Protokoll der Sitzung vom 26.09.2002

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen heute zum zweiten Mal über die Umsetzung der Haushaltssperre, so wie sie im Land Berlin erfolgt ist, diskutieren und können jetzt, nach eineinhalb Monaten Erfahrung, die Frage stellen, was die Haushaltssperre in dieser Form gebracht hat. Sie hat gebracht: über 2 500 Beförderungen, über 53 000 Aufträge für Beschaffungen, Gutachten und Dienstleistungen, und das alles ohne Ausnahmegenehmigung des Finanzsenators – der dieser Debatte nicht folgt. Ich gebe zu, das wäre ihm höchstwahrscheinlich so peinlich oder unangenehm, dass ich ein gewisses Verständnis dafür habe, dass er geht.–

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Und die Haushaltssperre hat dazu geführt, dass die Etatansätze der Hauptverwaltungen im Verhältnis zum Zeitablauf längst überschritten sind. Sie hat also, kurz gesagt, für die Haushaltskonsolidierung gar nichts gebracht. – Da ist der Finanzsenator! Also Sie ertragen es doch noch!

Wir haben Ihnen stattdessen einen Antrag vorgelegt, der Sie auffordert, die Haushaltssperre zu modifizieren und die Spielräume der Verwaltung zu reduzieren, indem Deckungsfähigkeiten eingeschränkt werden. Dann kommt man zu dem Ergebnis, dass immer dann, wenn in einem Haushaltstitel viel Geld übrig bleibt, dieses Geld auch abgeschöpft wird und es nicht mehr der Verwaltung überlassen bleibt, das Geld woanders einzusetzen.

Der Antrag sagt auch, dass wir endlich eine Beförderungssperre brauchen. Wer sich die Zahlen mit über 2 500 Beförderungen innerhalb von wenigen Tagen noch einmal in Erinnerung ruft, der weiß, wie notwendig das ist. Ich halte es für absurd, dass wir einerseits nicht dazu in der Lage sind, Auszubildende in die öffentliche Verwaltung zu übernehmen, andererseits aber im gehobenen und höheren Dienst in dreistelligen Zahlen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befördern.

Ich knüpfe noch einmal an den ersten Vorschlag an: Wir wollen außerdem gezielte Sperren verhängen. Wir haben gestern im Hauptausschuss über die Topographie des Terrors diskutiert. Wir bedauern es sehr, aber es ist absolut unvermeidlich: Bei

diesem Haushaltstitel werden in diesem Jahr knapp 3,3 Millionen $ übrig bleiben. Sie werden nicht ausgeschöpft werden, ein Problem der Bauabläufe. Nun wäre es in der angespannten finanziellen Situation des Landes eine einfache Variante, zu sagen, die 3,3 Millionen kassieren wir ein. Das passiert nicht, dieses Geld wird nicht gespart, sondern steht mit Zustimmung der Finanzverwaltung für Umschichtungen zu anderen Maßnahmen zur Verfügung. Das heißt aber auch: Überall bei den großen Projekten, überall da, wo die Verwaltung selbst betroffen ist, steht Geld für Umschichtungen zur Verfügung, und die Haushaltssperre greift nur bei den kleinteiligen Maßnahmen, nicht in der Verwaltung intern, sondern nur bei kleinen Projekten, kleinen Einrichtungen der Verwaltung, dort, wo soziale, kulturelle oder pädagogische Dienstleistungen erbracht werden. Sie führt aber nicht wirklich zu Einsparungen in der Verwaltung, sondern nur zu Mehraufwand, zu vielen Ausnahmeanträge, die größtenteils abgelehnt werden. Das ist ein völlig sinnloses Verfahren. Es bringt finanziell nichts, schafft Arbeit und Frust und zerstört viele ehrenamtliche Projekte und Initiativen.

Deswegen unser Antrag. Wir haben in der I. Lesung von Ihnen gehört, dass man darüber diskutieren und sich einzelne Titel ansehen müsse. Das hat im Hauptausschuss nicht stattgefunden. Stattdessen gab es eine globale Ablehnung. Man hat gesagt, die Haushaltssperre werde es schon bringen. Wir wissen mittlerweile, dass es nicht so ist. Wir wissen auch, dass Sie augenscheinlich vor der nächsten Steuerschätzung im November über Haushaltsfragen nicht mehr ernsthaft diskutieren wollen, dass auch dann erst die Entscheidung fallen soll, ob es einen Nachtragshaushalt für 2003 gibt. Sie verweigern sich also weiterhin einer titelscharfen, konkreten Konsolidierungspolitik und arbeiten weiter mit dem Rasenmäher. Das hatten wir anders erwartet. Aber nach einem halben oder dreiviertel Jahr rot-roter Koalition müssen wir einsehen, dass es weiter geht wie bisher.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Schruoffeneger! – Für die SPD spricht Frau Kollegin Spranger. – Bitte sehr!

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Angesichts der Tatsache, dass die überwiegende Mehrzahl der Bundesländer, nämlich genau 12, so wie das Land Berlin reagiert hat, nämlich genauso mit einer Haushaltssperre, muss ich wohl deren Notwendigkeit nicht noch einmal erklären. Ich habe es schon zigmal gesagt.

[Zuruf der Frau Abg. Paus (Grüne)]

Ich brauche auch meine grundsätzliche Argumentation zu beiden Anträgen in der I. Lesung – sowohl zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen als auch zum Antrag der FDP – nicht zu wiederholen. Den nächsten Satz aber muss ich wiederholen, weil gestern im Hauptausschuss gerade von der FDP-Fraktion explizit behauptet wurde, dass die Haushaltsansätze aus der Luft gegriffen wären und wir Schätzungen vorgenommen hätten. Das ist alles kompletter Unsinn! Ich betone: Die Haushaltssperre macht den beschlossenen Haushalt nicht zur Makulatur. Sie setzt ihn auch nicht außer Kraft, Herr Schruoffeneger. Wir haben unseren Antrag, dass wir monatlich eine Liste von Finanzen erhalten, aus der entnommen werden kann, wo die Projekte, wo die Schwerpunkte liegen, wo Entsperrung erfolgt ist, gestern im Hauptausschuss eingehend beraten. Das zeigt, dass wir auch während der Haushaltssperre durchaus Transparenz haben. Das wollten beide Regierungsfraktionen mit dem Antrag erreichen.

Wenn Bündnis 90/Die Grünen nun meinen, der Lage damit Herr zu werden, dass sie weitere Bereiche von der Sperre ausnehmen wollen, so muss ich Ihnen leider sagen – das habe ich schon beim letzten Mal gesagt, und bei dieser Meinung bleibe ich –, das das nicht sachgerecht ist. Die Rede von zielgenauem Handeln beim Sparen bedeutet im Klartext nichts anderes als dass weniger eingespart wird. Das können wir uns in der jetzigen Haushaltssituation nicht leisten.

Die FDP fordert einen Nachtragshaushalt für 2002, was jetzt nicht zu machen ist. Vielmehr sollten wir uns die Zahlen – das haben wir auch gestern im Hauptausschuss gesagt – für das kommende Jahr genau betrachten und hier gegebenenfalls ansetzen. Der Finanzsenator hat gestern im Hauptausschuss dargelegt, dass ausgehend von der Herbstschätzung – das haben Sie schon wiederholt, Herr Schruoffeneger – und der Datenlage der Transferleistungen der Bezirke – Herr Schruoffeneger hört gar nicht zu; aber das macht nichts. – es eventuell notwendig wird, einen Nachtragshaushalt zu beurteilen. Vorher sollten wir dies nicht tun. Zu diesem Zeitpunkt kann genauer eingeschätzt werden, wie sich die Solidarpaktgespräche entwickeln. Die gestrige Forderung der Opposition, jetzt schon ein einseitiges Szenario zu entwickeln und da eventuell – –

[Dr. Lindner (FDP): Was ist denn „jetzt schon“? Nach einem Dreivierteljahr?]

Entschuldigen Sie bitte, wir stehen aktuell in den Gesprächen mit den Gewerkschaften, und da werden wir einen Teufel tun und vom Finanzsenator oder seiner Senatsverwaltung fordern, dass sie uns ein einseitiges Szenario aufschreiben, das Sie dann in die Öffentlichkeit geben, genauso wie das das letzte Mal passiert ist, und dann versuchen, uns hier vorzuführen

[Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Lindner (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

und zu sagen: Wir greifen jetzt richtig kräftig rein. – Das müssen Sie uns schon zugestehen: Wir werden die Verhandlungen so führen, dass definitiv für das Jahr 2003 etwas herauskommt. Aber diese Verhandlungen werden wir jedenfalls abwarten.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Lindner?

Nein! Ich bin sowieso gleich fertig.

[Doering (PDS): Von Dr. Lindner, der ist ungefährlich!]

Wer ist ungefährlich? – Herr Lindner! Na gut, da haben Sie allerdings Recht.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Klar ist, dass wir das gesamte Jahr 2003 – –

[Ritzmann (FDP): Sie hatten doch gerade Ja gesagt!]

Dass er ungefährlich ist! – Herr Lindner, dann stellen Sie um Himmels Willen Ihre Zwischenfrage!

Bitte schön, Herr Lindner!

Finden Sie nach einem Dreivierteljahr erfolgloser Verhandlungen das Wort „jetzt schon“, wenn wir von einem Konzept sprechen, wirklich passend?

[Heiterkeit bei der SPD – Zuruf: Ja!]

[Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der PDS]

So kurz musste ich noch nie antworten. Wenn das immer so ist, Herr Lindner, dann werde ich künftig zulassen, dass Sie Fragen stellen.

[Doering (PDS): Das habe ich doch gesagt: Der ist ungefährlich! – Dr. Lindner (FDP): Präzise Frage, präzise Antwort!]

Richtig! – Klar ist, dass wir das gesamte Jahr 2003 nicht mit der Haushaltssperre weiter machen können,

[Wieland (Grüne): Das sehen wir auch so! – Beifall bei der FDP und den Grünen]

Wir werden – das haben wir gestern im Hauptausschuss schon gesagt, das ist nichts Neues – uns die Zahlen anschauen müssen. Aber warten Sie ab, bis wir die Steuerschätzung haben. Dann kann man da auch realistisch herangehen. – Herzlichen Dank!

Vielen Dank, Frau Spranger! – Für die Union hat Herr Kollege Zimmer das Wort.

[Over (PDS): Der hat schon!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So langsam schwebt das Pult hinauf.

[Brauer (PDS): Das war neu! – und Beifall des Abg. Brauer (PDS)]

Ja! Ich dachte mir, das ist mal etwas Anderes, um die Rede einzuleiten, weil das so ein bisschen die Stimmung auflockert. Es freut mich, dass es bei Ihnen die Wirkung erzeugt hat, die ich erhofft habe, Herr Brauer, vielleicht klatschen Sie am Ende auch.

[Over (PDS): Kommt darauf an, was Sie sagen!]

Meine Damen und Herren! Man könnte manchmal den Eindruck haben, dass die beiden Regierungsfraktionen in einem Paralleluniversum leben und irgendwie ein verzögertes Zeitempfinden haben. Die Zwischenfrage des Kollegen Dr. Lindner war ja völlig gerechtfertigt. Wenn die Solidarpaktverhandlungen nun möglicherweise irgendwann mal zu einem Abschluss kommen sollten, weil die Bundestagswahl vorbei ist, dann ist die Vorstellung, ein Alternativszenario zu entwickeln, von einer erschreckenden Schnelligkeit. Das gebe ich zu. Das ist ja auch so völlig neu, weil das auch keiner im Vorfeld gefordert hat, was aber nicht unvernünftig gewesen wäre. Denn wer verhandelt, muss auch damit rechnen, dass er das Verhandlungsziel nicht erreicht, und dann muss er wissen, was er in der Alternative macht. Es wäre schön gewesen, wenn wir auch dort Sicherheit gehabt hätten, dass es eine solche Alternative gibt. Ich bin ja jemand, der Optimist ist und immer hoffnungsfroh, habe allerdings in der Vergangenheit die Erfahrung machen müssen, dass mein Optimismus und mein Glaube in die Fähigkeit, tragfähige Alternativen und Konzepte zu entwickeln, nicht immer von diesem Senat erfüllt worden ist. Insofern sehen Sie mir nach, dass ich auch an dieser Stelle etwas skeptisch bin.

Aber eines muss ich sagen, Frau Spranger: Nun zu sagen, wir werden gar kein Konzept vorlegen, weil sonst die böse Opposition kommt und das in die Öffentlichkeit gibt,

[Dr. Flemming (SPD): Das macht sie ja!]

so wie das mit Herrn Sarrazins Sparliste passiert ist, da verwechseln Sie ein bisschen was. Zum Einen ist es ja so, dass ich jedenfalls sagen kann, ich kenne niemanden aus der Opposition, der diese Sparliste an die Presse gegeben hat. Ich nehme sehr stark an, dass das eher ein Akt der Verzweiflung von Herrn Sarrazin war. [Beifall bei der FDP – Beifall der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]