte ergänzt haben.

Nun, Herr Kollege - nein, das darf ich nicht sagen -, Herr Abgeordneter Firneburg, Sie haben der Landesregierung absurderweise Propaganda gegen die Osterweiterung vorgeworfen. - Ihr Beitrag war das von Anfang bis zum Ende.

(Beifall bei PDS und SPD)

Ich hoffe, Sie sind sich darüber im Klaren, was Sie damit im Bewusstsein der Bevölkerung anrichten. Sie sollten sich überlegen, was Sie tun - auch vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen Geschichte.

Frau Stobrawa, einige Bemerkungen zu dem, was Sie gesagt haben: Herr Staatsminister Zöpel ist kein Beamter, sondern ein Mitglied des Parlaments. Deswegen weiß ich nicht, wie er es aufnimmt, dass Sie ihm ein makaberes Szenario vorgeworfen haben. Seien Sie versichert: Herr Zöpel wird nicht darüber entscheiden, ob die Europäische Union Geld für den Ausgleichsfonds gibt. Es wird andere Entscheidungskanäle geben.

Sie mahnen die Heranführungsstrategie an. Wir haben uns in Ihrem Ausschuss und im Parlament darauf verständigt, dass wir diese Heranführungsstrategie bis zur Sommerpause schaffen und Ihnen Konkretes dazu vorlegen werden.

Sie mahnen Taten der Landesregierung an. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie an diesen Taten auch dadurch partizipieren, dass Sie als Vorsitzende des Europaausschusses an einer Fülle von Veranstaltungen der Landesregierung teilnehmen und dort auch sprechen. Das ist, glaube ich, nicht zu gering zu achten.

Sie mahnen die Koordinierung in der Landesregierung in Vorbereitung der Heranführungsstrategie und unserer ersten gemeinsamen Kabinettssitzung an. Es ist die erste gemeinsame Kabinettssitzung einer Landesregierung, die überhaupt in Brüssel stattfindet. Von daher kann ich mich überhaupt nicht über die Koordination und die Zusammenarbeit in der Landesregierung beklagen.

Post-Nizza-Prozess: Sie können versichert sein, dass wir unser Parlament in der gebührenden Art und Weise intensiv an unseren Überlegungen beteiligen werden, im Ausschuss und im Plenum.

Insgesamt hätte ich mir gewünscht, Frau Stobrawa, dass Sie und Ihre Fraktion die Fülle von Gelegenheiten in der Vergangenheit genutzt hätten, um Ihre Europabegeisterung unter Beweis zu stellen, zum Beispiel, indem Sie sich ohne Wenn und Aber für den Euro eingesetzt hätten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Herrn Minister Schelter. - Ich beende damit die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und stelle fest, dass Sie das Programm der Landesregierung zur Kenntnis genommen haben. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 8 und rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Stabilisierung und Weiterentwicklung der Hochschulen im Land Brandenburg

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion der CDU

Drucksache 3/2752