Protokoll der Sitzung vom 13.04.2011

Erstens: Wir haben ähnliche ordnungs- und strukturpolitische Grundsätze im Umgang mit Freiheit und Demokratie wie bei der Diskussion zum Gesetz zur Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Debatte um Mindestlöhne.

Interessanterweise haben sich im Laufe dieser Debatte auch hier die Grundsätze von handelnden Akteuren bis hin in die Reihen von FDP und CDU verändert. Gegenwärtig wird kaum noch bestritten, dass die Einführung eines Mindestlohnes eine der Voraussetzungen ist, um soziale und wirtschaftliche Konfliktlinien in dieser Gesellschaft zu verhindern bzw. überhaupt nicht erst entstehen zu lassen.

Worüber wir uns streiten, ist der Weg, wie wir dahin kommen. Die Debatte wird weiter anhalten. Ich darf für die Parteien, die diese Koalition tragen, sagen, dass wir uns seit Jahren politisch sehr massiv dafür einsetzen, dass ein Mindestlohn in dieser Gesellschaft eingeführt wird, um die beschriebenen Konfliktlinien zu minimieren bzw. nicht entstehen zu lassen. Insofern war es nur konsequent, dass diese Koalition als eine der zentralen Aufgaben für sich definiert hat, Mindestanforderungen und Mindeststandards an die Vergabe von öffentlichen Aufträgen auszusprechen, in ein Vergabegesetz zu gießen und zu versu

chen, dieses Regelwerk hier in Brandenburg einzuführen und umzusetzen.

Worum geht es? Wir als Bundesland Brandenburg können keinen Mindestlohn einführen. Das ist grundgesetzlich verboten. Das, was wir tun können, ist, Mindeststandards oder Lohnuntergrenzen für öffentliche Aufträge zu definieren. Das haben wir getan. Wir waren seit Dezember 2009 bei den verschiedensten Akteuren und Institutionen. Was mich in diesem Zusammenhang in der Debatte erfreut, ist: Die Lohnuntergrenze von 7,50 Euro wird kaum montiert. Das macht deutlich, welcher Stimmungsumschwung in dieser Frage mittlerweile auch hier im Land Brandenburg aufgrund neuer politischer Konstellationen zu verzeichnen ist. Das begrüße ich außerordentlich. Insofern ist ein Kernbereich, den wir uns als Koalition vorgenommen haben, die Lohnuntergrenze für öffentliche Aufträge einzuführen.

Wir wissen, dass damit Belastungen auf Unternehmen und auch auf Kommunen zukommen. Es gab und gibt hier aber eine ordnungs- und strukturpolitische Abwägung, welches gesellschaftspolitische Ziel uns wichtiger ist. Wichtiger war uns die Einführung dieser besagten Lohnuntergrenzen.

Zweitens: Wir sind von Anfang an mit dem politischen Versprechen ins Rennen gegangen, den ÖPNV einzubeziehen. Das haben wir getan.

Das dritte Versprechen war, zu versuchen, Rechtssicherheit für öffentliche Vergabestellen bei der Anwendung der unterschiedlichen Regelungen zwischen Haushaltsrecht und Vergaberecht zu schaffen. Auch das haben wir in diesem Gesetzentwurf umgesetzt. Es gab den ausdrücklichen Hinweis, dass entsprechend § 94 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen die Anwendung weiterer Standards nicht ausgeschlossen, sondern ausdrücklich angeregt wird. Sie wissen, dass eine Reihe von sozialen und ökologischen Standards bereits geregelt ist und durch die Vergabestellen umgesetzt wird. Eine Null-EmissionsStrategie wie im Landkreis Barnim hätte ohne dieses Regelwerk überhaupt nicht entstehen und umgesetzt werden können.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Genau!)

Insofern haben wir uns auf den politischen Kernbereich unserer eigenen Absichtserklärung aus dem Koalitionsvertrag konzentriert und ihn in diesem Gesetz rechtlich umgesetzt.

Meine Damen und Herren, es gab und gibt eine Debatte darüber, ob beispielsweise die Kontrollpflichten, die wir hier im Gesetz definiert haben, ausreichen. Ich finde diese Debatte richtig und gut. Ich will Ihnen aber einmal die Extreme deutlich zu machen versuchen, in welchem Spannungsfeld eine Abwägung bzw. das Optimum gefunden werden muss, um einerseits ein handhabbares Gesetz zu haben und um andererseits Kontrollen durchzuführen, denn sonst brauche ich das Gesetz nicht.

Es gibt mitunter die Auffassung, dass de facto jeder öffentliche Auftrag kontrolliert werden soll. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das ist dann kein Gesetz mehr, sondern ein Wust an bürokratischen Vorschriften, der es verhindert, dass das Ziel einer sozial ausgestalteten öffentlichen Auftragsvergabe erreicht wird. Es gibt auch Stimmen, die fordern, dass de facto überhaupt keine Kontrollen erfolgen. Das ist genauso ein Ding der Unmöglichkeit.

Insofern haben wir mit Partnern vereinbart, in den Ausformungen des entsprechenden Paragrafen die Verordnungsermächtigung zur Ausgestaltung der Kontrolle mit ihnen zu beraten, um ein Optimum zu finden, unsere sozialpolitische und wirtschaftspolitische Zielstellung umzusetzen.

Es gibt eine Debatte über die Höhe der Auftragsgrenzen für öffentliche Aufträge, die aus einer Vielzahl von Beratungen mit kommunalen Akteuren resultieren. Ich darf Ihnen sagen: Wir haben auch bei Bauaufträgen unter 100 000 Euro sichergestellt, dass für all diejenigen Gewerke, für die die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages nicht gilt - das sind eine ganze Reihe, sie sind auf den Internetseiten des Bundesministeriums für Arbeit veröffentlicht und damit öffentlich abrufbar, auch wir werden sie veröffentlichen -, das Gesetz gilt und damit die Mindestanforderung von 7,50 Euro umgesetzt werden muss.

Ich gehe davon aus, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, der aus unserer Sicht eine wettbewerbsentzerrende Wirkung hat, Wettbewerb überhaupt erst ermöglichen, weil er Wettbewerb über Preisdumping, über Lohnhöhen ausschließt, was auch vor dem Hintergrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die wir alle außerordentlich begrüßen, aus meiner Sicht ausgesprochen wichtig ist.

Und wir haben sichergestellt, dass öffentliche Aufträge eine Lohnuntergrenze haben, die ein relativ auskömmliches Einkommen mit sich bringt.

Meine Damen und Herren, wir haben mit der Einsetzung einer Überprüfungskommission einen Weg gefunden, dass dieser Einstieg in Lohnuntergrenzen überprüft und den sozialen und gesellschaftlichen Erfordernissen angepasst wird. Der Einstieg in eine Lohnuntergrenze bedeutet im Klartext, dass man die Lohnuntergrenze entsprechend der gesellschaftlichen Entwicklung überprüft und verändert. Ich finde, das ist ein Schritt, der es uns ermöglicht, dieses Gesetz mit voller sozialer Verantwortung politisch zu vertreten.

Meine Damen und Herren, wir hatten zwei Probleme zu lösen, das will ich nicht verhehlen. Das erste Problem war die Frage der Kostenberechnung. Wir standen vor der Frage, ob wir jetzt noch eine zweijährige Berichtspflicht einführen, bevor wir Kosten berechnen, oder ob wir über Fallpauschalen versuchen, einen Kostenrahmen zu definieren, welcher zusätzliche Aufwand auf die Kommunen, die wir von Anfang an einbezogen haben, zukommen wird. Wir haben Ihnen aus meiner Sicht mit dem Gesetzentwurf eine sehr detaillierte Fallpauschalenberechnung vorgelegt, und wir werden die notwendigen Summen dafür in den Haushaltsberatungen bereitstellen.

Ich will an dieser Stelle deutlich betonen: Es gibt die Zusage, dass dieses Geld nicht in die allgemeinen Schlüsselzuweisungen einfließt, sondern dass wir Sonderetatposten einführen, um sicherzustellen, dass das Geld auf Grundlage des anerkannten Konnexitätsprinzips für diesen Zweck umfassend bereitgestellt wird.

Und wir haben eine Überprüfung der Kosten vereinbart, um deutlich zu machen: Sollten die Kosten höher oder niedriger sein, werden die bereitgestellten Sätze selbstverständlich angepasst.

Ich finde, auch das ist ein Weg, mit dem alle Beteiligten umgehen und leben können sollten, weil er sicherstellt, dass das

Konnexitätsprinzip nicht nur formal gilt, sondern auch umfassend umgesetzt werden kann.

Drittens: Wir haben sichergestellt, dass es nicht nur für die Kommunen und das Land gilt, sondern auch für öffentliche Unternehmen. Ich hatte gerade eine Diskussion darüber. Die Diskussionen werden auch weitergehen. Ich halte die Einbeziehung für völlig richtig, weil öffentliche Aufträge nicht nur durch das Land oder die Kommunen, sondern auch durch die Gesellschaften und Unternehmen, die dem Land oder den Kommunen gehören, ausgelöst werden. Selbstverständlich muss auch in diesem Bereich, wenn wir es politisch ernst meinen, eine Einbeziehung in das Gesetz erfolgen. Auch das haben wir realisiert.

Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, dass wir nach der Überweisung eine interessante Debatte in den Ausschüssen haben werden, und ich hoffe auf eine zügige Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Minister Christoffers. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Der Abgeordnete Homeyer hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach anderthalb Jahren Regierungszeit, heftigem Tauziehen zwischen Wirtschafts- und Sozialministerium und mehrmaligem Ankündigen und Verschieben liegt uns nun dieser Gesetzentwurf vor. Hauptziel, meine Damen und Herren, welches im Wahlkampf, im Koalitionsvertrag und in der Öffentlichkeit immer wieder ausgegeben wurde, ist die Einführung eines Mindestlohns bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Das Problem für die Landesregierung ist nun - das ist auch der Grund dafür, warum es so lange gedauert hat -, dass eine solche Regelung nur Sinn macht, wenn auch Kommunen darauf verpflichtet werden und die Einhaltung konsequent kontrolliert wird. Das verursacht großen bürokratischen Aufwand und kostet viel Geld.

Am 5. April 2011, also letzte Woche, habe ich mir die Mühe gemacht, mir einmal auf dem Vergabeportal des Landes Brandenburg die dort eingestellten Aufträge, Herr Minister Christoffers, stichprobenartig anzuschauen. Ergebnis: Es sind 709 Aufträge eingestellt, die vergeben werden sollen und die öffentliche Hand betreffen. Sie betreffen die Landesregierung und auch die Kommunen. Meine Damen und Herren, das hier ist der Ausdruck aus dem Vergabeportal.

(Der Abgeordnete Homeyer [CDU] zeigt den Ausdruck.)

Dann haben wir einmal geprüft, für wie viele öffentliche Aufträge dieses neue Gesetz nun Anwendung findet. Das Ergebnis lautet: Für elf Aufträge findet das Gesetz Anwendung. Das sind noch nicht einmal 2 %. Das heißt, nur in diesen elf Fällen existiert ein Mindestlohn bzw. ein Tariflohn, der unter 7,50 Euro liegt. Das sind - wie gesagt - nicht einmal 2 % der Gesamtzahl. Das ist zwar nur eine Stichprobe, ich meine aber,

sie zeigt eines deutlich: wie überflüssig dieses Gesetz eigentlich ist.

(Beifall CDU und FDP - Zuruf des Abgeordneten Holz- schuher [SPD])

- Dazu kommen wir gleich. Nun könnte man meinen, Herr Holzschuher, danke schön, dass Sie mir diesen netten Hinweis gegeben haben: Wenn kaum ein Auftrag in der Praxis betroffen ist, dann schadet es auch niemandem. - Dann ist natürlich die Frage erlaubt: Wozu erarbeitet die Landesregierung ein Gesetz, wenn es keiner braucht und es keine Wirkung entfaltet?

(Gelächter bei CDU und FDP)

Aber das Problem liegt eigentlich tiefer. Es ist das politische Lieblingsprojekt dieser Landesregierung - das wissen wir ja -, und - was viel schlimmer ist - mit diesem politischen Lieblingsprojekt ist auch ein Bürokratiemonster erschaffen worden.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Und die Einführung des Sozialismus befördert worden! - Frau Dr. Ludwig [CDU]: Ja, richtig! - Gelächter)

Ich würde das bei diesem Gesetz nicht sagen, Frau Kaiser. Dieses Gesetz gibt das wirklich nicht her. Da haben Sie sich auch nicht genug Mühe gegeben.

(Zuruf: Das bedauern Sie wohl?)

Das bedauere ich in dem Fall auch nicht, aber, Frau Kaiser, das trifft es wirklich nicht.

Mit diesem Bürokratiemonster - so ist es nun mal mit Bürokratie, meine Damen und Herren der Fraktionen, mit einem Prestigeobjekt, dann scheut ja auch niemand mehr die Kosten, dann ist ja auch völlig egal, wie hoch der Aufwand ist, Augen zu und durch! Wir wissen, 6,4 Millionen Euro sollen den Kommunen erstattet werden. Diese Zahl ist übrigens wahllos gegriffen. Sie ist ökonomisch und wissenschaftlich nicht unterlegt. Es waren einmal 10 Millionen Euro, Herr Minister, jetzt sind es 6,4 Millionen Euro - macht ja nichts. Wie gesagt, die Grundlage ist völlig unklar. Die Frage, wer die Differenz zwischen Mindestlohn und Tariflohn bezahlt, Herr Minister Christoffers, ist auch völlig ungeklärt. Es interessiert übrigens auch niemanden. Ich kann die Kommunen von hier aus nur aufrufen: Schickt die Rechnungen für diese Differenz an diejenigen, die die Party bestellt haben, an den Finanzminister, cc an den Wirtschaftsminister, und von mir aus eine Blindkopie an den Ministerpräsidenten!

(Beifall CDU und FDP)

Das Gesetz hat im Kern, meine Damen und Herren, nur einen Zweck: Es soll endlich das vollmundige Wahlversprechen einlösen, das die SPD als K.-o.-Kriterium im Wahlkampf formuliert hat. Der Begriff „K.o.“ ist auch ziemlich zutreffend. Wenn Sie dieses Bürokratiegesetz verabschieden, ist es wirklich ein echter Knockout, entweder für die Kommunen, für deren Bauabteilungen, die mit einem riesigen Prüfaufwand dieses Gesetz umsetzen und Personal einstellen müssen,

(Senftleben [CDU]: Genau!)

oder aber für die Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bewerben und neben ihren eigenen Dokumentationspflichten - die sind schon groß genug in diesem Land, Herr Minister Christoffers - auch noch ihre Nachunternehmen auf die Einhaltung des Vergabegesetzes hin überwachen sollen. Dass ein Wirtschaftsminister ein solches Gesetz vorlegt und verteidigen muss, zeigt eigentlich nur eines: Wie wenig ihn die Brandenburger Unternehmen, Handwerker und Mittelständler interessieren.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Ludwig [CDU] - Oh! bei der Fraktion DIE LINKE - Frau Lehmann [SPD]: Guter Lohn für gute Arbeit?)

Meine Damen und Herren, wir dürfen wirklich gespannt sein, wie diese unendliche Geschichte nun weitergeht. Ich glaube nämlich, dass die beiden regierungstragenden Fraktionen dem Wirtschaftsminister in dieser Sache im laufenden parlamentarischen Verfahren durch „qualifizierte“ Änderungsanträge auch noch den letzten Rest seiner wirtschaftspolitischen Glaubwürdigkeit nehmen werden.

(Oh! bei der Fraktion DIE LINKE)

In diesem Sinne, mein Damen und Herren, Danke schön.

(Beifall CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Homeyer. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Der Abgeordnete Dellmann hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Dierk Homeyer, ich dachte eigentlich immer, Ihr seid eine Fraktion, eine Partei, die ein Stück auf der Seite des Mittelstandes steht. Deshalb würde ich empfehlen, mal detailliert nachzulesen, was die Brandenburger Verbände gesagt haben, übrigens auch gestern. Vonseiten der Verbände wird fein säuberlich unterschieden zwischen Teilen des Gesetzes, die man ausgesprochen gut findet - zum Beispiel der Kollege Wunschel lobt ausdrücklich, dass es jetzt ein Brandenburger Vergabegesetz gibt -,