Protokoll der Sitzung vom 28.11.2002

Herr Senator Strieder!

Herr Abgeordneter! Ich hatte das schon gesagt: 26 % Steigerung bei den Schülerkarten. Das ist doch ein deutlicher Ausweis dafür, dass es einen Zuwachs an Menschen gibt, die regelmäßig mit der BVG fahren. Gerade dass junge Menschen sich frühzeitig daran gewöhnen, sich mit Bussen und Bahnen durch die Stadt zu bewegen, halte ich für nicht nur erstrebenswert, sondern in diesem Fall auch für gelungen. Ansonsten haben BVG und S-Bahn zusammen seit dem Jahr 2000 17 Millionen zusätzliche Fahrgäste. Auch das ist ein Erfolg, den Sie nicht klein reden sollten.

Jetzt ist Herr Kollege Cramer mit einer Nachfrage dran – bitte schön, Herr Cramer!

Herr Senator Strieder! Die Tatsache, dass 360 000 Schüler eine Monatskarte kaufen, bedeutet, dass nur 36 000 Schüler im Jahr mit der BVG oder der SBahn fahren. Das sind 10 % aller Schülerinnen und Schüler. Wenn Sie das vergleichen mit 100 % aller Studentinnen und Studenten ist diese Zahl nicht akzeptabel.

[Gaebler (SPD): Wo bleibt die Zwischenfrage?]

Sie wissen, dass die BVG die Fahrpreise für die Schüler erhöhen will.

Herr Cramer – –

Deshalb frage ich, Herr Präsident:

Das wird auch Zeit!

Halten Sie es nicht auch angesichts der Tatsache, dass Herr Senator a. D. Lummer weniger für die Monatskarte bezahlen muss als ein siebenjähriger Schüler oder eine siebzehnjährige Schülerin, für geboten, die Preise der Schülertickets drastisch zu senken, damit mehr als 10 % unserer Berliner Schülerinnen und Schüler mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Schule fahren?

[Zuruf von der CDU: Lummer fährt Golf! – Wieland (Grüne): Der hat den Idiotentest bestanden und den Führerschein wiederbekommen!]

Herr Senator Strieder – bitte!

Ich kann nicht beurteilen, ob der Umstand, dass Herr Senator a. D. Lummer ein Studententicket hat, der Verkehrssicherheit in Berlin dient.

[Beifall und Heiterkeit bei der SPD und der PDS]

Ansonsten, Herr Cramer, haben Sie mich missverstanden. Es sind 357 000 Tickets mehr verkauft worden. Rund 44 % aller Schülerinnen und Schüler haben jetzt in Berlin das Schülerticket und die Geschwisterkarte. Dabei muss

man wissen, dass 46 % aller Schülerinnen und Schüler Grundschüler sind. Hier haben wir natürlich einen geringeren Ausstattungsgrad, da wir ja die Schuleinzugsbereiche so organisieren, dass man das am Besten zu Fuß erreichen kann, gegebenenfalls auch mit dem Fahrrad. Wir müssen natürlich auch kalkulieren, dass wir einen kontinuierlichen Rückgang an Schülerinnen und Schülern haben werden – rund 3 % pro Jahr. Mit 44 % ist der Ausstattungsgrad für die Schülerinnen und Schüler noch nicht ausgereizt, das lässt sich aber nur noch in kleinen Schritten und geringfügig steigern. Dass man für alle Schüler ein zwangsverpflichtendes Schülerticket wie das Studierendenticket einführt, halte ich für ausgesprochen problematisch, weil die Kinder und Jugendlichen mindestens im Bereich bis zur Sekundarstufe 1 in der Regel entweder zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren. Sie wohnen näher an den Schulen als die Studierenden an den Universitäten. Deswegen sind das unterschiedliche Lebenssachverhalte. Gerade die Politik muss darauf aufpassen, dass sie unterschiedliche Lebenssachverhalte auch unterschiedlich beurteilt.

Danke, Herr Senator! – Kollege Gaebler hat eine Nachfrage und dazu das Wort.

Herr Senator Strieder! Kollege Kaczmarek versteift sich sehr auf die Neukunden. Nun sind Tarifmaßnahmen auch dazu da, bestehende Kunden zu halten.

[Wieland (Grüne): Auch hier eine Frage, bitte!]

Haben Sie einen Überblick, inwieweit diese Maßnahmen auch Angebote für Kunden sind, die bei der BVG oder der S-Bahn bleiben und nicht abwandern?

Herr Senator Strieder, bitte!

Herr Abgeordneter! Ich kann Ihnen das jetzt nicht in Prozentzahlen oder absoluten Zahlen beantworten. Aber es liegt doch auf der Hand, dass attraktive Angebote dazu beitragen, dass Busse und Bahnen zusätzlich genutzt werden. Wenn 17 Millionen zusätzliche Fahrgäste dieses Angebot nutzen, kann die Politik nicht so verkehrt gewesen sein. In den Jahren vorher gab es solche Steigerungen jedenfalls nicht. Insofern ist das für mich ein Beleg dafür, dass die innovative Tarifpolitik, die wir seit dem Jahr 2000 betreiben, bei den Kunden von BVG und S-Bahn ankommt.

Danke schön, Herr Senator!

Dann rufe ich auf die Mündliche Anfrage Nr. 3 des Abgeordneten Hoff von der Fraktion der PDS über

"Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" – Hartz-Gesetze – im Bundesrat

Bitte schön, Herr Hoff!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:

1. Welche Position hat das Land Berlin, vertreten durch den Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen Harald Wolf (PDS), in den Ausschüssen für Wirtschaft sowie für Arbeit und Soziales des Bundesrates zu den „Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ vertreten?

2. Wie werden sich diese Positionen im Vermittlungsausschussverfahren niederschlagen?

[Czaja (CDU): Ein bisschen mehr Freundlichkeit bei diesen Fragen!]

Für den Senat beantwortet Herr Senator Wolf. – Bitte schön, Herr Senator, Sie haben das Wort.

Herr Abgeordneter Hoff! In den Beratungen der Bundesratsausschüsse für Wirtschaft und für Arbeit und Soziales bin ich dafür eingetreten, dass es zu einer Anrufung des Vermittlungsausschusses mit der Zielsetzung kommt, Nachbesserung in Einzelpunkten zu erreichen. Das hat sich gleichzeitig unterschieden von der Position, die die CDU-geführten Länderregierungen eingenommen haben, die eine generelle Überarbeitung des Gesetzes wollten. Das ist eine Position, die ich nicht teile.

Zu den Anrufungspunkten im Einzelnen: Es ist zum einen die vorgesehene Kürzung von Leistungen beim Arbeitslosengeld, bei der Arbeitslosenhilfe und beim Unterhaltsgeld. Ich halte das für keine weiterführende Maßnahme und vor allem auch für einen Bruch mit dem sozialstaatlichen Prinzip, dass die Entwicklung von Löhnen und von Lohnersatzleistungen in einem Zusammenhang stehen müssen. Zum anderen ist zu befürchten, dass durch diese Maßnahme Mehrausgaben bei der Sozialhilfe entstehen und damit die Belastung der kommunalen Haushalte verstärkt wird. Gleichzeitig ist dies kein guter Auftakt für die notwendige Diskussion über die Reform der Arbeitslosenunterstützung – Stichwort: Einführung Arbeitslosengeld 2 – und die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, wie sie auch im HartzKonzept vorgesehen ist.

Ein zweiter wichtiger Punkt, der thematisiert worden ist, war die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen. Da bin ich mit den ostdeutschen Arbeitsministern gleich welcher parteipolitischen Couleur einig, dass das Erfordernis des ostdeutschen und des Berliner Arbeitsmarktes nicht die Erhöhung der Mobilität ist – die ist schon ausgesprochen hoch –, sondern dass eher die Gefahr besteht, dass wir auf Grund der demographischen Entwicklung und der hohen Abwanderung aus dem ostdeutschen Raum in wenigen Jahren einen Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt zu beklagen haben und daraus ein wirtschaftspolitisches Problem entsteht.

Der dritte große Punkt bezog sich auf das Thema der Anhebung der Geringfügigkeitsgrenzen und der steuerlichen Absetzbarkeit bei Beschäftigungen im Privathaushalt. Das ist ein großes Thema. Ich halte die hier vor

geschlagenen Regelungen für nicht zureichend und in Teilen für kontraproduktiv. Von Seiten der Handwerkskammern wird z. B. nicht zu Unrecht geäußert, dass es sich hierbei um eine Legalisierung von Schwarzarbeit handelt. Letztendlich besteht aus meiner Sicht der Grundfehler darin, dass die privaten Haushalte in ihrer Arbeitgeberfunktion gestärkt werden und gleichzeitig eine Vielzahl von prekären, wenig gesicherten Beschäftigungsverhältnissen entsteht, vor allem auch für Frauen. Insofern habe ich auch unter frauenpolitischen Gesichtspunkten erhebliche Bedenken gegen diese Regelung.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Ich habe vorgeschlagen, dass es notwendig ist, hier die privaten Haushalte in ihrer Funktion als Käufer von Dienstleistungen zu stärken und hierfür steuerliche Absetzmöglichkeiten zu finden. Das würde die Möglichkeit schaffen, dass reguläre Beschäftigungsverhältnisse in Dienstleistungsagenturen oder -unternehmen entstehen können. Übrigens nicht nur für die klassischen, immer wieder in der Diskussion genannten Tätigkeiten wie Putzen und Reinigungstätigkeiten, sondern auch für Handwerkstätigkeiten, wo auch eine erhebliche Schwarzarbeit besteht, wäre das ein wichtiger Punkt. Im Übrigen ist bei diesem Thema auch in der Diskussion der Arbeits- und Sozialminister zusammen mit dem Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement deutlich geworden, dass es durchaus Interesse gibt, in dieser Frage noch Bewegung im Vermittlungsprozess zu zeigen.

Der Antrag von Berlin und bei der Arbeits- und Sozialministerkonferenz auch von Mecklenburg-Vorpommern auf konkrete Anrufungsgründe ist in den Ausschüssen abgelehnt worden. Insofern steht er im Bundesrat in der morgigen Sitzung nicht zur Abstimmung, sondern es steht zur Abstimmung der Antrag der B-Länder, der CDUgeführten Länder, auf eine generelle Überarbeitung des Gesetzes. Diesem Antrag wird das Land Berlin nicht folgen.

[Wieland (Grüne): Wie wird es denn abstimmen?]

Zu Ihrer zweiten Frage: Die Position, die das Land Berlin im Vermittlungsverfahren einnimmt – das wahrscheinlich auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zu Stande kommt –, wird der Senat dann beschließen und festlegen, wenn das Vermittlungsverfahren beschlossen ist, und nicht vorher.

Danke schön! – Eine Nachfrage des Kollegen Hoff! – Bitte!

Ich frage Sie, Herr Senator Wolf, nach dem Zeitplan. Es wird also ein Vermittlungsverfahren geben, und der Bundestag hat die Möglichkeit, bei bestimmten Teilen der Gesetze den Einspruch des Bundesrates mit Mehrheit zu überstimmen. Ich frage Sie nach dem Zeitplan, bis wann die einzelnen Punkte der hier in Rede stehenden Gesetze in den Ländern Rechtswirkung erlangen.

Herr Senator Wolf, bitte!

Herr Abgeordneter! Ich gehe davon aus, dass mit der Mehrheit des Bundestages das Begehren des Bundesrates, wenn er es denn so beschließt, zurückgewiesen wird und dass der Zeitplan nach meiner Kenntnis so sein wird, dass zum 31. Januar 2003 dieses Gesetz beschlossen sein kann. Für das zweite Gesetz erwarte ich ein Vermittlungsverfahren, und da muss man sehen, wie schnell sich hier Bewegung im Vermittlungsverfahren ergibt.

Eine weitere Nachfrage des Kollegen Hoff. – Bitte!

Herr Senator Wolf! Könnten Sie noch einmal deutlich machen, ob es, selbst wenn sich die Positionen des Landes, wie Sie dargestellt haben, im Vermittlungsverfahren nicht niederschlagen, einen landespolitischen Spielraum gibt, zumindest Akzente der in den genannten Ausschüssen durch das Land Berlin vertretenen Positionen durch den landespolitischen Spielraum hier in Berlin umzusetzen. Können Sie etwas zur finanziellen Umsetzung der Gesetzesvorhaben sagen, sofern dies heute schon prospektiv abschätzbar ist?

Herr Senator Wolf!

Herr Abgeordneter! Erstens, was die Frage der Spielräume im Vermittlungsverfahren angeht: Das Land Berlin ist im Vermittlungsausschuss vertreten und wird insofern in die Diskussion und die Kompromissbildung eingreifen. Insofern gehe ich davon aus, dass unabhängig von der Frage, ob der Antrag Berlins in den Ausschüssen Gegenstand der Befassung im Bundesrat ist oder nicht, hier auch Positionen des Landes Berlin vertreten werden können. Es gibt eine Reihe von Positionen, wo ich feststellen konnte, dass sie zumindest bei den Arbeits- und Sozialministern und teilweise auch bei den Wirtschaftsministern sowie zwischen den A- und B-Ländern verhandlungsfähig sind. Deshalb erwarte ich, dass in dem Vermittlungsverfahren selbst noch Bewegung sein wird – in welche Richtung im Einzelnen, muss man sehen.

Insofern stellt sich auch die Frage, was man in Berlin vorzeitig umsetzen kann oder welche Spielräume man nutzen kann, erst nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens. Ansonsten ist es klar, dass Themen wie Personalserviceagenturen bereits jetzt vom Landesarbeitsamt angegangen werden, und das wird auch vom Land Berlin unterstützt. Auch die Themen Jobcenter und Zusammenlegung der Leistungen von Arbeitsamt und Sozialamt können eigenständig aufgegriffen werden. Da gibt es auch schon die entsprechenden Modellversuche im Land Berlin, und die werden weiter vorangetrieben werden, unabhängig von der Beratung im Vermittlungsausschuss im Bundesrat und im Bundestag.

Danke, Herr Senator! Frau Dr. Klotz hat eine Nachfrage. – Bitte schön!