Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Nun stellen Sie sich hier hin und wollen erwirken, dass der Landtag den Beschluss fasst, ein Verfahren in Gang zu bringen, das eigentlich schon läuft. Sie sind anscheinend zu spät gekommen oder haben die Situation zu spät wahrgenommen. Wir reden darüber. In der Januarsitzung hat der Innenminister gesagt, dass wir uns mit diesem Thema im Innenausschuss noch einmal befassen können. Aus meiner Sicht gingen Sie heute zu sehr ins Detail und haben die Entscheidungsfindung vorweggenommen.

Ich will mich jetzt nicht auf die Argumente einlassen, nur sagen: Die Härtefallkommission ist ein anerkanntes Gremium. Es wurde bisher ein einziger Fall abgelehnt. Das Instrumentarium Härtefallkommission mit seiner soliden Arbeit wird mittlerweile auch von seinen Kritikern geschätzt. Insofern sollten wir den Bericht und das, was der Minister an der einen oder anderen Stelle an Veränderungen vorschlagen wird, abwarten, wohl wissend, dass es sich um eine exekutive Verordnung handelt. Wir als Landtag haben uns in die Thematik eingearbeitet, sollten jetzt aber nicht etwas auf die Bahn bringen wollen, was schon läuft. In diesem Sinne ist Ihr Antrag überflüssig und wird von uns abgelehnt. - Danke.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herzlichen Dank, Frau Stark. - Es spricht jetzt der Abgeordnete Schuldt.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Härtefälle - ja, meine Damen und Herren von der Linkspartei.PDS - haben wir in Brandenburg wahrlich mehr als genug. Immer mehr Menschen in Brandenburg gelten als bedürftig.

Die langen Schlangen vor den Suppenküchen sprechen eine bittere Sprache. Immer mehr Kinder und Jugendliche leben auf der Straße. Massenarbeitslosigkeit und auch Altersarmut, wohin man sieht, meine Damen und Herren, vor allen Dingen Sie, meine Damen und Herren von der ach so sozialen Linkspartei.PDS, das sind die wirklichen Härtefälle hier in unserem Land. Aber die meinen Sie ja gar nicht, das sind ja Deutsche.

(Beifall bei der DVU – Widerspruch bei der Linkspar- tei.PDS)

Und damit das hier gleich klar und deutlich gesagt wird: Weder sind meine Partei noch meine Fraktion noch bin ich ausländerfeindlich.

(Zurufe von der Linkspartei.PDS)

Wer wegen seines Glaubens, wegen seiner politischen Tätigkeit an Leib und Leben gefährdet ist, der soll bei uns Asyl erhalten; dafür setzen wir uns ein.

(Beifall bei der DVU)

Aber selbst diese Menschen meinen Sie nicht, meine Damen und Herren von links außen. Denn Sie wissen ganz genau, dass die Gerichte hier sehr gut und korrekt arbeiten und dass die, die es verdienen, in unserem Land auch tatsächlich Asyl bekommen.

(Beifall bei der DVU)

Ihnen geht es, meine Damen und Herren von links außen, um die Ausländer, die jetzt im Lande sind. Die sollen hierbleiben und deshalb muss alles Störende beseitigt werden. Das ist Ihre Intention. Sie wollen mit Ihrem Antrag erreichen, dass durch die Aufhebung von Ausschlussgründen, die im § 5 der Härtefallkommissionsverordnung genannt sind, die Ausschlussgründe auf ein notwendiges Mindestmaß reduziert werden.

Was heißt das konkret? Sie von der Fraktion der Linkspartei.PDS wollen möglichst viele Härtefälle. Wir von der DVU-Fraktion wollen wenig Härtefälle, wenn möglich sogar keine. Die Unterschiede, die sich daraus ergeben, sind entsprechend markant. Wir von der DVU-Fraktion wollen diese ganze Härtefallkommission bekanntlich nicht. Aus unserer Sicht gehört eine solche Regelung mit entsprechenden Zuständigkeiten der Behörden allenfalls ins Gesetz, und das wohlgemerkt auch nur beschränkt auf überlange Verfahren unverschuldeter Aufenthaltsdauer, tadellosen Lebenswandel nach den Werten hier in unserem Land, hier in Deutschland, sowie unter Einbeziehung von Kindeswohlinteressen. Unser Hauptziel ist es, in allen Ausländerangelegenheiten die Verfahrenszeiten drastisch zu verkürzen und Härtefälle dadurch gar nicht erst entstehen zu lassen, sondern zu vermeiden.

(Beifall bei der DVU)

Sie von der Fraktion der Linkspartei.PDS wollen doch als Ergebnis das schlichte Gegenteil. Sie wollen schlicht einen unbegrenzten, unbeschränkten Zuzug von Ausländern ohne Rücksicht auf die Auswirkungen hier in Deutschland. Das entspricht Ihrer Multikulti-Ideologie. Wenn es nach Ihnen ginge, könnte das Ausländerrecht doch weitestgehend abgeschafft werden. Alles, was aus dem Ausland hierher kommt und auch nur die

Nase nach Deutschland hereinsteckt, egal aus welchen Gründen, soll nach Ihren Vorstellungen idealerweise ein Härtefall und kommissionsverdächtig sein.

Für unsere DVU-Fraktion stellt dieser Antrag lediglich einen Trippelschritt zur Realisierung des multikulti-ideologischen Ziels dieser Linkspartei.PDS dar. Die Ausschlussgründe in der Verordnung sind unverzichtbar. Sie verhindern, dass sich Ausländer durch unredliches Verhalten selbst einen Grund zum Hierbleiben schaffen. Das gilt selbstverständlich auch für den von der Fraktion der Linkspartei.PDS explizit angeführten § 5 der Härtefallkommissionsverordnung sowie die dortigen Nummern 4 und 9. Nur zur Klarstellung: Nummer 4 betrifft Identitätstäuschung, falsche Angaben sowie zurechenbare Unterlassung bei Erfüllung von Ausreisepflichten. Nummer 9 betrifft Fälle, in denen der Termin zur Rückführung bereits feststeht.

Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Fraktion der Linkspartei.PDS, verwirklicht also konkret das Prinzip: Wer lügt, wird belohnt. - Nein, meine Damen und Herren von der Fraktion der Linkspartei.PDS, so läuft das hier nicht, vor allen Dingen nicht mit der Fraktion der DVU,

(Zurufe von der SPD)

und, ich hoffe, auch nicht mit den anderen beiden demokratischen Fraktionen in diesem Hause.

(Beifall bei der DVU - Zurufe von SPD und CDU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Herr Petke.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte mir tatsächlich gewünscht, dass die Linkspartei.PDS auf diesen Antrag verzichtet. Uns allen ist noch die quälende Debatte im Zusammenhang mit dem Zuwanderungsgesetz, mit der Integration in Erinnerung. Dann haben sich die großen Parteien im Deutschen Bundestag und im Bundesrat geeignet. Jörg Schönbohm hat damals während dieser Debatte hier im Landtag erklärt, dass er sich für eine gesetzliche Grundlage, eine Härtefallkommission einsetzen wird. Diese hat es dann gegeben. Beide haben sich darauf verständigt. Es gibt eine zeitliche Befristung für diese Regelung. Sie ist in das Gesetz aufgenommen worden, trotz des einen oder anderen, der auch rechtliche Bedenken geäußert hat.

Ich erkenne außerordentlich an, dass gesagt wurde: Brandenburg war eines der ersten Länder, die diese Härtefallregelung in Kraft gesetzt haben. - Wir haben jetzt damit Erfahrungen gesammelt. Diese Erfahrungen sind, was den Umgang mit dieser Regelung betrifft, durchaus positiv.

Wir haben damals im Innenausschuss die Verabredung getroffen, dass wir dieses Thema nicht auf die Tagesordnung einer öffentlichen Sitzung setzen werden, weil wir dieser Härtefallkommission ermöglichen wollen, in Ruhe über diese zum Teil sehr bewegenden menschlichen Schicksale beraten zu können.

Deswegen bedauere ich es außerordentlich, dass Sie vor der Zeit - auch entgegen einer Verabredung im Innenausschuss des Landtages - diesen Antrag hier präsentieren. Der Innenminister wird sicher Ausführungen dazu machen, was dort bereits erarbeitet worden ist, was die Fälle der Härtefallkommission und das weitere Vorgehen betrifft. Aber mit diesem Antrag hätten Sie sich besser noch zurückgehalten. Wir hätten das zunächst im Ausschuss besprechen können. Der Antrag ist überflüssig. Entweder Sie nehmen ihr Anliegen ernst, das hier eben ziemlich trocken vorgetragen wurde, oder Sie nehmen es nicht ernst.

Wir nehmen es ernst. Weder von der SPD noch von der CDU haben Sie zur Arbeit der Härtefallkommission Kommentierungen gehört. Das soll und wird auch so bleiben, damit diese Kommission gute Entscheidungen treffen kann. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält der Innenminister. Bitte, Herr Schönbohm.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, ich kann mich kurz fassen, weil von Frau Stark und Herrn Petke bereits das Wesentliche gesagt wurde. Ich freue mich, dass es eine Härtefallregelung gibt, dass wir eine Härtefallkommission haben, und bin dankbar, dass bisher 51 Menschen in Brandenburg ein dauerhaftes Bleiberecht gegeben wurde.

Im Rahmen dieser Arbeit haben wir festgestellt, dass die Verordnung für die Härtefallkommission überarbeitet werden muss. Darüber haben wir im Innenausschuss berichtet. Wir sind mit dieser Überarbeitung befasst und wenn sie abgeschlossen ist, werde ich den Innenausschuss davon selbstverständlich unterrichten.

Die Hinweise, die im Parlament gegeben wurden, werden ernst genommen. Aber die Verantwortung für die Erarbeitung dieser Verordnung liegt beim Innenminister. Dieser Verantwortung werde ich nachkommen und gemeinsam werden wir diese überarbeitete Verordnung im Kabinett verabschieden. Von daher gesehen bedurfte es Ihres Antrags nicht. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Innenausschusses hätte Sie darüber informieren können, was wir dort besprochen haben. - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Damit ist auch die Redezeit der Landesregierung erschöpft. Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt Ihnen der Antrag, Drucksache 4/2411, Aufhebung der Ausschlussgründe, vor. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 9 und rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Pflichtuntersuchungen für Kinder

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion der CDU

Drucksache 4/2413

Als Erste erhält Frau Abgeordnete Hartfelder das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der gestrigen Aktuellen Stunde haben wir festgestellt, dass die Mehrzahl der Eltern ihre Kinder nach bestem Wissen und Gewissen erzieht und im Interesse des Wohles des Kindes handelt, das heißt auch die Möglichkeiten von ärztlichen Untersuchungen nutzt, Kinder- und Familienberatung annimmt. Ein geringer Prozentsatz der Eltern nimmt die Angebote der Krankenkassen bzw. des öffentlichen Gesundheitsdienstes der Jugend- und Familienhilfe allerdings nicht wahr. Ärzte, Erzieher, Sozialarbeiter beklagen seit Jahren eine zunehmende Vernachlässigung vor allem von kleineren Kindern.

Ebenso nehmen Entwicklungsstörungen zu. Auch Misshandlungen haben laut Presseveröffentlichungen, in denen man sich auf nicht veröffentlichte Statistiken des Bundeskriminalamtes beruft, seit 1996 um ca. 50 % zugenommen. Erzieher klagen darüber, dass Kinder nicht gewaschen, unsauber in die Kita kommen und nicht einmal ein Frühstück mitbringen.

Seit Jahren befasst sich die CDU-Fraktion in ihren Gremien mit dieser Entwicklung. Ergebnis vieler Gespräche und Anhörungen war, dass mit der gegenwärtigen Gesetzgebung wenig Abhilfe zu schaffen ist. Wir wollen uns damit nicht zufrieden geben. Ich habe die große Hoffnung, dass im Interesse der betroffenen Kinder jetzt ein gesellschaftlicher und politischer Wille wächst, endlich zu handeln.

Vier Schritte sind nacheinander bzw. parallel zueinander in Angriff zu nehmen: Erstens das Erkennen von gesundheitlichen und seelischen Störungen sowie Entwicklungsdefiziten im gesundheitlichen, im sozialen sowie im sprachlichen Bereich, zweitens die Anzeige dieser Defizite bei Trägern der Kinderund Jugendhilfe und der Aufbau eines Frühwarnsystems, darüber hinaus der Aufbau von Netzwerken. In zwölf Brandenburger Landkreisen bzw. kreisfreien Städten gibt es den Arbeitskreis Kinderschutz. Dort muss man immer wieder nachfragen, ob es wirklich funktioniert, ob es ein Netzwerk und ein Frühwarnsystem ist, das uns hilft. Der dritte Punkt ist das Schaffen bzw. der Ausbau von Beratungsangeboten der Kinder- und Jugend-, aber auch der Familienhilfe. Das Vierte - das ist eigentlich der Schlüssel zur Verbesserung der Lage - ist die Förderung - vor allen Dingen die Frühförderung - der betroffenen Kinder, um Bildungschancengerechtigkeit in unserem Land herzustellen.

Der Antrag „Pflichtuntersuchungen für Kinder“ bezieht sich auf den ersten Schritt. Zurzeit gibt es in Brandenburg zwei Systeme der Früherkennung von Entwicklungsdefiziten. Prof. Sturzbecher spricht jetzt nicht mehr von „Defiziten“, sondern von „Besonderheiten“. Ich finde diesen Begriff eigentlich besser und auch etwas sensibler.

Zum einen werden die U-1-Untersuchungen bis U 10 oder U 9 und J 1 von niedergelassenen Ärzten durchgeführt. Sie sind in § 26 des Bundessozialgesetzbuches V geregelt. Von den Eltern werden sie - wie im Antrag beschrieben - für die Null- bis Zweijährigen zu 83 % und für die Drei- bis Zehnjährigen zu 71 % wahrgenommen. Das sind keine schlechten Zahlen; sie zeigen uns, dass die Mehrzahl der Eltern ihrer Erziehungsaufgabe und ihrem Erziehungsauftrag nachkommt. Die Eltern dieser Kinder werten das Erziehungsrecht auch als Pflicht, das Wohl ihres Kindes zu schützen. Das ist gut so. Aber 17 % der null- bis zweijährigen und 29 % der drei- bis zehnjährigen Kinder werden nicht untersucht. Sie fallen durch ein eigentlich engmaschiges Netz.

Zum anderen regeln das Gesundheitsdienstgesetz des Landes Brandenburg und das Kita-Gesetz unseres Landes sowie die Kinder- und Jugendgesundheitsdienstverordnung die Durchführung von Untersuchungen jeweils einmal vom dritten bis zum sechsten Lebensjahr für die Kinder in den Kitas durch den öffentlichen Gesundheitsdienst der Kreise und kreisfreien Städte.

Die Landesregierung antwortete auf eine Kleine Anfrage, dass im Durchschnitt weniger als 40 % der Kinder in Kitas mit diesen Untersuchungen erfasst werden. Wir erreichen also mit diesen Untersuchungen 60 % der Kinder nicht. Defizite, die sich in diesem Alter einstellen - das haben wir auch gestern in der Aktuellen Stunde festgestellt und das haben Studien aller Welt bewiesen -, festigen sich mit zunehmendem Alter und vervielfältigen, potenzieren sich. Deshalb müssen wir möglichst früh alle Kinder erreichen und in die notwendige Förderung hineinbringen.

Wenn wir mit zwei nebeneinander bestehenden Angeboten lange nicht alle Kinder erreichen, muss sich etwas Gravierendes ändern. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die ärztlichen Untersuchungen, die zunächst in kurzen Zeitabständen angeboten werden und ab dem dritten Lebensjahr die Entwicklungssprünge der Kinder berücksichtigen - man kann auch noch einmal überprüfen, ob das zu der Zeit richtig ist oder nicht, das sollte die Diskussion ergeben -, für Eltern pflichtig werden.

Warum gerade dieser Weg? Hebammen und Ärzte, in der Regel Kinderärzte, sehen ein Kind häufiger, als der öffentliche Gesundheitsdienst es überhaupt leisten kann. Der Arzt kann also im Einzelfall Entwicklungstendenzen des Kindes beurteilen, weil er das Kind in Abständen immer wieder sieht. Ärzte sind durch die Richtlinie der Bundesvereinigung der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung gehalten, bei diesen Untersuchungen alle Entwicklungsauffälligkeiten, angefangen bei Krankheiten über Sprachstörungen, Kleinwuchs, Dickleibigkeit bis hin zu Symptomen von Vernachlässigung, festzustellen. Ärzte erkennen auch am ehesten, ob ein Kind misshandelt worden oder durch einen Unfall zu Schaden gekommen ist, also nur gestolpert ist oder dergleichen.