Protokoll der Sitzung vom 29.05.2002

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 24. Mai dieses Jahres wurde meine zuständige Abteilung vom niedersächsischen Landwirtschaftsministerium darüber informiert, dass in einer Futtermittelmischprobe Ökoweizen, die von der Firma AEVG Stegelitz in Verkehr gebracht wurde, durch ein privates Labor in Hamburg 5,96 mg/kg des seit 1990 verbotenen Pflanzenschutzmittels Nitrofen festgestellt worden seien.

Die unverzüglich eingeleiteten futtermittelrechtlichen Kontrollen haben ergeben, dass in Stegelitz seit 1995 keinerlei

Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt werden und die dafür erforderliche Technik auch nicht funktionstüchtig war.

Anhand der betrieblichen Unterlagen konnte der Weg der angeblich belasteten Weizenpartie vom Landwirt über den ersten Zwischenhändler weiter verfolgt werden. Die amtlichen Kontrollen führten zu folgendem Ergebnis:

Am 12. und 13. Oktober 2001 hat der Betrieb in Stegelitz 325,3 t unbehandelten Weizen an die Norddeutsche Saat- und Pflanzgut AG NSP Neubrandenburg vermarktet. Dieses Getreide wurde zunächst in der betriebseigenen Trocknungsanlage der NSP in Prenzlau getrocknet.

Vom 18. bis 22. Oktober 2001 wurden 304,68 t dieses Weizens an die NSP - Lager Malchin - ausgeliefert. Diese Angaben stimmen auch exakt mit den Prüfergebnissen der Futtermittelüberwachungsbehörde in Mecklenburg-Vorpommern überein. Weder im Landwirtschaftsbetrieb noch im Trockenwerk wurden mögliche Vermengungen der betroffenen Partie mit anderen Weizenpartien festgestellt.

Zwischenzeitlich liegt das Ergebnis einer weiteren, durch die NSP veranlassten Probenentnahme vor. Es wurde klar nachgewiesen, dass in der Partie kein Nitrofen enthalten ist. Das gleiche Ergebnis hat eine vom Landesamt für Verbraucherschutz und Landwirtschaft am 28.05. dieses Jahres durchgeführte Untersuchung gebracht.

Aus Brandenburger Sicht hat die Landesregierung die angebliche Verseuchung durch den Brandenburger Landwirt somit unverzüglich aufgeklärt. Die weiteren Ermittlungen, wie es zu dieser Verunreinigung gekommen ist, müssen jetzt durch die Behörden in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen vorgenommen werden.

Ich möchte noch ergänzen, dass bislang keine Erkenntnisse vorliegen, dass brandenburgische Ökolandwirte kontaminiertes Geflügelfutter von der niedersächsischen Futtermittelfirma GS Agri bezogen haben. - Vielen Dank.

Es gibt Klärungsbedarf. Frau Wehlan, bitte.

Herr Minister, ich unterstütze Ihre gestrige Meinungsäußerung, dass die beste Antwort auf diesen Skandal eine Zustimmung im Bundesrat zum Verbraucherinformationsgesetz wäre. Sie appellierten in diesem Zusammenhang an die CDU-geführten Bundesländer. Meine Frage bezieht sich auf das Abstimmungsvotum der Brandenburger Landesregierung im Bundesrat zum Verbraucherinformationsgesetz.

Das gehört nur indirekt zu der Frage, aber ich beantworte das gern. Die Landesregierung Brandenburg hat sich gestern darüber verständigt, den Vermittlungsausschuss zu diesem Gesetz anzurufen, weil es auch aus unserer Sicht einige Punkte gibt, die noch zu verbessern sind. Wir werden einen Antrag einbringen und hoffen, dafür eine Mehrheit im Bundesrat zu erhalten.

Herr Dr. Wiebke!

Herr Minister, können Sie die Behauptung einiger Presseerzeugnisse entkräften, dass das Ministerium bereits am 28. März über die Vorgänge um die Nitrofenbelastung von Futtergetreide informiert worden sei?

Wir haben gestern das Schreiben, das wir von der Agro-ÖkoConsult erhalten haben und in dem die angebliche Mitteilung stehen soll, öffentlich gemacht und inzwischen werden diese Vorwürfe von der Presse auch nicht mehr erhoben. Wir wussten am 24. Mai dieses Jahres von der Belastung mit dem Mittel Nitrofen.

Es hat sich der Landesbauernverbandspräsident gemeldet. Herr Abgeordneter Nieschke, Sie haben das Wort.

Herr Minister, meine erste Frage wäre: Wer hat denn Stegelitz konkret belastet? Wer hat diesen Namen genannt? Man konnte ja in Kommentaren lesen: DDR-Altlast usw. Die böse Ostlandwirtschaft wieder!

Meine zweite Frage: Können Sie mir sagen, wann Sie von Ihrem Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern eine Antwort darauf bekommen, was in Malchin los ist? Man fühlt sich als Brandenburger unsicher, wenn man - wie ich - selbst Ökokraftfutter aus Malchin bezieht und dorthin auch Getreide liefert.

Wir hatten intensiven Kontakt sowohl zu den mecklenburgischen als auch zu den niedersächsischen Kollegen. Die Koordinierung läuft über die Kollegin Künast. Insofern war für unsere Behörden erst einmal nur das abzuklären, was Brandenburg betrifft. Ich bin aber überzeugt, dass aus diesem Anlass noch sehr intensive Untersuchungen durchgeführt werden müssen.

Ich begrüße außerordentlich, dass der Kollege Bartels aus Niedersachsen sofort die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hat, denn es kann nicht so sein - da stimme ich Ihnen zu, Herr Abgeordneter, Herr Bauernverbandspräsident -, dass wieder das letzte Glied in der Kette, die Landwirte, zuerst genannt werden. Der Versuch, mal eben schnell einen ostdeutschen Landwirtschaftsbetrieb als Schuldigen herauszufinden, um von dem Skandal abzulenken, liegt auf der Hand. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Wenn ich die Funktion des Präsidenten des Bauernverbandes unterstrichen habe, dann deshalb, weil die Gäste eine Einschätzung zu treffen nicht so leicht in der Lage sind wie wir selbst.

Herr Minister, ich habe eine Nachfrage: Jetzt ist dem Unternehmen Stegelitz ein gewisser Schaden entstanden. Wie will die Landesregierung dem Unternehmen Hilfe anbieten, um den Imageschaden, der entstanden ist, wieder gutzumachen, und werden Sie, wenn finanzieller Schaden entstanden ist, eingreifen und das Unternehmen mit Krediten oder auf andere Weise unterstützen?

Ich sehe den eigentlichen Schaden, der dem Betrieb entstanden ist, in der nervlichen Belastung von Freitag bis Montag, bis die Entlastung des Betriebes stattgefunden hatte. Ich glaube im Gegenteil, dass der Betrieb jetzt einen Vorteil hat. Es gibt wohl kaum noch einen so gut untersuchten Betrieb in Deutschland, der auch mehrfach durch behördliche Untersuchungen nachgewiesen hat, dass er gut produziert.

Der zweite Nebeneffekt, der auch positiv für den Betrieb ist: Es gibt bestimmt keine besser aufgeräumte und leer gefegte Lagerhalle in Deutschland wie in diesem Betrieb, weil wir Mühe hatten, die letzte Probe noch zusammenzufegen.

Wir kommen damit zu Frage 1159 (Bildungsauftrag für Kin- dertagesstätten). Die Abgeordnete Redepenning hat nunmehr Gelegenheit, diese zu formulieren.

Die Ergebnisse der PISA-Studie haben unter anderem aufgezeigt, dass nicht nur das Bildungssystem durchgreifend modernisiert werden muss, sondern frühzeitige Bildungsschritte in den Kindertagesstätten eingeleitet werden müssen.

Am 22. April wurde der “1. Bildungstag Kita” in der Universität Potsdam mit der Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des brandenburgischen Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport durchgeführt. Im Mittelpunkt dieser Fachtagung standen Fragen des zukünftigen Bildungsauftrages für die Kindertagesstätten, des Ausbaus der Kinderbetreuung, der Festlegung von Bildungsstandards, der Kooperation Kita/Schule und der Aus- und Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Allgemeiner Tenor dabei war, dass bereits in den Kindertagesstätten die Fundamente der schulischen Bildung und der Fähigkeit zum “lebenslangen Lernen” gelegt werden.

Ich frage die Landesregierung: Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, um den Bildungsauftrag der Kindertagesstätten weiter zu entwickeln und somit die Qualität der Kinderbetreuung zu erhöhen?

Herr Minister Reiche, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Liebe Frau Redepenning, wenn Hänschen lernt, dann lernt Hans immer mehr. Lebenslanges Lernen fängt allerspätestens im Kindergarten an. Deshalb haben wir bei PISA sehr genau gesagt bekommen: Die Länder, die sich intensiv um die Grundlagen kümmern, haben gute Ergebnisse. Brandenburg steht in Deutschland, das sich als Republik im OECD-Vergleich zu wenig um Kindergarten und Grundschule kümmert, relativ gut da, weil wir im bundesweiten Vergleich mit unserem Bildungsauftrag sehr viel in unsere Kindertagesstätten investieren und weil wir in den Grundschulen mittlerweile außerordentlich günstige Klassenfrequenzen und dadurch gute Möglichkeiten haben, Kinder zu fördern.

Nie wieder lernen Kinder so intensiv wie im Kindergarten. Deshalb habe ich zu dieser großen Konferenz nach Potsdam eingeladen. Es war eine Konferenz mit Donata Elschenbroich, die das Buch “Weltwissen der Siebenjährigen” geschrieben hat, mittlerweile ein Bestseller in der Republik, und Herrn Dr. H. J. Laewen von der Freien Universität. 700 Kita-Fachkräfte haben sich dort angemeldet und dadurch deutlich gemacht, dass sie die Herausforderungen an die Kindertagesstätten in Brandenburg gerne angenommen haben.

Wir müssen uns erinnern: Die Eltern haben 1992, als auf ihren Druck hin die Rahmenpläne für die Kindertagesstätten abgeschafft wurden, gesagt, dass Betreuung für sie vor Bildung stehe. Wir müssen jetzt versuchen, eine neue Balance zwischen Bilden, Erziehen und Betreuen - B, E u. B haben wir es auf der Konferenz genannt - herzustellen.

Man muss früh beginnen, denn Bildung fängt im frühen Kindesalter an. Dies ist zugleich der Titel eines Antrags, den ich gemeinsam mit meiner nordrhein-westfälischen Kollegin für die Jugendministerkonferenz, die im Juli dieses Jahres in Osnabrück stattfinden wird, erarbeitet habe. Dieser Antrag wird dort auf eine breite Zustimmung stoßen.

Aber in diesem Zusammenhang ist es auch nötig, vor Missverständnissen zu warnen. Es geht nicht um Vorschule. Die Kindertagesstätte ist übrigens ein deutscher Exportschlager, seit Fröbel sie 1841 im Osten Deutschlands entwickelt hat. Die Bildung fängt im frühen Kindesalter an und die ersten Lebensjahre von Kindern sind die Zeit der größten, der umfassendsten und der schnellsten Bildungsprozesse. Die Welt wird erfahren und zugleich durch Tun angeeignet. Die Reifung des Gehirns und des gesamten Körpers erfolgt in Auseinandersetzung mit der Umwelt. Versäumnisse in dieser Zeit lassen sich nur schwer oder gar nicht ausgleichen.

Deshalb geht es mir nicht um das Vorziehen schulischer Bildung in den Kindergarten. Denn Kinder und auch Erwachsene lernen am besten durch Erfahren, Handeln und Gestalten, also nicht dadurch, dass sie mehr hören und ihnen mehr gesagt wird, sondern dadurch, dass sie sich ausprobieren, selbst handeln und anderen etwas zeigen können. Dazu müssen wir ihnen im Kindergarten Bildungsgelegenheiten geben, sie müssen anregen, ermuntern und unterstützen. Stellen wir uns also die Bildungseinrichtung Kita eher als ein Forschungslabor vor, in dem experimentiert wird und in dem Dinge, Beziehungen und Bedingungen erforscht werden.

Aus alldem folgt, das es unser gemeinsames Ziel sein muss, die Kindertagesstätten zu Einrichtungen solchen Forschens zu ma

chen. Kinder mit fünf Jahren einzuschulen wäre wieder zu kurz gedacht und gehandelt. Deshalb haben wir in Brandenburg schon vor einiger Zeit begonnen, gemeinsam mit dem Bundesministerium und den Ländern Schleswig-Holstein und Sachsen den Bildungsauftrag der Kindertagesstätte neu zu formulieren und Vorschläge für die Umsetzung zu erarbeiten. Das Buch “Forscher, Künstler, Konstrukteure” und die beiden Bände, die demnächst veröffentlicht werden, sind deshalb allen Einrichtungen in unserem Land zur Verfügung gestellt worden.

Die Tagung ist ein Auftakt für Qualifizierung gewesen. Der nächste Schritt wird sein, gemeinsam mit den Trägern ein Currikulum für die Kitas zu erarbeiten. Dann wird dem Hohen Haus die Frage vorzulegen sein, ob wir unsere Zuschüsse für die Kindertagesstätten gesetzlich an die Umsetzung dieses Bildungsauftrags binden oder dies in die Freiheit der einzelnen Kindertagesstätte stellen.

Weitere Stichworte in diesem Zusammenhang sind das 10Stufen-Projekt, an dem ca. 50 Kindertagesstätten teilnehmen und in dem insbesondere Woltersdorf das Modell ist, die Qualitätsevaluation, bei der wir Zertifikate vergeben werden, Weltwissen Kindertagesstätten und zugleich die Frage - in einigen Parteien wird momentan begonnen, sie zu diskutieren -, ob wir die Kindertagesstätte in der letzten Stufe, im sechsten Lebensjahr, gebührenfrei stellen, weil diese Stufe schon im Zusammenhang mit dem lebenslangen Lernen und dem Bildungsauftrag steht.

(Zuruf von der PDS: Die Antwort ist zu lang!)

Wir haben also gute Wege beschritten; denn es kommt auf den Anfang an. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, es gibt noch Klärungsbedarf. Frau Große hat sich zu Wort gemeldet.

Erste Frage: Herr Minister, welche Möglichkeiten sehen Sie, diese erarbeiteten bzw. in Arbeit befindlichen Veränderungen auch für die Kinder geltend zu machen, die im Rahmen der Novellierung des Kita-Gesetzes in ihrem Betreuungsanspruch erheblich eingeschränkt wurden?

Zweite Frage: Abgesehen davon, dass Sie angemahnt haben, wir müssten dann eine Haushaltsentscheidung treffen - welche gesetzlichen Möglichkeiten sehen Sie für die Erfüllung eines Bildungsauftrages in Kindertagesstätten?

Frau Kollegin Große, ich habe ganz bewusst nicht gesagt, dass dies eine Haushaltsentscheidung sei. Dies steht vielmehr im Zusammenhang mit den für die nächsten Jahre durch die Koalition gesicherten Mitteln für die Kindertagesstätten. Ich sage es immer wieder gern: Diese entsprechen dem höchsten Niveau pro Kopf in der Bundesrepublik. Ich habe gefragt, ob wir diese

Mittel an die Erfüllung des Bildungsauftrages des Kindergartens nach einem zu erarbeitenden Curriculum binden wollen.

Ich habe aus den Bildungsministerien in Helsinki und Stockholm die Preschool-Curricula mitgebracht. Wir werden uns mit diesen auseinander setzen und ich hoffe, dass wir Mitte oder Ende des nächsten Kindergartenjahres ein eigenes Curriculum für Brandenburg haben werden. Dann ist eben die Frage, ob wir die Zuweisung der Mittel an die einzelne Kindertagesstätte über die Kreise und Gemeinden daran binden, dass der Bildungsauftrag erfüllt wird, oder ob das in die Freiheit der Träger gestellt wird. Das wäre ein neuer Weg in Deutschland. Das muss gemeinsam diskutiert werden.

Die zweite Frage ist an sich falsch. Sie wissen, dass unser Kindertagesstättengesetz gerade in dem Bereich, in dem der Bildungsauftrag für Kinder in besonderer Weise zu erfüllen ist, nämlich vom zweiten bis zum zehnten Lebensjahr, nicht angetastet worden ist und dass dieser Rechtsanspruch für alle Kinder von 0 bis 2 bzw. von 10 bis 12 - also weit über den Bildungsauftrag in jedem anderen Land der Bundesrepublik hinaus sofort wieder ersteht, wenn ein Bedarf vorhanden ist, der im Übrigen auch ein sozialer Bedarf, also eine Indikation aus der Familie heraus, sein kann.

Das Wort geht an den Abgeordneten Schöps, der nun Gelegenheit hat, die Frage 1160 (Fördermittelzusagen) zu formulieren.