Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

Lassen Sie mich ein Letztes hinzufügen: Als PDS sind wir der Meinung – sicherlich auch bedingt durch unseren direkten Zugang und unsere persönliche Wahrnehmung in den Bezirken, die ich genannt habe –, dass die Kenntnisse über die Geschichte und die Gründe der Einwanderung von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern und deren Angehörigen zu wenig bekannt sind. Man beschäftigt sich weder in der Schule noch auf kommunaler oder Landesebene mit den tatsächlichen Gründen. Man erwägt das Für und Wider nicht und baut damit ein Stück realitätsferne Wahrnehmung der eigentlichen Gründe auf, die diese Menschen nach Deutschland gebracht haben. Hier haben wir gemeinsam die Aufgabe, Aufklärungsarbeit darüber zu leisten, warum diese Leute gekommen sind. Das sind wir ihnen schuldig. Wir haben sie gemeinsam hier willkommen geheißen. – Danke schön, Frau Schöttler!

[Beifall bei der PDS]

Das Wort hat der Abgeordnete Czaja! – Bitte sehr!

Frau Kollegin, die Kompetenz für die Plattenbaubezirke hat nicht mehr nur die PDS, sondern wir haben sie jetzt auch.

[Liebich (PDS): Reden Sie zum Thema!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, dass in Berlin seit 1990 35 000 Spätaussiedler – vor allem aus den Staaten der ehemalige Sowjetunion – aufgenommen wurden. Fast die Hälfte kommt aus Kasachstan. Ein großer Teil von ihnen lebt in den östlichen Bezirken: davon in Marzahn 12 000, in Hellersdorf 8 000, in Neukölln aber auch 6 000, in Tempelhof 4 000, gefolgt von Hohenschönhausen und Weißensee. Auf Grund des zunehmenden Leerstands in den Ostberliner Plattenbaugebieten konnten die meisten dieser Menschen in den vergangenen Jahren dort sehr schnell eine Wohnung erhalten und zogen in diese Bezirke. Das war nicht immer ihre freie Wahl. Vielmehr war es ein Stück Identität, die sie von zu Hause kannten. Das Gesetz über die Verteilung der Aussiedler auf die Bundesländer ist jedoch nicht auf die Bezirke anwendbar. Somit wird auch künftig eine Konzentration auf bestimmte Bezirke vorliegen.

Dieser Umstand stellte in der Vergangenheit kein grundlegendes Problem dar, da die Wohnungsbaugesellschaften den Spätaussiedlern mit dem Ziel der schnellen Integration meist gestreut Wohnungen angeboten haben. Es finden mittlerweile jedoch Umzüge der Spätaussiedler an bestimmte Standorte statt, die eine Konzentration erzeugen und eine Integration behindern. Die Stadtentwicklungsverwaltung hat daher verstärkt im Rahmen des Quartiersmanagements und im Zuge des Aktionsprogramms „Urbane Integration“ die Aufgabe, in den Bezirken mit einem überdurchschnittlich hohem Anteil an Spätaussiedlern in der Bevölkerung integrationsfördernd zu wirken.

Sprachprobleme, die teilweise Nichtanerkennung des Hochschulabschlusses und die damit verbundene Arbeitslosigkeit behindern zusätzlich eine ernsthafte Einbindung in den Alltag. Dabei war 1993 die Entscheidung der Bundesregierung, die Sprachförderzeiten von 12 auf 6 Monate zu senken, sicher nicht besonders integrationsfördernd und ist auch als Eigenkritik zu verstehen. Die Verbesserung der Sprachfähigkeit und die Sprachförderung muss weiterhin im Mittelpunkt der Integrationsbemühungen von Bund und Ländern stehen. Dies gilt umso mehr, als der Anteil der Personen, die nach den Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes als nichtdeutsche Abkömmlinge von Spätaussiedlern aufgenommen werden und über keinerlei deutsche Sprachkenntnisse verfügen, am Gesamtaufkommen der einreisenden Personen kontinuierlich steigt. Daher begrüßt die CDU-Fraktion die Intention des Berliner Senats, sich beim Bund für eine Stärkung der Sprachförderung nach dem Berliner Standard einzusetzen.

Bei all den anstehenden Aufgaben sollten jedoch die positiven Tendenzen, Frau Kollegin Schulze, nicht verschwiegen und auch die Erfolge aufgezeigt werden.

[Beifall bei der CDU]

Nur 90 Prozent der Aussiedler sind unter 60 Jahre alt; 25 Prozent sind jünger als 16 Jahre, und 45 Prozent jünger als 27 Jahre. Rentenpolitisch würden wir von einer gesunden Altersstruktur sprechen. Gerade in dieser Generation ist eine erfolgreiche Integration zu verzeichnen. Diese Menschen sehen sich eher mit Kritik in den Familien konfrontiert, nämlich dass die Eltern kritisieren, dass sie zu Hause nicht mehr Russisch sprechen und damit ein Stück Familiengeschichte aufgeben.

Diese jungen Menschen werden in den Grund- und Oberschulen freundlich aufgenommen. Sie studieren an Berliner Hochschulen und gehören nicht selten zu den Leistungseliten in den Unternehmen, die mit Hilfe dieser Menschen in Richtung Osteuropa expandieren. Aber auch im heimischen Dienstleistungsbereich haben sich in den letzten Jahren innovative Unternehmen gegründet. So hat Nikolai Baumgard, den sie vielleicht aus Hellersdorf kennen, eine Pelmenifabrik aufgemacht und damit 25 Arbeitsplätze geschaffen. Läden mit russischen Produkten schießen aus dem Boden, und im Bezirk Prenzlauer Berg ist das „Pasternak“ – ein russisches Restaurant, das von Spätaussiedlern betrieben wird – eines der neuen In-Lokale geworden. Dass diese Menschen unternehmerischen Geist haben, zeigte mir ein Beispiel zu Weihnachten im letzten Jahr. Mir erzählte ein junger Aussiedler aus Hellersdorf, dass er sich freue, dass die Deutschen schon kurz vor oder nach Silvester die Weihnachbäume aus dem Fester werfen, denn so könnte er sie noch einmal einsammeln und seinen Landsleuten zu ihrem eigenen Weihnachtsfest am 6. Januar verkaufen. Sie sehen also, dass dieses und anderer Beispiele zeigen, dass auch hier unternehmerischen Geist vorhanden ist.

[Beifall bei der CDU – Wieland (Grüne): Da kann man was draus machen!]

Dies ist sicher kein Beispiel für den großen Durchbruch im Dienstleistungsbereich, aber wir sollten das nicht immer alles so negativ sehen.

Vor 20 Jahren gab es in Berlin noch weniger als 200 italienische Restaurants. Heute gibt es mehr als 2000. Es ist völlig normal, dass Franzosen französischen Wein anbieten und dass Italiener in ihren Läden arbeiten. Genauso normal wird es bald sein, dass diese Menschen ein Stück Kultur in die Stadt bringen und sie noch bunter machen als sie derzeit schon ist. In Baden-Württemberg, das viel mehr Aussiedler aufnimmt als wir, gehören solche Geschäfte zum normalen Stadtbild und sind aus den Städten nicht mehr wegzudenken. Wir sollten daher nicht nur über Sozialhilfeleistungen und zusätzliche Beratungsangebote sprechen, sondern den Menschen den Weg zu einer eigenen Existenz und zur Schaffung von Arbeitsplätzen aufzeigen.

Daher war es eine weitsichtige und richtige Entscheidung des Regierenden Bürgermeisters Elmar Pieroth als OsteuropaBeauftragten zu berufen. Viele Berlinerinnen und Berliner östlich des Brandenburger Tors haben langjährige Erfahrungen mit den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Die Aussiedler kommen meist gut ausgebildet nach Deutschland, nur ihre Abschlüsse sind meist den hiesigen nicht anzupassen. Das ist das Grundübel. Meist nehmen sie eine Umschulung oder Anpassung nicht wahr, weil diesbezüglich der Informationsfluss fehlt. Sie wissen, dass diese Menschen in Unternehmen Fuß gefasst haben und die Arbeitslosigkeit in dem Bereich derzeit sinkt. Diese Menschen zusammenzuführen, gemeinsam neue Märkte zu erschließen und alte zu reaktivieren, ist sicher sinnvoller als die ewige Diskussion über Sozialhilfeleistungen und darüber, dass diese Menschen nichts schaffen könnten. Dass Elmar Pieroth dies mit Erfolg leistet, zeigt ein Beispiel der letzten Monate, nämlich die gemeinsame Reise des Regierenden Bürgermeisters mit dem Osteuropa-Beauftragten nach Usbekistan. Sie wissen, dass das Interesse von Berliner Firmen am osteuropäischen Markt noch nie so stark war wie bei dieser Tour und dass hierbei viele Kontakte und Partnerschaften geschlossen werden konnten, bei denen auch Russlanddeutsche Schlüsselpositionen einnehmen.

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Diese Menschen werden sich in der Hauptstadt zu Hause fühlen und sich ins Arbeitsleben integrieren, wenn wir sie bei diesen Bemühungen unterstützen. Dabei tragen die vielen Träger und Projekte in den Bezirken eine große Verantwortung – von der Sportinitiative in Charlottenburg, „Pro Migrant“ in Hellersdorf bis hin zum Diakonischen Werk in Neukölln. Aber die Stärkung der Sprachkenntnisse bleibt die wichtigste Aufgabe. Die Stärkung der Sprache ist jedoch nur über die Integration in den Arbeitsmarkt möglich. All die Sprachprojekte in den Großbezirken zeigen, dass zu Hause wieder Russisch gesprochen wird und nach mehreren Jahren wieder kein Wort Deutsch zu verstehen ist, weil sie keine Arbeit und Chance haben, dadurch integriert zu werden. Deswegen halte ich es für sinnvoller, diese Menschen in den Wirtschaftsprojekten einzubinden, als ständig neue Sprachkurse zu fordern, die meist ins Leere laufen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für die Fraktion der Grünen hat Herr Berger das Wort!

Herr Czaja, das war eine sympathische und kompetente Rede. Ich habe damit als Mitglied der Opposition die Schwierigkeit, dass ich nicht das Gift der Kritik ausgießen kann. Bitte verstehen Sie das als Anerkennung.

[Beifall bei der CDU – Wieland (Grüne): Na, das mit Pieroth war ein bisschen arg!]

Wenn man Ihre Rede mit der von Frau Schulze vergleicht, dann haben Sie ein wenig ins Optimistische überzogen und Frau Schulze zu sehr ins Pessimistische. Sie, Frau Schulze können gute Gründe und Beispiele für die Gefahr der Verelendung von Spätaussiedlern und für ihre großen Schwierigkeiten anführen.

Es können aber auch Beispiele dafür angeführt werden, dass sich Menschen aus Kasachstan und aus Russland schnell und gut hier zurecht finden und durchaus auch eine interessante wirtschaftliche Perspektive finden. Das hat Herr Czaja getan. Obwohl aber das von Ihnen genannte Beispiel mit den Weihnachtsbäumen keine großartige Perspektive bietet, sondern eher in die Richtung von Armutsökonomie deutet. Positiv ist dieses Beispiel nicht, wenn es auch interessant zu sein scheint.

Ich möchte ein bisschen mehr über die Frage der Spätaussiedler aus Kasachstan und Russland aus Sicht einer schlüssigen Einwanderungspolitik sprechen. Ich meine, dass die Aufnahme von Spätaussiedlern ein klassisches Beispiel von Einwanderung ist und so auch gesehen werden muss. Wenn diese Stadt und dieses Land eine ausdrückliche und durchaus auch in Teilen erfolgreiche und kluge Einwanderungspolitik betrieben hat, dann ist es in der Aussiedlerfrage. Es sind auf diese Weise seit 1987 fast drei Millionen Menschen nach Deutschland gekommen, und sie sind zumeist auch eingebürgert worden. Das sind weitaus mehr Menschen, als zum Beispiel der Familiennachzug der Arbeitsimmigrantinnen und -immigranten im selben Zeitraum ausmacht, und es ist ein Vielfaches der Zuwanderer, die als anerkannte oder geduldete Flüchtlinge in diesem Land leben. Weshalb sage ich das? – Ich sage das deshalb, jetzt komme ich zu einem weiteren Positivum, weil große Teile der Politik und glücklicherweise der Gesellschaft, mit extremen Ausnahmen am rechten Rand, mit dieser Einwanderung aus ethnischen Gründen, die wir in Deutschland haben, durchaus souverän und tolerant umgeht. Man hört selten im diesem Zusammenhang Sprüche wie: „Das Boot ist voll“, wir hören auch selten Klagen über angeblich unzumutbare Belastungen des Landes durch die drei Millionen Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, und vom Gespenst kultureller Überfremdung ist glücklicherweise bei Aussiedlern sehr selten die Rede. Das ist erfreulich, und wir hoffen, dass es so bleibt. Allerdings, das sage ich dazu: Wir erwarten diese Souveränität und Toleranz gegenüber allen Einwanderern in dieser Stadt und in diesem Land. Wir erwarten auch, Herr Czaja, um ihre Partei anzusprechen, dass Volksparteien wie die CDU endlich zu der Realität der Bundesrepublik als Einwanderungsland stehen

[Beifall bei den Grünen]

und zwar nicht nur bei der Frage Aussiedlerzuzug, wo sie das tun. Ich halte es für zutiefst unaufrichtig und manchmal auch für demagogisch, dass eine Gruppe von Einwanderern unterstützt wird – das ist gut so –, aber dass gleichzeitig auf dem Rücken und auf Kosten anderer Einwanderergruppen Wahlkämpfe bestritten werden. Das tut die CDU, leider. Ich sage für uns ganz deutlich: Ob die Zuwandernden in dieser Stadt aus Kasachstan kommen oder aus Ostanatolien, ob sie aus dem Ural oder dem Libanon kommen, ob sie wegen deutscher Vorfahren, als Angehörige von ehemaligen „Gastarbeitern“ oder als Opfer politischer Flucht eingereist sind, sie müssen uns hier alle gleichermaßen willkommen sein.

[Beifall bei den Grünen]

Ich meine auch, dass sich die Politik endlich von einer Legende verabschieden soll, nämlich der, dass die Abstammungsdeutschen aus Kasachstan oder Russland oder ihre Familienangehörigen unserer Gesellschaft kulturell näher stünden und dass sie mit geringeren Eingliederungsproblemen zu kämpfen hätten – Sie hatten das, Frau Schulze, finde ich, richtig dargelegt –, dass sie mit geringeren Einwanderungsproblemen zu kämpfen hätten als Einwanderer aus anatolischen Dörfern oder aus den Gecekondus, also den Elendsvierteln um Istanbul oder Ankara. Die Kulturschranken der beiden von mir genannten Gruppen gegenüber der Situation in diesem Land ist keineswegs unterschiedlich hoch, und es ist auch so, dass die wenigsten der heute eintreffenden Spätaussiedlerinnen und -aussiedler – Sie haben das in Ihrer Antwort bestätigt, Frau Senatorin – der deutschen Sprache kundig sind, 75 Prozent, wenn ich Ihre Antwort zu Grunde lege. Darum sollten wir uns auch endlich in der Politik klar dazu bekennen, dass wir für alle Einwanderer die gleiche Verantwortung haben, Brücken und Lebenschancen in die neue Gesellschaft zu eröffnen, gegenüber allen Einwanderern unangesehen ihrer Herkunft und Nationalität.

Ich komme jetzt zur Großen Anfrage der PDS. Ich gebe zu, dass ich damit Schwierigkeiten habe. Sie monieren richtig, das Fehlen eines zusammenhängenden, politischen Konzepts des Senats in der Integration von Spätaussiedlern. Ich habe es auch in Ihrer Antwort, Frau Senatorin, nicht finden können. Ich habe dann aber zumindest erwartet, dass die PDS Vorschläge für ein solches Konzept macht. Ich gebe zu, dass es nicht leicht ist, aber ich hätte es zumindest erwartet, wenn man sich die Mühe macht, eine Große Anfrage zu stellen. Ich finde die Anfrage insgesamt zu detailverliebt. Ich finde es nicht so sensationell, um Ihre beiden Anträge zu nehmen, dass jetzt eine Informationsbroschüre erstellt werden muss – dass es überhaupt so etwas wie ein Landesprogramm für Spätaussiedler geben muss. Ich habe ein wenig den Eindruck, dass das politisches Ersatzhandeln ist, dass Sie irgendwelche Berichte haben wollen, die aber doch ein Konzept nicht ersetzen. Wie das Konzept aussehen soll – ich gebe zu, das ist schwierig – habe ich bei Ihnen nicht finden können. Was ich bei Ihnen herauslese, ist die sehr einfache Forderung, es müsse mehr und wirksamere Eingliederungsprogramme für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler geben. Mit dieser Forderung als solcher habe ich folgendes Problem: Ich habe den Eindruck, dass die Aussiedlerpolitik in Berlin überhaupt nicht nach ihren Erfolgen bilanziert wird. Ich kann das nicht entdecken. Ich habe mich im Vorfeld dieser Großen Anfrage noch einmal darum gekümmert, ob es überhaupt Sozialstatistiken gibt über das Schicksal von Aussiedlerinnen und Aussiedlern in dieser Stadt. Es gibt sie nicht. Wir haben keine Statistik über ihre Einkommensverhältnisse. Wir haben keine Statistik über ihr Bildungsniveau, nicht zu dem Zeitpunkt, als sie gekommen sind, sondern nachdem sie hier einige Zeit gelebt haben. Wir müssen davon ausgehen, dass das Schicksal von Aussiedlerinnen und Aussiedlern, oder besser Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern, in ihrer Gesamtheit eine unbekannte Größe ist und dass wir uns, wenn wir uns über Verbesserungen des Steuerungssystems unterhalten wollen, auf einem Blindflug befinden. Wir verfügen über diese Informationen nicht. Ich finde das unsäglich von einem Senat. Ich gebe zu, dass eine Gesamtstatistik nicht einfach herzustellen ist, aber es gibt seit Jahrzehnten moderne, sozialwissenschaftliche Methoden, Stichproben zu machen und daraus Ergebnisse abzuleiten.

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Völlig blind, das räume ich ein, sind wir nicht. Wir haben Statistiken zur Arbeitslosigkeit. Aus denen habe ich folgende zwei Daten entnommen und auf die möchte ich zum Abschluss noch kurz eingehen. Das eine ist ein negatives Datum, die Arbeitslosigkeit unter Aussiedlern ist von 1995 bis 1997 um 60 Prozent gestiegen, das ist wahrlich ein Alarmzeichen. Und jetzt sage ich Ihnen relativ provokativ, weil ich Einwanderungspolitiker bin und mich bemühe, die Gesamtheit zu betrachten: Das relativ positive Datum lautet: Sie lag 1997 bei „nur“ 20 Prozent. Ich sage „nur“, weil sie bei Einwanderern insgesamt, denen, die als Ausländer kategorisiert sind, 1997 bei 33 Prozent lagen. Was können wir aus diesen beiden Daten lernen? – Wir können erstens sagen, dass die sehr viel stärkeren Bemühungen – es wird sehr viel Geld darin investiert von der Bundesregierung und auch vom Senat –, um Integration von Aussiedlern einen relativen Erfolg hat, denn sie befinden sich in einer deutlich besseren sozialen Position trotz ähnlicherkultureller Differenzen, ich hatte darauf hingewiesen, als die als Ausländer kategorisierten Einwanderer in dieser Stadt. Daraus können wir lernen für die jetzt laufende Diskussion um Einwanderungspolitik und Einwanderungsrecht in Deutschland: Wir dürfen keine zwei oder drei Klassen von Immigranten in diesem Land akzeptieren. Wir dürfen die zuwandernden Menschen nicht gegeneinander ausspielen, denn damit fördern wir rassistisches und fremdenfeindliches Denken. Deswegen sollten wir die Ansprüche an Integrationspolitik, die wir für Aussiedlerinnen und Aussiedler haben, generell für Einwanderer in diesem Land festhalten und versuchen durchzusetzen.

[Beifall bei den Grünen]

Ich komme jetzt zu dem zweiten Punkt, der mich sehr beunruhigt und der uns sehr beunruhigen sollte, das ist der Punkt, auf den Frau Schulze mehr abgehoben hat: die sehr schnell wachsende Arbeitslosigkeit unter Einwanderern aus Kasachstan und Russland. Sie ist ein Alarmzeichen, denn sie zeigt, dass die Situation dieser Einwanderer immer prekärer wird, dass es immer schwieriger wird für Spätaussiedler, –

Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluss kommen!

– materielles Auskommen zu finden und sich sprachlich und kulturell in der neuen Gesellschaft zurecht zu finden.

Deswegen will ich auch gleich zu einem abschließenden Wort kommen. Ich plädiere für eine konsistente und zusammenhängende Einwanderungspolitik.

Wenn wir die Integrationspolitik gegenüber Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern, die Bemühungen dieses Landes um ihre Integration, von ihrem völkischen Muff befreien, dem überholten Stammes- und Abstammungsdenken, das darin steckt, dann können wir durchaus von ihr für eine weltoffene und tolerante Einwanderungspolitik lernen. Diese sollte aber für Menschen in gleicher Weise gelten, ob sie aus Sri Lanka, aus Kasachstan oder aus der Türkei stammen.

[Beifall bei den Grünen]

Für die Fraktion der SPD hat Frau Abgeordnete Sarantis-Aridas das Wort – bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der PDS-Fraktion fügt sich inhaltlich ganz gut in unsere vorherige Debatte ein, thematisiert sie doch eine Zuwanderungsgruppe, die in der öffentlichen Diskussion und insbesondere in der Medienberichterstattung leider oft von starken Stigmatisierungen betroffen ist. Auch die bisherige Debatte war nicht ganz frei davon. Ein Begriff, Frau Dr. Schulze, wie „ethnische Kolonien“ gehört für mich dazu.

Zwar ist der überwiegende Teil dieser Neubürger mit dem deutschen Pass und rein rechtlich gesehen somit mit allen Rechten und Pflichten ausgestattet, dennoch ist das ganze Ausmaß ihres Integrationsbedarfs vielen nicht klar. Die meisten von ihnen

begreifen sich als Deutsche, kommen aber kulturell, mental und sozial in eine echte Einwanderungssituation. Auf ihnen lastet ein wirklich riesiger Assimilationsdruck. Deutscher und Einwanderer zugleich zu sein – und das in der Regel im Familienverbund unterschiedlichster Zusammensetzung – sowie aus kulturell ganz unterschiedlichen Regionen, daraus resultiert eine Fülle von Besonderheiten beim Bemühen um ihre Integration. Sie sind keine homogene Gruppe. Deshalb ist aus unserer Sicht die Annahme falsch, ihr Integrationsprozess könnte von einer Stelle oder durch ein Gesamtkonzept des Senats gesteuert werden. Integration kann – das wurde hier schon gesagt – eben nicht verordnet werden, sie muss wachsen.

[Frau Mommert (CDU): Das stimmt!]

Die Antwort der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen belegt, wieviel von der Bundesregierung und darauf aufbauend im Land Berlin für diese Gruppe der Zuwanderer getan wird. Doch es hängt nicht in erster Linie vom Senat und eben nicht von immer neuen, immer zahlreicheren Förderprogrammen, Kommissionen und Arbeitsgruppen ab, ob sich diese Menschen als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger sehen und als solche von der Aufnahmegemeinschaft akzeptiert werden. Dieses ist vielen nicht ganz bewusst. Die A-priori-Feststellung von Defiziten und die Definition des Sozialstaates als Fürsorgeinstitution, die alle Probleme lösen kann – und darauf basiert nach meiner Meinung vor allem ihre Fragestellung –, kann und wird nicht das Patentrezept zur Lösung der anstehenden Probleme sein. [Beifall bei der SPD]

Außerdem, glaube ich, sollten Sie sich stärker überlegen, was Sie eigentlich angesichts der öffentlichen Meinung, die Sie selbst erwähnt haben, dieser Gruppe antun, wenn Sie ständig nur über ihre Defizite reden. Der Kollege Czaja hat das erfreulicherweise korrigiert.

Fakt ist, dass es für keine andere Zuwanderungsgruppe eine solche Vielzahl von statusspezifischen Förderungen gibt. Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung hat zudem mit dem Zukunftsprogramm „Aussiedlerpolitik 2000“ und der Erhöhung der Integrationsmittel des Bundeministeriums des Inneren von 32 Millionen DM im Jahr 1998 auf 45 Millionen DM im Jahr 2000 den großen Stellenwert der Integration deutlich gemacht. Und der Senat von Berlin schöpft mit seinen Fachabteilungen dieses zur Verfügung stehende Eingliederungsinstrumentarium aus. Wenn trotzdem Defizite beklagt werden, dann liegt das zum einen daran, dass sich gerade hier die übliche Trennung von Zuständigkeiten und Fördertöpfen besonders nachteilig auswirkt. Deshalb begrüßen wir die geplante Vernetzung auf Bundesebene durch eine Zentrale für Integration mit umfassender Zuständigkeit für alle relevanten Haushaltstitel des Bundes, die unter Einbeziehung der Länder und Kommunen sowie auf der Basis einer exakten Analyse der lokalen Gegebenheiten die vorhandenen Ressourcen nutzen und sie sinnvoll ergänzen soll.

Zum anderen muss aber sehr genau differenziert werden, wo in unserer Stadt in welchem Umfeld die Defizite bestehen, muss der Schwerpunkt also auf einer qualitativen Verbesserung der Arbeit liegen. Nicht Betreuungszahlen, sondern in erster Linie Ausstrahlung und Wirkung im Wohnumfeld sind entscheidend. Auch hier sind aus der Sicht der SPD-Fraktion künftig Qualitätskontrollen und Leistungsvereinbarungen unter Einbeziehung der Bezirke zu verstärken. Und so wird aus unserer Sicht in der Antwort des Senats ganz richtig besonders auf den Wirkungsgrad der Maßnahmen, auf die Entwicklung von Erfolgskriterien abgezielt. Jedes Förderprogramm kann in seinen Anwendungen zweifelsohne optimiert werden.

Und – der Kollege Berger hat darauf hingewiesen – es wäre sicher hilfreich, wenn Sie über ihre beiden eingebrachten Anträge hinaus konkrete und realisierbare Vorschläge machen würden. Es reicht wirklich nicht aus, Fragestellungen zu formulieren, und diese dann, wie in Marzahn und Hellersdorf in der Rolle der Fürsprecherin bei den Betroffenen, bei den Bürgerinnen und Bürgern, die eingewandert sind, an den Mann bzw. an die Frau zu bringen.