Protokoll der Sitzung vom 29.03.2000

Es wird die erste Aufgabe des neuen Kultur- und Wissenschaftssenators sein, dieses anzugehen, denn ohne Verwaltung, ohne Umsetzung der Administration werden wir dies nicht schaffen. Da müssen wir alle mittun. Da muss auch dieses Haus, wenn ein Senator, eine Senatorin den Mut hat, etwas auszusprechen – – Kein Mensch traut sich, jeder guckt auf den anderen: Wer verliert die Nerven und sagt einmal das Wort „betriebsbedingte Kündigung“. – Ich werde es auch nicht sagen.

[Gelächter bei der PDS und den Grünen]

Aber wir wissen alle, das können wir bei jeder Strukturmaßnahme machen, aber irgendwann müssen wir uns einmal trauen, aber alle zusammen trauen. Und dann möchte ich sehen, wie die Opposition, die vollmundig hier erklärt hat, sie sei für Strukturreform, dann bei der Umsetzung mitwirken wird. Da bin ich sehr gespannt. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Zur Kurzintervention hat der Abgeordnete Brauer von der Fraktion der PDS das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Sachen nicht unwidersprochen im Raum stehen lassen. Im Unterausschuss Theater habe ich, übrigens in Abstimmung mit meiner Fraktion, Herr Kollege Wowereit, Folgendes dargestellt:

1. Der Senat hat seine Verantwortung gegenüber den Häusern hinsichtlich der Tariferhöhungen wahrzunehmen. Hier sind die größten Defizite aufgelaufen. Im Theaterfinanzierungskonzept wurde eben dieser Ausgleich den Theatern zugesichert. Nichts anderes habe ich eingefordert.

2. Ich habe verlangt, dass zumindest der dringendste Sanierungsbedarf der Häuser abzudecken ist, und nichts anderes.

3. Ich habe verlangt, dass der Senat einmal gegebene Zusagen einzuhalten hat. Inzwischen werden mündliche Zusagen nicht mehr eingehalten, und inzwischen werden auch unterschriebene Verträge unterlaufen.

4. Ich habe mich dagegen verwahrt, nachdrücklich verwahrt, dass auch verantwortungsbewusst arbeitende Intendanten oder auch Chefdirigenten, Herr Wowereit, abgekanzelt werden wie kleine Schuljungen, die zufällig beim Abschreiben erwischt werden. Auch ein SPD-Fraktionsvorsitzender hat nicht das Recht, permanent Unwahrheiten in die Welt zu setzen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS]

Nun hat der Regierende Bürgermeister in der Debatte das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anlass – vielleicht für die Opposition nicht die wirkliche Begründung – für diese Aktuelle Stunde ist der Rücktritt der Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur. Richtig ist, ein Rücktritt wenige Wochen nach Amtsantritt, wenige Wochen nach Neuwahl eines Senats ist ein ungewöhnlicher Vorgang.

[Wieland (Grüne): Selbst in einem Senat, den Sie führen!]

Dieser ungewöhnliche Vorgang beinhaltet nicht gleichzeitig eine Krise für den Senat oder die Regierung in diesem Land. Ich selbst bedauere den Rücktritt von Frau Thoben. Wir werden – da spreche ich für die gesamte Koalition – zügig uns darum bemühen, die Nachfolgefrage zu klären.

[Zuruf der Frau Abg. Künast (Grüne)]

Ich bin sehr dankbar und habe mit großem Interesse Ihre Ratschläge dazu hier zur Kenntnis genommen.

[Ha, ha! von den Grünen]

Bei einer solchen Debatte gibt es immer die Gefahr, dass sofort in Schwarzmalerei verfallen wird. Schwarzmalerei ist aber genauso fehl am Platze wie Schönfärberei.

[Zuruf von links: Es ist schwarz!]

Der goldene Weg zwischen Optimismus und Pessimismus ist noch immer die konkrete Darstellung der Realität.

[Wolf (PDS): So, so!]

Jedermann weiß, dass die Finanzsituation des Landes Berlin nicht geprägt ist von goldenen Zeiten. Jedermann weiß, dass wir übrigens nicht nur im Kulturetat, nicht nur im Wissenschaftsetat, sondern auch in anderen Bereichen erhebliche Herausforderungen zu bewältigen haben. Ich halte hier fest, dass Senat und Abgeordnetenhaus in den letzten zehn Jahren gemeinsam – jedenfalls in großer Mehrheit – versucht haben, die innere Einheit sozial und gerecht zu verwirklichen und die Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch Verbesserung der Haushaltssituation des Landes zu schaffen. Es ist in großer Einmütigkeit eine Fülle von Entscheidungen getroffen worden. Ich erinnere dabei gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion an die Erhaltung der wissenschaftlichen, kulturellen, aber auch sportlichen Einrichtungen in beiden Teilen der Stadt. Ich erinnere an die weitgehende Übernahme der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in den östlichen Bezirken der Stadt, was wir alle aus vielen Gründen – gerade aus Gründen der Entwicklung, des sozialen Friedens und des Zusammenwachsens dieser Stadt – wollten. Ich erinnere auch daran, dass wir uns doch wohl alle darüber im Klaren waren, dass es bei einer Tarifangleichung innerhalb der Stadt zusätzliche Haushaltsprobleme gibt. Aber wir haben es gemeinsam gewollt, weil es eine Verpflichtung in dieser Werkstatt des deutschen Einigungsprozesses gibt, gerade auf diesen Feldern einen Schritt voranzugehen.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Deswegen bin ich schon etwas erstaunt, in welcher Form der eine oder andere jetzt versucht, sich aus der Verantwortung zu ziehen, immer mit dem Hinweis, man hätte doch schon längst dieses und jenes tun müssen.

[Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Ich sehe das zwar nicht mit Freude, aber doch mit der Kenntnis desjenigen, der ein Stückchen politische Entwicklung verfolgt hat. Im Augenblick haben wir es mit den typischen Reflexen nach dem Rücktritt eines Senatsmitglieds zu tun, ganz typische Reflexe! [Zuruf von den Grünen: Auch bei Ihnen!]

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass übrigens auch der Ruf von jeweils Zurückgetretenen

[Mutlu (Grüne): Das war eine Ohrfeige!]

dadurch bestimmt ist, dass die Realität im Regelfall zwischen Ruf und Nachruf liegt. Das kann man auch jetzt überall nachlesen.

Der zweite typische Reflex: Man setzt sich natürlich nach Möglichkeit nicht mit demjenigen auseinander, der gerade zurückgetreten ist, sondern man sucht sich ein anderes Angriffsobjekt. Und dann gibt es einen ganz bemerkenswerten Punkt, den ich übrigens mit Freude zur Kenntnis nehme. Im Regelfall wird immer gesagt: Der Regierende Bürgermeister kümmert sich um zu viel Einzelheiten. – Jetzt lese ich in den Zeitungen überall, dass er für alle Dinge unmittelbar die Zuständigkeit hat. Ich will das Parlament dann doch ausdrücklich bitten – meinetwegen, vielleicht ist das sinnvoll –: Ziehen Sie doch auch verfassungsmäßig eine Reihe von Schlussfolgerungen, so dass der Regierende Bürgermeister dann auch von der Rechtslage her die Richtlinienkompetenz hat, [Beifall bei der CDU]

und sich in alle Einzelheiten – obwohl ich das gar nicht will – der Theaterfinanzierung oder der Theaterorganisation einmischen kann. – Man staunt schon manchmal darüber, wie immer wieder versucht wird, vor allen Dingen das Unpopuläre zur Chefsache in der Stadt zu machen.

[Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

(A) (C)

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RBm Diepgen

Dann amüsiert mich auch die gegenwärtige Tendenz, dass möglichst alle Erfolge privatisiert und die Schwierigkeiten sozialisiert werden – auch ein Reflex, den man hier mit großem Interesse feststellen kann. Im Hinblick auf einige Diskussionen und Fragestellungen auch der Opposition möchte ich von den Vertretern der PDS ganz konkret wissen – sowohl die PDS-Fraktion als auch die Grünen und auch Teile der Koalition haben sich dabei etwas vorsichtig ausgedrückt –, ob Sie der Auffassung sind, dass wir betriebsbedingte Kündigungen gegenüber Mitarbeitern der Charite´ aussprechen sollen oder nicht. [Wolf (PDS): Nein!] Ich bleibe bei meiner Position, dass dies erstens juristisch überhaupt nichts bringt. Zweitens ist es sozial nicht vernünftig. Drittens führt das dazu, das gerade die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ostteil der Stadt wegen ihrer anderen vertraglichen Bindung in besondere Schwierigkeiten kommen. Deswegen dürfen Sie es sich nicht so einfach machen, sich hinstellen und sagen, auf dem Sektor müsse endlich dieses oder jenes gemacht werden. [Beifall bei der CDU und der SPD – Zurufe von links] Ich stehe dabei zu meinem Wort. Auch wenn ein Wahltermin dazwischen gewesen ist, ändere ich nicht die politische Aussage den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst gegenüber. Das halte ich für eine Frage der Glaubwürdigkeit in der Politik. [Beifall bei der CDU und der SPD – Zurufe von links – Abg. Wolf (PDS) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Herr Regierender Bürgermeister! Gestatten Sie Zwischenfragen?

Nein! Ich möchte hier ausdrücklich festhalten, dass Senat und Abgeordnetenhaus gemeinsame Verantwortung auch für den Kultur- und den Wissenschaftsbereich durch ihre Entscheidungen – übrigens auch gerade die aktuellen im Hauptausschuss – tragen und getragen haben. Es ist ohne Zweifel eine gewaltige Herausforderung, die wir zu bestehen haben. Berlin fühlt sich hier ziemlich auf sich selbst gestellt. Wir haben zwei Teilstädte, die jahrzehntelang als Hauptstädte der beiden Teilstaaten in Deutschland eine besondere finanzielle Ausstattung hatten. Die Wiedervereinigung dort hat dazu geführt, dass die Stadt und das Land Berlin wesentlich auf sich allein gestellt sind. Jedermann weiß vor dem Hintergrund der früheren Finanzierungsform aus dem Überleitungsgesetz – jetzt bleibe ich einmal nur beim Westteil der Stadt –, dass wir damals gerade wegen der Finanzierung in Wissenschaft und Kultur eine erhebliche Ausstattung aus dem Bereich der Berlinhilfe hatten. Das ist weitgehend weg. Hier ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass mit einem Betrag von 100 Millionen DM nun wirklich nicht die gesamte Kulturszene finanziert werden kann. Ich weise auch darauf hin, dass es gewisse geschichtliche Zusammenhänge gibt, die man jetzt einfach in der Debatte zur Kenntnis nehmen muss. Früher fühlte sich der finanzkräftigere preußische Staat für seine Hauptstadt verantwortlich. In gewisser Weise leidet der Kulturetat heute unter seinem preußischen Erbe. interjection: [Zuruf des Abg. Wieland (Grüne)] Aber denken wir an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das ist doch ein schönes Erbe, unter dem wir hier leiden. Das ist eine schöne und auch notwendige Last, die wir auch tragen wollen und auch insgesamt für die Entwicklung der Stadt nutzen wollen. Ich halte hier ausdrücklich fest: Auch heute wird ohne eine bundesweite Solidarität der deutschen Nation das kulturelle und das wissenschaftliche Erbe der Stadt nicht zu bewahren und nicht zu entwickeln sein. Aber ich frage mich, auch bei der Debatte, die jetzt eben von der Opposition geführt worden ist: Was machen wir eigentlich in Berlin? In allen Punkten reden wir uns richtig klein. interjection: [Bm Böger: So ist es!]

Wir reden alle Erfolge und alle Entwicklungsmöglichkeiten schlicht und ergreifend weg. Der Kulturetat in Berlin ist in den letzten Jahren überproportional gewachsen und ist nach wie vor größer als in Paris oder New York. Um nur zu jammern, besteht wahrlich keine Veranlassung.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Zurufe von links]

Auch dieses will ich Ihnen in das Stammbuch schreiben: Der Kulturetat – –

[Hoff (PDS): Was ist mit dem Wissenschaftsetat?]

Ich rede jetzt ausschließlich über den Kulturetat, weil das Ihre Debatte war. Wir können gerne uns dann auch noch über Wissenschaftsfinanzierung unterhalten. – In dem Haushaltsentwurf für das Jahr 2000 gab es eine Steigerung im Kulturetat um 8 %.

[Frau Ströver (Grüne): Durch die Bundesmittel!]

Ich lege Wert darauf, dies hier noch einmal öffentlich festzustellen. Wenn Sie es in konkreten Zahlen nehmen, von 862 Millionen DM auf 929 Millionen DM. Das sind die tatsächlichen Beträge. Es gibt hier aus meiner Sicht ganz offensichtlich ein Missverhältnis zwischen objektiven Bedingungen und der öffentlichen Wahrnehmung.

Wir wissen alle – hier sind ja eine Reihe von Vorschlägen noch einmal wiederholt –, dass wir vor dem Hintergrund der Personalfragen, der Personalkosten, der Rechtsform der unmittelbaren Zusammenarbeit zwischen einzelnen Einrichtungen zu Rechtsformänderungen kommen sollen, strukturelle Veränderungen anpacken müssen. Das, was in den Anträgen der Opposition hier vorgelegt worden ist, sind – Verzeihung! – im Regelfall alte Kamellen,

[Wolf (PDS): Aber nichts passiert!]

und man ist dabei, das schrittweise jeweils umzusetzen.