Protokoll der Sitzung vom 01.07.2009

Die Abgeordnete Hesselbarth spricht für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde auch: Fünf Minuten Redezeit für fünf Jahre Bilanz ist herzlich wenig.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Viel zu viel!)

Es ist seit Jahren in diesem Hause eingerissen, dass die Regierungsfraktionen die Aktuelle Stunde dazu missbrauchen, sich selbst zu loben und zu beweihräuchern. Die SPD-Fraktion

zugestimmt haben. Dabei war es doch der Druck der vielen Eltern, die für ihre Kinder auf die Straße gingen, durch den Sie gezwungen waren, Ihre eigenen Gesetze zu ändern, und das auf Kosten der Kommunen.

(Beifall bei der DVU)

Ich habe noch eine Minute Zeit für das Kapitel Arbeit und Soziales.

(Schulze [SPD]: Und dann ist’s vorbei mit der Übelrederei!)

Die SPD lobt sich unter anderem, die Arbeitslosenzahlen von 2004 bis 2009 fast halbiert zu haben. Abgesehen davon, dass die Wahlperiode noch nicht zu Ende ist und als Folge der Wirtschaftskrise die Zahlen bis zum 27. September wohl noch ansteigen werden, hat die SPD das mit der Statistik wohl noch nicht so recht verstanden. Denn aus den statistisch bereinigten Arbeitslosenzahlen ist das Bild bei weitem nicht so positiv zu erkennen, und es wird noch trüber, wenn man den demografischen Verlust an arbeitsfähigen und arbeitswilligen vor allem jungen Brandenburgerinnen und Brandenburgern einbezieht. Aber vielleicht kennen sich die SPD-Genossen ja doch mit Statistik aus, empfanden die Wahrheit aber als ungeeignet für ihren Wahlkampf?

Die Wählerumfragen und auch viele Gespräche mit Bürgern lassen mich hoffen, dass die Brandenburger endlich begriffen haben, dass im übertragenen Sinne der Glorienschein der SPD nur mit umweltschädlichen und dazu noch geborgten Batterien am Leuchten gehalten wird. Herr Platzeck, Herr Baaske, der Lack ist ab! Immer mehr Brandenburger durchschauen Ihr hohles Geschwätz und Ihre Lügenpropaganda. Der 27. September 2009 dürfte das Ende der Sozi-Herrschaft in Brandenburg einläuten.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort erhält die Landesregierung. Es spricht der Ministerpräsident. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Kaiser, Sie haben eben gesagt, mit der Aktuellen Stunde setze sich die SPD dem Verdacht aus, Wahlkampfgedanken im Hinterkopf zu haben. Ich muss ehrlich und in aller Zurückhaltung sagen: Ich habe in Ihrer Rede nicht einmal ein Komma gefunden, das nicht Wahlkampf war.

(Beifall bei der SPD)

Seien wir doch einmal ehrlich miteinander! Ich habe Ihrer Rede aufmerksam zugehört und eine Summe gebildet. Wenn die Hälfte von dem, was Sie gesagt haben, stimmte, müssten wir längst dabei sein, eine Mauer um Brandenburg herum zu bauen, weil alle Menschen Koffer packen würden,

(Beifall bei der SPD)

schießt heute den Vogel ab, wenn sie nicht nur den Titel einer SPD-Wahlkampfbroschüre zum Titel ihrer Aktuellen Stunde macht, sondern auch die Inhalte für die Aktuelle Stunde dieser Wahlkampfbroschüre entnimmt. Ich muss mich darauf beziehen, Herr Baaske, denn Sie haben heute noch nicht viel dazu gesagt.

(Beifall bei der DVU)

Meine Damen und Herren! Die DVU-Fraktion begrüßt es außerordentlich, wenn zum Ende der 4. Wahlperiode eine kritische Bilanz dessen gezogen wird, was in diesem Zeitraum durch die Landesregierung für dieses Land und seine Bürgerinnen und Bürger erreicht wurde. Nun kommt es nicht von ungefähr, dass das, was wir heute hier gehört haben - auch wenn es wenig war, Herr Baaske -, durch die rosarote Brille der SPD-Fraktion gesehen wird. Denn zum einen ist die SPD seit 1990 an der Regierung, zum anderen hat der Wahlkampf für die bevorstehenden Landtagswahlen im Herbst begonnen. Es wundert mich nicht, dass sich die SPD hier mit einem hellleuchtenden Glorienschein präsentieren möchte. Aber das verstehen wir, Herr Baaske, denn in einer Zeit, in der sich die SPD in der Gunst der Wähler im freien Fall befindet, muss man etwas für sein Image tun; sonst folgt im September eine unangenehme und harte Bauchlandung für die Genossen in Rot.

(Beifall bei der DVU)

Ja, meine Damen und Herren, es hat sich von 2004 bis heute in unserem Land ohne Zweifel etwas getan. Die Frage ist jedoch, wie man das, was man erreicht oder auch nicht erreicht hat, den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes verkauft. Ich habe mir die Mühe gemacht, Ihre Broschüre zu lesen, meine Damen und Herren von der SPD. Sie liest sich wie ein Roman von Rosamunde Pilcher. Alles rosarot, alles schön, alles gut. Kein Wort der Kritik, von Selbstkritik ganz zu schweigen.

Nehmen wir die Thematik Kita, Jugend, Bildung. Sicherlich könnte man es als Erfolg werten, dass Brandenburg im bundesweiten Vergleich bei der Versorgung mit Kita-Plätzen einen dritten Platz innehat. Dummerweise können wir uns jedoch noch gut daran erinnern, dass SPD und CDU alles getan haben, damit Brandenburg nicht auf Platz 1 steht. Ich erinnere an die Abschaffung des unbedingten Rechtsanspruchs auf einen KitaPlatz. Das ist nicht vergessen, nur weil es schon in der 3. Wahlperiode war. Ist uns mit vielen Plätzen in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung wirklich geholfen, wenn die Zahl der dafür erforderlichen Erzieherinnen und Erzieher nicht ausreicht? Auch sei die Frage gestattet, ob ein Land wirklich attraktiver wird, wenn es viele Kita-Plätze für Kinder hat, die später ewig lange Schulwege vor sich haben oder mit ihren Eltern das Land verlassen, weil es keine wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven gibt.

Bleiben wir bei den Schulen. Nachdem maßgeblich Sie, meine Damen und Herren von der SPD, seit der Wende das Schulsystem in diesem Land permanent umgekrempelt haben, behaupten Sie jetzt, dass durch Ihre Initiativen nun alles besser wird. War es nicht maßgeblich der SPD-Bildungsminister, der unzählige Schulen - vor allem im ländlichen Raum - geschlossen und damit sehr vielen Schülern stundenlange Busfahrten zur nächsten Schule zugemutet hat? Sie loben sich allen Ernstes dafür, dass Sie der Volksinitiative zur Schülerbeförderung

um aus diesem fürchterlichen Land, das Sie beschreiben, die Flucht zu ergreifen. Das ist das Bild, das Sie hier zeichnen.

Bei aller selbstkritischen Sicht, die auch wir auf unser Land und seine Entwicklung haben, ist das ein völlig falsches Bild. Es hat nichts mit der Realität und glücklicherweise auch nichts mit dem Lebensgefühl der Menschen zu tun. Sonst würde nämlich nicht eine so hohe Prozentzahl von Menschen sagen, dass sie gern in diesem und in keinem anderen Land leben.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kaiser, Sie sprechen über Demonstranten. Ich bin heute zu allen Demonstrationen gegangen - wie ich es immer tue -, weil ich es gut finde, dass in diesem Land demonstriert wird.

(Beifall bei der SPD)

Ich finde es gut, dass demonstriert werden kann. Ich finde es gut, dass Menschen das Selbstbewusstsein haben, das Demonstrationsrecht, das es in dieser Region nicht immer gab, zu nutzen und sich zu artikulieren.

(Beifall bei der SPD - Frau Lehmann [SPD]: Genau so!)

Die Gespräche übrigens, die ich heute Morgen mit den Demonstranten geführt habe, waren sehr kollegial. Da kann man überhaupt nicht über das meckern - sage ich einmal märkisch -, was da im demokratischen Miteinander möglich ist. Dass die Interessen manchmal unterschiedlich sind, gehört dazu.

Sie bewerten Demonstrationen als Ausweis der Politik. Ich kann mich daran erinnern, weil ich öfter im Senat und im Roten Rathaus bin: Dort hat ver.di ein halbes Jahr demonstriert, und zwar jeden Tag.

(Frau Lehmann [SPD]: Richtig!)

Es liegt vielleicht auch ein bisschen daran, wer da mitregiert oder auch gar nicht. Ich weiß es nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wenn das der Ausweis für gute oder schlechte Politik ist, sollten Sie sehr vorsichtig sein.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE: Das ist das Aller- letzte!)

Ich will Ihnen noch etwas zu dem Thema sagen: „Da bist du von den Kita-Erzieherinnen und den Eltern ausgepfiffen worden!“ Meine Damen und Herren, wenn Politik nicht mehr den Rücken hat, sich auspfeifen zu lassen, kann sie aufhören.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Politik nur noch hingeht und sagt: „Ich erfülle euch alle Wünsche, die ihr habt“, kann Politik aufhören. Deshalb werde ich mich auch weiter auspfeifen lassen und meine Meinung sagen. Ich respektiere die Meinung der Demonstranten. Aber ich werde auch vor Wahlen nicht sagen: Wir erfüllen euch alle Wünsche. - Dann nämlich würde dieses Land wirklich untergehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Es ist in einer Demokratie nun einmal so - das ist das Schöne und das Gute -, dass sie die einzige Gesellschaftsordnung ist, die versucht, alle Interessen ernst zu nehmen, zu respektieren, in einen Topf zu tun. Dann ist Regierung gefragt, herauszudestillieren, was nötig und was möglich ist, und daraus Politik zu machen. Weil Regierung das zu tun hat, Frau Kaiser, bin ich nicht Ihrer Meinung, dass es so geht: An schlechten Entwicklungen im Land ist allein die Regierung schuld, an guten Entwicklungen hat sie keinen Anteil. So kann man Politik auch nicht definieren.

(Beifall bei SPD und CDU)

Im Herbst 2004 befand sich das Land in einer eklatant schwierigen Situation. Das wissen wir alle. Wir hatten eine hohe Arbeitslosigkeit, wir hatten eine schlechte Haushaltslage. Wir, die Koalition, haben uns damals vorgenommen, eine ehrliche Bestandsaufnahme durchzuführen. Das haben wir auch getan. Wir haben aus dieser Bestandsaufnahme Schlussfolgerungen gezogen. Wir haben gesagt, wir wollen dieses Land aus eigener Kraft erneuern. Wir wollen dies tun, indem wir Stärken des Landes stärken, um Schwächen künftig nicht mehr zuzulassen.

Wir haben eine strategische Neuausrichtung vorgenommen. Wir haben drei klare Prioritäten gesetzt, die wir bis heute durchgehalten haben. Bildung war die erste Priorität, Wissenschaft und Forschung die zweite Priorität und moderne Technologien in diesem Land die dritte Priorität. Wir haben als Instrumentarium eine neue Förderstrategie aufgelegt. Wir haben uns ganz klar vorgenommen, den Haushalt zu konsolidieren. Wir haben uns das Energiethema als ein Hauptthema vorgenommen, und wir haben uns die Familienpolitik als ein ganz wichtiges Thema auf die Fahne geschrieben.

Ich sage noch einmal bei aller Selbstkritik: Ich weiß, dass dieses Land mitnichten ein ideales ist. Ich glaube, das wird es auch nie geben. Aber dieses Land ist in den letzten fünf Jahren vorangekommen, wir sind gerade bei unseren Prioritäten vorwärtsgekommen, weil wir sie ernst genommen haben - übrigens gegen Widerstände, Frau Kaiser. Es gab von Anfang an Widerstände. Das hat es mit Prioritäten eben so auf sich. Wer eine Priorität setzt, muss den Widerstand der Posteriorität einfach in Kauf nehmen. Sonst kann er nicht mit Prioritäten umgehen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das gehört zur Politik. Das gehört auch zu dem Mut, den Politik braucht.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich bewerte es nicht über, aber ich bewerte es auch nicht unter, dass die PISA-Macher unser Land „Aufsteiger des Jahres“ genannt haben. Das heißt, der Kurs ist richtig. Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns. Aber der Kurs stimmt, und das zum Wohle unserer Kinder. Ich nehme sehr wohl zur Kenntnis und kann dem durchaus etwas abgewinnen, was die Betreuungsrelation in unseren Kitas angeht. Wir haben die höchste Betreuungsquantität, aber zu einer höheren Qualität gehört eine noch bessere Relation. Wir nehmen das auf, und wir nehmen das ernst. Aber ich kann das nur insoweit aufnehmen, wie ich es bezahlen kann. Es geht hier nämlich um Kinder. Eines werde ich, solange ich Politik in diesem Land vom Bürger legitimiert machen darf, nicht machen, nämlich dass ich diese Wünsche

erfülle, indem ich einfach nur neue Schulden aufnehme. Das müssen dann nämlich die Kinder abtragen und abzahlen. Damit versaue ich ihnen das Leben. Das muss ins Gleichgewicht kommen.