Meinen Sie, die Bürgerinnen und Bürger verstehen, dass ausgerechnet die sichersten Kernkraftwerke in Europa abgeschaltet werden, ohne europäische Abstimmung die weniger sicheren am Netz bleiben und dort generierter Strom dann in Deutschland verkauft wird?
Die Leute verstehen sehr wohl, dass es richtig und mutig ist, dass eine Bundesregierung gesagt hat: Wir beginnen mit dem Ausstieg –, und dass sie sich von dieser gefährlichen Technologie verabschiedet. Wir erinnern uns an Harrisburg – das lag nicht irgendwo in der Ukraine, sondern mitten in den USA –, dort wäre es beinahe zur ersten Havarie eines AKWs gekommen. Die Atomkraft ist nicht sicher, und deswegen gibt es dieses große Verständnis in der Bevölkerung.
Genauso wird auch das berüchtigte Projekt Nr. 17 – Havelausbau – immer mehr kritisiert. Matthias Platzeck, der Ministerpräsident von Brandenburg, hat gerade gestern noch einmal ausdrücklich vor dem Weiterbau gewarnt. Wir erwarten, dass Senator Strieder ähnlich initiativ wird, dass er nicht damit zufrieden ist, die Südvariante gestoppt zu haben, sondern dass er damit Schluss macht, dass in Berlin Brücken angehoben werden, dass man genau das macht, was man nicht machen soll, nämlich die Wasserstraßen den Schiffen anzupassen, anstatt die Schiffe den Wasserstraßen anzupassen.
Sie – auch Sie, Herr Kollege Niedergesäß – haben immer nach Hochwassern das plastische Bild, ich erinnere mich an Helmut Kohl: Gebt den Flüssen ihren Raum! – Das Bedauerliche ist nur, dass da nie etwas geschieht in den Bereichen, wo Sie Verantwortung tragen.
Nein, nein! Genau darum geht es, jetzt lokale Konsequenzen aus der globalen Klimakatastrophe zu ziehen. – Wir glauben auch nicht, Herr Strieder, wie Sie es vorgestern noch sagten, dass wir in Berlin in der besten aller Öko-Welten leben. Wir erwarten von Ihnen auch bei der Beantwortung der Großen Anfrage etwas Realismus. Ebenso, dass Sie nicht nach Johannesburg zu einem Festival der Selbstdarstellung reisen, sondern
der Ernsthaftigkeit der Probleme angemessen dort in die Debatte eingreifen, der Ernsthaftigkeit des Anliegens angemessen. [Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]
Also bitte hier das tun, was notwendig ist, denn nicht umsonst findet diese Konferenz in Johannesburg statt. Umweltkatastrophen, Luftverpestung, Hunger, Dürre, Aids, Krieg – all das ruiniert vor allen Dingen diesen Erdteil Afrika. Deswegen muss es ein Gipfel der Umsetzung und nicht ein Gipfel der Versprechungen werden. Südafrikas Präsident Mbeki hat zu Beginn ausgeführt:
Wir leben in einer Welt, die unter Hunger, Ungleichheit und ökologischer Verwüstung leidet, und das trotz aller Vereinbarungen auf dem UNO-Gipfel in Rio vor zehn Jahren.
Und er hat hinzugefügt – ich schließe mich dem an –, dass nach dem Ende der Apartheid in Südafrika auch ein Ende der weltweiten Apartheid zwischen Arm und Reich dringend kommen muss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg ringen derzeit mehr als 60 000 Delegierte darum, wie dem Raubbau an der Natur wirkungsvoll begegnet werden kann, verbunden mit einer gerechteren Verteilung von Entwicklungschancen und sozialer Gerechtigkeit. Verglichen mit diesen 60 000 Delegierten sind wir hier mit unseren 140 Abgeordneten nur eine sehr kleine Menschenansammlung. Und doch, auch wir tragen Verantwortung für einen Teil, wir tragen Teilverantwortung für unseren Teil an der Welt.
Wir tragen Verantwortung für das, was in Berlin und Deutschland geschieht, Herr Lindner! Ich muss gestehen, ich erwarte von Marktradikalen wie Ihnen aus der FDP-Fraktion nicht, dass Sie diese simple Einsicht teilen, dass wir Teil dieser globalisierten Welt sind, obwohl Sie sonst immer von Wirtschaft reden. Ich glaube, das werden Sie nicht mehr verstehen, weil Sie einfach nur auf den Markt schauen und nie auf soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung. Das ist ziemlich traurig.
[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Niedergesäß (CDU): Kommen Sie doch mal zum Hochwasser!]
Wir leben in der Hauptstadt einer der reichsten Industrienationen. Es ist daher keine Frage, dass Berlin eine Vorbildfunktion zukommt. Auf diesem Weg ist Berlin bereits ein sehr gutes Stück vorangekommen. Senator Strieder hat es vor zwei Tagen in seiner Pressemitteilung ausführlich dargestellt und wird es sicherlich auch gleich in der Anfrage beantworten. Berlin kann sich mit diesen Ergebnissen national und international sehen lassen. Aber Umwelt- und Klimaschutz ist eine Aufgabe, die sich immer wieder neu stellt. Das gilt nicht nur für die öffentliche Hand, sondern genauso für die Privatwirtschaft und die privaten Haushalte, denn von uns trägt jeder seinen Teil an Verantwortung. [Beifall bei der SPD und der PDS]
Ein äußerst erfolgreiches Modell für öffentliche Einrichtungen sind die in Berlin maßgeblich entwickelten Energiesparpartnerschaften. Sie erlauben es auch bei knapper Haushaltslage, klima- und energiepolitische Ziele zu erreichen und Energiekosten zu senken. Das Prinzip ist so einfach wie wirkungsvoll: Ein privater Energiedienstleister, der so genannte Contractor, stellt Kapital und Know-how bereit. Mit dem Geld werden die maroden Wärme- und Energieanlagen öffentlicher Einrichtungen saniert,
z. B. ein neuer Heizkessel oder isolierte Rohre eingebaut. Die Anlagen kommen somit auf den neuesten Stand der Technik, verbrauchen weniger Energie und stoßen deutlich weniger Schadstoffe in die Luft aus. Und der geringere Verbrauch senkt auch deutlich die Energiekosten. Ein Teil dieser Einsparungen erhält das Land als garantierte Einsparsumme. Mit dem Rest finanziert der private Contractor seine Investitionen. In unserer Stadt sind mittlerweile für 320 Gebäude solche Energiesparpartnerschaften vereinbart. Die Landeskasse spart dadurch jährlich 1,7 Millionen $. Der Berliner Luft wird auch etwas erspart, nämlich 30 000 t CO2 durch diese Energiesparpartnerschaften. Kein Wunder, dass dieses Modell inzwischen von anderen Bundesländern übernommen wird und sogar von europäischen Staaten. Energiesparpartnerschaften sind eine echte Erfolgsstory made in Berlin, und dieser Senat wird diese Erfolgsstory fortschreiben. [Beifall bei der SPD und der PDS] Er wird sie mit großer Energie fortschreiben, daran werden wir ihn erinnern. Denn obwohl das Modell bereits 1996 gestartet wurde, sind bisher eben erst 320 Gebäude von insgesamt 6 000 öffentlichen Gebäuden in diesen Pools. Da können wir noch besser werden, und da werden wir auch besser. Umweltsenator Strieder ist der eine, der das fordert, aber auch Finanzsenator Sarrazin wird sich dafür sicherlich noch stärker ins Zeug legen. [Kittelmann (CDU): Auch der Regierende Bürgermeister soll das tun!] – Sicherlich auch Herr Wowereit! Ähnlich ist es übrigens mit dem Modell 50:50, neudeutsch fifty/fifty genannt, für die Berliner Schulen. Dort werden keine neuen Anlagen installiert, sondern allein durch Änderung von Nutzerverhalten wird der Wärme- und Energiebedarf um 5 bis 15 % gesenkt. Dazu arbeiten Schüler und Lehrer gemeinsam in Arbeitsgemeinschaften und Projekten, unterstützt durch die Experten vom UfU-Institut, und lernen, was Umweltschutz in der Praxis bedeutet. [Beifall bei der SPD] Von den eingesparten Energiekosten bekommt die Schule die eine Hälfte, die andere geht an das jeweilige Bezirksamt, eben fifty/fifty. [Cramer (Grüne): Die Schule muss sie aber auch kriegen!] – Ja, Herr Cramer, das kommt noch! – Schade nur, dass bisher erst ein Viertel der Berliner Schulen an diesem Modell teilnimmt. Und es ist auch kein Wunder, dass erst ein Viertel teilnimmt, denn einige Bezirke verweigern den Schulen ihren Anteil an diesen Einsparungen. [Zurufe von der CDU und den Grünen] Staatssekretärin Krautzberger hat es vor Kurzem ein „unmoralisches Verhalten der Bezirke“ genannt. Für mich ist das noch viel mehr: Es ist politischer Betrug. [Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen] Darum appelliere ich an dieser Stelle an die Verantwortlichen in den Bezirken, ihre vertraglichen Verpflichtungen – da werden echte Verträge, aber eben verwaltungsinterne Verträge geschlossen – einzuhalten und ihnen nachzukommen. [Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)] Und da es nur drei Bezirke bzw. Teilbezirke sind, will ich sie hier direkt nennen. Ihr Wilmersdorfer, Kreuzberger und Steglitzer Bezirksstadträte, gebt den Schülern und Lehrern endlich das, was ihnen vertraglich zusteht! [Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Niedergesäß (CDU): Reden Sie mal zum Hochwasser!] – Wir kommen auch noch zum Thema „Hochwasser“, keine Angst, Herr Niedergesäß! Dass sich konsequentes Umweltengagement auch für die öffentlichen Kassen lohnt, habe ich bereits dargestellt. Oftmals ist es viel einfacher, als man denkt, die Umwelt und gleichzeitig den Geldbeutel zu schonen. Nehmen wir diese beiden unschuldigen Papierblätter. Wer von Ihnen kann daran einen großen Unterschied erkennen? Sie sind qualitativ absolut gleichwertig.
Das eine ist Recyclingpapier, 100 % weiß, das andere Recyclingpapier, 80 % weiß, etwas, womit jeder leben kann, weil er den Unterschied fast nicht erkennen kann.
Viele Mitarbeiter der Verwaltung können da offensichtlich große Unterschiede erkennen, obwohl es Ausführungsvorschriften für die Verwaltung gibt, nur noch 80 % weißes Recyclingpapier zu erwerben. Denn der Unterschied – und da appelliere ich an Thilo Sarrazin, der gerade nicht am Platz ist – für das Land Berlin beträgt pro Jahr exakt 324 000 $ – jedes Jahr, nur weil einige Leute in den Verwaltungen meinen, sie brauchten schneeweißes anstatt zu 80 % weißes Papier. Dieser Zustand muss schnellstens geändert werden!
[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Niedergesäß (CDU): Frau Präsidentin, er soll zum Hochwasser reden, nicht über Papier!]
Von diesem kleinen Beispiel wieder zu den globalen Zusammenhängen, auch für Sie, Herr Niedergesäß, und den großen Fortschritten, die auf der Bundesebene und in Berlin gemacht wurden – von diesen Fortschritten auf Bundesebene profitiert Berlin ganz erheblich. Die Bundesregierung hat nämlich ihre Versprechen wahr gemacht, die Energiewende eingeleitet und damit auch die Weichen für einen besseren Klimaschutz gestellt, schon lange vor der aktuellen Flutkatastrophe, Herr Niedergesäß. Die Nutzung der erneuerbaren Energien aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse erlebt dank staatlicher Förderung einen echten Boom. Neue Industrien und Arbeitsplätze werden geschaffen. Die Hersteller von Windkraftanlagen, Biomassekraftwerken und Solarmodulen investieren Milliardenbeträge. Und es entstehen neue Arbeitsplätze, es wird noch laufend Personal eingestellt. In den letzten zwei Jahren hat sich die Zahl der Beschäftigten im Bereich der erneuerbaren Energien verdoppelt.
Inzwischen steht übrigens jedes zweite europäische Windrad in Deutschland, und das hat eine Menge mit Klimaschutz zu tun, und zwar auch dadurch – –
Herr Niedergesäß, auch dadurch werden CO2-Einsparungen möglich. Wenn man ein Windkraftrad laufen lässt, wird eben kein CO2 in die Luft geblasen. Aber kein CO2-Ausstoß ist kein Grund, wie die Herren von der FDP genauso wie leider von der CDU wohl meinen, man müsse auf Atomkraft setzen. Die einzige und wirklich d i e Energieform, die das höchste Gefährdungspotential hat, wo alle sagen, wo selbst die Atomindustrie sagt, sie hat sich überlebt, aber Sie wollen sie uns immer noch verkaufen. Wem eigentlich und warum, was für Interessen stecken bei Ihnen dahinter?
Die Windkraftleistung hat sich, wie gesagt, in Deutschland vervierfacht unter Rot-Grün und reicht inzwischen aus, dass wir zum Beispiel Berlin komplett mit Strom aus Windkraftanlagen versorgen könnten – und das sind genau die Relationen, die zählen. Wir haben da einen Weltmeistertitel, und ich hoffe sehr, dass wir diesen Weltmeistertitel im Gegensatz zu anderen aus dem sportlichen Bereich möglichst lange verteidigen werden können, dass wir die meisten Windkrafträder und die höchste installierte Leistung weltweit haben.
Mir gruselt bei der Vorstellung, dass diese unleugbaren Erfolge bei einem Wechsel zu Stoiber und Westerwelle schnell wieder zunichte gemacht werden.
Edmund Stoiber will uns weismachen, dass er schon immer der größte Ökologe von allen gewesen sei. Na gut, er musste es behaupten, er hat ja leider niemanden in seinem vermeintlichen Kompetenzteam für dieses Thema benannt. Von wegen Kompetenzteam – für mich sind das, wenn ich sie mir anschaue, alternde Wunderheiler und keine Politiker, die Zukunftsvisionen haben.
[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Oh! von der CDU – Trapp (CDU): Angst essen Seele auf!]
Die Union will eben den Atomausstieg wieder rückgängig machen, obwohl sonst niemand mehr auf diese gefährlichste Energieform setzt. Aber wer weiß, was uns Herr Stoiber morgen erzählen wird – nach seiner morgendlichen Tasse Weichspüler und seinem Stück Kreidefelsen, das er offensichtlich, seit er Kanzlerkandidat ist, jeden Morgen zu sich nimmt. Erst hü, dann hott, dann ja, dann nein – Sie kennen die Bereiche, ich muss sie gar nicht aufzählen,
wo er überhaupt erst ja, dann nein sagt und keine Leitlinie für eine nachhaltige Politik vorbringt. Denn täglich seine Meinung zu ändern, Herr Niedergesäß, ist eben keine nachhaltige Politik.
Wir brauchen weiterhin eine zukunftsfähige Politik, die das ökologisch Notwendige mit dem wirtschaftlich Machbaren verbindet. Dafür steht die SPD im Bund und in Berlin. – Vielen Dank!