Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag mit dem Titel „Bündnis 'Gesund Aufwachsen in Brandenburg'“ hat zwei Schwerpunkte, nämlich zum einen die Frühförderung unserer Kinder und zum anderen die Reihenuntersuchungen in den Kindertagesstätten.
Zur Frühförderung: Am 01.07.2001 trat das Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs, in dem der Gesetzgeber die Teilhabe Behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen am gesellschaftlichen Leben geregelt hat, in Kraft. In § 30 dieses Gesetzbuches sind spezielle Regelungen zur Früherkennung und Frühförderung von behinderten bzw. von Behinderung bedrohten Kindern, definiert. Damit wurde erstmals die Möglichkeit gegeben, medizinisch-therapeutische Leistungen im Zusammenhang mit notwendigen heiltherapeutischen Leistungen als Komplexleistungen in interdisziplinären Frühförderstellen zu erbringen. Das war bislang nur in Sozialpädiatrischen Zentren möglich.
Neu ist die Definition „Komplexleistung“. Komplexleistung ist ein abgestimmtes interdisziplinäres System, bestehend aus ärztlichen, medizinisch-therapeutischen, psychologischen, heil- und sozialpädagogischen Leistungen, die die mobile und ambulante Betreuung und Beratung mit einbinden. All diese Leistungen werden jedoch durch unterschiedliche Träger erbracht und vergütet. Die medizinischen Leistungen werden von den Krankenkassen, die heilpädagogischen Leistungen von den örtlichen Sozialhilfeträgern vergütet. Genau das ist das Problem.
Zum SGB IX hat der Bundesgesetzgeber eine Frühförderverordnung beschlossen; sie ist zum 01.07.2003 in Kraft getreten. In ihr sind Rahmenbedingungen formuliert, wie man auf Landesebene Komplexleistungen inhaltlich definieren und finanziell untersetzen kann.
Wir müssen hier und heute sagen, dass wir in Brandenburg eine solche Rahmenvereinbarung noch nicht erreicht haben. Diese müssen die Kostenträger abschließen; das sind zum einen die Krankenkassen und zum anderen die Landkreise und die kreisfreien Städte. Ich gebe zu, dass dies schwierig ist, weil man sich in der Tat darauf einigen muss, wer sich zu welchen Anteilen an der Finanzierung der Frühförderung beteiligt.
Ich sagte schon, dass es die Verordnung seit 2003 gibt. Heute schreiben wir das Jahr 2005 - zwei Jahre sind ins Land gegangen - und wir müssen sagen, dass wir den Kindern in Brandenburg den Rechtsanspruch auf Frühförderung auf komplexe Art und Weise nicht gewährleisten und dem Gesetzesauftrag damit nicht gerecht werden.
Wir meinen, dass wir mit unserem Antrag noch einmal auf dieses Problem hinweisen müssen, und hoffen, die Verhandlungspartner damit politisch positiv motivieren zu können. Im Land Brandenburg gibt es etwa 7 000 behinderte oder entwicklungsgestörte Kinder, die eine rehabilitative Förderung und Behandlung benötigen. Wir sind uns sicherlich einig, dass es wichtig und notwendig ist, um die Erfüllung der Bedarfe dieser 7 000 Kinder zu kämpfen.
Zu den Reihenuntersuchungen, dem zweiten Punkt unseres Antrags - auch das haben wir im Hause schon einmal besprochen -, ist festzustellen, dass der Anteil der Kinder, die in den Reihenuntersuchungen in den Kindertagesstätten erfasst werden, leider Jahr für Jahr zurückgeht. Im Jahr 2000 wurden noch 50 % der Kinder in den Reihenuntersuchungen erfasst; im Jahr 2004 waren es nur noch 36 %.
Um noch einmal auf die eingangs erwähnte Frühförderung zurückzukommen: Sie kann nur dann wirksam greifen, wenn wir Behinderungen oder drohende Behinderungen frühzeitig erkennen.
Ich bitte Sie namens meiner Fraktion, den Antrag zu unterstützen, damit wir an dieser Stelle erneut ein politisches Zeichen setzen. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! In seiner 12. Sitzung befasste sich der Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie mit den Gesundheitszielprozessen im Land Brandenburg. Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist das vierte von fünf Handlungsfeldern, die die Abteilung Gesundheit im MASGF initiierte. Mit dem Bündnis „Gesund Aufwachsen in Brandenburg“ gab es bereits am 1. April 2003 den Start für die Umsetzung dieses Handlungsfeldes. Seitens der Abteilung Gesundheit wurde die Unterstützung durch den Landtag und das Ministerium sehr gelobt. Warum also nach fast zweieinhalb Jahren noch einmal eine solche eher unverbindliche Aufforderung an die Landesregierung, auf Entstehen einer Landesrahmenvereinbarung zur Frühförderung und die Einhaltung der vom Land vorgegebenen Vorschriften hinsichtlich der frühzeitigen Untersuchung von Vorschulkindern hinzuwirken?
Um mit den Worten von Herrn Minister Speer zu unserem vorhin behandelten Antrag zu sprechen, müssten wir eigentlich sagen: überflüssig wie ein Kropf; das Land handelt bereits. Aber - ich nehme es vorweg - die Fraktion der Linkspartei.PDS unterstützt das Anliegen zur Verbesserung des Erkennens von Frühförderbedarf sowie des rechtzeitigen Beginns der Frühförderung. Allerdings möchten wir dieses Anliegen verbindlich und zielorientiert formulieren. Dazu sollten wir uns in den zuständigen Fachausschüssen verständigen und konsequent an der Landesrahmenvereinbarung zur Frühförderung arbeiten. Der § 2 der Frühförderungsverordnung gibt es mit dem Satz
„Näheres zu den Anforderungen an interdisziplinäre Frühförderstellen und sozialpädiatrische Zentren kann durch Landesrahmenempfehlungen geregelt werden“
Die Änderung wurde am 20. Juni 2003 beschlossen - Frau Lehmann hat darauf hingewiesen -; höchste Zeit also, endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Allgemeine Appelle helfen nicht weiter.
Zur Frage der Reihenuntersuchungen und ihrer regelmäßigen Durchführung in den Kitas gab es schon Anfragen von den Kolleginnen Schier und Lehmann. Frau Ministerin Ziegler erwog laut ihrer Antwort auf die Frage bezüglich der rückläufigen Untersuchungszahlen, kommunalrechtlich auf die Oberbürgermeister und Landräte einzuwirken, um wieder eine Verbesserung zu erreichen. Wie aber sieht es aus? Nach Angaben des Amtsarztes des Spree-Neiße-Kreises stehen zwei Ärzte in Vollzeit und zwei weitere jeweils zehn Stunden in der Woche zur Verfügung. Damit ist es nicht möglich, dem § 8 Abs. 2 des Brandenburgischen Gesundheitsdienstgesetzes gerecht zu werden.
Bisher war es nur möglich, die Kinder ein Jahr vor der Schuluntersuchung zu untersuchen, damit spätestens in dem Jahr die Frühförderung einsetzen kann. Ich bin mir sicher, dass dem zuständigen Ministerium dieses Problem bekannt ist. Deshalb hilft es nicht weiter, die Landesregierung ganz allgemein aufzufordern, auf eine Verbesserung der Situation hinzuwirken. Aus meiner Sicht wäre es der Sache sehr viel dienlicher, wenn die Mehrheit des Landtages nicht Gesetze verabschiedete, die dem Anliegen zuwiderlaufen.
Die Koalition hat die Reihenuntersuchung an den Schulen mit der Begründung, die Kommunen könnten dadurch sparen, reduziert. Als es um den Gesetzentwurf zur Entlastung der Kommunen von Pflichtaufgaben ging, sagten Sie, Herr Baaske - damals noch als Minister -, die Durchführung der Untersuchungen habe mit Geld- und Personalausstattung der Kommunen zu tun; die Durchführung von Reihenuntersuchungen würde Kinder keineswegs gesünder machen und man könne nicht viel bewegen. Auch Ihre Meinung über das Erkennen von Teilleistungsstörungen von Kindern durch aufmerksame Pädagogen scheint - wie man dem Antrag entnehmen kann - heute moderneren Einsichten gewichen zu sein. Wenn wir frühzeitige Untersuchungen möglichst aller Vorschulkinder wollen, müssen die Kommunen auch entsprechend finanziell ausgestattet werden.
Lassen Sie mich aber bitte bei aller Übereinstimmung im Anliegen noch etwas zu zwei Punkten Ihrer Begründung sagen. Das Wort „Humankapital“ war 2004 Unwort des Jahres, weil die Juroren darin die Reduzierung der Menschen auf ihren wirtschaftlichen Wert sahen. Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen als „Standortfaktor“ zu bezeichnen, geht wohl in eine ähnliche Richtung. Ich denke, auch bei 0 % Arbeitslosigkeit wäre die Gesundheit unserer Kinder ein hoher Wert an sich. Vielleicht sollten auch diejenigen, die das Wort „Wertevermittlung“ so oft predigen, daran denken, dass nicht alle Werte durch Wirtschaftlichkeitsberechnungen belegbar sind.
Damit im Zusammenhang steht der zweite Punkt: Kranke werden nur als Belastung der Gesellschaft bezeichnet. Vielleicht sollten wir die Worte von Paracelsus berücksichtigen:
„Der Arzt soll die Kraft und die Natur der Krankheit im Ursprung suchen; denn den Rauch vom Feuer sollten wir nicht löschen, sondern allein das Feuer selbst.“
Lassen Sie uns deshalb in den Ausschüssen sachorientiert nach Lösungen suchen, damit auch die 20,3 % der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren, die im Land Brandenburg von Sozialgeld leben müssen, gesund aufwachsen können. Wer immer gesagt bekommt, wie gestern von Frau Schulz, er gehöre nicht zu den Leistungsträgern der Gesellschaft, dem redet man permanent ein schlechtes Gewissen ein, wenn er Leistungen beansprucht. Auch das macht krank.
Stimmen Sie also bitte unserem Antrag auf Überweisung des Antrages in den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie sowie in den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport zu.
Die Überziehung der Redezeit wird den nachfolgenden Rednern trotz der Wichtigkeit des Themas nicht empfohlen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen haben den Ihnen vorliegenden Antrag aus drei wesentlichen Gründen gestellt.
Erstens: Seit einigen Jahren wird international die Forschung auf dem Gebiet der frühkindlichen Entwicklung verstärkt. Sie hat zu einer Reihe von wichtigen Ergebnissen geführt. So wurde beispielsweise ein Zusammenhang zwischen dem Bewegungsumfang und der Entwicklung des menschlichen Nervensystems festgestellt. Ein weiteres Ergebnis der Forschung auf dem Gebiet des frühen Kindesalters lautet: Je früher Entwicklungsdefizite erkannt werden und je früher ihnen entgegengewirkt wird, desto höher sind die Erfolgschancen für ihre Behebung. An diesem Punkt setzt unser Denken an. Im CDU-Programm, aber auch in der Koalitionsvereinbarung haben wir deshalb auf die Früherkennung von Förderbedarf hinsichtlich des allgemeinen Entwicklungsstandes, aber auch hinsichtlich der Sprachfähigkeit und der motorischen Fähigkeiten Wert gelegt. Deshalb liegt uns eine Untersuchung möglichst aller Kinder - natürlich mit Zustimmung der Eltern - im 3. Lebensjahr, also in der Regel beim Eintritt in die Kindertagesstätte, am Herzen.
Festzustellen ist leider, dass die im Gesundheitsdienst, im KitaGesetz und in der Verordnung über die Aufgaben des Kinderund Jugendgesundheitsdienstes der Gesundheitsämter vorgeschriebenen Untersuchungen nur unzureichend stattfinden. In einer Presseerklärung vom Mai 2005 erläuterte Ministerin Ziegler, dass nur noch ca. ein Drittel aller Kita-Kinder ärztlich untersucht werden. Dies ist nicht hinnehmbar. Wir wollen mit unserem Antrag auf bestehende Defizite aufmerksam machen und eine Änderung des Missstandes herbeiführen.
Zweitens: Die Feststellung von gesundheitlichen Problemen bzw. von Förderbedarf an sich reicht unserer Fraktion nicht aus. Folgt der Feststellung eines Förderbedarfs nicht die not
wendige Förderung des Vorschulkindes, werden sich die Defizite bei diesem Kind mit zunehmendem Alter verstärken. Deshalb ist die Frühförderung vor allen Dingen in den Kindertagesstätten notwendig.
Drittens: So weit ist ein allgemeiner Konsens leicht herstellbar; denn jeder von uns hat die Erfahrung machen können, dass die eigenen Kinder bei guter, konsequenter elterlicher Unterstützung besser und schneller lernen. Die Geister scheiden sich daran, wer zum einen die Untersuchung - das ist in den von mir schon genannten Gesetzen allerdings eindeutig geregelt - und zum anderen die notwendige Frühförderung, die häufig eine Komplexleistung ist, bezahlt. Im SGB IX ist seit vier Jahren geregelt, dass in ganz Deutschland Frühförderung zu erfolgen hat. Das Gesetz besteht also seit vier Jahren; die zugehörige Verordnung ist seit zwei Jahren geltendes Recht.
Allerdings wurde im Land zwischen den Verbänden der Krankenkassen und den Kommunen bisher keine Landesrahmenvereinbarung zur Ausgestaltung der Frühförderung verabschiedet. Mit unserem Antrag, Frau Wöllert, wollen wir die Landesregierung auffordern, darauf hinzuwirken, dass Kassen und Kommunen eine entsprechende Rahmenvereinbarung treffen.
Dreijährige Kinder können sich noch nicht selbst vertreten. Häufig sind aber auch die Eltern überfordert, ihren Kindern geeignete Hilfen zu geben oder diese von der Gesellschaft einzufordern. In der Antragsbegründung haben wir dargestellt, dass derzeit nur drei von zehn Kindern aus sozial schlechter gestellten Familien eine Frühförderung erhalten, das heißt, sieben von zehn Kindern wird derzeit die von der Wissenschaft als sehr gut befundene Frühförderung nicht zuteil. Das muss sich ändern. Nur so werden wir unserem Solidaritätsgrundsatz gerecht: „Hilf denen, die sich nicht selbst helfen können!“ - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der DVU war, ist und bleibt die Gesundheit unserer Kinder und Heranwachsenden das wichtigste Gut eines Volkes. Jede Kürzung oder Einsparung finanzieller Mittel bei der gesundheitlichen Versorgung ist schlicht und einfach eine Sünde. Letztlich hängt hiervon ganz wesentlich die Zukunft unseres Landes ab. Obwohl im vorliegenden Antrag nicht direkt angesprochen, sei bei dieser Gelegenheit nochmals allen Abgeordneten der etablierten Parteien, vor allem den Herrschaften auf der Regierungsbank, eindringlich ins politische Stammbuch geschrieben:
dungsförderung auszugeben ist die lohnenswerteste Investition für die zukünftige Entwicklung unseres Landes.
Das Bündnis „Gesund Aufwachsen in Brandenburg“ wurde bekanntlich im Jahr 2003 auf Initiative des MASGF gegründet. Nun also, meine Damen und Herren, wollen die Fraktionen von SPD und CDU endlich Nägel mit Köpfen machen. Ich unterstelle Ihnen dabei nicht einmal wahlkampftaktische Gründe; nein, ich frage ganz einfach: Weshalb werden in diesem Land für die Durchsetzung von Gesetzen und Verordnungen mit notorischer Regelmäßigkeit Initiativen, Arbeitsgruppen usw. benötigt? Wir von der DVU-Fraktion sind der Auffassung, dass es sinnvoll wäre, die dafür aufgewendete Zeit und das dafür aufgewendete Geld im Interesse der Sache einzusetzen.