Protokoll der Sitzung vom 12.09.2007

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie zur 53. Plenarsitzung. Unsere Gäste für heute Morgen sind eingetroffen. Ich begrüße die Schülerinnern und Schüler der Oberschule Sachsenhausen bei Oranienburg. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Als zweite gute Botschaft habe ich mitzuteilen, dass der Abgeordnete Hammer heute Geburtstag hat. Ich gratuliere ihm im Namen aller ganz herzlich und wünsche ihm weiterhin viel Freude an seinem Mandat.

(Allgemeiner Beifall)

Ihnen liegt die Tagesordnung in der überarbeiteten Fassung vor. Gibt es dazu Bemerkungen? - Da das nicht der Fall ist, lasse ich über die Tagesordnung abstimmen. Wer nach ihr verfahren möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Beides ist offensichtlich nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung beschlossen.

Wir haben heute zeitweise auf die Abgeordneten Folgart und Günther sowie ganztägig auf die Abgeordneten Heinze und Frau Schulz zu verzichten.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Die Ergebnisse des „Krippengipfels“ - ein Baustein für das familienfreundliche Brandenburg

Antrag der Fraktion der SPD

Wir beginnen die Debatte mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Es spricht die Abgeordnete Geywitz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Martin Luther stammt der schöne Satz:

„Wenn es im Staate besser werden soll, muss man bei den Kindern anfangen.“

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Dass diese Erkenntnis jetzt auch die konkrete Politik vom Bund bis zu den Kommunen prägt, ist eine der wichtigsten Veränderungen der letzten Jahre. Kinder und die Qualität ihrer Erziehung und Ausbildung sind vom Randthema zur zentralen politischen Frage geworden. Wir alle spüren: Wenn viele Menschen älter werden und wenige nachrücken, hat das drastische Konsequenzen. Wir spüren, dass etwas Grundsätzliches nicht stimmen kann, wenn manche Kinder ohne ausreichende Sprachkenntnisse in die Schule kommen und viele Jugendliche ohne Schulabschluss durch das Leben gehen.

Viele haben sich auch gefragt, ob es richtig sein kann, dass die Forderung nach immer neuen Steuersenkungen wichtiger war als eine bessere Ausstattung von Kitas und Schulen. Ich bin froh, dass jetzt auch die Bundesregierung aus dieser lange nur unterschwellig geführten Diskussion praktische Konsequenzen zieht. Das Bekenntnis, sich am Ausbau der Krippenbetreuung auch finanziell zu beteiligen, ist ein gutes Signal für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Es zeigt, dass die Politik in der Lage ist, Kräfte zu bündeln, sich auf die wichtigen Zukunftsfragen zu konzentrieren und deren Lösungen in Angriff zu nehmen.

Das Ziel, in Deutschland bis zum Jahre 2013 rund 750 000 Krippenplätze zu errichten, ist vor allem für die Westdeutschen eine kulturelle Revolution. Fast nirgendwo sonst wird der Wert von privater Erziehung so ideologisch überhöht wie im konservativen westdeutschen Milieu. Sehr lange spukte dort das Bild von Übermüttern herum, die sich für ihre Kinder aufopfern und damit ein kleines Stück der Welt zum irdischen Glück führen. Deswegen existiert das böse Schimpfwort der Rabenmutter, die sich rasch nach der Geburt entscheidet, ihren Beruf wieder auszuüben. Rabenmutter - für dieses Wort gibt es in keiner Sprache der Welt eine Übersetzung. Auch die Wirklichkeit im Osten und der Erfolg unserer Kinder- und Familienpolitik hat dazu beigetragen, dass sich manche Konservativen im Westen jetzt von ihrem familienpolitischen Tunnelblick befreien.

In der Familienpolitik steht fest, dass der Westen vom Osten lernt. Allerdings sollten Frau Merkel und Frau von der Leyen ihre Ohren lieber nicht auf die hinteren Bänke der Unionsreihen richten.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Denn sie wissen genau, dass sie die gesellschaftliche Mehrheit für eine moderne Familienpolitik nur deshalb in eine politische Mehrheit verwandeln können, weil die Sozialdemokraten diese Politik vorgedacht und vorbereitet haben und jetzt mit aller Kraft unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Der moderne Anstrich der CDU/CSU in der Familienpolitik ist reine Fassade. Edmund Stoiber erklärt zwar, dass er schon akzeptiere, dass seine Töchter in Familie und Beruf keine Gegensätze mehr sehen. Das hält ihn aber nicht davon ab, die Politik für mehr Krippenplätze zu hintertreiben und Forderungen nach einer Herdprämie zu stellen. Es ist blanker Unsinn, wenn die Union fordert, sie wolle auf diese Weise den Frauen Wahlfreiheit bieten. Da, wo die Union regiert, gibt es seit Jahrzehnten keine Wahlfreiheit für Frauen, weil Unionspolitikern Mehrzweckhallen und Kreisverkehre wichtiger waren als Krippenplätze und Geld für Erzieherinnen und Erzieher.

Hier in Brandenburg läuft das mit der Union immer etwas anders. Die eine Hälfte, die hinten sitzt und Finanzpolitik betreibt, ist dafür, dass die Sozialdemokraten und die CDU in der Regierung die Haushaltskonsolidierung verstärken.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

Währenddessen ist der Teil, der hier vorn sitzt, der Meinung, man sollte einzügige Schulen einführen. Vielleicht sollte man sich in der Fraktion erst einmal untereinander verständigen.

(Zurufe und Beifall bei der SPD)

Fest steht: In der Familienpolitik lernt der Westen vom Osten. Brandenburg steht bei dem Thema Krippenplätze in Deutschland seit Jahren an der Spitze. Mit den zusätzlichen Investitionen in Höhe von 9 Millionen Euro jährlich plus Betriebskostenzuschüsse, für die unser Minister im Übrigen auch gekämpft hat, können wir noch mehr in die Qualität unserer Einrichtungen investieren.

Zum Schluss möchte ich sagen: Ich bin froh, dass wir in der Kinderpolitik in Deutschland jetzt gemeinsam das Ruder herumreißen. Wir Sozialdemokraten haben diese Politik seit langem unterstützt und gefördert. Wir sagen seit langem: Konzentrieren wir uns darauf, den Menschen in ihrem ersten Lebensjahrzent eine optimale Förderung zu ermöglichen. Wir wollen, dass jedes Kind eine optimale Startchance erhält. Wir kämpfen für den vorsorgenden Sozialstaat. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. - Wir setzen mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Die Abgeordnete Kaiser spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, Frau Geywitz, zweifellos ist jeder Schritt, der zur besseren Betreuung unserer Kinder führt, begrüßenswert. Dennoch lässt der jetzt verkündete Kompromiss der Bundesregierung nach den Ankündigungen der letzten Monate und den dadurch bei vielen jungen Eltern geweckten Hoffnungen zu viele Fragen offen. Die müssen doch auch Sie erkennen.

Anstatt schnell zu handeln, damit möglichst viele Kinder so schnell wie möglich einen erweiterten Rechtsanspruch auf hochwertige Kinderbetreuung bekommen, bedeutet der Zeitplan der Bundesregierung doch, dass Kinder bis zu drei Jahren unter Umständen noch weitere sechs Jahre auf den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz und eine qualitativ hochwertige Betreuung verzichten müssen. Damit wird unwiederbringlich Zeit verschenkt. Zeit, die Chancen für die Kinder bedeutet.

Ich kenne in Brandenburg niemanden, der ernsthaft etwas gegen mehr und bessere Krippenplätze oder gegen mehr Gelder vom Bund hat; schon gar nicht meine Fraktion DIE LINKE hier im Landtag. Im Gegenteil. Aber ich kenne viele, die etwas gegen das Eigenlob dieser Landesregierung und die Beschönigung ihrer verfehlten Politik gegenüber Kindern und Eltern in diesem Lande haben.

Reden wir also über die Zustände im Land. Seit zehn Jahren, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und inzwischen auch von der CDU, setzen Sie Ihre Zeichen in der Kita-, Bildungs- und Familienpolitik vorrangig mit dem Rotstift. Fakt ist - das weiß man im Land, das wissen auch Sie -: Zweimal schränkten Sie den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ein. Fakt ist, dass Kinder arbeitsloser Eltern in Brandenburg, die jünger als drei Jahre sind, noch immer nicht uneingeschränkt und gebührenfrei in der Kita lernen, spielen und essen dürfen. Das ist Ihr skandalöses Verdienst.

Alle Anträge der LINKEN auf Korrektur wurden abgelehnt. Sie schoben die Verantwortung den Kommunen zu - aber nicht

das Geld. Sie verschlechterten die Personalausstattung, Sie lehnten die Einführung der Hochschulausbildung für Kita-Erzieherinnen ab, und Sie akzeptieren seit Jahren die problematische Situation der Tagesmütter, was deren Verdienst, Qualifikation und Absicherung betrifft.

Und - wir kommen ja heute noch zum Landeshaushalt - wegen dazumal 18,5 Millionen DM angeblich unverzichtbarer Kürzungen im Jahr 2000 haben Sie den Proteststurm der Kommunen und der Menschen auf der Straße ignoriert. 9,5 Millionen Euro - wie wenig ist das im Vergleich zu den Verlusten und Mehrkosten von fast einer halben Milliarde Euro bei der Fehlplanung für den Großflughafen.

Die Volksinitiative „Für unsere Kinder“ mit über 150 000 Unterschriften haben Sie vom Tisch gewischt. Sie hatten damals sogar Angst vor der Debatte hier im Landtag. Das ist ein beredtes Beispiel für Ihr Demokratieverständnis.

Erinnern Sie sich, verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU? Vor zwei Monaten wollten Sie hier im Haus mit uns nicht einmal prüfen, wie man Kindern von Eltern, die von Hartz IV leben, in Kita und Grundschule ermöglichen kann, ein kostenfreies Mittagessen zu bekommen. Sie haben es ohne zu prüfen einfach abgelehnt. Inzwischen will Bundesminister Seehofer die Ministerpräsidenten zu diesem Thema an einen Tisch holen. Und gestern finden wir plötzlich die Anfrage von Frau Kollegin Dr. Münch in unseren Fächern, die den Minister nach den Gründen befragt, warum Kinder nicht am Mittagessen in der Schule oder Kita teilnehmen können. Kann sie nicht erst einmal in ihren Wahlkreis gehen? Der Minister hat es sich in Strausberg sagen lassen. Er weiß das schon lange.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Erst ablehnen und dann nachfragen - ich weiß nicht, wie Sie so etwas nennen. Ich nenne es verantwortungslos. Sie wissen seit zehn Jahren, dass es eine dramatische Verbindung gibt zwischen der sozialen Situation bzw. der Bildung von Eltern und den gesundheitlichen Problemen und Entwicklungsrückständen von Kindern. Ihre eigenen Untersuchungen belegen: Kinder langzeitarbeitsloser Eltern, nunmehr schon in der zweiten Generation, sind in ihren Bildungs-, Lebens- und Zukunftschancen von Anfang an benachteiligt. Und Sie - ich kann es nicht anders sagen - sehen zu.

Diese SPD- und CDU-Politik ist für Kinder weder sozial noch christlich und im Übrigen auch nicht demokratisch. Ihr Markenzeichen: Schönen Versprechen folgt regelmäßig der Rotstift. - Ich hoffe, dass Ihnen das wenigstens noch peinlich ist. Ja, Frau Geywitz, es kann tatsächlich sein: vorgedacht und vorbereitet, aber nicht umgesetzt.

Sie müssen angesichts all dessen schon sehr verzweifelt sein, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn Sie in Ihrer heutigen Aktuellen Stunde für das Land ausgerechnet auf den politischen Erfolg der CDU-Familienministerin draufsetzen wollen. Frau von der Leyen hat dabei übrigens nicht nur die SPD links überholt, sondern auch die Interessen von Kindern und Eltern in diesem Land gegen die CDU/CSU-Männerriege durchgesetzt. Respekt!

Sie selbst, Herr Ministerpräsident, Herr Rupprecht, sind leider seit zehn Jahren in eine andere Richtung unterwegs. Sie lassen

aber dafür Jahr für Jahr erneut bunte Luftballons steigen, auf denen steht: das familienfreundlichste Land, Bildung als Zukunftsaufgabe. Sie bestaunen - mit dem Kopf in den Wolken -, wie schön diese Ballons immer wieder übers Land fliegen. Nur irgendwann ist die Luft raus. Dann pusten Sie auf dem nächsten Parteitag neue Luftballons auf. Auf denen stehen wie vor zwei Monaten „zehn Punkte für mehr Lebenschancen für mehr Menschen im Land“. Derweil verlassen jeden Tag überwiegend junge, gut ausgebildete Frauen das Brandenburger Land. Wir alle wissen: Das ist ein Verlust an Zukunft. - Sie nehmen die Abwanderung hin und propagieren die kontrollierte Verwilderung, statt gezielt Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik dagegenzusetzen.

Nun also soll es der Bund richten. Niemand ist dabei überrascht: Beim Bundesprogramm für den Ausbau des Krippensystems geht es erst einmal um den Nachholbedarf in Westdeutschland - und der ist enorm. Nur darf bemerkt werden: Der gefeierte Krippengipfel verschleiert tatsächlich das Versagen der bisherigen Bundesregierungen, denn der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen war Ende 2004 dort schon einmal beschlossen worden. Ausbauziel waren damals 500 000 Plätze bis zum Jahr 2010. In ihrem aktuellen Bericht dazu muss die Bundesregierung aber feststellen, dass der Ausbau nach wie vor zu langsam vonstatten geht.

„Die bisherige Entwicklung reicht nicht aus, um das Ausbauziel zu erreichen.“

Das kann man auf Seite 6 nachlesen. Statt 500 000 heißt es nun 750 000 Betreuungsplätze - dafür aber drei Jahre später. Hoffen wir nur, dass die Luft aus den bunten Ballons, die Sie hier heute bestaunen, nicht wieder so schnell entweicht.

Ich bin sehr gespannt, verehrte Kolleginnen und Kollegen, was der Krippengipfel für die brandenburgische Haushaltsdebatte 2008/2009 bedeutet. Vom Bund sollen wir bis zum Jahr 2013 insgesamt 58 Millionen Euro bekommen. Aber da der Bund bis zum Jahr 2009 2,15 seiner 4 Bundes-Milliarden für die Länder zunächst nur in einen Investitionstopf geben will, erhalten wir möglicherweise kaum etwas. Der Ausbau der Infrastruktur ist bei uns sicher sinnvoll, aber viel weniger dringend als im Westen. Wir brauchen in Brandenburg vielmehr eine Qualitätsoffensive, bei der frühkindliche Bildung und Betreuung inhaltlich und qualitativ für alle verbessert werden. Also her mit der Qualitätsoffensive, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen!

In Ihrem Antrag für die Aktuelle Stunde sprechen Sie auch die Beschäftigungschancen von Eltern und deren Bedeutung für die Perspektiven von Kindern an. Nur blenden Sie dabei leider die materielle Lage vieler Familien mit Kindern aus. Auch in Ihrer Rede, Frau Geywitz, habe ich dazu nichts gehört. Keine Arbeit zu haben führt in diesem Land in rasantem Tempo in die Armut.

Die zahlreichen Aktivitäten auf Bundes- und auf Landesebene, die Sie in Ihrem Antrag erwähnen, sehe ich nicht. Von Hartz IV lebt in manchen Regionen Brandenburgs ein Drittel der Kinder. Die haben auch schlechtere Bildungschancen. Es grenzt aus, wenn man in der Kita nicht am Mittagessen teilnehmen kann. Es stellt Familien vor riesige Probleme, wenn mit der Einschulung mal eben 200 Euro für die notwendige Ausstattung fällig werden. Damit werden wir uns nicht abfinden.