Jede weitere Praxis und jede Honorarerhöhung für Vertragsärzte führt zu einer zusätzlichen Belastung der Krankenkassen und geht - nach dem Ausstieg aus der Parität durch Schwarz-Gelb einseitig zulasten der gesetzlich Versicherten.
Am 6. April haben sich das Bundesgesundheitsministerium und die Gesundheitsminister der Länder auf Eckpunkte für das für den 01.01.2012 geplante Versorgungsgesetz geeinigt. Die Länder hatten ja schon über die Gesundheitsministerkonferenz im vergangenen Jahr für mehr Mitsprache bei der Bedarfsplanung gestritten. Schon zwei Tage später legte Minister Rösler die mit den Koalitionsfraktionen endgültig ausgehandelten Eckpunkte vor. Darin wurden gleich drei wesentliche Forderungen der Länder wieder einkassiert; für zukünftigen Zoff im Bundesrat ist also bestens gesorgt.
Das neue Versorgungsgesetz wird die Versorgung nicht wirklich verbessern. Statt echte Strukturreformen für mehr Qualität auf den Weg zu bringen und substanzielle Antworten auf die Herausforderungen, die durch die Gesundheitsversorgung einer alternden Gesellschaft auf uns zukommen, zu liefern, doktert Schwarz-Gelb an einzelnen Symptomen herum. Einzelne, kleinteilige Maßnahmen, die durchaus ihre Berechtigung haben, sind nicht wirklich neu und werden in Brandenburg bereits praktiziert, zum Beispiel die nichtärztlichen Praxisassistentinnen oder das AGnES-2-Projekt durch die Innovative Gesundheitsversorgung in Brandenburg, einer Kooperation zwischen Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung. Auch Kredite und Umsatzgarantien bei Praxisübernahmen oder -gründungen in unterversorgten Gebieten, verschiedene Stipendiensysteme, der Ausbau von Netzwerken für Fortbildung und Telemedizin oder Filialpraxen werden in Brandenburg seit längerem gehandhabt. Die grundlegenden Probleme wie eine wirksame Überwindung der Trennung zwischen ambulantem und stationärem Sektor, eine Aufwertung der Primärversorgung und die Einbeziehung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe in ganzheitliche Versorgungskonzepte - werden nicht angepackt. Wirklich grundlegende berufsgruppen- und sektorübergreifende Antworten auf bestehende und künftige Versorgungsbedarfe sind von diesen Eckpunkten nicht zu erwarten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Prof. Schierack, wenn ich Ihre Argumente höre, stelle ich mir die Frage,
ob Sie denn immer noch nicht verstanden haben, wie das Gesundheitssystem im Land und im Bund organisiert ist. Das, was Sie gesagt haben, war jedenfalls ein bisschen daneben.
- Er ist in der Tat der Fachmann. - Zu Herrn Beyer will ich mich heute eigentlich gar nicht äußern. Nur so viel: Wenn Sie gut drauf sind, ist das gut für uns hier. Aber der Bundesgesundheitsminister war leider weder am 6. April noch in den Folgetagen so gut drauf; denn da waren ihm die Eckpunkte schon wieder zusammengestrichen worden - von den eigenen Fraktionskollegen im Bund.
Meine Damen und Herren! Ich will meine Sicht auf die Lage der Gesundheitsversorgung im Land Brandenburg deutlich machen und dabei insbesondere auf unser Zusammenwirken mit dem Bund eingehen. Die Gesundheitsminister der Länder drängen den Bundesgesundheitsminister seit vielen Monaten, endlich zu handeln. Die einheitliche gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung hat bereits heute eine gefährliche Schieflage. Sie alle wissen das; zum Teil haben Sie es beschrieben. Wir sehen, dass die Unterschiede in der Versorgung zwischen ländlichen Regionen und Städten wachsen - meine Vorrednerin ist darauf eingegangen -, ohne dass uns als Land wirksame Instrumente zum Gegensteuern zur Verfügung stehen.
Wir sehen darüber hinaus, Herr Schierack, dass die Bedeutung integrierter Versorgungsformen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wächst, und zwar sowohl aus fachlichmedizinischen als auch ökonomischen Gründen. Obwohl Sie es wissen, will ich es an dieser Stelle wiederholen: Die Länder sind für die stationäre Versorgung zuständig. Die ambulante Versorgung gewährleistet die gemeinsame Selbstverwaltung von Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung. - Sie nicken; das ist also bekannt.
Die starre Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wird den Anforderungen, die meine Vorredner mehrheitlich beschrieben haben, an ein patientenorientiertes Gesundheitssystem schon lange nicht mehr gerecht; insoweit muss nachgesteuert werden.
Wir sehen, dass regional empfindliche Lücken, vor allem in der hausärztlichen Versorgung, bestehen - das ist unbestritten der Fall -, die sich weiter vergrößern werden, wenn nicht rasch gegengesteuert wird. Wir verzeichnen einen wachsenden Bedarf an Allgemeinmedizinern. Um diesen zu decken, brauchen wir eine veränderte Aus- und Weiterbildung von Hausärztinnen und Hausärzten. In Brandenburg stoßen wir wiederum auf bundesrechtliche Hürden, die uns daran hindern, entsprechend zu handeln. Diese Hürden gilt es abzubauen.
Meine Damen und Herren! Lange war vom Bundesgesundheitsminister in der Sache nichts zu hören. Letzte Woche hat er auf der Gesundheitsministerkonferenz angekündigt, das Versorgungsgesetz zum 1. Januar 2012 in Kraft treten zu lassen; das ist zumindest sein Ziel. Die Konfliktpunkte, die den Bundesrat beschäftigen werden, sind schon beschrieben worden. Ich unterstreiche, dass die Gesundheitsminister der Länder nicht nachlassen werden, den Bundesgesundheitsminister
zu drängen, dass es - auch im Interesse der Stärkung der Länder in Fragen der Gesundheitspolitik - zu einem ausgewogenen Gesetz kommt.
Klar ist: Bei den Ländern laufen alle Klagen über regional bestehende Probleme in der gesundheitlichen Versorgung auf. Alle Abgeordneten beteiligen sich wahlkreisbezogen an der Behebung entsprechender Probleme. Auch wir versuchen, Lösungen zu finden. Die Länder müssen sich jedoch bisher in der Sache auf das Moderieren beschränken. Wir haben kaum Gestaltungsspielräume. Das muss schnell geändert werden; sonst sind wir in den nächsten Jahren in derselben Situation. Wir fordern den Bund nochmals dringend auf, auf diesem Gebiet schnell zu handeln. Im vergangenen Sommer haben alle Gesundheitsminister der 16 Bundesländer einstimmig einen Beschluss gefasst, der im Wesentlichen Folgendes besagt:
Wir brauchen mehr Einfluss der Länder und eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung. Es ist nicht vernünftig, medizinische Leistungen im Krankenhaus und in der ambulanten ärztlichen Versorgung völlig losgelöst voneinander zu betrachten.
Um das leisten zu können, brauchen wir bundesrechtliche Rahmenbedingungen, die dann im Landesrecht ausgefüllt werden. Wir brauchen weiterhin Beanstandungs- und Initiativrechte der Länder bei landesbezogenen Versorgungsverträgen der Krankenkassen. Für eine vernünftige Kommunikation in diesen Fragen brauchen wir Bevollmächtigte der Krankenkassen mit Verhandlungsmandat; ich denke, das ist eine wichtige Forderung. Wir brauchen darüber hinaus Instrumente für die Behebung von Versorgungslücken im ländlichen Raum. Dafür muss sich die Bedarfsplanung in der medizinischen Versorgung am tatsächlichen Versorgungsbedarf orientieren, die Krankheitshäufigkeit bzw. Morbidität, die demografische Zusammensetzung der Bevölkerung und anderes berücksichtigen und vor allen Dingen lokale Besonderheiten in die Entscheidungsfindung einbeziehen.
Sie haben es gehört, meine Damen und Herren: In Brandenburg bringen wir erfolgreich Modellvorhaben und vernetzte Strukturen auf den Weg, um vorhandene Ressourcen auch optimal nutzen zu können und Lücken schließen zu helfen. An guten Ideen für Strukturreformen, finde ich, mangelt es uns hier in Brandenburg nicht. Im Januar haben wir unser Strategiepapier mit Grundlagen, Handlungsfeldern und Maßnahmen zur künftigen Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung in Brandenburg im Ausschuss vorgestellt. Das ist ein Konsenspapier aller im Gesundheitswesen tätigen Partnerinnen und Partner. Ich glaube, das ist ein guter Konsens, und auch Sie haben sich ja in diesem Sinne in die Debatte eingebracht, Herr Schierack.
Was wir brauchen, um wirksamer zu werden und auch unsere Handlungsfelder und Maßnahmen besser umsetzen zu können, ist Folgendes: Wir brauchen mehr Spielräume und verbesserte bundesrechtliche Voraussetzungen. Wir brauchen ein Mitspracherecht der Länder im gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, wo diese Fragen geregelt werden. Dort sind wir bisher außen vor, und ich glaube, das ist nicht länger hinzunehmen.
Wir werden auch die Stärkung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe immer wieder auf die Tagesordnung stellen. Dazu haben Sie schon gesprochen. AGnES 1 ist ein prima Modell, nur haben der Bundesausschuss und letztlich die Bundesebene die Finanzierung gekürzt, sodass es nicht voll zum Tragen kommen kann. Das können wir nicht weiter hinnehmen.
Ich habe den Bundesgesundheitsminister nochmals aufgefordert, tätig zu werden, um hier bei der Finanzierung nachzusteuern. Darüber hinaus liegen uns die Förderung der hausärztlichen Versorgung sowie die Aus- und Weiterbildung von Allgemeinmedizinern sehr am Herzen. Das hatte ich bereits angesprochen; Herr Schierack hatte sich ja noch einmal mit einer Kleinen Anfrage nach den Konzepten erkundigt, die wir hier vorschlagen. Diese sind für alle nachlesbar.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hält an ihrer Forderung nach immer mehr Ärzten in Deutschland fest. Hierzu sage ich noch einmal: Das ist der falsche Weg; auch Frau Nonnemacher hat es unterstrichen. Wir haben nicht zu wenig Ärzte in Deutschland - sie sind einfach regional falsch verteilt. Das ist das Problem!
Wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung weiterhin nach mehr Ärzten ruft - und Herr Kollege Söder aus Bayern beteiligt sich aus bekannten Gründen ebenfalls daran -, dann kann ich nur sagen: Diese Klientelpolitik lehnen wir ab. Wir fordern eine Strukturreform im Gesundheitswesen, und dazu brauchen wir alle Partnerinnen und Partner. Der Bund muss mit dem Versorgungsgesetz handeln.
Meine Damen und Herren, wir als Landesregierung haben ein vorrangiges Interesse an einer Reform der Versorgungsstrukturen in der Beziehung zwischen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen und uns als Landesbehörden. Das werden Sie verstehen. Dies ist eine sehr komplexe Aufgabe, die wir hier wahrnehmen müssen.
Es gibt auch - das wurde schon beschrieben - von Fall zu Fall sehr unterschiedliche Interessen. Mir ist dabei wichtig, dass wir zu diesen Fragen mit allen unseren Partnern des Gesundheitswesens hier in Brandenburg in einem engen Austausch stehen, denn die gute Zusammenarbeit braucht auch künftig Vertrauen. Wir haben deshalb gleich nach der Gesundheitsministerkonferenz am Mittwoch vergangener Woche unsere Spitzenorganisationen im Land über die Eckpunkte zum möglichen Versorgungsgesetz informiert. Wir haben mit ihnen unsere Positionen ausgetauscht, sodass ich heute auch mit den Positionen der Vertreter der Spitzenverbände im Gesundheitswesen unsere Forderung in der Aktuellen Stunde noch einmal deutlich machen kann.
Ich glaube, Herr Kollege Rösler war - es ist vorhin beschrieben worden - gut aufgestellt mit unserer Unterstützung, mit der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft, die Eckpunkte für ein Versorgungsgesetz vorzulegen. Nur stellt sich bei uns die Frage, ob er überhaupt noch verhandlungsfähig ist, denn zwei Tage später haben ihm die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP die Eckpunkte schon wieder zusammengestrichen, die
wir, also alle 16 Gesundheitsminister, gemeinsam mit Herrn Rösler beschlossen hatten. Das halte ich für sehr bedenklich. Das macht deutlich, dass der Bund bzw. die Bundesregierung nicht will, dass wir ein wirklich ausgewogenes Strukturreformkonzept bekommen, dass die Länder mehr Mitspracherecht erhalten, dass wir unsere Probleme im ländlichen Raum wirklich angehen und die Potenziale, die es hier gibt, nutzen können.
Die Bundesregierung und ihre Regierungsfraktionen stellen sich aus jetziger Sicht schon wieder gegen mehr Mitspracherechte, und Handlungsbedarf, den die Länder angemeldet haben, ignorieren sie. Das halte ich für falsch.
Ich kann nur meine Bitte und Erwartungshaltung an die Kollegen der CDU und FDP richten: Werden Sie in Ihren Bundestagsfraktionen aktiv, schildern Sie die Situation, die ich und wir jedes Mal in der Ministerkonferenz, bei allen Gelegenheiten verdeutlichen. Es besteht auch aus Brandenburger Sicht Handlungsbedarf, damit wir hier zu einem Versorgungsgesetz kommen, das uns in der Sache wirklich weiterhilft.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal sagen: Wir brauchen eine echte Strukturreform im Gesundheitswesen und intelligente gesundheitliche Versorgungskonzepte, die vor Ort, im Land und regional zur Anwendung kommen können und die Probleme lösen helfen.
Ich bedanke mich bei den Regierungsfraktionen sowie für die angekündigte Unterstützung durch den Entschließungsantrag. Dieser wird uns in der Sache sehr weiterhelfen. - Vielen Dank.
Das Wort erhält noch einmal die CDU-Fraktion. Der Abgeordnete Prof. Dr. Schierack hat noch 90 Sekunden Redezeit.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich glaube, die Menschen sind von Ihrer Rede ein wenig enttäuscht.
Sie hätten jetzt die Chance gehabt, Ihre Konzepte wirklich einmal auf den Tisch zu legen und nicht nur zu beklagen, dass Sie überhaupt keine Möglichkeiten hätten. Ich kann nachhelfen: Sie hätten ja erklären können, wie Sie die Zukunft der niedergelassenen Kollegen im Land sehen - das wäre heute einmal eine schöne und spannende Debatte gewesen. Diese haben Sie angestoßen; dazu habe ich kein Wort gehört.