Protokoll der Sitzung vom 09.03.2000

Eines muss ich noch hinzusetzen: Nicht länger hinnehmbar ist eine Haltung, die der SPD-Landessprecher Stadtmüller heute in die Welt setzte.

[Gaebler (SPD): Fraktionssprecher!]

Egal, er spricht für die Partei. – Ich zitiere:

Über die Vergabe von Geldern entscheidet die Koalition, nicht die Opposition. Wir werden den Antrag natürlich ablehnen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, danke für Ihren Beifall. Ich hoffe, Sie machen sich eine solche politische Bimbeshaltung nicht zu eigen. Parlamentarische Grundprinzipien verkämen sonst zur Farce. Schade um die Gelder, die wir dann aufwenden. – Schönen Dank!

[Beifall bei der PDS]

Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Seitz!

[Dr. Seitz (SPD): Nein!]

Gibt es eine andere Wortmeldung?

[Frau Michels (PDS): Das hat sich erledigt!]

Das ist nicht der Fall. Dann können wir die Überweisung beschließen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung beider Verhandlungsgegenstände an den Hauptausschuss.

Wer der Überweisung an den Hauptausschuss zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung beschlossen.

Die lfd. Nrn. 3 und 4 sind durch die Konsensliste erledigt.

Wir sind dann bei

lfd. Nr. 5, Drucksache 14/225:

I. Lesung der Vorlage – zur Beschlussfassung – über Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung

Die Vorlage hatte ich bereits vorab an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und an den Hauptausschuss überwiesen. Ich stelle die nachträgliche Zustimmung dazu fest.

Ich eröffne die I. Lesung. Wir haben eine Redezeit bis zu 5 Minuten vereinbart. Für die Fraktion der PDS hat Frau Abgeordnete Hopfmann das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Staatssekretär Rauskolb! Sehr geehrter Herr Innensenator! Was da so harmlos unter dem Namen „Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung“ daherkommt, ist in Wirklichkeit ein großes Kuckucksei, das uns in das Nest gelegt werden soll. Oder versucht da vielleicht die CDU, ihren Koalitionspartner über den Tisch zu ziehen? Wir werden es sehen.

Worum geht es? – Mit der Änderung der Ausführungsvorschriften zur Verwaltungsgerichtsordnung soll ein Rechtsgut abgeschafft werden, nämlich das Rechtsgut des Widerspruchs gegen behördliche Entscheidungen im Bereich der Innenverwaltung. Die von der Änderung betroffene Rechtsmaterie ist in der Vorlage nachlesbar. Dort steht in der Begründung – daraus wird es deutlicher:

Durch die vorgesehene Fassung des § 4 Absatz 2 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung wird das Widerspruchsverfahren bei ausländerbehördlichen Entscheidungen künftig entfallen, wenn und soweit diese Entscheidungen im Zusammenhang mit der Begründung oder Durchsetzung der Ausreisepflicht stehen.

Nach meinen Informationen wollten Sie ursprünglich noch ganz andere Dinge im Widerspruchsverfahren aushebeln, aber das ist Ihnen nicht gelungen.

Wie wird nun der jetzige Vorschlag begründet? – Erstens wird eine Öffnungsklausel in der Verwaltungsgerichtsordnung als Bundesgesetz herangeführt und eine Änderung aus dem Jahre 1996, durch die der Landesgesetzgeber das Widerspruchsverfahren für bestimmte Rechtsbereiche ausschließen kann. Zweitens soll Verwaltungshandeln effektiver gestaltet werden. Dazu dient der Hinweis darauf, dass von 12 316 Widersprüchen in den Jahren 1997 bis 1999 nur 183 positiv im Sinne des Antragstellers entschieden wurden, und damit eigentlich kein Bedarf vorliege.

Drittens wird die jahrelange Nichtdurchsetzungsfähigkeit der Ausreisepflicht abgelehnter Asylbewerberinnen und -bewerber, von Bürgerkriegsflüchtlingen oder von illegal Eingereisten beklagt. Mit der Gesetzesänderung solle ein „Beschleunigungseffekt“ im Verwaltungshandeln erreicht werden, also in der

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Durchsetzung der Ausreisepflicht, sprich im Vollzug der Abschiebungen. Genau das ist der Punkt. Hier wurde nach einer rechtlich zulässigen Lösung gesucht, wie man unliebsame Menschen schneller loswerden kann. Die Antragsteller machen nun, dieses Ziel listig bewerkstelligen zu können und dabei angeblich 210 270 DM für den lädierten Landeshaushalt einsparen zu können.

Bei allen demokratisch verfassten Menschen müssten hier die Alarmglocken läuten.

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Hier liegt der Versuch einer Gesetzesänderung vor, der erstens politisch indiskutabel ist, weil er grundlegende demokratische Rechte von Bürgerinnen und Bürgern in einem Rechtsstaat massiv einschränkt. Für mich sind Ausländerinnen und Ausländer, die hier leben, auch Bürgerinnen und Bürger.

Zweitens wird dabei gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, denn vom Recht auf ein Widerspruchsverfahren gegen Behördenentscheidungen werden hier nur Ausländerinnen und Ausländer ausgeschlossen. Versuchen Sie das einmal für Bürgerinnen und Bürger in durchaus existenziell wichtigen Situationen in anderen Bereichen! Oder prekär gesagt: Schaffen Sie doch das Widerspruchsverfahren im Zuge der Gleichbehandlung für alle Bürgerinnen und Bürger Berlins ab! Sie könnten wirklich Millionenbeträge in diesem Haushalt sparen. Aber mit einer demokratischen bürgernahen Verfasstheit der Verwaltung hätte das nichts mehr zu tun. Ist das der Sinn von Verwaltungsreform?

Der vorliegende Versuch der Gesetzesänderung ist in einem weiteren Punkt verfassungswidrig oder zumindest verfassungsrechtlich bedenklich: Er unterhöhlt das Prinzip der konkurrierenden Gesetzgebung. – Ich verweise auf die Artikel 72 und 74 Grundgesetz –, weil es das Ausländergesetz als Bundesgesetz verletzt. Im Ausländergesetz steht im § 71 Absatz 3 lediglich, dass nur gegen die Versagung einer Duldung kein Widerspruch stattfindet – ansonsten ist er zulässig, also auch bei Widerrufen der Duldung, Ausreiseaufforderungen und anderen Bescheiden des Landeseinwohneramts.

Die Öffnungsklausel in der Verwaltungsgerichtsordnung berechtigt den Landesgesetzgeber noch lange nicht, Bundesgesetz und damit den Grundsatz der Bundestreue zu verletzen. Das allerdings verschweigen uns die Verfasser des Begründungstextes.

Die auch auf den zweiten Blick ziemlich chaotische Begründung verschweigt uns aber noch eine ganze Reihe weiterer Informationen, nämlich die, dass Widerspruchsverfahren im Verwaltungshandeln eine sehr wichtige Filterfunktion haben. Wenn von 12 316 Widersprüchen nur 183 positiv entschieden werden, heißt das noch lange nicht, dass das Verfahren uneffektiv ist. Hier ist die Frage zu stellen, wie die Qualität der Bearbeitung von Widersprüchen in der Verwaltung ist. Sind die Beamten oder Angestellten überfordert? Wird hier schlampig gearbeitet? Wenn es dafür eines Beweises bedarf, dann sehen Sie sich an, in wie vielen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten positiv entschieden wird, nicht nur in 1,5 % der Fälle, sondern ich gehe von etwa 20 % aus, aber wir werden die genauen Zahlen eruieren.

Hier wird also versucht, Rechte von Bürgerinnen und Bürgern, die für alle gelten – unabhängig von der Staatszugehörigkeit –, massiv auszuhebeln. Das gilt auch für die Bewahrung von Rechtsgütern, die für Ausländerinnen und Ausländer ohnehin schon in weiten Teilen aufgehoben sind. Einer solchen Politik werden wir nicht zustimmen.

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Gewalt das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hopfmann! In der Ihnen eigenen Theatralik haben Sie wieder einmal maßlos bei dem Thema Ausländer- und Verwaltungs

recht überzogen. Ich weise Sie darauf hin, dass Berlin eine Ausländerbehörde hat, die nicht nur den Ausgangsbescheid erlässt, sondern auch im Widerspruchsverfahren zuständig ist. Deshalb hat auch die Verwaltungsgerichtsordnung völlig zu Recht den Weg für Stadtstaaten wie Berlin eröffnet, wo keine gesonderte Behörde das Widerspruchsverfahren führt, dieses Verfahren abzuschaffen. Das ist auch sinnvoll, denn die Erfahrungen zeigen, dass im Widerspruchsverfahren, wenn dies von derselben Behörde wie beim Ausgangsbescheid betrieben wird, bis auf ganz wenige Ausnahmen keine Änderung erfolgt. Insofern stelle sich das Widerspruchsverfahren in Berlin letztlich nur als Verwaltungsaufwand dar, der nicht erforderlich wäre. Deshalb habe der Senat zu Recht dies Gesetzesinitiative ergriffen, auf dieses Widerspruchsverfahren zu verzichten.

Im Übrigen wird in der Regel in Ausweisungsangelegenheiten die sofortige Vollziehung angeordnet, so dass der Betreffende, der sich in seinen Rechten verletzt fühlt, im einstweiligen Rechtsschutz sofort das Verwaltungsgericht anruft. Wo dann die elementaren Rechte der Ausländer verletzt, ist mir nicht klar.

Darüber hinaus dient, Frau Hopfmann, das Widerspruchsverfahren nun wirklich nicht dazu, den Aufenthalt zu verlängern, sondern allenfalls die Rechte der Betreffenden zu schützen. Wenn die Ausgangsbehörde aber auch für das Widerspruchsverfahren zuständig ist, dann sehe ich diesen Schutzzweck hier nicht vorliegen. Insofern kann auf das Widerspruchsverfahren verzichtet werden. Der Senat geht dabei konsequent vor. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Abgeordnete Wieland das Wort.

Auf der Anzeige für die Redezeit steht 2, das müssen wir noch korrigieren. Hier steht 2, und ich will bei 0 anfangen – muss bei Herrn Gewalt ganz vorn anfangen. Tut mir leid!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorlage des Senats, die uns heute vorliegt, atmet diese „Ausländer raus, aber schnell!“-Mentalität. Die lehnen wir als Grüne ab, und das schon lange. Die haben wir bei einem niedersächsischen Ministerpräsidenten abgelehnt, und die lehnen wir natürlich hier auch ab. Das ist der Kernpunkt. Frau Hopfmann hat es gesagt: Man will just für einen Teil der Bevölkerung ein Widerspruchsverfahren wegnehmen. – Dieses Widerspruchsverfahren ist ein Wert an sich, Herr Gewalt, und dass es hier gecancelt werden soll, ist eine Schande.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Wir hatten bis zum Beginn dieser Legislaturperiode die Regelung, dass die Widerspruchsbehörde die Innenverwaltung gewesen ist. Das, was Sie jetzt als witzlos gekennzeichnet haben, dass nämlich die ausstellende Behörde auch gleichzeitig die Widerspruchsbehörde ist – das Landeseinwohneramt –, hat uns also diese große Koalition gerade erst beschert. Aber dennoch ist die Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung sinnvoll. Sie ist tatsächlich ein Stück Verfahrenskultur und insoweit ein Stück Rechtskultur. Das gilt natürlich nur, wenn es gemacht wird und man sich Mühe gibt, die Entscheidung noch einmal zu überprüfen. Dass das in der Vergangenheit bei der Innenverwaltung sehr schlecht aussah und die Widerspruchsbearbeitung grottenschlecht war, steht auf einem anderen Blatt, kann aber nicht dazu führen, dieses Institut abzuschaffen, wie es hier vorgesehen wurde.

Ferner – auch das wurde schon gesagt – ist die Begründung dieser Vorlage völlig widersprüchlich. Sie behaupten einerseits, sie kämen damit zu einer Beschleunigung, aber zwei Absätze später sagen Sie: Aber natürlich sind die meisten Entscheidungen, um die es da geht, heute schon sofort vollziehbar – und haben heute schon die Verpflichtung, im einstweiligen Verfahren zum Verwaltungsgericht zu gehen. – Dies ist ohne Zweifel richtig. Dies ist zweifelsohne auch eine Folge der Rechtsverkürzung, die wir im Ausländerrecht und im Asylverfahren hatten.

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