Protokoll der Sitzung vom 15.12.2004

Gesetzentwurf der Fraktion der DVU

1. Lesung

Die Aussprache eröffnet der Abgeordnete Schuldt von der DVU-Fraktion. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind kein Parlament hinter verschlossenen Türen. Das muss auch für Untersuchungsausschüsse gelten.

Ausgangspunkt für unseren Gesetzentwurf ist die Frage, ob audiovisuellen Medien ein subjektives Recht auf Übertragung der Beweisaufnahme aus dem Untersuchungsausschuss zusteht. Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz schützt insoweit die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Fernsehen von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung von Nachrichten und Meinungen. Dies umfasst grundsätzlich die Möglichkeit, auch ein solches Ereignis für die Zuhörer und Zuschauer akustisch und optisch in voller Länge oder in Ausschnitten zeitgleich oder zeitversetzt zu übertragen, so das Bundesverfassungsgericht aus dem Jahre 1991, Seiten 125 und 134.

Der Informationsanspruch audiovisueller Medien reicht im Rahmen der Rundfunkfreiheit genauso weit wie der Informationsanspruch nach Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz für den Bürger allgemein. Als Abwehrrecht schützt das Grundrecht den Zugang zu allgemein zugänglichen Informationsquellen gegen staatliche Beschränkung. Das, meine Damen und Herren, ist genau der springende Punkt. Parlamentarische Untersuchungen dienen nicht nur der Kontrolle der Regierung und der Exekutive, sondern sie dienen auch maßgeblich der Information der Öffentlichkeit über staatliches Handeln. Damit handelt es sich also um eine allgemein zugängliche Informationsquelle; denn die Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuss ist geeignet und dazu bestimmt, einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis Informationen zu verschaffen.

Das Grundrecht auf Informationsfreiheit führt insoweit zu einem Recht auf Zugang. Deshalb bedarf die Beschränkung der Öffentlichkeit, wie sie in § 11 Abs. 1 Satz 2 Untersuchungsausschussgesetz zum Ausdruck kommt, der besonderen verfassungsmäßigen Rechtfertigung. Genau hieran fehlt es aber, wenn in § 11 Abs. 1 S. 2 Untersuchungsausschussgesetz zur Beweisaufnahme ohne irgendeine Einschränkung im Sinne einer Schrankenschranke - Juristen wissen, was damit gemeint ist - Ton- und Filmaufnahmen verboten werden.

Das Problem ist aber nicht nur ein rechtliches, sondern meines Erachtens ist die Aufklärung eines staatlichen Sachverhalts auch eine politische Aufgabe eines Untersuchungsausschusses.

Der Bürger soll nicht nur das Ergebnis einer parlamentarischen Untersuchung mitbekommen, sondern er soll auch sehen, wie gewissenhaft staatliche Missstände parlamentarisch untersucht werden und exekutives Fehlverhalten aufgedeckt wird.

Nach Max Weber, dem geistigen Vater des parlamentarischen Untersuchungsrechts in Deutschland, auf dessen Initiative Artikel 34 der Verfassung des Deutschen Reiches in die Weimarer Reichsverfassung von 1919 aufgenommen wurde, ist Sinn und Zweck des Untersuchungsverfahrens die Publizität der Regierungskontrolle. Ich zitiere diesen bedeutenden Staatsphilosophen:

„Durch effektive Parlamentskontrolle erzwungene Popularität der Verwaltung ist das, was als Vorbedingung jeder fruchtbaren Parlamentsarbeit und der politischen Erziehung der Nation zu fordern ist.“

Wir als DVU-Fraktion haben erkannt: Wesentliche Ursache für die immer weiter um sich greifende Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger ist auch ihre Ansicht, die Regierung mache ohnehin, was sie wolle, und die Parlamente sähen tatenlos zu. Dem Vertrauen der Bürger in die demokratische Kontrolle der Regierung dient demgegenüber der Sinn und Zweck des Untersuchungsrechts. Die Funktion der Öffentlichkeit entspricht der Vermittlungsfunktion der so genannten Parlamentskontrolltätigkeit. Das ist lebendige Demokratie und wesentliches Element auch der repräsentativen Regierungsform. Die Parlamentsöffentlichkeit sichert den Einfluss des Wählers auf die Gewählten durch die öffentliche Meinung und ist notwendige Voraussetzung für die Wahrung des Kontrollrechts.

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! - Vielen Dank.

(Beifall bei der DVU)

Danke. Für die Koalitionsfraktionen spricht Herr Abgeordneter Schulze von der SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf lässt in der Erarbeitung und in der Zielstellung die notwendige Sorgfalt und Sachverhaltsvorprüfung vermissen. Wir alle haben am 3. Dezember einen Gesetzentwurf, Drucksache 4/209, erhalten, in dem sehr krasse Fehler enthalten waren und der durch einen Neudruck korrigiert werden musste. Das ist aber nur die halbe Miete. Dadurch ist zwar formal ein grundlegender Fehler, der von vornherein zur Ablehnung des Gesetzentwurfs hätte führen müssen, bereinigt worden, aber auch die inhaltliche Begründung, die der Abgeordnete vorgetragen hat, geht an der Sache vorbei. Im Übrigen denke ich, dass sich Max Weber gerade im Grab umgedreht hat. Das sei nur nebenbei bemerkt.

Der Einbringer des Gesetzentwurfs verlangt die grundsätzliche Zulässigkeit von Bild- und Tonaufnahmen im öffentlichen Teil von Sitzungen eines Untersuchungsausschusses. Dazu muss man wissen, dass Untersuchungsausschüsse grundsätzlich öffentlich tagen. Jeder Mensch in diesem Land Brandenburg oder

von außerhalb hat Zugang zu den öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses.

Dass während dieser öffentlichen Sitzungen keine Ton- und Bildaufnahmen zugelassen sind, hat gute Gründe. Im Übrigen muss man einfach berücksichtigen: Das Gesetz ist 1991 erlassen und seitdem nicht novelliert worden.

Die Zulässigkeit von Bild- und Tonaufnahmen im öffentlichen Teil von Sitzungen eines Untersuchungsausschusses wird im Untersuchungsausschussgesetz in Anlehnung an das Verfahren in Verhandlungen bei Gerichten geregelt. Es hat dazu im Rahmen des CDU-Spenden-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag dazu auch eine gerichtliche Überprüfung gegeben, weil zwei Sender verlangt hatten, aus Sitzungen dieses Ausschusses übertragen zu dürfen. Dies wurde vom Bundesverfassungsgericht mit Mehrheit zurückgewiesen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem ähnlichen Verfahren mehrheitlich festgestellt, dass die Übertragung von Tonund Bildaufnahmen aus Gerichtsprozessen nicht zulässig ist. Es gab auch ein Minderheitenvotum. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht klar festgestellt, dass dies ausdrücklich nicht für Strafverfahren gilt, weil hier insbesondere der Schutz der Beschuldigten eine Rolle spielt. TV-Übertragungen kommen bei Strafverfahren also nicht infrage.

Nun muss man wissen, dass bei Untersuchungsausschüssen die einschlägigen Normen des Strafprozesses - nämlich Strafprozessordnung und Strafgesetzbuch - zur Anwendung kommen. Sie wissen vielleicht, dass Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss mit einer ziemlich krassen Formel belehrt werden und dass sie auch vereidigt werden können. Sie können von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen und rechtlichen Beistand hinzuziehen. Das zeigt uns, dass der Untersuchungsausschuss sehr große Ähnlichkeit mit einem Gerichtsverfahren hat.

Wir wissen aber auch, dass Untersuchungsausschüsse wenig oder nichts mit Gerichten zu tun haben; denn die Richter in diesem Lande sind durch ihr Amt und ihren Eid zu Neutralität und Unabhängigkeit verpflichtet. Wir wissen auch, dass Politiker in einem Untersuchungsausschuss, in dem Zeugen vernommen werden, nicht neutral sind und jegliche Reklamation in Richtung Neutralität bzw. Unabhängigkeit von Politikern natürlich naiv ist. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu festgestellt, dass ein Untersuchungsausschuss ein politisches Kampfinstrument ist.

Aus diesem Grunde ist es schlicht naiv anzunehmen, dass wir dieser Betrachtung die gleichen Sachverhalte wie in einem Zivilprozess zugrunde legen können. Hier sind Dinge angesprochen worden, die nicht vergleichbar sind.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einige widerstreitende Interessen aufmerksam machen, zum einen die Medienöffentlichkeit in Untersuchungsverfahren, die hier von den Antragstellern an die erste Stelle gesetzt wird. Das mag man tun, aber wir sehen auch, dass andere Bedeutungselemente, wie der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Zeugen, nicht außer Acht gelassen werden dürfen.

Sie dürfen nicht vergessen, dass jedermann vor Untersuchungsausschüsse geladen werden kann und dort aussagen muss. Die Menschen sind es nicht gewohnt, ins Licht der Öf

fentlichkeit gerückt zu werden. Ihre Vernehmung landesweit, möglicherweise bundesweit zu übertragen wäre ermessensfehlerhaft.

Es besteht auch ein Unterschied zwischen der Parlamentsöffentlichkeit und der Öffentlichkeit in Untersuchungsverfahren. In Parlamentsdebatten werden Reden von medienerfahrenen Politikern vorgetragen. Diese müssen sich als Mitglieder des Landtages auch gefallen lassen, dass dies, wenn sie sich nicht richtig darstellen oder Fehltritte begehen, öffentlich wird. In Untersuchungsausschüssen jedoch findet nicht der politische Alltag statt, sondern werden Missstände mithilfe gerichtsähnlicher Beweiserhebungsbefugnisse aufgeklärt. Dabei werden nicht nur Politiker oder Abgeordnete vernommen, sondern auch Privatpersonen, die möglicherweise unschuldig und ohne ihr Zutun in diese Angelegenheit geraten sind. Aus diesem Grunde - das ist auch eine Frage unseres Menschenbildes müssen wir diese Personen davor bewahren, ins Räderwerk der „Mediokratie“ zu geraten.

Ich will nicht in Abrede stellen, dass in anderen Bundesländern von unserer Regelung abweichende Regelungen bestehen. Jedoch ist die hier vorgeschlagene Regelung völlig unbrauchbar.

Es kann nicht sein, dass, wie hier vorgeschlagen, der Vorsitzende eines Untersuchungsausschusses nicht allein entscheidet, ob die Medien zugelassen werden oder nicht. Darüber muss - wie zum Beispiel im Untersuchungsausschussgesetz für den Deutschen Bundestag geregelt - der Ausschuss mit Zweidrittelmehrheit beschließen.

Der Gesetzentwurf der DVU ist nicht geeignet, ein Problem zu lösen, sondern schafft neue Probleme. Das heißt aber nicht, dass wir uns mit dem Untersuchungsausschussgesetz in toto nicht in nächster Zeit befassen müssen. Wir haben - da werden mir die Kollegen zustimmen - in der letzten Sitzung des „Chipfabrik“Untersuchungsausschusses festgestellt, dass Handlungsbedarf besteht. Dieses Gesetz ist nicht das neueste. Der von der DVU unterstellte Sachverhalt jedoch ist nicht der, der uns wirklich Probleme bereitet, sondern wir stehen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschussgesetz vor ganz anderen Problemen. - Der Antrag ist nicht hilfreich und daher abzulehnen.

(Beifall bei SPD, CDU und PDS)

Danke. Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der PDS-Fraktion fort. Der Abgeordnete Vietze hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die wichtigen und richtigen Sachverhalte, die der Abgeordnete Schulze angeführt hat, nicht wiederholen, sondern mich auf drei kurze Bemerkungen konzentrieren.

Erstens: Bezüglich des Untersuchungsausschussgesetzes besteht tatsächlich Handlungsbedarf. Ich teile die Auffassung von Herrn Schulze, dass es dabei nicht um das Anliegen geht, das hier von der DVU vordergründig auf die Tagesordnung gesetzt worden ist.

Ich hatte in den vergangenen 15 Jahren Gelegenheit, in ver

schiedenen Untersuchungsausschüssen - nämlich zur LEG, zur Chipfabrik, zur Treuhand und anderen Themen - tätig zu sein, und möchte ausdrücklich sagen, dass sich in dieser Zeit natürlich bestimmte Entwicklungen vollzogen haben, die zum Beispiel zu tun haben mit dem Gebrauch vertraulicher Unterlagen und den Schutzinteressen Dritter, mit der Zeugenvernehmung auch mit der Vernehmung ausländischer Bürgerinnen und Bürger als Zeugen -, die noch komplizierter werden, wenn diese Bürger Mitglieder von Regierungen anderer Staaten sind.

Ich will damit sehr deutlich sagen: Wir haben hier einen Sachverhalt, der in einer sehr intensiven sachlichen Debatte behandelt werden und natürlich auch - daran bin ich sehr interessiert - im Laufe des nächsten Jahres dazu führen sollte, dass wir das Untersuchungsausschussgesetz entsprechend novellieren.

Zweitens: Ich unterstreiche ausdrücklich, dass der Untersuchungsausschuss nicht eingesetzt wird, um die Öffentlichkeit mit irgendwelchen Sensatiönchen zu versorgen und - manchmal auch in Vorwahlkampfzeiten - bestimmte Interessen zu befriedigen, sondern es geht um die Aufklärung von Sachverhalten und darum, Sachaufklärung für die Öffentlichkeit herbeizuführen. Darum haben wir uns zum Beispiel im LEG- und im Chipfabrik-Untersuchungsausschuss, wie Sie wissen, sehr intensiv bemüht. Wir waren also darauf bedacht, auf politische Debatten zu verzichten und Sachaufklärung herbeizuführen. Das Agieren im Parlament und seinen Fachausschüssen unterscheidet sich, wenn es um Sachthemen geht, von dem in einem Untersuchungsausschuss und dem Gegenstand, der dort aufgeklärt werden soll.

Insofern ist sicherlich richtig, dass für den Untersuchungsausschuss nicht nur die Geschäftsordnung des Landtags, sondern auch die Strafprozessordnung gilt. Dies hat ganz andere Konsequenzen für diejenigen, die in diesen Ausschüssen tätig sind, die vor einen solchen Ausschuss geladen und auch Gegenstand der Sachaufklärung sind.

Insofern machen es sich die Kollegen der DVU-Fraktion hier etwas sehr leicht, wenn sie meinen, in einer Situation, in der viele darauf Wert legen, dass die Öffentlichkeit herzustellen ist, sozusagen auf ein Thema aufspringen zu können, das sofort für größeren Zuspruch sorgt. Dies ist zurückzuweisen, weil - das will ich ausdrücklich sagen - zwei Aspekte dabei sehr zu beachten sind.

Das ist zum einen die Konzentration der Mitglieder des Landtages in einem Untersuchungsausschuss auf die Befragung der Zeugen und den Sachverhalt, der damit im Zusammenhang steht, und weniger darauf, welche mediale Wirkung die jeweilige Fragestellung möglicherweise hat. Hier muss das Primat der Aufklärung deutlich Vorrang vor dem Moment der medialen Effekthascherei haben, die natürlich durchaus anzutreffen ist. Wir sind alle so weit mit dem politischen Geschäft vertraut, um zu wissen, dass man solchen Bedürfnissen, die sich entwickeln können, durchaus zugeneigt sein kann. Im Falle eines Untersuchungsausschusses aber ist die Außenwirkung nicht der Kern des zu realisierenden Auftrags.

Der zweite Aspekt ist die Schutzwirkung, die das Parlament in seinem Aufklärungsbegehren gegenüber dem Zeugen, der vernommen wird, hat.

Insofern ist es richtig, dass zum Abschluss noch einmal hervor

gehoben wird, Herr Schuldt: Das Ziel eines Untersuchungsausschusses ist eben nicht, wie von Ihnen dargelegt, die Publizität der politischen Entscheidungsvorgänge, sondern die Aufklärung des Sachverhalts und die Vorbereitung parlamentarischer Beschlüsse. Deswegen empfehle ich Ihnen, neben der historischen Lektüre, auf die Sie abgestellt haben und die zu verstehen ich Ihnen ebenfalls empfehle, auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Fernsehöffentlichkeit bei Gerichtsverfahren zur Kenntnis zu nehmen; denn dort steht ausdrücklich:

„Prozesse finden in der Öffentlichkeit, aber nicht für die Öffentlichkeit statt.“

Demzufolge ist Ihr Antrag abzulehnen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Vietze. - Das Wort erhält die Landesregierung. Gibt es Redebedarf? - Das ist nicht der Fall, sodass der Abgeordnete Schuldt noch einmal das Wort ergreifen kann, wenn er dies wünscht.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um mit Ihren Worten zu sprechen: Es scheint eine krasse Formel zu sein, dass manche Kolleginnen und Kollegen wahrscheinlich das Tageslicht scheuen. Das wundert mich nicht, wenn ich daran erinnere, wie die drei Untersuchungsausschüsse in der 3. Legislaturperiode gearbeitet haben, wenn ich darin erinnere, dass unsere Beweisanträge zum Beispiel im LEG-Untersuchungsausschuss in der Regel abgelehnt, allerdings dann später von anderen Fraktionen leicht umformuliert wieder gestellt wurden usw. usf.