wohl entgangen, dass frei gewordene Stellen sowohl in der noch verbliebenen freien Wirtschaft als auch im öffentlichen Dienst einfach nicht mehr besetzt werden, um Kosten zu sparen.
Die DVU-Fraktion fordert die Landesregierung auf, die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft endlich grundlegend zu verbessern. Ohne massenhafte Investitionen der freien Wirtschaft wird es nicht möglich sein, den Brandenburgerinnen und Brandenburgern Perspektiven aufzuzeigen. Die Forderung nach einer wirtschaftsstrukturellen Sonderregelung für Brandenburg darf nicht länger ein Tabu sein. Genauso darf es kein Tabu mehr sein, eine aktive Bevölkerungspolitik als politisches Instrument zu akzeptieren; denn ohne Kinder ist eine Gesellschaft nicht lebensfähig. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bevölkerungsentwicklung in Brandenburg ist ein wichtiger Gesichtspunkt, wenn wir über die Situation im Land diskutieren und Entscheidungen treffen. Jeder, der sich mit der Bevölkerungsentwicklung in Brandenburg beschäftigt, weiß, dass die Veränderungen tief greifende Auswirkungen auf die Entwicklung in den verschiedenen Regionen haben werden. Städte und Dörfer verändern ein Stück weit ihr Gesicht. An einigen Standorten werden Schulen geschlossen, an anderen Standorten eröffnet. Kindergärten sind betroffen. Die Sozialsysteme müssen umgebaut werden.
Wir als Politiker stehen in der Pflicht, auch unbequeme Wahrheiten zu sagen und unbequeme Entscheidungen zu treffen. Das gilt zum Beispiel dann, wenn an dem einen oder anderen Ort aus Gründen, auf die wir keinen Einfluss haben - auf den Rückgang der Zahl der Kinder haben wir zum Beispiel keinen direkten Einfluss -, eine Schule geschlossen wird, oder zum Beispiel, wenn wir das Zentrale-Orte-System für Brandenburg ändern. Zu unbequemen Entscheidungen mussten wir vor einigen Jahren auch an der einen oder anderen Stelle bei der Gemeindereform stehen.
Wie man sich vor unbequemen Entscheidungen drücken kann und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, können wir beispielhaft auf Bundesebene beobachten. Dabei ziele ich nicht auf eine bestimmte Partei. Die Fehlentwicklungen des Rentensystems sind seit den 70er Jahren bekannt. Passiert ist viel zu wenig. Es wird weitere Veränderungen geben müssen. Gleiches gilt für die Pflegeversicherung.
Es ist wichtig und richtig, dass wir die demografischen Veränderungen diskutieren und die für Brandenburg notwendigen konkreten Entscheidungen treffen, um die Folgeprobleme der demografischen Entwicklung lösen zu können.
Die Fakten sind bekannt; aber man kann sie nicht oft genug wiederholen. Nach 1990 hat sich die Zahl der Geburten in Brandenburg etwa halbiert. Als Folge davon leben heute in
Brandenburg doppelt so viele 16-jährige wie 14-jährige Jugendliche. Daran sieht man, wie drastisch sich die Entwicklung vollzogen hat. Ich habe einmal ein Bild mit 10. Klassen auf dem Schulhof gesehen; er war gefüllt. Als sich die 8. Klassen auf dem Schulhof versammelten, war er halb leer.
Wir verzeichnen eine Wanderungsbewegung weg aus den ländlichen Regionen. Im Gürtel um Berlin nimmt die Bevölkerung dagegen zu. Hinsichtlich der großen Städte ist eine Suburbanisierung festzustellen. Die Menschen ziehen aus Städten wie Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel in die Randregionen.
Es gibt eine weitere Entwicklung: Die Menschen werden älter. Das können wir nur begrüßen. Jeder freut sich darüber. Jeder möchte alt werden, aber niemand möchte es sein.
Im Ergebnis leben deutlich weniger Bürger in den berlinfernen Regionen. Zudem ist die Bevölkerung dort älter. In den berlinnahen Regionen leben mehr Menschen, aber auch hier erhöht sich der Anteil der älteren Menschen.
Was müssen wir tun? - Zunächst einmal können wir feststellen: Auf Landesebene haben wir in einer ganzen Reihe von Feldern die wichtigen und notwendigen Entscheidungen bereits getroffen. Beispielhaft nenne ich die Einführung der Oberschule. Ab dem nächsten Schuljahr werden Gesamt- und Realschulen zu Oberschulen zusammengeführt, weil wir sicherstellen müssen, dass insbesondere in den dünn besiedelten Regionen nach Möglichkeit an jeder allgemein bildenden Schule - mit Ausnahme der Gymnasien - jeder Abschluss erworben werden kann. Demzufolge halten wir trotz der dünnen Besiedlung die Wege möglichst kurz. Die Einführung der Oberschule ist in erster Linie eine Reaktion auf die veränderte Bevölkerungsentwicklung.
Wir ändern die zentralörtliche Gliederung. Aus 162 Orten werden voraussichtlich etwas mehr als 60 werden, in jedem Fall weniger als die Hälfte. Auch diese Änderung ergibt sich aus der Entwicklung der Bevölkerungsstruktur.
Wir werden die Wirtschaftsförderung umbauen. Es erfolgt eine Konzentration auf Schwerpunkte. Die Gießkanne ist nicht mehr finanzierbar, aber auch nicht mehr sinnvoll.
In den Diskussionen zeigt sich allerdings eine Schwachstelle, die auch im Demografiebericht deutlich wird. Der Verkehrsminister, an den ich mich jetzt richte, sitzt im Augenblick in den Reihen der SPD-Fraktion.
Es geht um die Verkehrsinfrastruktur. Wenn wir nicht mehr so viele zentrale Orte vorhalten können, ergibt sich zwangsläufig, dass die Menschen mehr pendeln müssen. Wenn wir nicht mehr sicherstellen können, dass in jedem Dorf jede Investition gefördert wird, dann hat das zur Folge, dass Arbeitsplätze eher an zentralen Orten entstehen. Die Menschen müssen pendeln. Deshalb ist eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur, seien es Straßen oder ÖPNV, zwingend notwendig.
1 000 oder 1 300 Einwohner hat: Die Menschen haben Anspruch darauf, dass die Straßen in Ordnung sind. Deshalb ist es notwendig, dass wir weiterhin dafür sorgen, dass die Verkehrsinfrastruktur, ÖPNV wie auch Straßen, in Ordnung ist.
Über die Standards kann und muss man sich aber unterhalten. Man kann zu Recht die Frage stellen, ob eine Kreisstraße 6,50 m breit sein muss, auch wenn die Stadt ein Drittel weniger Einwohner hat. Da müssen wir flexibler werden.
Wir müssen uns auf die vom Staat zu leistenden wesentlichen Aufgaben konzentrieren. Die eine oder andere Aufgabe werden wir dem Bürger zurückgeben müssen.
Aber auch eine Erweiterung der Freiheiten für die Bürger ist eine Folge der dünnen Besiedlungsstruktur. Der Staat wird es sich zum Beispiel nicht mehr leisten können - einige Ortschaften machen es noch -, Baumkataster zu führen, das heißt jeden Baum zu erfassen, zu kartieren und in Kladden einzutragen, damit man irgendwann später nachschauen kann. Ich wiederhole: Mehr Freiheiten für die Bürger und Konzentration auf das Wesentliche!
Wir müssen mit guten Ideen an die Lösung der Probleme herangehen. Ich nenne als Beispiel E-Government. Es muss möglich sein, in der Fläche des Landes Behörden über das Internet zu erreichen, um sich weite Wege zu sparen.
Das Land hat diesen Prozess bereits in Gang gesetzt und eine Menge getan. An einer Stelle allerdings, im kommunalen Bereich, scheint mir noch Überzeugungsbedarf zu bestehen. Es tun sich Veränderungen auf, die von der Kommunalpolitik noch nicht in ihrem vollen Ausmaß wahrgenommen werden. Ich nenne beispielhaft die Städte Eberswalde, Eisenhüttenstadt und Schwedt.
Eberswalde wird in zwei Jahrzehnten voraussichtlich 35 000 Einwohner haben. Als Folge des drastischen Rückgangs der Einwohnerzahlen verschlechtert sich auch die Finanzlage der Stadt.
Ein Zweites kommt hinzu: Durch das höhere Alter steht ein wesentlich höherer Bevölkerungsanteil außerhalb des Erwerbslebens. Da die Finanzlage einer Stadt in erster Linie davon abhängt, wie viele Einwohner in Arbeit stehen - die Kommunen erzielen Einnahmen aus der Gewerbesteuer und aus ihrem Lohnsteueranteil -, wird Eberswalde wie andere Städte überproportional Finanzmittel verlieren. In 20 Jahren werden das Schwimmbad, die Bibliothek, die gesamte Infrastruktur - Straßen, Schienen, öffentlicher Personennahverkehr - von deutlich weniger Bürgern unterhalten werden müssen. Das muss bereits jetzt entsprechend geplant werden. Jede einzelne Ausbau- bzw. Erhaltungsmaßnahme im Bereich der Infrastruktur muss auf diese Situation eingestellt werden.
Es ist unsere Aufgabe, dies in die kommunalen Vertretungen zu tragen und entsprechend zu diskutieren; denn dort werden ebenso wichtige Entscheidungen getroffen - vielleicht sogar mehr als auf Landesebene -, die Wirksamkeit entfalten.
Letzter Punkt: Ich warne vor Schwarzmalerei. Die Aussage, dass ländliche Regionen veröden, ist Unsinn. Brandenburg ist ein schönes Land und die ländlichen Regionen sind und bleiben schöne Regionen. Eine ländliche Region ist unabhängig davon schön, ob das Durchschnittsalter der Bevölkerung 45, 50 oder 55 Jahre beträgt.
Die Touristen werden unabhängig vom Durchschnittsalter der Bevölkerung kommen. Einige Dinge werden sich möglicherweise ändern. Wenn weniger Kinder vorhanden sind, stehen Kinder mehr im Mittelpunkt. Wenn mehr Menschen außerhalb des Erwerbslebens stehen, ist mehr Freizeit vorhanden, die genutzt werden kann. Die Situation wird sich also etwas ändern, aber Brandenburg und seine Regionen sind und bleiben schön. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns auf die Situation einstellen, positiv mit den Dingen umgehen und wenn wir zu den zu treffenden Entscheidungen stehen - auch wenn sie vielleicht schmerzhaft sind -, ist mir auch um unsere künftige Situation nicht bange. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist allerhöchste Zeit, sich ernsthaft und intensiv mit den Fragen des demografischen Wandels auseinander zu setzen. Mein Eindruck aus der heutigen Debatte ist, dass wir noch lange nicht am Ziel angekommen sind. Bei der Beschreibung der Situation sind wir schon sehr weit. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Sie stellen die sich seit längerem - Herr Schippel hat diesbezüglich völlig Recht - entwickelnde Geburtenzahl usw. dar. Es stellen sich jedoch folgende Fragen: Wie gehen wir mit diesem demografischen Wandel um? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Politik, auch für die Landespolitik? Diesbezüglich stehen wir noch am Anfang.
Beispielsweise spielte der 1. Demografiebericht - darüber wurde in der vergangenen Wahlperiode noch debattiert - im Wahlkampf keine Rolle mehr. Was sind die Vorstellungen der Parteien? Dieser Frage stellte sich lediglich die PDS; denn sie hat in den Wahlkampf das Perspektivprogramm „Brandenburg 2020“ eingebracht. Wir haben versucht, dies in die Diskussion einzubringen. Jedoch war die Bereitschaft auch der Regierenden, sich in diese Diskussion einzubringen, nicht sehr groß.
Im Februar folgte der etwas hilflose Versuch des Ministerpräsidenten, das Thema zu besetzen. Ich habe gerade gelesen, das sei als Provokation gedacht gewesen. Ich muss Ihnen sagen: Das Thema ist mir zu wichtig und zu ernst, um es als Provokation aufzunehmen.
Von fruchtbarer Diskussion kann ich auch nicht viel erkennen. Selbst die Minister konnten nicht viel mit diesem „zupackenden Land“ anfangen. Was als neue Förder- und Strukturpolitik
- Branchen- und Cluster-Konzept usw. - vorgelegt wurde, hat bei näherer Betrachtung dem entsprechenden Anspruch letzten Endes nicht genügen können. So folgte eine Ankündigung der anderen, wurde verworfen, relativiert. Auf klare Worte, auf Richtlinien für politisches Handeln, auf eine zupackende Regierung warten wir heute noch.
Die bislang letzte Ankündigung auf dem Demografiekongress am 01.06.2005 lautete, der Haushalt 2007/2008 werde die Handschrift des 2. Demografieberichts tragen. Sie haben sich nicht verhört: Es war wirklich die Rede vom Haushalt 2007/2008. Das lässt Schlimmes ahnen: Es wird zu einem weiteren Ausbluten der Randregionen kommen - auch wenn Sie verbal immer wieder erklären, das finde nicht statt -, die Finanzausstattung der Kommunen wird sich weiter nach unten entwickeln,
was sich auch bereits mit dem aktuellen Doppelhaushalt ankündigt, Kollege Szymanski. Es wird weitere Schulschließungen geben. Vorhin war die Rede davon, dass sich die PDS Schulschließungen verweigert. Darum geht es nicht. Die PDS sagt nicht, dass jede Schule an jedem Standort erhalten werden kann. Das ist Unfug. Jedoch sollte über Alternativen nachgedacht werden, zum Beispiel darüber, was mit den Schulgebäuden geschieht; denn wir können doch diesem Land keine Schulruinen hinterlassen, die nicht mehr genutzt werden. Demnach stellen sich die Fragen: Wie können wir mit kleineren Klassen umgehen? Wie können Schulen in den Regionen durch Verbände und Vereine für Aktivitäten genutzt werden,
die ja ständig Räumlichkeiten für Jugendarbeit suchen, Herr Senftleben? Darüber müssen wir nachdenken, bevor wir im Land Ruinen hinterlassen.
Was erwartet uns noch aufgrund der Schulschließungen? Sie führen zu längeren Schulwegen und zu Kürzungen bei Jugendarbeit, Kultur und Sport. Das bedeutet insgesamt: Brandenburg verliert weiter an Lebensqualität und noch mehr Brandenburgerinnen und Brandenburger werden das Land verlassen.