Protokoll der Sitzung vom 28.06.2001

Herr Böger kämpft erfolgreich. Die Lehrer erkennen es an. Er soll und wird in dieser Funktion den Schwerpunkt Bildung ausbauen.

[Zurufe von der CDU]

Es ist durchaus beeindruckend, wie dieser neue Senat so kurz nach der Senatsbildung mit der neuen Finanzsenatorin, Frau Krajewski, den Bildungsschwerpunkt sichern konnte. Sie haben es gehört: 105 % Ausstattung, 60 Stellen für die Integration, die nicht woanders abgezogen werden. Nach dem 23. September wird es dann darum gehen, nicht nur das Schulreformgesetz auf den parlamentarischen Weg zu bringen,

[Zurufe von der CDU]

sondern – das fordere ich ausdrücklich – auch noch den Modernisierungs- und Sanierungsbedarf in den Bezirken zu finanzieren. Das wird aber erst nach der Wahl am 23. September möglich sein.

Und dann werden wir auch sehen, wie wir mit der Werteerziehung weiter vorankommen. Dafür wird ein angemessenes Modell einzuarbeiten sein auf der Grundlage der Bremer Klausel. Es muss dabei berücksichtigt werden, dass wir in einer Stadt leben, die aus zwei Stadthälften zusammenwächst und eine interkulturelle, eine multikulturelle Bevölkerung hat. Das neue Modell muss dem gerecht werden. Dabei aber, Herr Schlede, werden wir darauf achten, dass der § 1 des Schulgesetzes unverändert erhalten bleibt. Wir beide haben dafür gekämpft; denn es geht auch darum, dass weiterhin in allen Fächern der Schule Werteerziehung stattfindet. Es sollte allerdings – das findet auch die SPD – darüber hinaus geprüft werden, wie dieses Angebot erweitert werden kann.

Zu dem anderen Antrag, den Sie vorgelegt haben: Wir haben gemeinsam am 31. März 2000 ein notwendiges Gesetz eingebracht, einen Lückenschluss vorgenommen und damit den Übergang zur Oberschule gesetzesfest gemacht. Es gibt lediglich eine einzige Stelle, die nicht „klappt“ – das ahnten wir vorher schon. Es ist nämlich das Grundschulgutachten, das nicht gerichtsfest ist. Der Weg, das zu korrigieren, ist auch bereits im Schulreformgesetzentwurf vorgegeben: Es sollte eine Bildungsgangempfehlung geben; das Grundschulgutachten muss raus!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Danke schön, Frau Kollegin! – Das Wort für die Fraktion der PDS hat nunmehr Frau Schaub. – Bitte schön!

[Rabbach (CDU): Aber bitte mehr Wahrheit als vorher!]

Herr Präsident! Meine Damen und etwas leicht erregten Herren auf der rechten Seite! Mit der Wahrheit gibt es manchmal Probleme; mitunter ist es auch Vergesslichkeit. Herr Schlede, Sie scheinen mir heute nicht so ganz auf der Höhe der Zeit zu sein! Wieso diese beiden Punkte unter einem Tagesordnungspunkt zusammengefasst sind, kann ich Ihnen beantworten: Das ist der Antrag Ihrer Fraktion! Sie meinten, es müsse jemand beantragt haben, der nichts von Schule versteht. Dem hätte ich nun nichts hinzuzufügen.

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Dass wir diese beiden Anträge hier drauf haben, ist dem Eifer und dem Fleiß der Oppositionspartei CDU zu verdanken. Ich finde es auch nicht glücklich, zumal es sich hier in beiden Fällen um Dinge handelt, die nun wirklich nicht neu sind.

Punkt 1 – Wahlpflichtfach Ethik, Philosophie, Religion, oder wie herum man es nun auch immer nennen will. Der Streit, um den es hier im Grunde geht, ist ein paar hundert Jahre alt. Es gibt keine neuen Argumente, die alten sind ausgetauscht zu dem Thema: Sollte konfessioneller, bekenntnisorientierter Religionsunterricht in der Schule stattfinden? – Ich will mich deshalb nur mit einem Argument befassen, das scheint mir ein Kernargument zu sein: die Feststellung, unsere Kultur habe ihre Wurzeln im Christentum. – Dem ist nicht zu widersprechen, das ist so.

[Gräff (CDU): Ist ja schön, dass Sie das anerkennen!]

Das habe ich schon immer gewusst, und ich war auch immer überzeugt davon. – Ebensowenig ist dem zu widersprechen, dass mindestens die zweite Wurzel unserer Kultur die deutsche Aufklärung ist, übrigens unter maßgeblicher Mitwirkung namhafter Theologen entwickelt und auch vertreten, wie Sie sicher wissen. Mütter und Väter des Grundgesetzes sind heute schon mehrfach bemüht worden, ich tue das hier sehr sinnhaft auch. Die hatten nämlich möglicherweise eben diese beiden Wurzeln im Hinterkopf, als sie drei Dinge ins Grundgesetz schrieben: Erstens Trennung von Staat und Kirche, damit die mittelalterliche Regelung cuius regio, eius religio nicht wieder aufleben soll; zweitens festgeschrieben, Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach; und drittens, Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz gilt nicht in den Ländern, in denen es 1949 keinen Religionsunterricht gab, bekannt als Bremer Klausel. Eine ebenso kluge wie tolerante Regelung, finde ich, die sich in Berlin seit vielen Jahren bewährt hat und die auch nicht durch die Zwischentür Philosophie, Ethik, Religion weggeschoben werden sollte. Wider besseres Wissen, Herr Schlede, Sie haben sich hier auch selbst widersprochen, haben Sie behauptet – zumindest war das so zu entnehmen –, ein religiöses Bildungsverbot sei der Schule, sei dem Staat nicht gestattet, und haben aber im selben Atemzug über die angeblichen Kürzungen für den Religionsunterricht berichtet. Davon kann gar keine Rede sein; in Berlin kann jedes Kind, das evangelischen, katholischen oder jüdischen Glaubens ist, Religionsunterricht haben, auf freiwilliger Basis. Ich finde, das sollte so bleiben.

Lassen Sie uns in der Schulgesetzdiskussion Raum und Möglichkeiten dafür finden, wie Schule so gestaltet und ausgestattet werden kann, dass ethische und philosophische Fragen und Werteerziehung stattfinden können; die findet ja statt. Und es ist ja nicht so, dass man erst ein Fach und Vorschriften erfinden müsste. Man muss Bedingungen für die Schule verändern, damit das auch wirklich im verstärkten Maße gemacht werden kann, was in Lehrplänen und übrigens natürlich auch in § 1 des Schulgesetzes, geschrieben steht. Das ist so lang, dass ich es hier nicht zitieren will.

Ich denke, mit Blick auf den Haushalt – die CDU hat heute mehrfach behauptet, sehr gut im Rechnen zu sein –, die Einführung eines solchen Unterrichtsfachs kostet 200 bis 300 Millionen DM.

[Niedergesäß (CDU): Sie übertreiben!]

Ich frage mich unter anderem auch, woher denn das. Aber das wäre mein letztes Argument.

Letzter Punkt: Änderung des Schulgesetzes im Hinblick auf den Übergang zur Oberschule. Dort kann ich mich ganz darauf beschränken, dass es uns überhaupt nicht weiterhilft, eine weitere Vorschrift, sei es eine Rechtsverordnung, hier einzuführen, die dann auch wieder Klagegegenstand ist und uns in der Sache überhaupt nicht weiterbringt. Das Grundschulgutachten gehört raus als Kriterium für die Übernahme in eine bestimmte Oberschule. Und lassen Sie uns in der Schulgesetzdiskussion auch diese Diskussion fortsetzen, statt mit Schnellschüssen hier Dinge festzuklopfen, die einfach nicht gehen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke, Frau Kollegin! Nunmehr hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Mutlu das Wort – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich. Ich freue mich, dass die CDU-Fraktion sich so schnell in ihrer Oppositionsrolle eingefunden hat und uns heute mit 30 Anträgen – das ist legitim – die Tagesordnung bis in die Mitternachtsstunden vollgepackt. hat. Das ist gut so, das ist auch nicht zu kritisieren. Das sind aber Anträge, die zusammen die CDU nicht einmal in den letzten anderthalb Jahren hier eingereicht hat, und das ist schon ein bisschen komisch.

[Niedergesäß (CDU): Die Sozis haben das verhindert!]

Ich kann nur sagen: Machen Sie weiter so. Denn je eher Sie sich an Ihre Oppositionsrolle gewöhnen, umso eher werden Sie sich auch mit dem Gedanken anfreunden, dass Sie noch länger da sitzen werden.

[Rabbach (CDU): Seien Sie nicht so überheblich!]

Und die Qualität Ihrer Zwischenrufe lässt auch zu wünschen übrig; daran sollten Sie auch arbeiten.

[Rabbach (CDU): Die Rede von Ihnen!]

Gegenstand dieser Debatte sind zwei Anträge der CDU zur Änderung zweier Paragraphen des bestehenden Schulgesetzes. Daran ist im Grunde nichts auszusetzen. Aber wenn wir uns vor Augen führen, dass wir derzeit in der Stadt und in diesem Parlament ein neues Schulgesetz diskutieren – und im Übrigen sind wir uns alle darüber einig, dass ein neues Schulgesetz für diese Stadt längst überfällig ist –, dann frage ich mich, was diese Schnellschüsse sollen, dann frage ich mich, was diese Anträge sollen.

[Schlede (CDU): Weil wir das seit drei Jahren diskutieren!]

Zwei Anträge, sagte ich: der eine Antrag soll den Übergang von der Grundschule zur Oberschule regeln. Wir haben mit der 26. Änderung des Schulgesetzes vor knapp einem Jahr oder etwas mehr als einem Jahr dieses hier in diesem Haus diskutiert. Wir haben in den Fachausschüssen deutlich gemacht, dass wir mit dieser Gesetzesänderung nichts erreichen werden, dass wir mit einem Begriff Grundschulgutachten, das nicht ausgefüllt ist, keinerlei gerichtsfeste Zustände geschaffen haben. Aber damals haben Sie uns nicht zugehört. Damals haben Sie unseren Argumenten entgegengehalten: Nein, das würde aushelfen. Wir wissen heute, seitdem Sie auch selbst das mit diesem Antrag zugegeben haben, dass das nicht ausreicht und weiterhin auch nicht ausreichen wird, weil auch diese Behauptung oder diese Möglichkeit der Rechtsverordnung den Gerichten nicht standhalten wird.

[Schlede (CDU): Woher wissen Sie das?]

Nun zu Drucksache 14/1373: Ich finde es schade und bedauerlich, dass gerade Ihre Partei mit dem großen C versucht, ein derartig wichtiges Thema für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen.

[Gelächter bei der CDU]

Das Thema Religionsunterricht ist in der ganzen Stadt seit geraumer Zeit in den unterschiedlichsten Facetten auf der Tagesordnung. Die Meinungen und Modelle gehen von der strik

ten Trennung von Staat und Kirche, soll heißen keinerlei Finanzmittel, bis hin zur Einführung eines Wahlpflichtfaches. Das ist auch ein Thema, das wir im Rahmen des neuen Schulgesetzes regeln müssen. Und ich sage, aus dem Grunde können und dürfen wir uns hier auch keine Schnellschüsse erlauben. Unsere Position zu dem Thema ist jedenfalls bekannt: Wir sind der Meinung, dass die Schule in der pluralistischen Metropole Berlin mit ihrer multikulturellen und multireligiösen Bevölkerung und der Realität einer Einwanderungsgesellschaft mehr und andere, wichtigere Probleme zu lösen hat, als sich jetzt um ein Thema Religionsunterricht auseinanderzusetzen.

[Frau Richter-Kotowski (CDU): Ach!]

Außerdem, Herr Schlede, ist die Vermittlung von Werten Aufgabe der gesamten Schule und kann weder allein an Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaften delegiert noch auf die Einrichtung eines Faches reduziert werden.

[Beifall bei den Grünen]

Wertebildung hängt im Wesentlichen von der Gestaltung schulischer Kontexte ab. Glaubwürdig können Werte nur vermittelt werden, wenn das schulische Leben und die dort tätigen Erwachsenen Werte vorleben und wertvolle Haltungen und Verhaltensweisen fördern.

[Gram (CDU): Dann mal voran, Herr Mutlu!]

Wir sind im Gegensatz zu Ihnen für die Einrichtung eines religiös und weltanschaulich neutralen Faches, in dem sich alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von der jeweiligen Religion und Konfession mit Werten und Sinnfragen auseinandersetzen können und ein breites Grundwissen über alle Religionen und Weltanschauungen vermittelt bekommen.

[Schlede (CDU): Das gibt’s nicht!]

Ein solches Fach dient dem gegenseitigen Verständnis von Schülerinnen und Schülern unterschiedlichster kultureller und religiöser Zugehörigkeit und kann helfen, eigene und fremde Weltdeutungen des Lebens wahrzunehmen, zu reflektieren und sich mit den Begründungszusammenhängen menschlichen Handelns auseinander zu setzen.

[Schlede (CDU): Gemischtwarenhandel!]

Voraussetzung für den pädagogischen Erfolg eines derartigen Faches ist dabei, dass die Schülerinnen und Schüler voneinander lernen und nicht getrennt nach Konfession unterrichtet werden. Die Trennung fördert die Separation, ist desintegrativ und aus diesem Grund abzulehnen.

[Beifall bei den Grünen]

Wir halten an dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche fest. Religionsunterricht sollte deshalb nur auf freiwilliger Basis erfolgen, wie es derzeit in Berlin der Fall ist.