Protokoll der Sitzung vom 26.10.2006

Aber es gibt schon Ausnahmen. Wir haben in der Koalition über viele Dinge gesprochen, die dann doch nicht in die Reform eingeflossen sind. Es handelt sich zum Beispiel um Sportunfälle, die in Risikosportarten geschehen. Wenn ich Bungee-Jumping betreibe, dann muss nicht die Gesellschaft dafür haften, wenn das Seil ein wenig länger als gedacht war. Von solchen Dingen rede ich.

(Krause [Die Linkspartei.PDS]: Was ist bei Fußball?)

- Ich habe doch eben gesagt, dass wir es nicht getan haben, auch bei Fußball nicht.

Es geht darum, die Eigenverantwortung zu stärken und darum, dass sich die Menschen über folgende Fragen bewusst werden müssen: Muss ich zum Arzt gehen? Bin ich krank? Kann ich es mir leisten, in die Apotheke zu gehen und zu bezahlen? Dieses Denken muss einsetzen, sonst bricht uns das ganze System auseinander. Das ist das Wesentliche, weshalb wir es so gemacht haben.

Die Kassen müssen ihren Versicherten Hausarzttarife anbieten, damit sich diese an einen Hausarzt, der bestimmte Qualitätskriterien erfüllt, binden. Die Teilnahme ist für die Patientin oder den Patienten freiwillig. Die Kassen können den Versicherten, die sich daran beteiligen, einen Bonus gewähren. Ich nenne auch den Hintergrund. Es gibt viele Menschen, die nicht nur einen Hausarzt besuchen, sondern zu mehreren Ärzten parallel gehen und sagen: Ich habe dieses oder jenes, vielleicht stellt ein anderer Arzt eine andere Diagnose. Es ist Fakt, dass viele Menschen oft zum Arzt gehen, ohne dass es unbedingt notwendig wäre. Wenn sie sich an einen Hausarzt binden, kann dieser sie durch das gesamte Gesundheitssystem lenken und leiten. Von dieser Praxis versprechen wir uns eine ganze Menge.

In die Sicherung der Versorgung auf dem Land - das wurde ebenfalls erwähnt - können nichtärztliche Heilberufe zur Entlastung der Hausärzte eingebunden werden. Unser Gemeindeschwestermodell erhielt eine wesentliche gesetzliche Grundlage.

Zur Krankheitsvorbeugung empfohlene Impfungen sowie Mutter-Kind-Kuren werden Regelleistungen der GKV.

Eine wichtige Tatsache ist, dass das Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkasse nicht verringert, sondern erweitert worden ist. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt.

Die Krankenkassen werden verpflichtet, Selbsthilfegruppen und Kontaktstellen zu fördern und zu finanzieren. Auch das ist ein Pluspunkt. Der Leistungsanspruch und die Vergütung der Palliativversorgung, in den letzten Jahren und Jahrzehnten ein Manko, werden insbesondere an der Schnittstelle zwischen ambulant und stationär verbessert. Die Pflegeleistungen können in die integrierte Versorgung eingebunden werden. Kassen können zum Beispiel mit Ärzten und Pflegeeinrichtungen Versorgungsverträge vereinbaren. Außerdem werden bei der Versorgung mit Hilfsmitteln wie Gehhilfen Zuständigkeitsprobleme, die es oft zwischen Kranken- und Pflegeversicherung gab, geklärt und der Patient nicht mehr hin- und hergeschickt. Heimbewohner mit besonders hohem pflegerischen Bedarf behalten ihren Anspruch auf häusliche Krankenpflege - ein ganz wichtiger Punkt.

Die Krankenhäuser werden zu einem verbesserten Entlassungsmanagement verpflichtet. Sie sind zur Nachsorge verpflichtet und dürfen diese nicht auf die Hausärzte abwälzen. Die Reha-Kliniken müssen Qualitätsnachweise hinsichtlich der Versorgung erbringen, wenn sie mit Krankenkassen Verträge abschließen wollen.

In der Arzneimittelversorgung wird ein Höchstpreissystem eingeführt. Apotheken und Krankenkassen können mit den Herstellern in Rabattverhandlungen treten. Wir werden erleben, dass dadurch günstigere Preise erzielt werden.

Für die von den Kassen bezahlten Arzneimittel wird eine Kosten-Nutzen-Berechnung eingeführt. Es werden nur noch Kosten solcher Präparate erstattet, die sich als wirksam und wirtschaftlich erwiesen haben.

Wer seinen Versicherungsschutz verloren hat, erhält ein Rückkehrrecht in seine letzte Versicherung. Das ist vor allem zum Schutz von Selbstständigen, die oftmals in die Bredouille geraten und den Versicherungsschutz völlig verloren haben, wichtig.

Wenn man all diese Verbesserungen sieht, muss man doch sagen, dass vieles erreicht worden ist. In der Konstellation unserer Großen Koalition wurde das, was möglich war und insbesondere im Sinne von Brandenburg gelungen ist, herausgearbeitet. Darauf bin ich auch ein Stück weit stolz. Wir haben für die ostdeutschen Flächenländer etwas erreicht.

Sie sagen immer, das Glas sei halb leer und nicht halb voll. Ich meine, wir haben es schon zu drei Vierteln gefüllt. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank. - Das Wort erhält noch einmal die antragstellende Fraktion. Es spricht die Abgeordnete Kaiser.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, ein toller Kompromiss? Ich kann ihn nicht sehen. Ich weiß auch nicht, warum Sie ihn so verteidigen, wenn derzeit lediglich 60 % der SPD-Abgeordneten der Bundestagsfraktion diesem Kompromiss zustimmen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Um einige sinnvolle und notwendige Veränderungen in diesem Gesundheitssystem zu erreichen, muss man es aber reparieren und nicht den Grundsatz, das Solidarische, weiter aushöhlen und zerstören.

Es wird vielleicht keine Leistungseinschränkung geben - das kann sein, es ist ja gut so -, aber es sind massive Beitragserhöhungen und Zusatzprämien zu befürchten. Das hat schwere Folgen für die soziale Situation in Brandenburg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider haben Sie sich den Konsequenzen dieser Reform für die soziale Situation in Brandenburg, wie wir im Thema dieser Aktuellen Stunde geschrieben haben, heute nicht gestellt. Ich wundere mich wirklich - es wird ja immer gesagt, die PDS rede alles schlecht -, dass in der heutigen „Märkischen Allgemeinen“ steht: „,Katastrophe für die Menschen‘. In Brandenburg massive Ablehnung gegen die geplante Gesundheitsreform“ - Durchatmen und noch einmal von vorn anfangen, wird empfohlen.

(Ministerin Ziegler: Lobby!)

- Ja, wir vertreten auch eine Lobby, die der Betroffenen.

Es lässt sich nicht vom Tisch wischen, dass dieses Projekt ein unsoziales Projekt zulasten der mittleren und kleinen Einkommensbezieher im Land Brandenburg ist.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Leute, die kleine Einkommen beziehen, werden stärker belastet. Das ist belegbar.

Seitens der Krankenkassen wurde gestern Abend noch auf etwas anderes hingewiesen. Solidarität heißt geben und nehmen. Es muss aber im solidarischen System auch welche geben, die mehr geben als nehmen. Wenn sich diese aber aus dem System verabschieden, wenn sie die Möglichkeit dazu haben, funktioniert es nicht. Gestern Abend ist auch gesagt worden, dass Solidarität nur unter Armen nicht funktioniert.

(Zuruf des Abgeordneten Schulze [SPD])

Deshalb weisen wir darauf hin, dass wir ein bürokratisches Monstrum Gesundheitsfonds bekommen. Wir bekommen im System nicht weniger Bürokratie und auch nicht mehr Einnahmen.

Bevor aber dieser Gesundheitsfonds funktioniert, müssen sich die Krankenkassen entschulden. Für die größte Kasse des Landes - fragen Sie dort nach - bedeutet das, wenn es ab 2007 eintritt, eine Beitragssatzerhöhung auf 18 % und wenn es ab 2008 sein sollte, auf 16,5 % zulasten der Versicherten, denn diese müssen mehr einzahlen. Die Bundesregierung will den Arbeitgeberbeitrag deckeln. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Lasten zulasten der Versicherten gehen und unter den Versicherten zulasten der Armen. Das ist offensichtlich.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich lade Sie alle herzlich in die Runden mit Arbeitslosen, die wir in den Wahlkreisen durchführen, ein. In der Strausberger Tafel, wo ich vorige Woche war, sitzen keine Leute, die bildungsfern sind und sich nicht um ihre Vorsorge kümmern wol

len. Sie sagen Ihnen ganz klar, die Entscheidung, zum Arzt zu gehen und danach das zuzahlungspflichtige Medikament in der Apotheke zu holen, ist keine Entscheidung von „und“, sondern eine von „oder“. Sie gehen nämlich zum Beispiel bei Halsschmerzen nicht zum Arzt, sondern in die Apotheke. Der Apotheker trifft dann eine Ferndiagnose, um zu entscheiden, welche Lutschtabletten er gibt. Das ist in Brandenburg Realität. Die 10 Euro für den Arztbesuch plus Zuzahlung in der Apotheke haben diese Leute mit 345 Euro im Monat schon jetzt nicht.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Lösung kann auch nicht sein, ihnen zu empfehlen, in der Folge das „Krankenkassenhopping“ zu probieren.

Das ist keine Schwarzmalerei, sondern das ist die Realität. Wir folgen in Bezug auf die sozialen Folgen auch nur der Logik der bisherigen Reformen der Großen Koalition. Frau Ministerin, ich bin sehr traurig, dass Sie von Ihrem Prinzip der solidarischen Bürgerversicherung abgewichen sind. Das ist nach der Zustimmung zur Mehrwertsteuererhöhung - leider - das zweite Mal ein Bruch von Wahlversprechen gegenüber den meisten Brandenburgerinnen und Brandenburgern.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich hätte es sehr gut gefunden, Frau Ministerin, wenn wir im Ausschuss vor Ihren Verhandlungen oder auch während Ihrer Verhandlungen beim Bund die Chance genutzt hätten, die Brandenburger Vertretungen anzuhören - Patienten, Ärzte, Krankenkassen -, um vorher auf die Probleme hinzuweisen.

Glauben Sie nicht, dass wir als Landespolitiker uns nicht die Hände schmutzig machen, weil wir über dieses Gesetz nicht mit abstimmen. Wir machen uns die Hände schmutzig, Sie machen sich die Hände schmutzig, wenn Sie die sozialen Probleme, die definitiv schon jetzt auf dem Tisch liegen, einfach herunterfegen. Die sehr schwache Zustimmung in Ihren eigenen Fraktionen belegt diese Probleme durchaus schon jetzt.

Welche Ziele sollten mit der Reform erreicht werden? Wir wollten die Finanzierung von den Arbeitskosten abkoppeln; das ist nicht passiert. Es sollte mehr Wettbewerb zwischen den Kassen geben; auch das ist nicht passiert. Es sollte auf Steuerfinanzierung umgestellt werden; auch da Fehlanzeige. Sie haben sich damit in der SPD wesentlich von Ihren eigenen Zielen abgewandt. Das muss man konstatieren. Deshalb sagen wir: Die Bevölkerungsmehrheit, die von der Reform Betroffenen, die mit der Reform Befassten lehnen die Reform im Land Brandenburg ab.

Sie werden von der linken Opposition hier im Landtag wohl keine Zustimmung erwarten. Sie haben uns von diesem unsozialen Reformprojekt nicht überzeugt. Es höhlt das Recht auf Gesundheitsvorsorge aus. Es benachteiligt Arme und ihre Kinder, es benachteiligt Ältere und Kranke und es macht vielen Brandenburgerinnen und Brandenburgern einfach nur Angst. Diese Angst, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, sollten Sie den Brandenburgerinnen und Brandenburgern nehmen. Das, denke ich, ist Ihre Verantwortung.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Für die SPD-Fraktion nimmt der Abgeordnete Baaske die Restredezeit in Anspruch.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin etwas überrascht über diese Ausführungen. Ich nehme einmal Ihre Presseinformation zur heutigen Veranstaltung, die mir gerade hereingereicht wurde, zur Hand. Ich will einen Punkt ganz besonders ansprechen. Auf einige Punkte brauche ich nicht einzugehen, die haben Sie vorhin wohl vernommen, nehme ich an, Sie wollen sie nur nicht wahrhaben, weil es Ihnen Schwierigkeiten macht, dass irgendwo Leute sind, die das akzeptieren würden. Sie wollen sie viel lieber aufhetzen. Diese Erfahrung haben Sie im Jahr 2004 schon gemacht und damit bei der Landtagswahl auch ganz gut abgeschnitten. Ich glaube, Sie wollen jetzt wieder versuchen, durch Desinformation Leute gegen ein gutes Projekt, gerade ein für Ostdeutschland gutes Projekt aufzubringen.

Sie zitieren aus der „Märkischen Allgemeinen“ von heute unter anderem den Satz: Bitte, Politik, noch einmal durchatmen und von vorne anfangen! - Dieser Satz, der Ihrer Meinung nach von der Bevölkerung kommt,

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS])

stammt von Hans-Joachim Helming, dem Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg.

(Frau Kaiser [Die Linkspartei.PDS]: Na und!)

Wenn Sie für ihn Lobbypolitik machen wollen, bitte schön, dann sagen Sie es laut, dann wollen wir es aber auch so stehen lassen. Sie haben von den Menschen Brandenburgs gesprochen und zitieren Hans-Joachim Helming, den Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS])