Protokoll der Sitzung vom 12.12.2007

Frau Präsidentin, zunächst möchte ich mich dafür bedanken, dass der Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers heute hier vor Ort ermöglicht wurde.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE sowie bei SPD und CDU)

Am 26. Oktober 2007 hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in zwei Musterurteilen entschieden, dass bei der Beschulung behinderter Kinder in einer Regelschule das Sozialamt einen Integrationshelfer finanzieren muss, wenn eine Einweisung des Schulamts für die Regelschule existiert. Der Sozialhilfeträger muss diesen Integrationshelfer auch finanzieren, wenn dabei mehr Kosten als bei einer Beschulung in der Förderschule entstehen. Im Maßnahmepaket für Familien- und Kinderfreundlichkeit hat sich die Landesregierung ebenfalls vorgenommen, eine wohnortnahe und integrative Beschulung behinderter Kinder zu fördern.

Ich frage daher die Landesregierung: Welche gesetzliche Regelung wird sie nach den Musterentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts treffen, um eine integrative Beschulung behinderter Kinder - gegebenenfalls mit Unterstützung eines Einzelfallhelfers - abzusichern, ohne dass die Eltern auf den jahrelangen Klageweg durch die Instanzen gegenüber dem Sozialhilfeträger verwiesen werden?

Herzlichen Dank. - Frau Ministerin Ziegler gibt die Antwort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens wird es Zeit, dass es zur normalen Institution wird, dass ein Gebärdendolmetscher an den Parlamentssitzungen teilnimmt. Das könnte das Parlament beschließen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Zweitens zu Ihrer Frage: Die rechtlichen Voraussetzungen für Leistungen der Eingliederungshilfe sind in den §§ 53, 54 SGB XII geregelt. Darüber hinaus sind die gesetzlichen Grundlagen insbesondere in §§ 29 und 68 Brandenburgisches Schulgesetz aus unserer Sicht ausreichend, um Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam mit nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern an Grundschulen und weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und Oberstufenzentren im gemeinsamen Unterricht schulisch zu fördern.

Außerdem ist in § 4 Abs. 3 Sonderpädagogikverordnung ausdrücklich die Einbeziehung der zuständigen Kostenträger bei der Empfehlung zusätzlicher sächlicher und personeller Mittel, die für einen gemeinsamen Unterricht notwendig sind, vorgesehen.

Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport und das MASGF haben bereits im Jahr 1998 gemeinsame Empfehlungen zur Abgrenzung der Leistungsverpflichtung für den zusätzlichen Hilfebedarf von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf erarbeitet, nach denen für eine Entscheidung des Schulträgers bzw. des Sozialhilfeträgers im Einzelfall in Betracht kommende Leistungen den Hilfemaßnahmen zugeordnet werden können. Diese Empfehlungen sind im Amtsblatt für Brandenburg Nr. 1 vom 12. Januar 1999 veröffentlicht worden und wurden den Sozialämtern und Jugendämtern zur Verfügung gestellt. Diese Regelung hat sich aus unserer Sicht bewährt. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass es aus Ihrer Sicht in der Umsetzung oder in der Handhabung Probleme gibt. Wir werden es zum Anlass nehmen, die Landräte darauf hinzuweisen, dass man danach handeln kann und damit die Spielräume und Freiräume gegeben sind, im Sinne der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu handeln.

Herzlichen Dank. Es gibt eine Nachfrage. - Frau Abgeordnete Kolodzeike, bitte.

Frau Ministerin, überall steht zwar, dass eine gemeinsame Beschulung Vorrang haben soll. Unterhöhlen wir dies nicht, indem wir den Halbsatz anfügen: „immer vorausgesetzt, die sächlichen, personellen und baulichen Bedigungen sind vor Ort vorhanden“? Ich vermute, dass sich die Kommunen darauf zurückziehen werden.

Deswegen werden wir die Landräte darauf aufmerksam ma

chen, dass nach unserer Verordnung dies möglich und im Sinne der Kinder und Jugendlichen auch anzuwenden ist. Darauf werden wir verstärkt hinweisen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Eigentlich kämen wir jetzt zur Frage 1531, aber der Fragesteller, Herr Abgeordner Dr. Niekisch, möchte sie mit seiner Frage 1541 (Nationalhymne in Brandenburg) tauschen.

(Dr. Klocksin [SPD]: Ist es möglich zu tauschen?)

Die klassischen demokratischen Parteien stimmen darin überein, dass das Handhaben nationaler Symbole der Bundesrepublik Deutschland - Nationalhymne, Adler - nicht radikalen oder extremistischen Parteien überlassen werden darf.

In diesem Zusammenhang ist zu hinterfragen, warum das Singen der Nationalhymne beim ersten Einbürgerungsfest der Landesregierung und des Landtags im Juni 2007 zunächst umstritten war und warum beim zentralen Festakt des Landes am 3. Oktober 2007 - anlässlich der 850-Jahr-Feier des Landes Brandenburg und des Tages der Deutschen Einheit - in Brandenburg an der Havel das Singen der Nationalhymne gänzlich unterblieben ist.

Es war hochrangig besetzt. Viele Landesminister und der Bundesaußenminister waren anwesend.

Deswegen frage ich - in dem Bewusstsein, dass eigentlich der Landtagspräsident der Einladende war -: Teilt die Landesregierung diese Distanz gegenüber den nationalen Symbolen des demokratischen Deutschlands?

(Oh! bei der Fraktion DIE LINKE)

Herr Staatssekretär Appel, Sie haben das Wort für die Beantwortung der Frage.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich vermag da keine Distanz zu erkennen. Im Übrigen, um es kurz zu machen: Was fragen Sie eigentlich die Landesregierung danach? Fragen Sie den Landtag und den Präsidenten, aber nicht die Landesregierung.

(Beifall bei der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Ich rufe die Frage 1532 („Europäische Fußballpolizei“) auf, die der Abgeordnete Bochow stellt.

Presseberichten zufolge, zum Beispiel in der „Welt“ vom

30.11.2007, erwägt EU-Kommissar Frattini die Schaffung einer „Europäischen Sport- bzw. Fußballpolizei“. Er reagierte damit auf Forderungen von UEFA-Präsident Platini, der Hilfe beim Kampf gegen den durch Fußballveranstaltungen veranlassten Gewalttourismus gefordert hatte.

Ich frage die Landesregierung: Wie bewertet sie den Vorschlag, eine europäische Fußballpolizei einzurichten, insbesondere vor dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips?

Herr Staatssekretär Hohnen erhält das Wort zur Beantwortung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Problematik „Fußball und Gewalt“ oder „Sport und Gewalt“ beschäftigt uns seit Jahrzehnten in Ost wie West. Die Forderung nach einer europäischen Fußballpolizei wurde wiederholt von verschiedenen Verantwortlichen der UEFA vorgebracht.

Die Europäische Union hat im Dezember 2001 ein Handbuch mit Empfehlungen für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit und Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Gewalttätigkeiten und Störungen im Zusammenhang mit Fußballspielen von internationaler Dimension, die zumindest einen Mitgliedsstaat betreffen, herausgegeben. Darin wurden die Mitgliedsstaaten ersucht, ihre Zusammenarbeit zu stärken, insbesondere die praktische Zusammenarbeit zwischen den für die Kontrolle der Veranstaltungen zuständigen Behörden und Dienststellen sowie zwischen den Polizeibehörden, um Gewalttätigkeiten und Störungen zu verhindern und ihnen entgegenzuwirken. Diese Empfehlungen sprechen insbesondere von der Einrichtung nationaler Fußballinformationspunkte, polizeilichem Informationsaustausch vor, während und nach den Fußballspielen, dem Austausch von Verbindungsbeamten, dem Einsatz von sportszenekundigen Beamten sowie der Kommunikation mit Fußballfans, zum Beispiel über Fanprojekte.

In der Bundesrepublik wird seit Anfang der 90er Jahre das nationale Konzept „Sport und Sicherheit“ angewandt, das das europäische Handbuch hervorragend umsetzt. In Deutschland hat sogar jede Länderpolizei - auch die Brandenburgs - eine eigene Landesinformationssammelstelle eingerichtet. Zuletzt zur Fußballweltmeisterschaft 2006 hat dieses nationale Zentrum seine herausragende Funktionsfähigkeit unter Beweis gestellt. Auf dessen Grundlage wurde zur Weltmeisterschaft 2006 eine Rahmenkonzeption zur Bewältigung von polizeilichen Einsatzanlässen anlässlich der Fußballweltmeisterschaft erarbeitet und umgesetzt. Dazu gehörte der Informationsaustausch, der Austausch von Verbindungsbeamten, der Informationsaustausch mit anderen Polizeien, also alles das, was Europa fordert. Dieses Konzept hat sich so gut bewährt, dass auch die Schweiz und Österreich, die Ausrichter der Europameisterschaft 2008 sind, sich von Deutschland insoweit haben beraten lassen. Die Bundesrepublik - Sie erinnern sich an die einschlägigen Medienberichte - hat weltweit Lob für den sicheren Ablauf der Weltmeisterschaft erhalten.

Ganz konkret auf Ihre Frage, Herr Abgeordneter: Die Notwendigkeit einer europäischen Fußballpolizei wird von der Landesregierung nicht gesehen.

Herzlichen Dank. Es gibt einige Nachfragen. - Der Fragesteller zieht zurück, aber der Abgeordnete Domres hat eine Frage.

Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Fanprojekte und ihre dauerhafte Finanzierung? Wie sehen Sie Ihre Verantwortung bei der Finanzierung von Fanprojekten?

Man kann das Problem der Verhinderung von Gewalt beim Sport nicht mit Geld lösen. Wir begrüßen jede Initiative von Fanprojekten. Unsere szenekundigen Beamten, die - sage ich einmal - fast alle Fans persönlich kennen, unterstützen alles, was da geleistet werden kann. Wir sollten in Brandenburg jedoch nicht alles auf Geld zurückführen. Oft ist es das Miteinander-Reden, das Miteinander-Befassen und -Umgehen. Für die Landesregierung, denke ich, darf ich sagen: Wir unterstützen alle Projekte in ideeller Hinsicht und im Einzelfall, soweit es leistbar ist, auch materiell.

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält die Abgeordnete Wehlan. Sie stellt die Frage 1533 (Privatisierungsrichtlinie der BVVG).

Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Privatisierungsrichtlinie der BVVG ist die Betroffenheit vieler Landwirtschaftsbetriebe im Landkreis Uckermark besonders augenfällig. So sind in den Internetveröffentlichungen der BVVG allein in der Uckermark fast doppelt so viele Flächen zur Ausschreibung veröffentlicht wie im gesamten Rest des Landes Brandenburg und den anderen Bundesländern zusammen. Die von der BVVG veröffentlichten Orientierungswerte zum Kauf oder zur Verpachtung betragen oft ein Vielfaches des ortsüblichen Wertes. Diese Preise können infolge fehlenden Eigenkapitals von den Betrieben bzw. Nutzern dieser Flächen nicht im notwendigen Umfang gezahlt werden.

Ich frage die Landesregierung: Wie bewertet sie den Sachverhalt, besonders hinsichtlich einer Initiative der Landesregierung zur Veränderung der Privatisierungsrichtlinie der BVVG, um landwirtschaftlichen Unternehmen bei Eigenbedarf den Zugang zu ihren gepachteten Flächen auch zukünftig zu erhalten?

Herzlichen Dank. - Herr Dr. Woidke, Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz, wird das beantworten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Wehlan, das Interesse am Brandenburger Boden ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Das betrifft nicht nur, aber auch die BVVG-Flächen, wobei die BVVG-Flächen hier im besonderen öffentlichen Fokus stehen

zu Recht, weil der Bund mit einer Gesellschaft direkt in den Bodenmarkt eingreift bzw. eingreifen kann.

Das neue Privatisierungskonzept ist Resultat einer zwischen dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium für Landwirtschaft einerseits und den fünf neuen Bundesländern andererseits seit 2004 geführten und Ende 2006 zum Abschluss gebrachten Diskussion zur weiteren Privatisierung der ehemals volkseigenen landwirtschaftlichen Flächen. Seit dem 1. Januar 2007 ist dieses neue Privatisierungskonzept als Kompromiss zwischen den natürlich gegebenen fiskalischen Interessen des Bundes und den agrarstrukturellen Interessen der neuen Bundesländer in Kraft. Zur Umsetzung hat die BVVG verwaltungsinterne Richtlinien erarbeitet, die mit den Ländern abgestimmt wurden. Diese Richtlinien beinhalten auch die Möglichkeit, für durch Flächenentzug existenzbedrohte Betriebe Sonderfallregelungen seitens der Länder im Sinne von § 17 der sogenannten Flächenerwerbsverordnung vorzuschlagen. Diese sind dann von der BVVG und dem Bundesministerium der Finanzen zu genehmigen.

Wir haben vonseiten des Landes Brandenburg sieben solche Sonderfälle eingereicht, für die bisher lediglich zwei Rückmeldungen vorliegen, nachdem die Zustimmung der BVVG verweigert wurde. Ein Fall darunter - Sie haben die Uckermark angesprochen - befindet sich auch in der Uckermark.

Wir sehen vonseiten der Landesregierung diese Entwicklung mit wachsender Sorge. Die Umsetzung der Sonderfallregelung, die in Einzelfällen der Existenzgefährdung durch Flächenentzug vorbeugen soll, ist nach unserer Meinung derzeit unzureichend. Deshalb fand aufgrund einer Initiative meines Hauses am 6. Dezember des Jahres 2007, also vor wenigen Tagen, eine Beratung der fünf neuen Länder mit dem BMELV und dem Bundesfinanzministerium zur Auswertung der Umsetzung des neuen Privatisierungskonzepts, nach mittlerweile fast einem Jahr Laufzeit, statt. Es wurden vor allem die Umsetzung des neuen Privatisierungskonzepts im Hinblick auf Härtefallsituationen besprochen und Verbesserungsmöglichkeiten diskutiert.

Im Ergebnis der Beratung wird es eine Weiterentwicklung des Konzepts geben, vor allen Dingen, um Existenzgefährdungen durch Flächenentzug in Zukunft vermeiden zu können. Danach sollen Härtefälle künftig in bilateralen Verhandlungen zwischen der Geschäftsführung der BVVG und Vertretern des betroffenen Bundeslandes geklärt und das Problem gelöst werden. Sollte es zwischen diesen beiden Seiten zu keiner Einigung kommen, soll es dann eine endgültige Entscheidung zwischen Bundesfinanzministerium und Bundeslandwirtschaftsministerium geben. Wir gehen davon aus, dass mit dieser Verfahrensweise einerseits mehr Transparenz in das eigentliche Entscheidungsverfahren einzieht und andererseits damit verhindert wird, dass Betriebe aufgrund von Flächenentzug in existenzbedrohende Situationen geraten.

Der Brandenburger Boden ist die Existenzgrundlage der Brandenburger Landwirtschaft. Er ist nicht nur die Grundlage der Existenz der Landwirtschaftsbetriebe, sondern ist die Grundlage für Tausende von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum. Wir werden uns vonseiten der Landesregierung dafür einsetzen, dass das Hauptproduktionsmittel in den Händen der Brandenburger Bauern bleibt. - Danke.

(Beifall bei SPD und CDU)

Was die Privatisierungsmodelle betrifft, so gibt es eine Reihe von Diskussionen dazu. Es gibt auch eine Reihe von Interessenten aus dem privatwirtschaftlichen Bereich, aus dem Bereich deutscher Banken, die die gesamte BVVG-Privatisierung liebend gern übernehmen würden. Ich möchte darauf nicht näher eingehen.

Wir bewerten solche Modelle anhand von zwei Punkten. Erstens: Zu welchen Konditionen können mit diesen Modellen die Flächen weiterhin bei Brandenburger Landwirten bleiben bzw. zu den Brandenburger Landwirten kommen? Zweitens: Wer kommt für den entstehenden Verwaltungsaufwand auf, oder wird dieser mit dem Pacht- bzw. Kaufpreis auf die Landwirte umgelegt? - Das sind die zwei entscheidenden Punkte, die für die Landwirtschaft von besonderer Bedeutung sind.