Protokoll der Sitzung vom 28.09.2005

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

und warum Sie offenbar nicht wissen, was in den Jahren seit 1990 in den Einrichtungen entwickelt und geleistet worden ist.

In allen gesellschaftlichen Bereichen gibt es Probleme, weil das Geld knapp ist. Bekanntlich ist es Wesensinhalt einer harten Währung, dass sie knapp ist. Deshalb muss man darum ringen. Immer nur Geld zu fordern zeugt von einer ziemlich anspruchslosen Geisteshaltung und einem ziemlich anspruchslosen Weltbild.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

Es geht darum, Frau Kollegin, die Welt zu verändern, statt zu fordern, dass andere dies tun.

Ich sage Ihnen: Es hat sich bereits viel verändert. Von einer Desintegration von Menschen mit Behinderung zu sprechen hat deshalb mit der Wirklichkeit in diesem Lande überhaupt nichts zu tun.

Ich sage Ihnen noch einmal: Ich habe in den vergangenen Jahren Tag für Tag mit Menschen mit Behinderung zu tun gehabt und festgestellt, dass sich in den Einrichtungen sehr viele Menschen, sei es hauptamtlich oder ehrenamtlich, einen Arm ausgerissen haben, viel geleistet haben. Auch die Kreise, die Kommunen und das Land haben dazu sehr viel beigesteuert.

Aus diesem Grunde kann überhaupt nicht davon die Rede sein, dass in diesem Bereich durch Gesetze mehr gemacht werden müsste. Das Entscheidende ist die Wirklichkeit, die für eine sehr gute und ausgewogene Behindertenpolitik in diesem Lande spricht.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich bitte Sie, im Saale wieder die Ruhe einkehren zu lassen, die der angesprochenen Abgeordneten Weber eine Antwort ermöglicht. - Bitte schön.

Herr Schulze, bis vor einem Jahr war ich als Sonderpädagogin tätig und habe mich mit den Belangen von Menschen mit Behinderung beschäftigt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich habe hohe Achtung vor Ihrer früheren Kollegin Hildebrandt, die im Lande Brandenburg das 2-Milieu-Prinzip als Grundprinzip für sozialpolitische Arbeit mit Menschen mit Behinderung eingeführt hat.

Heutzutage werde ich im Petitionsausschuss immer wieder durch Eingaben von Mitarbeitern von Werkstätten oder von Eltern mit der Bitte um Abhilfe konfrontiert, weil schwerstmehrfach geschädigte Behinderte, die in Wohnstätten untergebracht sind, die Werkstätten nicht mehr besuchen können bzw. nicht mehr besuchen dürfen. Diese Entwicklung läuft seit drei Jahren. Wir haben dazu bereits Anfragen gestellt, aber diese wurden nicht ausreichend beantwortet.

Wenn Sie dazu Klärungsbedarf haben, fahren Sie bitte einmal in den Landkreis Teltow-Fläming. Dort ist eine Ausnahme von der geschilderten Entwicklung zu besichtigen. In diesem Landkreis genießt die Kollegin in der dortigen DRK-Werkstatt als eine der wenigen Ausnahmen den großen Vorzug, dass die genannte Entwicklung noch nicht eingeleitet worden ist. Als ich auf der DRK-Konferenz in der letzten Woche mit der Kollegin sprach, habe ich allerdings erfahren, dass das Thema in den nächsten Tagen auch dort auf der Tagesordnung stehen wird, dass diese Entwicklung uns also auch dort erreichen wird.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Schulze [SPD]: Das ist aber nicht Gegenstand der Großen Anfrage!)

Das war die Antwort auf die Kurzintervention. - Wir setzen die Debatte jetzt fort. Es spricht die Abgeordnete Lehmann von der Fraktion der SPD. Bitte, Frau Lehmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als fachpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion werde ich versuchen, das Thema wieder mehr auf die sachliche und fachliche Ebene zu bringen.

Für die Große Anfrage der Fraktion der PDS zum Thema der Teilhabe von Menschen mit Behinderung bin ich sehr dankbar, und zwar insofern, als wir damit hier im Hause über dieses Thema sprechen und als sich im Rahmen der Beantwortung einer solchen Großen Anfrage das zuständige Ministerium bzw. die zuständigen Ministerien mit diesem Thema auseinander setzen müssen. Im Übrigen verbinden wir damit natürlich die Hoffnung, dass die Behandlung des Themas öffentlichkeitswirksam wird und die Bürgerinnen und Bürger damit wissen, dass das Thema bzw. die Problematik von großer Bedeutung ist.

Nachdem es nun in Brandenburg den Behindertenbericht nicht mehr gibt, ist es umso wichtiger, im Rahmen einer solchen Anfrage einen Gesamtüberblick zu erhalten, um festzustellen, ob es möglicherweise hier oder da Defizite gibt, bei denen vonsei

ten der Landespolitik nachgesteuert werden muss. In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Linkspartei.PDS, sagen: Wenn Sie diese Anfrage nicht gestellt hätten, hätten wir das getan.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich bin aber sehr wohl für Arbeitsteilung auch in diesem Hause.

(Dr. Niekisch [CDU]: Hier geht es aber nicht um Arbeits- teilung, sondern um Gewaltenteilung!)

Insofern ist das in Ordnung.

Die Große Anfrage konzentriert sich auf das Brandenburgische Behindertengleichstellungsgesetz. Dieses Gesetz trifft in der Tat Regelungen für oberste Landesbehörden, für untere Landesbehörden sowie für landesunmittelbare Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts.

Richtig ist, dass dieses Gesetz keine unmittelbare Entfaltungskraft auf die kommunale Ebene ausübt. Diesen Umstand bemängeln die Kollegen von der PDS in ihrer Großen Anfrage. Sie behaupten, das Gesetz sei damit lediglich Ausdruck symbolischer Politik. Frau Weber hat in ihrem Statement sogar den „zahnlosen Tiger“ bemüht. An dieser Stelle, meine Damen und Herren, haben wir eine andere Auffassung.

Sie wissen sehr genau, dass in Artikel 97 Abs. 3 der Landesverfassung das Konnexitätsprinzip festgeschrieben ist. Auf dieser Grundlage hatte die Verfassungsklage einzelner Landkreise Erfolg. Das können wir gut oder nicht gut finden - es ist die Realität. Bei all unserem Handeln auf Landesebene haben wir das zu berücksichtigen. Insofern konnten im Gesetz die Zuständigkeiten nur in der entsprechenden Weise festgelegt werden. Ich finde aber, dass dem Gesetzgeber - ich spreche von „Gesetzgeber“, weil ich seinerzeit noch nicht dazugehörte - die Einbeziehung der kommunalen Seite gut gelungen ist; sie wird auf dem Weg mitgenommen.

Ich nenne beispielhaft die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Behindertenbeauftragten der Landkreise und kreisfreien Städte. Sie kommt alle sechs bis acht Wochen unter der Leitung des Beauftragten der Landesregierung für die Belange behinderter Menschen zusammen. In dem Gremium werden fachspezifische Themen besprochen sowie Workshops organisiert und durchgeführt. Der Landesbeauftragte kann direkt und unmittelbar über Landesvorhaben informieren, die kommunalen Behindertenbeauftragten entsprechend über die Probleme auf kommunaler Ebene. Die kommunalen Behindertenbeauftragten möchten dieses Gremium nicht mehr missen, sie finden es sehr gut. Es ist für sie die Basis für einen Erfahrungsaustausch.

Es gibt - im Gegensatz zu den Behauptungen der Fraktion der Linkspartei.PDS - bereits gute Beispiele dafür, dass Anregungen der Arbeitsgemeinschaft auf die kommunale Ebene übertragen worden sind. So hat sich ein Landkreis auf den Weg gemacht, im Rahmen eines Modellprojektes Fallkonferenzen durchzuführen. Darüber ist in der Arbeitsgemeinschaft berichtet worden. Mittlerweile haben sich mehrere Landkreise angeschlossen. Das Spannende daran ist, dass nicht über, sondern mit Menschen mit Behinderung und deren Angehörigen gesprochen wird. Gemeinsam wird versucht, den Hilfebedarf zu ermitteln.

Ein zweites Beispiel ist der ehrenamtliche Landesbehindertenbeirat. Hier wurden insbesondere die Behindertenverbände und die Verbände der freien Wohlfahrtspflege einbezogen. Man kommt regelmäßig zu einem fachlich-inhaltlichen Erfahrungsaustausch zusammen. Die Arbeit der Verbände strahlt natürlich auch auf die kommunale Ebene aus. Insofern ist eine Schnittstelle zur kommunalen Ebene gegeben.

In vielen Landkreisen und kreisfreien Städten ist es bereits gute Praxis - sie geht ebenfalls auf eine Initiative der Arbeitsgemeinschaft zurück -, Arbeitsgruppen für Bauen und Verkehr einzurichten. Damit soll gewährleistet werden, dass die Belange der Menschen mit Behinderung bei Baumaßnahmen, zum Beispiel beim Straßen- und Gehwegbau, berücksichtigt werden. Auf diese Weise kann zum Beispiel die Frage geklärt werden, wo eine Ampel mit Signalton anzubringen ist. Diese Dinge werden in den Kommunen vor Ort längst berücksichtigt.

Im Ergebnis der Beantwortung der Großen Anfrage kann ich feststellen: In unserem Land ist auf der Grundlage des Gesetzes bereits viel passiert. Das bedeutet nicht, dass nicht noch viel zu tun wäre; vieles ist noch auf den Weg zu bringen. Aber wir haben auch schon viel erreicht. So ehrlich müssen wir miteinander sein. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Für die Fraktion der DVU spricht die Abgeordnete Fechner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Große Anfrage an die Landesregierung ist an und für sich nichts Besonderes. Sie gehört schließlich zum parlamentarischen Alltag, auch wenn es um den Stand der Umsetzung des Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes geht.

Aber, meine Damen und Herren, wenn sich die Linke.PDS um die Behinderten in unserer Gesellschaft Sorgen und Gedanken macht, dann finde ich das sehr bemerkenswert. Ich freue mich immer wieder, zu sehen, wie wandlungsfähig die linken Genossen sind; denn es war nicht immer so, dass sich die Genossen um das Wohl der Behinderten gekümmert hätten. Wie zur Zeit der SED-Diktatur mit Behinderten umgegangen wurde, dürfte etlichen in diesem Hause noch in Erinnerung sein. Was in 40 Jahren SED-Diktatur versäumt oder missachtet wurde, kann durch bloße Polemik nicht wettgemacht werden.

(Beifall bei der DVU)

Aber es soll hier nicht um die Vergangenheit von Vietze & Co. gehen. Reden wir über die Große Anfrage „Stand der Umsetzung des Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes und angrenzender Bestimmungen“!

Bereits im Februar hatte die PDS in ähnlicher Weise zur Zukunft der Förder- und Beschäftigungsstätten im Bereich der Behindertenhilfe mit einer Großen Anfrage die Landesregierung beschäftigt. Auch in der vergangenen Legislaturperiode hatte sich die Linkspartei.PDS der Behindertenproblematik gewidmet.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Große Anfrage, die sich mit der Lebenssituation von Mädchen und Frauen mit Behinderung in Brandenburg beschäftigte. Schon damals wollten die linken Genossen wissen, welche besonderen Aktivitäten es seitens der Landesregierung gibt, um die besonderen Belange behinderter Frauen zu berücksichtigen. Schon damals betrachtete meine Fraktion sehr sorgenvoll, wie die Linkspartei.PDS hier Menschen selektierte.

Meine Damen und Herren, sicherlich sind die Belange von behinderten Menschen anders gelagert als die Belange von nicht behinderten Menschen. Auch die Art der Behinderung ist ein wesentliches Unterscheidungskriterium. Aber ist es nicht ein Fehler, wenn wir bei behinderten Menschen zusätzlich eine Differenzierung nach dem Geschlecht vornehmen? So möchte die Linkspartei.PDS zum Beispiel unter Frage 3 wissen, welche Beispiele zur besonderen Berücksichtigung besonderer Belange von behinderten Frauen im Rahmen der Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern die Landesregierung nennen kann.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Das konnte die Landesregierung - wie verwunderlich! - natürlich nicht. Sie stellt aber fest, dass die berufliche und soziale Integration behinderter Frauen und Mädchen aufgrund ihrer Betroffenheit spezifische Maßnahmen erfordern kann. Doch welche das sein können, steht dort nicht. Um ehrlich zu sein, mir fallen auch keine ein.

Ich habe immer gedacht, dass der Behinderungsgrad, das heißt die Art und Weise der Behinderung, spezielle Maßnahmen erforderlich macht. Dass jetzt auch noch das Geschlecht eine wesentliche Rolle dabei spielt, finde ich sehr bemerkenswert. Aber vielleicht kann Frau Ministerin Ziegler in ihrem Redebeitrag die Antwort auf Frage 3 ergänzen und uns mitteilen, welche speziellen Maßnahmen denn nun erforderlich sind.

Die vorliegende Große Anfrage ist ein reines Frage-und-Antwort-Spiel, bestehend aus mehr oder weniger sinnvollen Fragen. Wer Interesse daran hat, kann sich die Fragen und die dazugehörigen Antworten durchlesen. Meinerseits gibt es nichts Wesentliches hinzuzufügen.

(Beifall bei der DVU)

Für die Fraktion der CDU spricht die Abgeordnete Schier. Bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Herstellung von Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung ist ein Thema, über das wir immer wieder sprechen müssen, weil sich die Gegebenheiten stets ändern und die Entwicklung nie zu Ende ist. Es geht darum, die Hilfe individueller und bedarfsgerechter zu gewähren. Darin sehe ich eine große Chance für Behinderte, ihr Leben noch besser, noch eigenverantwortlicher als bisher zu gestalten.

Zu nennen ist an dieser Stelle die Einführung des persönlichen Budgets. Alle Menschen mit Behinderung sollten einen Antrag auf ihr persönliches Budget stellen. Ich weiß, dass es in den

Kreisen Anlaufschwierigkeiten gibt. Dennoch glaube ich, dass dies ein wesentlicher und richtiger Schritt zur Teilhabe sein wird.