Protokoll der Sitzung vom 14.04.2011

Noch schlimmer ist aus unserer Sicht, dass im Zusammenhang mit den Kürzungen immer wieder der Satz vom Sättigungsgrad fällt: Die Quote der freien Schulen habe West-Niveau erreicht, der Aufbauprozess sei abgeschlossen. Hiermit wird noch etwas ganz anderes suggeriert. Prof. Henning Schluß, Vorsitzender des Evangelischen Bildungswerks Oranienburg und treibende Kraft der evangelischen Grundschule, deren Gründung jetzt der Verunsicherung zum Opfer gefallen ist, nennt das den „Schneewittchen-Effekt“: Wer schöner ist als ich, der wird aus dem Weg geräumt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ist in unserem Land eine Vielzahl von Menschen bereit, sich verantwortungsbewusst für die Bildung unserer Kinder zu engagieren. Gehört nicht dieses bürgerschaftliche Engagement zu dem Wertvollsten, was ein Staat haben kann?

(Beifall GRÜNE/B90 sowie vereinzelt CDU)

Können und wollen wir es uns leisten, diesen Menschen so vor den Kopf zu stoßen?

Drittens: Inklusion. Ich begrüße ausdrücklich, dass sich das Ministerium jetzt dieses Themas annimmt. Ich begrüße es, dass ein runder Tisch eingerichtet werden soll und dass es Modellschulen gibt. Gleichzeitig aber hört man aus verschiedenen Ecken, dass integrative Beschulung damit endet, dass Kinder mit Förderbedarf in Regelschulen nicht den Förderunterricht bekommen, weil die Förderstunden der mangelnden Vertretungsreserve zum Opfer fallen. Wenn man das so macht, macht man damit alle anderen Erfolge, die man auf der anderen Seite erlangen könnte, durch die kalte Küche zunichte.

Viertens das Sahnehäubchen: Wir alle wissen von den Elterninitiativen, die sich gegen die schlechte Lehrerausstattung vor Ort engagieren. Wir wissen auch, dass die Landesregierung nie vorhatte, diesen Zustand zu ändern - nein, die Lehrerstellen sollten wegen sinkender Schülerzahlen weiter abgebaut werden; nur die Lehrer-Schüler-Relation von 1:15,4 sollte gehalten werden. Das bedeutet keinerlei Verbesserung, sondern nur den Erhalten des Status quo.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: „Nur“ ist gut! Dann rechnen Sie mal!)

Aber selbst wenn wir uns darauf beschränken, brauchen wir wegen der immens hohen Zahl der Abgänge bei einer suggerierten Beschäftigungsquote von 90 % bis zum Ende der Legislaturperiode noch ungefähr 2 000 neue Stellen. Wenn wir in diesem Jahr wegen der Änderung des Sozialtarifvertrags nur 150 Stellen besetzen, dann mag es sein, dass das ausreicht, um die Lehrer-Schüler-Relation für dieses Jahr zu halten. Es bedeutet aber gleichzeitig, dass der Einstellungsbedarf in den nächsten Jahren so hoch sein wird, dass wir ihn nie werden decken können, weil wir maximal 450 Leute haben, die noch dazu nicht die richtige Fächerkombination haben werden und sicherlich auch nicht alle in Brandenburg werden arbeiten

wollen. Das heißt, nächstes Jahr werden wir hören: „Tut uns leid; das Angebot ist gar nicht da.“ - Von Verbesserungen träumen wir nachts.

(Beifall GRÜNE/B90)

Ministerin Münch spricht für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie wir sehen, hat der vorgestellte 2. Bildungsbericht der Region Berlin-Brandenburg tatsächlich sehr viele Diskussionen ausgelöst. Jeder kann sich nun das herauspicken, wozu er meint, eine Grundsatzdebatte anstoßen zu wollen. Trotzdem bietet, so denke ich, dieser Bericht eine sachliche Grundlage für Diskussionen und Entscheidungen im Bildungsbereich, das heißt auf der Basis relevanter und empirisch gesicherter Daten. Das ist auch gut so, denn wir brauchen diese Daten, um tatsächlich entscheiden zu können.

Es werden die Rahmenbedingungen für Bildung in Brandenburg analysiert, und es werden die einzelnen Lebensabschnitte von der frühkindlichen Bildung bis zur Weiterbildung - durchgearbeitet.

Es handelt sich um eine große Fülle von Einzelinformationen. Insofern versteht sich der Bericht als Nachschlagewerk, auf das bei vielen Gelegenheiten und bildungspolitischen Debatten zurückgegriffen werden kann. Ich gehe aber davon aus, dass es unser aller Anliegen ist, möglichst konstruktiv miteinander diese verschiedenen Punkte zu debattieren und sich nicht jedes Mal das aus dem Steinbruch zu holen, was einem gerade in die Tagesdebatte passt. Deswegen würde ich mich freuen, wenn es uns gelänge, diesen Bericht unter fachlichen Gesichtspunkten zu erörtern und nicht dem Irrtum zu erliegen, den Bericht als politisches Instrument zu missbrauchen. So ist der Bericht auch nicht gemeint. Wer ihn aber so interpretiert, hat letzten Endes die Fakten nicht verstanden; das ist auch eine Frage von Lesekompetenz.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

Eines allerdings versteht sich von selbst: Der Bildungsbericht ist eine Bestandsaufnahme, dessen Datenpool schon etwas älter ist, und er zeigt auf, in welche Richtung wir weitergehen müssen.

Es gibt sowohl positive als auch problematische Sachverhalte: So belegen wir beim Betreuungsangebot für Kinder nach wie vor einen bundesweiten Spitzenplatz; das wird uns nochmals bestätigt. Denn rund 50 % unserer unter Dreijährigen besuchen eine Kita, und die Tendenz ist steigend. Der Bundesdurchschnitt beträgt hier lediglich 23 %. Flankierend nehmen wir in diesem Jahr rund 36 Millionen Euro in die Hand, um den Personalschlüssel und damit auch die Qualität zu verbessern. Es ist vollkommen richtig, dass es nicht nur darum geht, einen hohen Versorgungsgrad zu haben, sondern es geht auch um Qualität.

Erfreulich ist auch der Ganztagsausbau. Ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass das fraktionsübergreifend Konsens zu sein

scheint. Weit mehr als die Hälfte der Schulen im Land - 56 % bieten bereits Ganztagsbetreuung an. Damit liegen wir deutlich über dem Bundesdurchschnitt, Herr Hoffmann; dieser liegt bei lediglich 42 %. Natürlich muss es jetzt darum gehen, die Qualität der Ganztagsangebote zu erhöhen und vor allen Dingen Kinder aus Risikolebenslagen durch schulische Ganztagsangebote besonders gut zu fördern. Hier wird es sehr wichtig sein, dass wir eine Verzahnung mit dem Bildungs- und Teilhabepaket hinbekommen. Dazu sind wir in Gesprächen mit dem Sozialministerium.

Positiv ist auch die Ausweitung der Flexiblen Schuleingangsphase in Brandenburg, denn mittlerweile bietet fast die Hälfte der Grundschulen „FLEX“ an. Es waren 2009/10 180 von 420 Grundschulen - eine Steigerung von fast 100 % im Zeitraum von fünf Jahren. Das zeigt, dass diese Art zu lernen und diese Art des Unterrichtens sehr stark angenommen wird. Das stimmt mich sehr positiv für die anstehenden Dinge, die wir im Bildungssystem noch umsetzen müssen.

Ein weiterer positiver Aspekt ist der steigende Anteil von jungen Menschen mit Fachoberschulreife. Das ist vor dem Hintergrund des steigenden Fachkräftebedarfs arbeitsmarktpolitisch ein gutes Signal, genauso wie die stabilen Bestehensquoten bei den P10-Prüfungen und beim Abitur sowie die weiterhin konstante Nachfrage für die nachträgliche Erlangung von Abschlüssen im Rahmen des zweiten Bildungsweges. Das ist etwas ganz Wichtiges, weil es auch zeigt, dass viele junge Menschen diese zweite Chance sehr positiv und mit großem Erfolg annehmen. Wir sollten uns gemeinsam darüber freuen, dass von allen Schülerinnen und Schülern mit schwieriger sozialer Ausgangslage immerhin 27 % das Gymnasium besuchen. Das heißt aber auch: Die soziale Durchlässigkeit in unserem Schulsystem ist weiter auszubauen. Dies wird in Brandenburg aber bereits jetzt in höherem Maße erreicht als in anderen Ländern. Das können wir uns wirklich als Erfolg auf die Fahnen schreiben, denn darum muss es gehen: die Durchlässigkeit für alle Schüler zu erhalten.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Auch die guten Entwicklungen im Hochschulbereich passen dazu; denn immer mehr brandenburgische Männer und Frauen beginnen ein Studium. In den letzten zehn Jahren ist die Studienanfängerquote um mehr als 10 % auf jetzt 35,7 % gestiegen. Das ist positiver Ausdruck der steigenden Bildungsbeteiligung gerade auch von jungen Menschen aus Problemlagen.

Diese positive Entwicklung ist auch ein Ergebnis der vielfältigen Maßnahmen, die das Wissenschaftsministerium und die Hochschulen gemeinsam begonnen haben. Das ist ein ausgesprochenes Erfolgsprogramm, mit dem Jugendliche im Land Brandenburg schon sehr früh, möglichst schon in der Schule, über die Chancen und Möglichkeiten eines Studiums informiert werden.

Natürlich bescheinigt uns der Bericht auch einige Problemlagen; da gibt es überhaupt nichts zu verschleiern. Wir wissen, dass nach wie vor viel zu viele Kinder und Jugendliche in sogenannten Risikolagen sind, das heißt in einem schwierigen familiären, sozialen oder beruflichen Umfeld. Die Stichworte hierzu lauten: Armutsrisiko, soziales Risiko, Bildungsrisiko. Insgesamt kommt ein Drittel unserer Schüler aus Familien mit

mindestens einer Risikolage. 40 % aller Alleinerziehenden sind in unserem Land erwerbslos. Aber auch hier gibt es positive Entwicklungen in dem Sinne, dass das Sinken der Arbeitslosigkeit tatsächlich spürbare Verbesserungen bewirken wird.

Aber eine der größten Herausforderungen - darüber haben wir bereits oft gesprochen und werden es auch künftig tun - ist das Problem, dass zu viele Jugendliche nach zehn Schulbesuchsjahren die Schule ohne Abschluss verlassen. Während der Anteil dieser Schülerinnen und Schüler in Deutschland von durchschnittlich 8 auf 7 % gesunken ist, liegt er in unserem Land deutlich höher.

Man muss sich natürlich die Sachlage sehr detailliert anschauen, um das tatsächlich bewerten zu können. Im Schuljahr 2005/06 waren das insgesamt 3 555 Schüler, das entsprach einem Anteil von 10,3 %. Am Ende des Schuljahres 2009/10 waren es absolut nur noch 1 629 Schüler, das entspricht 10,1 %. Das sind immer noch viel zu viele, aber die Tendenz geht dahin, dass es weniger werden.

Bedeutsam ist natürlich nach fünf Jahren die inzwischen veränderte Zusammensetzung dieser Abgängerzahl. 2005/06 haben 4,5 % der Schüler eine Oberschule, eine Gesamtschule oder ein Gymnasium ohne Abschluss verlassen, zum Schuljahr 2009/10 waren es nur noch 3,4 %. Das heißt, hier gelingt es deutlich besser, diese Schülerinnen und Schüler zu einem Abschluss zu führen.

Wir wissen auch, dass die Entwicklung der Förderschulen hierbei eine zentrale Rolle spielt. Der Anteil der Schüler ohne Abschluss ist in den Förderschulen seit 2005/06 von 5,8 auf 6,7 % angestiegen. Das heißt, hier ist die Situation eher schlechter geworden. Der größte Teil dieser - in Absolutzahlen - 1 089 Jugendlichen lernt in der allgemeinen Förderschule. Das heißt, es sind fast 75 %, die in einer allgemeinen Förderschule lernen und dadurch ohne Abschluss von der Schule gehen, selbst wenn sie den Förderschulabschluss erreichen.

Das kann uns nicht zufriedenstellen, und das zeigt, dass diese Schulform mit Blick auf Schulabschlüsse und berufliche Chancen eine Sackgasse ist. Das müssen wir ändern. Was diesen Förderschultyp angeht, weisen Fachleute seit Jahren darauf hin, dass inklusive und integrative Ansätze deutlich mehr Chancen eröffnen, die vorhandenen Potenziale dieser Schülerinnen und Schüler auszuschöpfen sowie Lernerfolge und Abschlüsse zu ermöglichen.

Angesichts der geringen Zahl Brandenburger Kinder und Jugendlicher können wir es uns absolut nicht leisten, die Talente dieser jungen Menschen brachliegen zu lassen. Das, was wir derzeit tun, führt aber dazu, dass wir diese Talente nicht ausschöpfen. Wir brauchen jeden einzelnen jungen Menschen. Wir brauchen seine Potenziale - für die Gesellschaft, für den Nachwuchs, den wir überall brauchen, aber letzten Endes natürlich für jeden Einzelnen selbst. Jeder muss das Recht haben, sich unabhängig von den sozialen Bedingungen möglichst optimal auf der Grundlage seiner Fähigkeiten zu entfalten. Diesen Weg müssen wir gemeinsam weitergehen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Zu diesem Beitrag hat Herr Senftleben eine Kurzintervention angemeldet.

Ich begrüße inzwischen unsere Gäste vom Fläming-Gymnasium aus dem schönen Bad Belzig. Herzlich willkommen und einen interessanten Vormittag für euch!

(Allgemeiner Beifall)

Ich habe während Ihrer gesamten Redezeit, Frau Münch, darauf gewartet, wann denn der Satz der Sätze kommt: „Wir haben in Brandenburg eine Schule, die in eine Sackgasse führt.“ Es kam am Ende Ihrer Rede der Hinweis, Schuld an der Bildungsmisere sei eine Schulform, nicht aber Ihre Politik. Meine Damen und Herren, das ist der eigentliche Punkt: Sie behaupten, eine Schule sei das Problem. Nein, Sie sind das Problem mit Ihrer Politik in der Form, wie Sie sie hier betreiben!

(Beifall CDU und FDP)

Sie können das ja seit 20 Jahren behaupten.

(Frau Lehmann [SPD]: Er sagt das seiner CDU, damit sie das auch versteht! - Weitere Zurufe von der SPD)

Wenn Sie etwas aufgeregt sind, verstehe ich das ja.

(Frau Melior [SPD]: Sie sind unhöflich!)

Sie werden noch aufgeregter sein, wenn Sie feststellen, dass die Menschen in diesem Land Ihrer Bildungspolitik nicht weiter folgen werden, nämlich etwas dafür verantwortlich zu machen, was dafür nicht verantwortlich ist. Ich sage es ganz deutlich: Wenn Sie meinen, mit der Auflösung einer Schulform und der Integration der Schüler in eine andere Schulform lösten Sie ein Problem, dann sind Sie wieder einmal auf dem Holzweg - zuungunsten der jungen Leute in diesem Land Brandenburg.

(Beifall CDU - Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Frau Kaiser, wenn es um Höflichkeit, um Anstand geht, können Sie ja gern Vorschläge machen. Aber ob ich sie annehme, ist eine andere Frage. Über Höflichkeit entscheiden wir immer noch nach unserer eigenen Auffassung.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koaliton, weiterhin den Förderschulen die Pädagogen entziehen, die fachlich dafür ausgebildet sind, diese Arbeit zu leisten, nämlich Sonderpädagogen, dann geben Sie ein falsches Signal. Das machen Sie jeden Tag in Brandenburg.

(Zurufe von der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Sie können alle Ihre Zwischenreden gern vortragen, dann ste

hen sie im Protokoll. Dann bin ich gern bereit, hier darüber zu diskutieren.

Letzter Punkt: Wir als CDU haben uns in den letzten zehn Jahren dafür stark gemacht, dass bundesweit ein anerkannter Abschluss für die Schüler mit Förderbedarf eingerichtet wird. Gewehrt dagegen hat sich in den letzten Jahren die SPD-Fraktion, weil sie nämlich der Auffassung ist, das brauche man nicht. Ich sage Ihnen: Wir brauchen für die jungen Leute einen bundesweit anerkannten Abschluss -