Protokoll der Sitzung vom 22.11.2006

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Plenarsitzung und begrüße Sie und unsere Gäste, Schüler des SallyBein-Gymnasiums Beelitz. Ich wünsche euch einen interessanten Vormittag!

(Allgemeiner Beifall)

Ihnen liegt die Tagesordnung in der von den Parlamentarischen Geschäftsführern gewünschten Fassung vor. Gibt es dazu Bemerkungen? - Das ist nicht der Fall. Ich stelle sie zur Abstimmung. Wer der Tagesordnung zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall; damit ist sie beschlossen.

Ich habe Ihnen die Abwesenheit von Minister Junghanns ab 16 Uhr zu verkünden. Er wird von Frau Prof. Dr. Wanka vertreten. Die Abgeordneten Dr. Niekisch und Nonninger sind heute ganztägig und die Vizepräsidentin ist krankheitsbedingt an beiden Plenartagen abwesend. Wir wünschen ihr von hier aus gute Besserung!

(Allgemeiner Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Auswirkungen der aktuellen Steuerschätzung auf die kommunale Finanzausstattung in Brandenburg

Antrag der Fraktion der SPD

Wir eröffnen die Debatte mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Es spricht die Abgeordnete Melior.

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Verehrter Landtagspräsident! Auswirkungen der aktuellen Steuerschätzung auf die kommunale Finanzausstattung in Brandenburg - was ist daran aktuell?, werden Sie fragen. - Erst in der letzten Sitzung des Landtags war das Thema Kommunalfinanzen auf der Tagesordnung. Wir haben den Nachtragshaushalt für 2006 beschlossen und der Modernisierung des Finanzausgleichsgesetzes mehrheitlich zugestimmt. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass sich auch die kommunalen Einnahmen spürbar erholen. Mit der Steuerschätzung vom 3. November 2006 liegen uns Daten und Zahlen vor, die uns die Situation neu bewerten lassen und die Aktuelle Stunde zu diesem Thema, so meinen wir, rechtfertigen. Wenn auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, den Satz gelten lassen, dass die Gemeinden, Städte und Landkreise das Rückgrat des Landes sind,

(Vereinzelt Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

und es dem Land immer nur gut gehen kann, wenn es den Städ

ten und Gemeinden gut geht, ist die Aktualität unserer heutigen Debatte einmal mehr unterstrichen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Das Land Brandenburg kann nach der aktuellen Steuerschätzung im Jahr 2007 mit - so die Prognose - Mehreinnahmen in Höhe von rund 160 Millionen Euro rechnen. Davon erhalten die brandenburgischen Kommunen - das interessiert uns in der heutigen Debatte besonders - 20 %; das entspricht 32 Millionen Euro. Die SPD-Fraktion hat sich mit dem Bekanntwerden der Daten sofort dafür ausgesprochen, diese 32 Millionen Euro an die kommunale Familie weiterzureichen und in die laufenden Haushaltsberatungen einzuspeisen. Das heißt, diese 32 Millionen Euro stehen den Städten, Gemeinden und Landkreisen in Brandenburg im nächsten Jahr zusätzlich zur Verfügung.

Viel wichtiger als die Zuweisungen des Landes sind jedoch die originären Einnahmen der Kommunen. Hier zeichnet sich ebenfalls eine sehr positive Entwicklung ab. Waren es im Jahr 2006 immerhin 72,8 Millionen Euro mehr, so sind es im Jahre 2007 sogar 242 Millionen Euro an eigenen Steuereinnahmen bzw. Anteile an der Gemeinschaftssteuer, mit denen die Kommunen in Brandenburg gegenüber der Mai-Steuerschätzung dieses Jahres rechnen können, und das ist gut so.

Ich will sagen, warum das gut so ist. Erstens: Ein eingenommener eigener Euro - sei es durch Einkommensteueranteile, Gewerbesteuereinnahmen oder durch den Anteil an der Umsatzsteuer - ist 100 Cent wert. Die Zuweisung des Landes würde demgegenüber nur 75 Cent betragen. Wir gleichen mit dem Finanzausgleichsgesetz - das ist Ihnen allen bekannt; darüber haben wir letztens ausführlich debattiert - die fehlenden Einnahmen für den eigenen Bedarf einer Gemeinde oder Stadt aus. Anders kann es auch nicht sein, denn alles andere hieße, diejenigen zu bestrafen, die sich um eigene Einnahmen bemühen und diese - Gott sei Dank! - auch erzielen.

Ich sage vor Ort immer gern: Wir müssen den Kommunen Lust darauf machen, eigenes Geld einzunehmen. Wie gesagt, ein Euro eigenes Geld ist mehr wert als ein 75 %iger Anteil an Landeszuweisungen. Damit haben die eigenen Einnahmen eine viel größere Bedeutung als die Finanzmittel aus dem Geldhahn des Landes.

Zweitens: Das, was in den ostdeutschen Ländern als investive Schlüsselzuweisungen ausgereicht wird, ist hauptsächlich aus Solidarpakt-II-Mitteln gespeist. Diese Zahlungen sind rückläufig - auch darüber haben wir hier mehrfach geredet -, und zwar ab dem Jahr 2009 dramatisch. Nun soll sich bitte niemand dem Irrglauben hingeben, es gäbe einen Solidarpakt III. Wir müssen uns frühzeitig auf die dann veränderten Bedingungen und die veränderte Situation einstellen.

Mit den Sonderbedarfsergänzungszuweisungen sollen zwei Ziele erreicht werden. Zum einen soll die unterproportionale Finanzausstattung der Kommunen in Ostdeutschland mit eigenen Einnahmen aufgefangen werden. Zum anderen dienen sie zur Finanzierung wichtiger Infrastrukturmaßnahmen. Deshalb ist es gut, wenn die originären Einnahmen der Kommunen wachsen und mehr eigenes Geld für notwendige Investitionen bereitsteht.

Drittens: Höhere Einnahmen sind an sich etwas Positives. Die

Kollegen der Fraktion der Linkspartei.PDS waren schon im Vorfeld so außer sich vor Freude, dass sie das Geld, ohne es richtig eingenommen zu haben, schon ausgeben wollten.

(Frau Osten [Die Linkspartei.PDS]: Sie haben noch nicht erlebt, wie ein Außer-sich-Sein bei uns aussieht!)

Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben da nicht mitgemacht. Wir stellen keine ungedeckten Schecks aus, schon gar nicht, um neue Zweckbindungen oder gerade erst umverteilte Sonderzuweisungen in das modernisierte Finanzausgleichsgesetz zu schreiben. Ich gebe zu, ein Abgeordneter unseres Koalitionspartners meinte auch, er könne zehn Tage nach der namentlichen Abstimmung so tun, als sei nichts gewesen; aber das hatte vermutlich andere Gründe.

Zuerst müssen Defizite - sofern vorhanden - ausgeglichen werden. Das heißt: absoluter Vorrang für Entschuldung. An zweiter Stelle stehen notwendige Infrastrukturmaßnahmen. Die investiven Mittel wird es ab dem Jahr 2020 nicht mehr geben.

Schulen, Straßen, Kindergärten, Spielplätze, Bushaltestellen, Krankenhäuser und Altenheime müssen dann modernisiert werden und topfit sein, Flächen für Gewerbe attraktiv sein und ausreichend zur Verfügung stehen. In Rilkes Gedicht „Herbsttag“ heißt es:

„Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.“

In Anlehnung daran möchte ich sagen: Wer jetzt seine Chance nicht nutzt, Einwohner zu gewinnen und Gewerbe anzusiedeln, wird auf lange Sicht abgehängt bleiben, denn die Anteile an der Einkommensteuer und die Gewerbesteuer sind noch immer die wichtigsten Einnahmequellen der Städte und Gemeinden in Brandenburg. Die Mehreinnahmen sind im Land - auch das gehört zur Wahrheit - sehr unterschiedlich verteilt. Während der Berliner Raum weiter wächst, müssen die entfernten Regionen mit deutlich weniger Einnahmen auskommen. Mit dem Finanzausgleichsgesetz versuchen wir, dies aufzufangen. Ob uns das immer gelingt, wird uns spätestens der Symmetriebericht im Jahre 2010 deutlich machen.

Auf die besondere Situation der Landkreise und kreisfreien Städte möchte ich noch etwas ausführlicher eingehen. An der wirklich guten Einnahmeentwicklung bei der Mehrzahl der Städte und Gemeinden sind die Landkreise leider nur indirekt beteiligt. Sie profitieren zwar von der gewachsenen Umlagemasse, die auch die Kreisumlage in absoluten Zahlen steigen lässt, sie sind es aber auch, die mit immer mehr Aufgaben und Belastungen zurechtkommen müssen. Seit Jahren sind die Haushalte auf dieser Ebene defizitär. Nicht erst die Verfassungsklage des Landkreises Uckermark hat uns diese prekäre Situation vor Augen geführt. In der Klageschrift heißt es:

„Seit dem Jahr 1997 ist der Landkreis Uckermark nicht mehr in der Lage, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen.“

Meine Damen und Herren, ob dem wirklich so ist, wird das Verfassungsgericht abschließend beurteilen müssen. Richtig ist: Die Uckermark ist inzwischen mit kumulierten über 40 Millionen Euro deutlich höher verschuldet, als es Gott sei Dank andere Kreise in Brandenburg sind. In Gesprächen vor Ort wurde klar, dass es nicht nur eigene Entscheidungen sind, die

diese Lage verursacht haben. Die Einzelpläne 4 der Landkreise und kreisfreien Städte - für alle die, die es nicht wissen: hier geht es um alles, was soziale Sicherung ausmacht, von Hartz IV, über Jugendhilfe, Kita bis zu Hilfen in besonderen Lebenslagen - explodieren geradezu.

In Landkreisen mit sehr hoher Arbeitslosigkeit und großen demografischen Umbrüchen wie der Uckermark, der Prignitz oder Oberspreewald-Lausitz sind diese Auswirkungen besonders drastisch zu spüren. Aber auch die anderen Landkreise bekommen den Ausgleich nicht mehr hin und sind auf Haushaltssicherungskonzepte angewiesen. Vor dieser Situation können und wollen wir weder im Bund noch im Land die Augen verschließen. Die Sozialgesetzgebung ist in erster Linie Bundesgesetzgebung. Es macht für die örtlichen Träger der öffentlichen Jugend- und Sozialhilfe - das sind bei uns Landkreise und kreisfreie Städte - einen Großteil der Belastungen aus.

Mit der Verabschiedung der Föderalismusreform ist ein erster wichtiger Schritt getan. Der Bund kann nicht mehr wie bisher - leider bei Hartz IV auch geschehen - Aufgaben direkt auf die kommunale Ebene übertragen, ohne dann auch die Kosten mitzutragen. Dafür werden die Länder in Zukunft das Scharnier sein. Das heißt: Höchste Alarmstufe bei den Verhandlungen im Bundesrat, wenn Aufgaben und Kosten nach unten durchgereicht werden sollen. Jüngstes Beispiel sind die Kosten der Unterkunft.

Aber ein positives Beispiel: Die schwierigen Verhandlungen sind zugunsten der Kommunen gelungen. Der Bund übernimmt bis zum Jahre 2010 31,8 % der Kosten der Unterkunft und nicht - wie bisher - 29,1 %. Das Ergebnis ist wie Weihnachten und Ostern auf einen Tag. Es wurde in den Kommunen in Ost und West erleichtert zur Kenntnis genommen, denn hier gab es die größten Belastungen. Diejenigen, die sich mit Kreishaushalten auskennen, wissen, was das vor Ort bedeutet. Ich will ausdrücklich den Verhandlungsführern danken, die für uns Brandenburg vertreten und dieses gute Ergebnis mit zustande gebracht haben.

Weiterhin ist verabredet, dass bei der Reform der Unternehmenssteuer kurzfristige Mindereinnahmen - Herr Steinbrück geht von etwa 5 Milliarden Euro aus - allein von Bund und Ländern geschultert werden müssen und die Kommunen davon verschont bleiben. Das sind die Dinge, die jetzt im Bund beraten werden. Aber auch wir im Land sind hier gefragt.

Im modernisierten Finanzausgleichsgesetz bleibt der Flächenfaktor erhalten. Das haben wir hier erst vor Kurzem miteinander verabredet. Das hilft vor allen Dingen den Landkreisen, die bei großer Fläche immer weniger Bevölkerung haben, aber dennoch ihre Aufgaben erledigen müssen. So erhält der Landkreis Uckermark im Jahre 2007 mit 235 Euro pro Einwohner - hier sind die Mittel aus dem SGB XII nicht enthalten - die zweithöchste Landeszuweisung.

Ein weiterer Diskussionspunkt ist der öffentliche Personennahverkehr. Die Kürzungen des Bundes können wir aufgrund unserer eigenen schlechten Finanzsituation nicht ganz auffangen. Dennoch hat meine Fraktion gemeinsam mit dem Koalitionspartner dafür gesorgt, dass für das Jahr 2007 2 Millionen Euro zusätzlich in den Schülerverkehr gehen. Somit stehen insgesamt 37 Millionen Euro für den Schülerverkehr als sogenannte §-45a-Mittel zur Verfügung. 800 000 Euro werden darüber hin

aus für zusätzliche Schienenersatzverkehre bei abbestellten Strecken bereitgestellt. Die Landkreise werden auch davon profitieren.

Hausaufgabe für uns im Landtag, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, bleibt die Finanzierung und Durchführung des Kindertagesstättengesetzes. Hier gehören Finanzen und Aufgaben zusammen. Seit dem Sommer dieses Jahres haben wir mit der Föderalismusreform auch die erforderliche Grundlage dafür. Die pauschalierten Zuweisungen des Landes gehören in die Wohnorte, dort, wo die Aufgabe erledigt wird, wo man einander kennt und die bestmögliche Lösung für jedes einzelne Kind gesucht und gefunden werden kann. Die Gemeinden wollen diese Aufgabe übrigens selbst übernehmen. Das haben sie uns in vielen Gesprächen vor Ort immer wieder bestätigt. Die teilweise unsäglichen und langwierigen Verhandlungen zwischen Landkreisen und Gemeinden würden uns allen damit erspart bleiben. Wenn ich höre - ich hatte erst vorige Woche wieder Gelegenheit dazu -, wie schwer sich westdeutsche Kommunen noch immer mit dem Aufholen bei der Kinderbetreuung tun, so bin ich sicher, dass wir in Brandenburg im Wissen um unsere Stärke auch noch die letzten Hürden für eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung nehmen werden.

Meine Damen und Herren, abschließend noch eine Hausaufgabe für uns alle: Anstatt immer den Splitter im Auge des Anderen zu suchen, sollten wir uns zuerst mit dem Balken im eigenen Auge befassen!

(Zuruf bei der CDU: Sehr gut!)

Miteinander reden hilft und schafft gegenseitiges Vertrauen. Aufeinander schimpfen, am liebsten, wenn der Beschimpfte nicht anwesend ist, hilft keiner Seite weiter. Nur gemeinsam wird es uns gelingen, die stetige Aufgabenerfüllung vor Ort zu sichern und unser Bundesland mit einem stabilen Rückgrat, gut aufgestellten Städten und Gemeinden, Ämtern und Landkreisen, zu versehen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank! - Wir setzen mit dem Beitrag der Fraktion der Linkspartei.PDS fort. Für sie wird Herr Theel sprechen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der intensiven Diskussion über das FAG 2007, den Nachtragshaushalt 2006 in diesem Hohen Haus hat meine Fraktion die Botschaft des Arbeitskreises Steuerschätzung von Anfang November mit einem guten Gefühl - nicht mit Euphorie und schon gar nicht mit Verteilungswut - zur Kenntnis genommen. Diese Botschaft des Arbeitskreises liefert uns nachträglich sehr sachkundige Argumente dafür, dass unsere Anträge zur angemessenen Beteiligung der Kommunen an den Gesamteinnahmen des Landes richtig und machbar waren. Ich bedanke mich deshalb bei den Initiatoren der heutigen Aktuellen Stunde dafür, weil ich wieder das gute Gefühl hatte, dass die Koalition nochmals darüber nachdenken will, weshalb sie all unsere Anträge abgelehnt hat, die sämtlich darauf gerichtet waren, die Kommunen, die angeblich gut aufgestellt sind, in die Lage zu versetzen, kommunale Aufgaben mit der entsprechenden fi

nanziellen Ausstattung zu erfüllen. Das betrifft unter anderem den Verzicht auf die Beteiligung der Eltern an den Kosten des Schülertransports.

Im Land ist überall - besonders bei den Eltern - der Eindruck entstanden, dass der kostenfreie Schulbesuch in diesem Land kein Thema mehr ist. Das gilt genauso für den Vorwegabzug in Höhe von 50 Millionen Euro aus der kommunalen Finanzmasse sowie die Vorwegnahme der neuen Ziele der Landesplanung. Obwohl diese Strategie noch längst nicht beschlossene Sache ist, werden die bisherigen Grund- und Kleinzentren in finanzieller Hinsicht mit ihren Aufgaben alleingelassen.

Der Druck, mit dem der Finanzminister die Haushaltssanierung betreibt, hat auch zur heutigen Protestaktion vor dem Parlamentsgebäude geführt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)