Protokoll der Sitzung vom 20.02.2003

Letzterer liegt in der Fassung des Ersetzungsantrags der CDU mit der Drucksachennummer 15/1366-1 vor.

Den Fraktionen steht eine Redezeit von fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die FDP-Fraktion. Herr Dr. Lindner hat das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für Frieden sind wir alle. Das verbindet uns. Das sollte man jederzeit betonen.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Das Perfideste war, dass wir erleben mussten, dass ein deutscher Bundeskanzler in einem Landtagswahlkampf in einer rauchigen Atmosphäre in Goslar Deutschlands Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat festgelegt hat, ohne die Fakten zu kennen. Das ist beispiellos. Das hat es seit 50 Jahren nicht mehr gegeben. Dafür verdient er absolute Verachtung. Meine hat er jedenfalls dafür.

Bei diesen Demonstrationen, auch das ist klar, geht es vielen Menschen berechtigt um Frieden,

Da haben wir unsere Lektion gelernt. Wir leben in Deutschland, in Berlin. Wir leben im „alten Europa“. Und hier leben genug Menschen, die Kriege, vor allem den letzten Krieg, erlebt haben. Deswegen ist es ein völlig berechtigtes, nachvollziehbares, vernünftiges und von uns allen geteiltes Verlangen, dass sich in Deutschland die Menschen für Frieden einsetzen und für Frieden auf die Straße gehen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Es gibt aber bei dem Thema, wie mit dem Irak umzugehen ist, wie dieses Thema zu handhaben ist, viele Fragen, die wir nicht im Abgeordnetenhaus lösen können. Ich nenne nur ein paar: Wer trägt die Beweislast für das Vorhandensein oder für die Vernichtung von Massenvernichtungswaffen? Wie viel Zeit brauchen die Inspektoren noch? Übrigens, sind sie nicht erst auf Grund der Drohung mit Krieg überhaupt ins Land gelassen worden? Wann läuft die Zeit für Saddam Hussein und eine friedliche Lösung ab? – Auch hier gibt es Lehren aus der deutschen Geschichte. Wir hatten einmal eine Zeit, da waren sehr friedliche Länder um uns, und die haben vielleicht den richtigen Zeitpunkt verpasst, den Diktator Hitler zu stellen. Das hat auch Joschka Fischer auf der Sicherheitskonferenz in München thematisiert, dass man es heute durchaus bedauern müsse, dass im Kosovo nicht bereits 1991 interveniert worden sei, da hätte man den Menschen Srebrenica ersparen können. Das sind alles Fragen, die in dem Zusammenhang mit der Irakkrise zu beachten sind.

Auch die Frage des völkerrechtlichen Mandats, der völkerrechtlichen Grundlage ist für mich eine zentrale Frage.

[Eßer (Grüne): Die UNO oder die USA? – Frau Dr. Klotz (Grüne): Das ist ein Unterschied!]

Die UNO, Herr Eßer, das ist gar kein Grund zu schreien! Ich meine, dass es ein klares völkerrechtliches Mandat durch die UNO braucht.

[Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

Nur erwarte ich – und das ist das, war wir als Landesparlament erwarten können –, dass sich die Bundesregierung und alle, die damit zu tun haben, sachlich und vernünftig mit den Dingen auseinander setzen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Seit sechs Monaten erleben wir genau das Gegenteil. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben auf Kosten unseres guten Verhältnisses zu anderen Ländern, insbesondere den USA, Wahlkampf gemacht. Hochgezogen wurde das Thema, es wurden Antworten auf Fragen gegeben, die gar niemand gestellt hat, z. B. wie viel Truppen wir entsenden. Das Ganze ist in eine Stimmung gemündet, in der sich sogar eine veritable Bundesministerin zu einem Vergleich von Bush und Hitler verstiegen ha

[Zurufe der Abgn. Mutlu (Grüne) und Lederer (PDS)]

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Flemming (SPD) – Weitere Protestrufe von der SPD]

Das Theater um deutsch-französische Blauhelmeinsätze, das sind alles Dinge, in deren Kontext wir auch sehen müssen, was letzten Samstag in Berlin passiert ist.

[Dr. Flemming (SPD): Die Demonstrationen?]

[Gaebler (SPD): Wie viele? – Frau Dr. Klotz (Grüne): Nur so ein paar Menschen, nicht viele!]

mit ehrlicher Absicht. Das habe ich vorhin bereits gesagt. Aber eines ist auch klar, Herr Gaebler: Auf solchen Veranstaltungen, auch am Samstag, war Antiamerikanismus dabei, Antiisrealismus, radikale Palästinenser, alle politische Extremisten –

[Zurufe der Abgn. Frau Dr. Klotz (Grüne), Frau Oesterheld (Grüne) und Brauer (PDS) – Weitere Protestrufe von der PDS und der SPD]

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Felgentreu?

Nein. – von DKP bis NPD –

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Pewestorff (PDS): Wo waren Sie? – Gaebler (SPD): Antidemokrat! – Zurufe der Abgn. Brauer (PDS) und Lederer (PDS) – Unruhe bei der SPD, der PDS und den Grünen]

und Selektivpazifisten. Das Problem ist dabei, dass die Sache erst durch die Teilnahme von Ministern, von Senatoren und auch von Parlamentspräsidenten einen offiziellen Charakter bekommen hat, der ihr nicht zukommt.

[Zuruf der Frau Abg. Paus (Grüne)]

Das ist doch klar, wenn Minister teilnehmen, dann geschieht eine Zurechnung, die ihr nicht zukommt.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Protestrufe bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Und das Ganze in Berlin.

[Zuruf der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Lindner! Nachdem ich Ihren Antrag gelesen und Sie hier eben erlebt habe, habe ich den festen Eindruck, dass es Themen gibt, an denen sich eine Spaßpartei verhebt. Und dieses Thema gehört eindeutig dazu.

Man hatte den Eindruck, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede dieses Bekenntnis aller Fraktionen zum Frieden als Pflichtübung abgehakt. Sie haben zu den wirklichen Inhalten, zu den Positionen, die die Demonstranten am Wochenende bewegt haben, zu Ihrer eigenen Position, wenn Sie überhaupt eine haben, inhaltlich nicht das Geringste gesagt, sondern verlieren sich in Stilfragen, wer mit wem wann wie demonstrieren darf, wer wann was gesagt hat.

Wir sind in Berlin an einer sensiblen Stelle. Und wir haben Umfragen in der „Morgenpost“, die uns überhaupt erst zu diesem Antrag veranlasst haben, die erkennen lassen, dass hier der Antiamerikanismus steigt.

[Brauer (PDS): So ein Blödsinn!]

Es ist keine Frage, dass die amerikanische Regierungspolitik Kritik verdient, übrigens auch nicht erst seit dieser Frage. Ich sage einmal Kyoto, Internationaler Strafgerichtshof und auch Irak. Aber 50 Jahre haben wir uns sachlich-vernünftig auseinander gesetzt. Wir waren nie ein Vasallenstaat.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Gaebler (SPD): Das haben Sie gerade bewiesen!]

Wir haben immer eine vernünftige Mischung aus militärischem Einsatz gehabt, aus militärischer Stärke und Diplomatie, und das unter allen Bundesregierungen. Es war immer die Mischung aus NATO-Beitrag, aus KSZE, aus Ostverträgen.

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Aber dieses Fundament deutscher Politik ist verlassen worden. Und es wird eine Stimmung generiert, hier in Berlin, wo wir hier Jahrzehnte

[Zurufe der Abgn. Brauer (PDS) und Gaebler (SPD)]

da können Sie von der PDS brüllen, so viel Sie wollen –

[Brauer (PDS): Sie missbrauchen das Mikrophon!]

von Amerikas Schutz gelebt haben.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Deswegen müssen wir auch in Berlin nicht kritiklos dastehen. Aber was wir hier in Berlin erwarten, ist Fairness –

Herr Abgeordneter! Ihre Redezeit ist abgelaufen!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall des Abg. Mutlu (Grüne)]

Ich komme auch gleich zum Ende. – ist Fairness, ist Sachlichkeit und ist ein vernünftiger Umgang mit diesen Fragen.