Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

das sind sie nämlich –

den Wählern, in genügender Verbindung zu bleiben. Dazu gehören eben regionale Körperschaften. Bezirksversammlungen sind nach meiner Überzeugung absolut unentbehrlich.

Er sagt dann aber auch:

Der augenblickliche unbefriedigende Geisteszustand mancher Bezirksversammlungen darf darüber nicht hinwegtäuschen.

Das muss man auch deutlich sagen: Es muss auch in den Bezirken endlich gelernt werden, dass wir nicht nur von dezentraler Fach- und Ressourcenverantwortung reden, sondern diese auch in den Verwaltungen – das gilt auch für Hauptverwaltungen – endlich wahrgenommen und damit Ernst gemacht wird.

Es muss nicht sein, dass bis in die hohe Politik hinein über jede Parkbank, über jedes Werbeschild oder anderes gesprochen wird.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Wir müssen uns an dieser Stelle einmal selbst in die Pflicht nehmen, die von uns beschlossenen Bestimmungen auch umzusetzen. Das ist notwendig, damit eine Verwaltung auch die Kräfte entfalten kann, um vernünftige Entscheidungen fällen zu können.

Dies ist leider nicht immer in allen Verwaltungen der Fall. Beispiele lassen sich von jedem von uns aufzählen. Beispielsweise betrifft dies Investitionsvorhaben, die an Bezirken durch entsprechendes Verhalten gescheitert sind. Gleichzeitig müssen wir aber auch deutlich machen, dass es Bezirke gibt, die hervorragend Investitionsentscheidungen gehändelt haben. Es gibt Bezirke, die es geschafft haben, große Bauvorhaben mit Bebauungsplan und Planreife in einem Dreivierteljahr durchzuziehen. Auch das ist möglich. Manchmal haben so etwas nicht einmal Senatsverwaltungen mit auf die Bank gebracht.

Wir brauchen mehr Möglichkeiten in dieser Stadt, dass die Bezirke ihre vorhandenen Kräfte erkennen, ihre Verantwortungen auch wirklich wahrnehmen und dann entsprechend die Möglichkeit haben zu entscheiden. Die Koalition will hierzu den Bezirken die Möglichkeit geben. Sie haben hier schon gesagt, dass Sie das auch wollen, liebe Kollegen von der CDU. Dann machen Sie es auch. Wir werden Sie an einzelne Entscheidungen erinnern, wenn es darum geht, mehr Rechte in die Bezirke zu geben. Die Kollegen von der FDP werden ohnehin eher der Meinung sein, dass dies alles abgeschafft werden soll. Deshalb werden wir insbesondere darauf achten, wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU, künftig entscheiden. Sie reden einmal so und einmal so, je nachdem, welcher Tagesordnungspunkt gerade aufgerufen ist. Das werden wir Ihnen an dieser Stelle nicht durchlassen!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Ritzmann. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist schon ein interessanter Beitrag gewesen, Herr Schimmler! Sie zwingen diesem Haus per Mehrheit eine Debatte auf,

[Beifall bei der SPD]

die weder aktuell im eigentlichen Sinn ist noch berücksichtigt, dass einer Hauptakteure, der Regierender Bürgermeister, nicht anwesend ist. Zudem beschweren sie sich, dass wir schon wieder darüber reden, und verhindern dadurch, dass die Öffentlichkeit über wirklich dringende Themen informiert wird.

Das ist ein starkes Stück und symptomatisch. Dies war in der letzten Sitzung auch schon so. Es gab erst ein einziges Mal eine Sitzung, in der es übergreifenden Konsens zu einem wirklich aktuellen Thema gab, über das gesprochen werden sollte. Aber dass derjenige, der Vertreter der Mehrheit, der für das Thema verantwortlich ist, sagt, es sei schade, darüber zu sprechen, ist wirklich bedauerlich!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Jetzt komme ich zum Thema: Einer der größten Strukturmängel Berlins liegt im Auseinanderfallen von Aufgabenwahrnehmung, Entscheidungskompetenz, Verantwortung zwischen den Senatsverwaltungen und den Bezirken. Das ist die Erkenntnis des Abschlussberichts der Expertenkommission Staatsaufgabenkritik. Was haben wir im Moment? – Wir haben eine aufgeregte emotionale Debatte. Es reden Bezirks- gegen Landespolitiker, zum Teil auch untereinander, die sich gegenseitig die Notwendigkeit der Existenz absprechen, und wir haben gekränkte Eitelkeiten.

Wir haben aber eigentlich eine Debatte nötig, die sich im Kern damit befasst, dass die Situation in Berlin zum Nutzen der Berliner verbessert wird. Darum geht es. Deshalb muss man zuerst über die Ziele sprechen. Die Ziele sind, die Leistungen für die Bürger durch Verwaltungsvereinfachung und Deregulierung auf der einen Seite zu verbessern. Auf der anderen Seite geht es darum, die Kosten auf Grund der katastrophalen Haushaltslage zu senken. Zur Erinnerung möchte ich darauf hinweisen, dass das Land Berlin fast sämtliche Steuereinnahmen, die es selbst erwirtschaftet, für die eigenen Personalkosten ausgibt. Wir haben eine immense Staatsverschuldung, 46 Milliarden €. Das ist das fahrlässige Verspielen der Chancen zukünftiger Generationen.

Wir haben trotz des Gemauschels und Geschiebes, das hier jährlich stattfindet, ein strukturelles Defizit von jährlich 2,3 Milliarden €. Am Ende unserer Haushaltswirtschaft mit den Zuweisungen von Bund, Ländern und Krediten haben wir im Vergleich in Deutschland die höchsten Einnahmen pro Einwohner und die höchsten Ausgaben. Dies ist eine katastrophale Situation. Deshalb ist es auch unverantwortlich und ein Beitrag zur Wirklichkeitsverweigerung, wenn man betriebsbedingte Kündigungen kategorisch ausschließt, wenn man sich gegen die Flexibilisierung bei der Beamtenvergütung einsetzt und wenn man auch gegen die Modernisierung des Personalvertretungsrechts redet. Wer so auftritt, handelt unverantwortlich und ist unglaubwürdig.

[Beifall bei der FDP]

Der Personalabbau und der Abbau von Ausstattungsvorsprüngen im öffentlichen Dienst sind drin

gend notwendig. Auf der anderen Seite muss es einen Einstellungskorridor geben. Das ist mehr oder weniger Konsens hier im Haus. Wir brauchen die jungen, motivierten Beschäftigten, um gerade die Verwaltung zu modernisieren. Das sind aber zwei Seiten einer Medaille. Für diesen Personalabbau brauchen wir die Staatsaufgabenkritik in den groben Segmenten staatliche Kernaufgaben – das muss der Staat selbst machen; dafür braucht er eigene Beschäftigte –; dann gibt es den Gewährleistungsbereich – der Staat gewährleistet über Verträge, dass eine Leistung erbracht wird, die er aber nicht selbst erbringen muss. Das könnten beispielsweise private Unternehmen sein. Es gibt natürlich auch Aufgaben, die der Staat überhaupt nicht erbringen muss.

Unser Fraktionsvorsitzender Dr. Martin Lindner hat vorhin das Beispiel der Telekom angeführt. Vor 20 Jahren gab es die Debatte dazu. Damals wurde das als staatliche Kernaufgabe definiert. Heute würde kaum noch jemand im Haus diese Position vertreten. So müssen wir herangehen. Wir müssen uns von Aufgaben trennen. Dann können wir das Personal auch drastisch reduzieren.

[Beifall bei der FDP]

Was nicht geht , ist die drastische Personalreduzierung ohne Aufgabenabbau. Das führt zu Frustration und zu Demotivation sowie zu Leistungsverschlechterung. Es müssen Aufgaben abgegeben, Unternehmensbeteiligungen veräußert, Unternehmen in den Wettbewerb entlassen werden, um Mittel für das, was Berlin zum großen Teil ausmacht, freizuschaufeln. Das sind die Bereiche Bildung, Wissenschaft, Kultur und innere Sicherheit. Sie müssen Priorität bekommen. Hier brauchen wir mehr Spielraum. Deswegen sind diese Maßnahmen notwendig. Ich habe es auch bereits angedeutet, dass die Chancen zukünftiger Generationen nicht verspielt werden dürfen. Das ist ein wichtiger Auftrag, den wir in diesem Haus haben.

[Beifall bei der FDP]

Nun komme ich zu dem konkreten Bereich der Bezirke. Die Prämisse muss die Einheitsgemeinde Berlin sein. Die wird hier wohl nicht in Frage gestellt. Wir wollen keinen Verbund von Kommunen mit einem dünnen Dach. Vielmehr soll die Einheitsgemeinde Berlin bestehen bleiben. Der Grundsatz der Subsidiarität ist entscheidend. Alles, was einen örtlichen, einen bezirklichen Bezug hat, sollte im Bezirk auch zuständig mit der entsprechenden politischen und finanziellen Verantwortung sowie Ausstattung geregelt werden. Auf der anderen Seite sollte alles, was keinen Sinnzusammenhang und notwendigen Bezug zum Ort, zum Bezirk hat, von der Hauptverwaltung, der Landesebene geregelt werden. Das muss natürlich diskutiert werden. Das ist das Prinzip

der Subsidiarität. Das muss als große Leitlinie herhalten. Wir brauchen also eine klare Definition, ein Abgrenzung der Aufgaben und Kompetenzen beispielsweise bei den sozialen Diensten, im Denkmalschutz, im Baubereich, bei den Bibliotheken, bei der Gesundheitsüberwachung, bei der Wirtschaftsförderung. Das lässt sich letztendlich in jeden Bereich fortführen. Wir brauchen eine kritische Überprüfung.

Woran soll sich das orientieren? – Es soll sich an den Bedürfnissen der Bürger orientieren und nicht an den Bedürfnissen von Bezirks- oder Landespolitikern. Das muss man noch einmal klar herausstellen. Ein Punkt wurde hier noch gar nicht aufgeführt: Es muss mehr Demokratie in den Bezirken gewagt werden. Wir wollen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in den Bezirken mit überwindbaren Hürden für Menschen vor Ort, die sich im Kiez engagieren wollen. Darin besteht dringender Nachholbedarf. Darüber müssen wir uns hier im Haus auch noch unterhalten und versuchen, zu anständigen Lösungen zu kommen. Bisher hat kein Redner dazu ein Wort gesagt,

[Krüger (PDS): Doch, Herr Dr. Zotl!]

Herr Dr. Zotl? – Dann ist es gut, dass Sie etwas dazu gesagt haben. Was das im Einzelnen war, habe ich leider nicht verstanden.

Dann kommen wir zu einem weiteren wichtigen Punkt, der Länderfusion Berlin-Brandenburg. Sie wird kommen, wann, wissen wir noch nicht genau. Hier in Berlin wollen wir sie zügig haben, deswegen muss jede Strukturreform so gestaltet sein, dass sie sich in einem Berlin-Brandenburg-Land anpassen kann. Nicht, dass wir ein Modell entwickeln, fortführen und dann feststellen: Ups, das passt gar nicht zu den Brandenburgern! – Das muss zwingend mit einfließen.

Unter anderem müssen folgende Fragen geklärt werden: Wie können eine sachgerechte Aufgabenverteilung, die dezentrale Aufgabenwahrnehmung, politische Verantwortung und Finanzhoheit miteinander in Deckung gebracht werden? Wie kann die fachliche und politische Kommunikation zwischen den Bezirken und der Hauptverwaltung verbessert werden? Und wie kann erreicht werden, dass die Bezirke mehr Anreize erhalten, wirtschaftliches Verwaltungshandeln zu zeigen und aktive Unterstützung bei gesamtstädtischen Ansiedlungs- und Infrastrukturprojekten zu gewährleisten?

Wir fordern die Beteiligten auf, das erregte Gegacker einzustellen und endlich in die Produktion zu gehen. Berlin muss saniert werden.

[Beifall bei der FDP]

Danke schön! – Und nun spricht für die Fraktion der Grünen der Abgeordnete Wieland!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Geschätzte Herren Schimmler und Dr. Zotl! Es ist mir auch nach dem Hören Ihrer Redebeiträge nicht klargeworden, warum dieses Thema heute aktuell sein soll. Anscheinend geht es auch einigen auf den Senatsbänken so – sie fehlen. Es gab eigentlich nur einen Grund für dieses Thema, und Sie haben nur sehr dezent den Mut dazu gehabt, das zu sagen, Herr Dr. Zotl: Sie wollen den Regierenden Bürgermeister öffentlich zurückpfeifen.

[Dr. Lindner (FDP): Sehr richtig!]

Aber er ist heute gar nicht da; er hört das gar nicht. Er ist, wie der „Tagesspiegel“ titelte, „unser Mann in Hollywood“. Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Natürlich muss ein so runder Geburtstag wie der fünfunddreißigjährige einer Städtepartnerschaft gebührend gefeiert werden, zumal vom Ehrenmitglied des Quatsch Comedy Clubs. Das ist für uns nicht die Kritik. Wir wollen nicht so miesmacherisch sein, zumal dann Max Raabe – er ist auch mit dahin geflogen – an Stelle von: „Das tut der Dolly gut“ singen kann: „Das tut dem Wowi gut in Hollywood“.

[Heiterkeit bei der FDP – Abg. Dr. Lindner (FDP) meldet sich zu einer Zwi- schenfrage]

Das gönnen wir ihm.

Wir fragen aber: Welche Rolle spielt er ansonsten? Welche Rolle spielt er vor dem Hintergrund der Haushaltskatastrophe dieser Stadt, auch vor dem Hintergrund der Haushaltskrise im Bund, angesichts des Scheiterns des Solidarpakts? – Da changiert er zwischen Champagnerlaune und zwischen Äußerungen „aus dem Bauch heraus“, wie: „Weg mit dem ganzen öffentlichen Dienst!“, wie: „Weg mit den Bezirken!“ – und will dabei noch ernst genommen werden. Das ist ein ganz trauriges Versagen des obersten Amtsinhabers in dieser Stadt.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lindner?

Wer wäre ich denn, wenn ich das nicht täte? – Bitte schön, Herr Dr. Lindner!

Bitte schön, Herr Lindner!

Herr Kollege Wieland! Wollen Sie dem Regierenden Bürgermeister nicht zu Gute halten, dass er sich in Los Angeles wahrscheinlich über die Grundstrukturen dezentraler Stadtverwaltung informiert und nicht nur in Hollywood herumtingelt?

Wir werden sehen, was diese Reise erbringt, geschätzter Herr Lindner. Von den bisherigen Reisen des Regierenden Bürgermeisters, sei es nach Australien, sei es nach China, konnte ich nicht behaupten, dass direkte Ergebnisse abzufragen gewesen seien. Aber aller guten Dinge sind drei: Er hat mit Thomas Gottschalk einen ganzen Tag verbracht.

[Hey! von der FDP]

Vielleicht gibt es Erkenntnisgewinn.