Protokoll der Sitzung vom 01.02.2001

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Ueckert das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Matuschek! Sie wollen ein Gesetz ändern, das die Ziele und Anforderungen, die Aufgaben und Verantwortlichkeiten für den ÖPNV im Land Berlin regelt; das allerdings nur an der einen Stelle in § 5 Abs. 6, was den Nahverkehrsplan betrifft, ohne darauf einzugehen, weil das mehr oder weniger egal ist, ob Sie einen Parlamentsbeschluss herbeiführen, denn die Arbeit machen sowieso der Senat oder die Senatsverwaltung, oder ob sie das mit einem Senatsbeschluss regeln. Da kann man unterschiedlicher Ansicht sein. Ich komme am Schluss meiner Ausführungen darauf zurück; zumindest ziehe ich daraus, dass Sie so wenig an dem Gesetz ändern wollen, den Schluss, dass Sie ansonsten mit der Ausfüllung des Gesetzes durch den Senat sehr zufrieden sind.

[Over (PDS): Tata, tata, tata!]

Ich bin da allerdings nicht ganz Ihrer Meinung und denke, dass man in diesem Hause eine ganze Menge über den ÖPNV reden könnte. Das würde sich aber in 5 Minuten nicht abwickeln lassen, und deshalb lassen Sie mich nur auf einen ganz kleinen Teil dieses Gesetzes eingehen, der mit dem Antrag angesprochen ist, nämlich auf die Tarifgestaltung.

Herr Strieder! DerZickzackkurs, den Sie im Augenblick bei der Findung der neuen Tarife in der Öffentlichkeit vollziehen, ist schwer nachvollziehbar. Den ersten Veröffentlichungen der BVG folgte von Ihnen ein Sturm der Entrüstung: Bloß keine Tariferhöhung! – Dann stellten Sie sich in der vergangenen Woche hin und präsentierten eine Umkrempelung der Tarife als großen Wurf. In den letzten Tagen, als es daran ging, sich im Aufsichtsrat mit den Partnern im Verkehrsverbund durchzusetzen und die Tarife auch durchzubringen, scheiterte das kläglich. Wir werden abwarten, was dabei herauskommen wird.

Wenn es so weit ist, möchte ich Sie bitten, folgende Prämisse zu beachten und durchzusetzen: Der Bürger, der Kunde, also der Fahrgast sollte das Tarifsystem noch verstehen und die BVG bequem, einfach und für den günstigsten Preis benutzen können.

[Frau Matuschek (PDS): Das können Sie in den Nahverkehrsplan schreiben und dann beschließen!]

Nach dem augenblicklichen Stand beträgt die vorgesehene Tariferhöhung bei der BVG 3 % und liegt durchaus im Rahmen des mit der BVG geschlossenen Unternehmensvertrages. Den wollen und müssen wir einhalten, wenn uns an der Lebensfähigkeit der BVG auch in Zukunft gelegen ist.

[Zuruf der Frau Abg. Matuschek (PDS)]

Ich mache kein Hehl daraus, dass es uns besser gefiele, wenn keine Tariferhöhung notwendig gewesen wäre. Aber – da geht mein Blick hinüber an die Partner der Bundesregierung – allein aus der Treibstoff- und Energiekostensteigerung des letzten Jahres auf Grund der Weltmarktpreise für das Öl, wegen des Verfalls des Euros gegenüber dem Dollar und der Ökosteuer sind gerade auf die Verkehrsunternehmen in der Bundesrepublik besondere Lasten gekommen.

[Cramer (Grüne): Ach! Machen Sie sich doch mal sachkundig!]

Rechnen Sie das einmal durch! Auch andere Verkehrsunternehmen in der Bundesrepublik, nämlich die in Frankfurt, Dortmund und insbesondere in München müssen auf Kostensteigerungen reagieren, die höher als in Berlin mit seinen 3,0 % liegen; in München gibt es zum Beispiel eine Tariferhöhung von über 6 %. Das wissen Sie alles. – Es wäre aber alles nicht notwendig

gewesen, wenn die Bundesregierung an Stelle ihrer propagandistischen Schönwetterreden von der Förderung des ÖPNV und des Umweltschutzes zielgerichteter gehandelt hätte. Denn wir müssen schon fragen: Wo sind die Steuermehreinnahmen nur aus den Mehreinnahmen der Mehrwertsteuer für die erhöhten Benzin- und Heizölpreise sowie der Ökosteuer geblieben? Wir sind der Meinung, anstatt mit der Gießkanne mittels Entfernungspauschalen und anderen Dingen Fußgänger und Radler zu beglücken, wäre es sinnvoller gewesen, die bundesdeutschen Verkehrsunternehmen finanziell zu unterstützen, vielleicht sogar – einen Schritt weiter gedacht – diejenigen Verkehrsunternehmen zu bevorzugen, die wie die BVG aus umweltpolitischen Gründen vergleichsweise teuren schwefelfreien Kraftstoff und Fahrzeuge mit alternativen Antriebsformen einsetzen.

[Beifall bei der CDU]

Ich komme zum Antrag und gebe zu, dass Ihr Antrag einen gewissen Reiz hat. Da nämlich im Falle der direkten Entscheidung über den Nahverkehrsplan durch die qualifizierte Mehrheit des Abgeordnetenhauses Herrn Strieder ein mögliches Instrumentarium zur Untergrabung der großen Koalition zumindest beschnitten werden könnte,

[Gelächter und Klatschen bei der PDS]

ist das schon überlegenswert, einer großen Koalition übrigens, die – worauf der Kollege Kaczmarek schon vorhin hingewiesen hat – erhebliche Erfolge für diese Stadt vorzuweisen hat.

Herr Abgeordneter, Sie müssen aber trotzdem zum Schluss kommen. Ihre Redezeit geht zu Ende!

Ich bin gerade beim Schluss, Herr Präsident! – Herr Strieder, sie provozieren aber die Partner der großen Koalition, ja sogar die Verkehrsexperten aus Ihrer eigenen Fraktion, wenn Sie zum Beispiel einer Gruppe von 10 nicht klageberechtigten Einwendern zum Planfeststellungsbeschluss der U 5 bereitwillig folgen und den Baubeginn der U 5 auf die Zeit nach 2006 verschieben.

[Over (PDS): Vor so einem Koalitionspartner muss man Herrn Strieder in Schutz nehmen! Ich fordere Sie deshalb auf, Herr Strieder: Lassen Sie das, bewegen Sie sich im Korridor der Koalitionsvereinbarung und geben Sie nicht ständig der Vermutung Anlass, dass Sie der Maulwurf der großen Koalition sind. [Beifall bei der CDU]

Dann können wir Ihnen auch weiterhin zugestehen, über den Nahverkehrsplan im Senat selbst zu entscheiden.

[Beifall bei der CDU – Gelächter bei der PDS und den Grünen]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Abgeordnete Cramer das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist das neue politische Verfahren der CDU in der Abgeordnetenhaussitzung, dass die Senatoren auf nicht gestellte Fragen antworten und die Abgeordneten hier zu nicht gestellten Anträgen reden. Bei Herrn Ueckert war wieder alles drin: Ökosteuer, U 5, aber mit dem Beratungsgegenstand hatte das alles nichts zu tun.

[Niedergesäß (CDU): Kommen Sie mal zum Thema!]

Ich will nur eine Bemerkung zur Ökosteuer machen, weil Sie das auch getan haben: Bei der Ökosteuer ist es uns gelungen, den öffentlichen Nahverkehr und den öffentlichen Verkehrsunternehmen einen strategischen Vorteil zu verschaffen, weil wir uns in der rot-grünen Bundesregierung durchsetzen und die SPD überzeugen konnten, dass die öffentlichen Verkehrsunternehmen nur den halben Öko-Steuersatz zahlen müssen.

[Niedergesäß (CDU): Übertölpelt habt ihr die!]

(A) (C)

(B) (D)

Da diese Ökosteuer verstetigt wird, heißt das, die Schere geht auseinander zu Gunsten des öffentlichen Nahverkehrs. Das ist das, was wir wollten. Das ist vernünftig, und deshalb ist die Ökosteuer auch für die Nahverkehrsunternehmen gut.

[Beifall des Abg. Müller-Schoenau (Grüne) – Niedergesäß (CDU): Ihr seid der Mühlstein am Hals der SPD!]

Bei dem vorliegenden Antrag geht es eigentlich um das Thema, das uns schon vorhin in der Aktuellen Stunde beschäftigt hat – es geht um die Gewaltenteilung. Wie viel Rechte hat das Parlament, die erste Gewalt, und wie viel rechte gibt sie ab an den Senat, die zweite Gewalt? Hier ist es ganz klar, Frau Matuschek hat es gesagt: Die Hälfte der Bundesländer sagt, der Nahverkehrsplan ist originäre Sache des Parlaments. Das ist auch richtig so, das entspricht demokratischem Verfahren, und es ist Zeit, dass es hier in diesem Nachfolgestaat von Preußen auch einmal ankommt, dass die erste Gewalt das Sagen hat.

[Beifall bei den Grünen – Niedergesäß (CDU): Wo ist denn hier der Nachfolgestaat von Preußen?]

Was ist denn der Nahverkehrsplan? – Er ist im Grunde der Bundesverkehrswegeplan, auf ein Land bezogen. Der Bundesverkehrswegeplan wird vom Deutschen Bundestag beschlossen, er wird aber von der Bundesregierung aufgestellt, mit allen Nachteilen, die damit verbunden sind, weil es das reine Wunschkonzert ist, wie damals Minister Müntefering gesagt hat, wo alle Länder ihre Wünsche hineinschreiben, ohne Rücksicht darauf, ob sie finanzierbar sind. Das hat dazu geführt, dass der vordringliche Bedarf des Bundesverkehrswegeplans allein mit 90 Milliarden DM unterfinanziert ist, der gesamte Plan mit 250 Milliarden DM.

Wenn Sie das auf das Land Berlin übertragen wollen – prost Mahlzeit! Da können Sie alles aufschreiben, da sind Sie sich schnell einig. Aber es bringt für die konkrete Handlungspraxis überhaupt nichts. Und deshalb: Das Parlament hat das originäre Recht des Budgets. Die Finanzverteilung liegt hier. Wir stellen den Haushalt auf, und die Exekutive muss sich danach richten. Deshalb ist der Plan mit der Finanzierung eng verwoben. Das muss man bedenken. Diejenigen, die über die Finanzen verfügen, müssen auch über die Pläne verfügen. Ein Plan nützt nichts, wenn er nur finanziert werden kann, wenn man einen Dukatenesel mitbringt – selbst das schaffen Sie nicht –, ansonsten ist er Makulatur. Deshalb unterstützen wir diesen Antrag. Auch die CDU will die Legislative stärken. Wir fordern Sie auf: Stimmen Sie diesem Antrag zu, damit der Nahverkehrsplan in Zukunft vom Parlament beschlossen wird und nicht vom Senat.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Radebold das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstaunlich, was man bei einem so kurzen Antragstext doch an Lobhudeleien für die eine Partei und Beschimpfung für die anderen loslassen kann. Ich lobe einmal nicht die SPD und nicht den Senat, sondern rede zu dem Antrag, wie er vorliegt.

Herr Cramer, ich sehe es im Ansatz so wie Sie: Es geht für mich an dieser Stelle auch um ein demokratietheoretisches Problem. Ich beurteile es allerdings anders. Wenn Sie schauen, womit wir uns zum Nahverkehrsplan inhaltlich beschäftigen, dann ist das ein Haufen theoretischer, technokratischer Ermittlungen. Wir reden dort über Haltestellenabstände, wir reden über die Betriebszeiten des öffentlichen Personennahverkehrs, wir reden über Haltestellengestaltung, wir reden über die Leistungsangebote, die letzten Endes aus dem Bedarfsplan abgeleitet werden. Ich glaube, dass es in der gegenwärtigen Formulierung des Gesetzes deutlicher wird, wer welche Verantwortung im Lande Berlin wahrzunehmen hat. Herr Cramer, wir werden niemals mit dem Nahverkehrsplan einen konkreten Finanzierungsplan beschließen – das ist sicherlich auch nicht Ihre Absicht –, sondern den beschließen wir mit der Investitionsplanung und mit dem Haushalt. Der Nahverkehrsplan soll nur Rah

menbedingungen setzen. So wird es auch bleiben. Insofern denke ich nicht, dass es bisher negative Erfahrungen damit gibt. Denn, Frau Matuschek, auch wenn Sie den Nahverkehrsplan durch das Parlament beschließen lassen, wird es dazu keine anderen inhaltlichen Mehrheiten geben. Insofern wäre es keine Beschleunigung, diesen Nahverkehrsplan über das Parlament in Gang zu setzen. Sie haben mit Recht die langen Zeiten der Erarbeitung beklagt.

Wenn wir die Diskussion um einzelne Haltestellenabstände im Parlament führen, dann verbessern wir am Verfahren und der Qualität nichts. Wir sollten im Ausschuss noch einmal völlig unideologisch und sachlich abklären, ob wir die Verantwortung nicht doch deutlich zwischen Exekutive und Legislative getrennt belassen wollen. – Herr Präsident, die Kollegin Matuschek hat eine Frage, die ich zulassen würde.

Bitte schön, Frau Matuschek, fragen Sie den Redner!

Danke schön! – Herr Kollege Radebold, stimmen Sie mir zu, dass auch ein Flächennutzungsplan, der durch das Abgeordnetenhaus beschlossen wird, eine Rahmengesetzgebung ist und dass der Nahverkehrsplan nichts anderes ist als ein Rahmenplan für den Bereich Verkehrspolitik? Dem steht nichts entgegen. Es geht keineswegs um die einzelne Haltestelle, sondern um die Rahmenbedingungen.

Frau Matuschek, ich halte das nicht für vergleichbar. Aus dem Flächennutzungsplan werden konkrete Bebauungspläne in der Umsetzung zum Handeln vor Ort entwickelt. Im letzten Nahverkehrsplan waren die Schwerpunkte die Haltestellenabstände – subsumiert unter dem Begriff Erschließungsstandard – Erreichbarkeit der Zentren und Taktzeiten für die jeweiligen Verkehrszeiten. Das sind Einzelheiten, für die die Verwaltung verantwortlich ist. Lassen Sie uns im Ausschuss noch einmal abwägen, ob wir an dieser Stelle Legislative und Exekutive vermischen sollen. Damit würde der Verwaltung Verantwortung abgenommen. Das möchte ich eigentlich nicht. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD und des Abg. Goetze (CDU)]

Vielen Dank, Herr Radebold! – Weitere Wortmeldungen liegen mir dazu nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr. Wer so verfahren möchte, den bitte ich um sein Handzeichen! – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Beides sehe ich nicht. Dann ist da so beschlossen.

Die Große Anfrage unter dem Tagesordnungspunkt 3 hatten wir mit der Aktuellen Stunde beantwortet und besprochen.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 4:

a) Drucksache 14/944:

Große Anfrage der Fraktion der PDS über Zukunft der Großsiedlungen in West und Ost