Protokoll der Sitzung vom 25.01.2007

Meine Damen und Herren! Es ist „Punkt 10 Uhr“. Die leichte Verzögerung des Beginns der Plenarsitzung hat mit einem Defekt im Ü-Wagen zu tun und weniger mit den auf Herrn Petke gerichteten Kamerablicken.

Ich begrüße Sie herzlich zur 44. Sitzung des Landtages Brandenburg. Ich begrüße ganz besonders herzlich die Schülerinnen und Schüler des Einstein-Gymnasiums in Potsdam. Ich hoffe, ihr habt einen spannenden Vormittag bei uns. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Die Tagesordnung liegt Ihnen so, wie sie im Präsidium und mit den Parlamentarischen Geschäftsführern abgestimmt ist, vor. Es handelt sich um einen Neudruck. Im Ergebnis der Beratungen im Ausschuss für Haushalt und Finanzen ist vereinbart worden, zum Tagesordnungspunkt 4 - Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe - keine Debatte zu führen.

Gibt es ansonsten Bemerkungen zur Tagesordnung? - Der Abgeordnete Schuldt bittet um das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens meiner Fraktion stelle ich hier den Antrag, den Tagesordnungspunkt 7 von der Tagesordnung zu nehmen. Meine Entscheidung möchte ich wie folgt begründen, und zwar:

Der seitens des Landtagspräsidenten und des Präsidiums gemäß § 18 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung gesetzte Beschluss des Landtages vom 13. April 2005 unter Verweis auf den dortigen Beschlussgegenstand gemäß Ziffer 8 kann allenfalls bedeuten, dass sich der Landtag gemäß diesem Beschluss mit dem Thema „Tolerantes Brandenburg“ selbst befassen soll.

§ 40 der Geschäftsordnung enthält eine Aufzählung zulässiger Beratungsgegenstände. Der Fall der Selbstbefassung mit einem Thema ist dort aber nicht erwähnt. Eine ergänzende Auslegung ist unzulässig, weil § 40 der Geschäftsordnung wegen seiner Bedeutung für den parlamentarischen Betrieb hinreichend in der Weise bestimmt sein muss, dass jeder jederzeit zweifelsfrei erkennen kann, was Beratungsgegenstand sein kann und was nicht. Alles andere würde gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen.

Demnach liegt ein Fall des § 100 der Geschäftsordnung vor, weil vom § 40 der Geschäftsordnung abgewichen werden soll mit der Folge, dass diese Abweichung unzulässig ist, weil wir mit sechs Abgeordneten widersprochen haben.

Für den Fall, dass hier die Auffassung vertreten wird, § 40 wäre insoweit analogiefähig, bestünde hier ein Streit über die Auslegung von § 40 der Geschäftsordnung, konkret über die Reichweite dieses Bestimmtheitsgebots. Weil die Veranstaltung jährlich erfolgen soll, handelt es sich nicht mehr um einen Einzelfall. Deshalb wäre zunächst gemäß § 101 Satz 2 der Geschäftsordnung eine Auslegung des Hauptausschusses - also eine Beratung - erforderlich.

Es gibt eine Gegenwortmeldung. Da das ein Geschäftsordnungsantrag war, ist diese auch zulässig. Der Abgeordnete Schulze spricht.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im Namen meiner Fraktion beantrage ich, diesen Punkt auf der Tagesordnung zu lassen. Der Landtag hat mit Beschluss vom 13. April letzten Jahres beschlossen, dass wir regelmäßig auf diese Thematik zurückkommen. Diese Angelegenheit ist rechtzeitig in der Geschäftsführerrunde und im Präsidium besprochen worden; es gab dort weitestgehende Zustimmung. Ich darf daran erinnern, dass wir in zwei Tagen den vom seinerzeitigen Bundespräsidenten Roman Herzog ausgerufenen nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begehen. Dazu findet unter anderem eine Veranstaltung im KZ Sachsenhausen statt.

Zu dem Antrag der DVU kann man nur Goethes „Faust“ zitieren:

„Das ist des Pudels wahrer Kern.“

Wir beantragen, dass die Tagesordnung in der vorliegenden Fassung beibehalten und der DVU-Antrag abgelehnt wird.

(Beifall bei SPD, CDU und der Linkspartei.PDS - Schuldt [DVU]: Es geht um den Inhalt!)

Meine Damen und Herren! Wir halten uns an unsere parlamentarischen Gepflogenheiten. Es gibt eine weitere Wortmeldung; obwohl dies bei Geschäftsordnungsanträgen nicht üblich ist, lasse ich sie zu.

Es ist jetzt die Entscheidung zu treffen, nach welcher Tagesordnung wir verfahren, Herr Präsident. Es gibt einen Antrag, einen Tagesordnungspunkt zu streichen. Ich möchte darauf verweisen, dass der Landtag nach § 18 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung zu Beginn einer jeden Sitzung die Tagesordnung beschließt. Es gibt einen Vorschlag, es gibt ausreichend Beratungsgegenstände, und wir sollten über diese Tagesordnung abstimmen.

Die umfänglichen Ausführungen von Herrn Schuldt beziehen sich auf Abweichungen von der Geschäftsordnung und Auslegungsfragen. Der Widerspruch von Abgeordneten kann erfolgen, wenn ein Tagesordnungspunkt nach seiner Beschlussfassung nicht behandelt werden soll. Ich bitte, darauf aufmerksam zu machen: Wir sind der Souverän. Er entscheidet: Über den Tagesordnungspunkt „Tolerantes Brandenburg“ möchten wir beraten. Es ist unser souveränes Recht. Wir beschließen nicht nur, sondern beraten auch darüber, wie wir diese Aufgaben realisieren. - Danke schön.

(Beifall bei Linkspartei.PDS, SPD und CDU - Schuldt [DVU]: Dies hat mit Demokratie nichts zu tun!)

Ich rufe ergänzend die Regelung in der Geschäftsordnung in Erinnerung, dass auf Antrag von mindestens fünf Abgeordneten ein Punkt auf die Tagesordnung zu setzen ist. Mit einem solchen Begehr hat sich die DVU-Fraktion in der vergangenen Wahlperiode auch schon einmal vor Gericht durchgesetzt, weil wir im Plenum einen Antrag von der DVU-Fraktion mit Mehrheit abgelehnt hatten. Das Gericht hat entschieden, dass das nicht geht.

Im Präsidium ist über die Frage, ob eine Beratungsvorlage auch die Formulierung Beratungsgegenstände - in Klammern: ohne Vorlage - umfassen soll, positiv abgestimmt worden. Drei Fraktionen haben sich dafür ausgesprochen, das auf der Tagesordnung zu belassen. Drei Fraktionen sind deutlich mehr als fünf Abgeordnete. Deshalb lasse ich jetzt schlicht und einfach über Ihren Antrag, Herr Schuldt, abstimmen.

Wer dafür ist, dass der Tagesordnungspunkt abgesetzt wird, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist ohne Enthaltungen mit übergroßer Mehrheit abgelehnt.

Ich lasse über die vorliegende Tagesordnung abstimmen. Wer der Tagesordnung in der vorliegenden Form zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Tagesordnung mit übergroßer Mehrheit ohne Enthaltungen angenommen worden. - Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Lebensbedingungen für Familien weiter verbessern Ein Jahr Maßnahmenpaket für Familien- und Kinderfreundlichkeit

Antrag der Fraktion der SPD

Die Debatte eröffnet Frau Abgeordnete Alter von der SPDFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Lebensbedingungen für Familien weiter verbessern - ein Jahr Maßnahmenpaket für Familien- und Kinderfreundlichkeit. Das ist unser heutiges Thema. Sie werden sich erinnern, vor genau einem Jahr wurde das Maßnahmenpaket im Landtag vorgestellt. Seit Anfang dieses Jahres liegt uns ein Bericht zum Stand der Umsetzung vor. Wurden die Lebensbedingungen für Familien spürbar verbessert? Ich meine ja, und zwar auf allen Ebenen im Bund, im Land und in den Kommunen.

Lassen Sie mich Beispiele nennen. Im Bund: Ganztagsschulen, Elterngeld und weiterer Ausbau der Kinderbetreuung. Im Land: Projekte und Kampagnen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde. In den Kommunen: Gründungen von lokalen Bündnissen, Netzwerken, variable Kinderbetreuungszeiten auf die Familienbedürfnisse zugeschnitten, Dienstleistungen wie Hol- und Bringedienste, Spielplatzpaten und vieles mehr.

Zusätzlich ist eine Diskussion über die Familienpolitik in allen Fraktionen entbrannt. Man könnte fast meinen, es entstehe ein Wettbewerb der Parteien. Die SPD hat Anfang Januar in Bremen einen weiteren familienpolitischen Weg beschrieben. Wir wollen sicherstellen, dass mehr Kinder an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen, die Misshandlungen, Entwicklungsverzögerungen oder Vernachlässigungen aufdecken sollen. Die Teilnahme soll durch ein flächendeckendes System aus Einladungen und Hausbesuchen gesichert werden.

Mittlerweile wurde der Ruf nach einem Familiengipfel bei der Kanzlerin laut. Ich bin dafür. Ich begrüße es, aber ich will Ergebnisse sehen und nicht nur Diskussionen führen.

Familienpolitik ist in aller Munde. Hier in Brandenburg ist Familienpolitik durch das Maßnahmenpaket hinterfragbar und belegbar. Wir sind nicht bei den 61 Maßnahmen geblieben, sondern haben mittlerweile einen Umfang von 67 Maßnahmen erzielt. Eine der zusätzlichen Maßnahmen war die Aktion Biobrotboxen, die Werbung für ein gesundes Frühstück für Kinder verfolgt. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben diese Aktion unterstützt. Ich selbst habe die Verteilung in zwei Schulen begleitet.

Meine persönliche Unterstützung hat auch der sogenannte Familienpass erfahren. Hier haben sich vielfältige Partner gefunden, um Brandenburg familienfreundlicher und Freizeitangebote preiswerter zu gestalten. Ich werde auch in diesem Jahr wieder aktiv Werbung für den Pass machen und ihn zum Verkauf mit anbieten. Den Abgeordneten, der sich darüber gewundert hat, kann ich nur aufrufen, nicht nur schriftliche Anfragen zu initiieren, sondern vor Ort und überall aktiv dafür mit zu werben.

(Beifall bei SPD und CDU)

Die Evaluierung von Nutzen und Bedarf steht zwar noch aus, aber aus meinen eigenen Erfahrungen kann ich berichten, dass es ein sehr erfolgreiches Angebot ist.

Ein richtiger Renner in Brandenburg sind die 16 lokalen Bündnisse und die 14 Eltern-Kind-Zentren. Für die Familien und Akteure vor Ort sind das nützliche und dringende Verbesserungen, zusätzliche Freizeitangebote, zusätzliche Beratungen und Vermittlungen, gezielte Unterstützung bei Problemen. Familien werden entlastet. Die Angebote werden vernetzt; sie geben einen guten Überblick. Diese Hilfe erreichen die Kinder und die Eltern.

Diesen Freitag findet der Kindergesundheitsgipfel in Potsdam statt. Damit wollen wir erreichen, dass wir gesundheitliche und soziale Entwicklungen optimal begleiten können.

Vor einer Woche hatten die Familienverbände die familienpolitischen Sprecher und Sprecherinnen zu ihrem traditionellen Neujahrsgespräch eingeladen. Fünf Spitzenverbände sind in der Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände in Brandenburg aktiv. Alle haben deutlich betont, dass die Landesregierung auf dem richtigen Weg ist und dass die öffentliche Debatte und Wahrnehmung zu familienpolitischen Fragen stark zugenommen hat. Um so unverständlicher ist für mich die Kritik der Linkspartei.PDS von letzter Woche. Frau Kaiser hat letzte Woche angemahnt, dass nur kosmetische Veränderungen vorgenommen worden seien: „Es wird zu wenig getan.“ Sind

Sie vor Ort nicht aktiv? Bekommen Sie den Wandel und die Aktivitäten nicht mit? Frau Kaiser, Ihre Darstellung ist für jeden Aktiven ein Schlag ins Gesicht.

(Beifall bei SPD und CDU - Zuruf von der Linkspar- tei.PDS: Genauso wie Ihre Rede!)

Wir sind aktiv. Mittlerweile hat sich das dritte Netzwerk Gesunde Kinder entwickelt. Was sagen Sie den Engagierten aus Eberswalde, Nauen und Lauchhammer? Sagen Sie Ihnen wirklich: „Es fehlt eine präventive, langfristige Strategie.“

Ich muss schon staunen, wenn Sie eine Politik des Rotstiftes beklagen. Wie verträgt sich das mit der Mehraufnahme von über 1 Million Euro für das Maßnahmenpaket? Ist diese 1 Million Euro, wie Sie sagen, „keine erkennbare Weichenstellung, keine Schlussfolgerung im Landeshaushalt“? Familienpolitik ist nicht Vater-Mutter-Kind-Linkspartei.PDS, sondern ein gesellschaftliches Anliegen.

(Beifall bei SPD und CDU - Zuruf von der Linkspar- tei.PDS)

Verantwortungsvolle Familienpolitik ist auch nicht, Herr Sarrach, Menschen zu einer Demonstration für ein Sozialticket aufzurufen. Es wäre verantwortungsvoller gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, gegenüber den Familien, die Entscheider und die Akteure zusammenzubringen, Ideen vorzustellen und an deren Verwirklichung mitzuwirken.

(Zurufe von der Linkspartei.PDS)

Sie aber bevorzugen Polemik. Sie provozieren lieber Unruhe statt nach gemeinsamen Lösungswegen zu suchen. Ich habe Sie in noch keinem Arbeitskreis vor Ort erlebt. Holen Sie die Menschen bei ihren Problemen ab. Diese lassen sich selten auf der Straße klären.

Wir haben in Brandenburg viele vorbeugende Maßnahmen ergriffen. Wir können es uns nicht leisten, nur noch auf Probleme zu reagieren und Reparaturarbeiten durchzuführen. Das Maßnahmenpaket zeigt, dass Qualität nicht durch Masse entsteht, sondern eines gezielten Einsatzes der Ressourcen bedarf.

Wichtige Partner in der Familienpolitik sind die Wirtschaftsverbände. Gerade in der Wirtschaft sind wir hier in Brandenburg auf Familienfreundlichkeit angewiesen. Die SPD-Unternehmensbefragung hat gezeigt, wo es empfehlenswerte Projekte gibt, aber auch, wo Ressourcen und Potenziale brachliegen. Wenn Brandenburg eine der familienfreundlichsten Regionen werden will, brauchen wir Familienfreundlichkeit in allen märkischen Betrieben. Denn der Nachwuchs- und Fachkräftebedarf, die Abwanderung und die niedrige Geburtenrate werden uns in Brandenburg noch lange in Schach halten. Deshalb muss sich in der Wirtschaft eine Grundvoraussetzung durchsetzen: Ein familienfreundlicher Arbeitsplatz ist das A und O. Es wirkt sich positiv auf die Firmen und auf die Angestellten aus. Die Familienfreundlichkeit von Unternehmen spiegelt sich nicht nur in der Betreuungsmöglichkeit für Kinder oder in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wider, sondern auch in der Pflegemöglichkeit für ältere oder pflegebedürftige Familienmitglieder. Flexible Arbeitszeiten sind dabei genauso wichtig wie ein flexibler Arbeitsort in Form von Telearbeitsplätzen und in anderen innovativen Formen.

Damit sind wir beim Knackpunkt schlechthin angelangt: Arbeitsplätze. Auch wir sehen das so, Frau Kaiser. Arbeitsplätze sind das A und O für alle und vor allen Dingen für den Zusammenhalt der Familie. Die aktuelle Studie „Jugend in Brandenburg“ hat darauf hingewiesen, dass die Familienkonstellation sowie die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit einen maßgeblichen Einfluss auf die Qualität der eigenen Familienbeziehungen haben. Die Studie kommt zu dem Ergebnis: Ein sicherer Arbeitsplatz gehört für Jugendliche noch vor einer festen Partnerschaft zu den wichtigsten Voraussetzungen für einen Kinderwunsch. Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik ist Familienpolitik. Noch nie war die Wirtschaft so bereit wie jetzt, Lösungswege mit uns zu erschließen. Nutzen wir diese Aufbruchstimmung!