Protokoll der Sitzung vom 12.06.2003

[Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Wechselberg (PDS)]

Ebenso sind die Ausgaben für die außeruniversitäre Forschung gestiegen, und die Aussagen des Senats – auch des Finanzsenators – lauten, dass auch in Zukunft dort keine Sparvorgabe gegeben wird.

[Frau Grütters (CDU): Es steht sogar der 10-Prozent- Anteil unter Finanzierungsvorbehalt! – Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Aktuell ist also außer bei den Kunsthochschulen bei den Hochschulen und Forschungseinrichtungen keine Absenkung des Budgets zu sehen. Also viel Geschrei um nichts? – Dem ist nicht so. Dem Finanzsenator und seinen Folien ist es zu danken, dass kein denkender Mensch in dieser Stadt bestreitet, dass Berlin ein gewichtiges Finanzproblem hat, dass Einnahmen und Ausgaben seit Jahren auseinanderklaffen und nur die strikte Ausgabenkürzung eine Änderung und schließlich eine Hilfe durch den Bund möglich machen wird. Dies wird auch von den Hochschulen und den Forschungseinrichtungen nicht bestritten.

Aber aus genau dieser Erkenntnis erwächst die Verunsicherung für die Zukunft. Wenn der Senat allerdings so vehement und stichhaltig das Problem darstellt, erwartet man Problemlösungen. Solange diese nicht allen offenbar werden, sind alle in dieser Stadt – auch die Hochschulen und Forschungseinrichtungen – verunsichert. [Beifall bei der SPD]

Es geht um Perspektiven für die nächsten 10 Jahre. Wissenschaft und Forschung leben von einer langfristigen Perspektive. Das sind keine Projekte, die man mal so für ein oder zwei Jahre auflegt, sondern hier bedarf es langer Planung und eines Vorlaufs.

[Frau Dott (PDS): Das ist im Sozialbereich auch so!]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Die bisherigen Angaben des Wissenschaftssenators dagegen werden dem Gesamtanspruch des Senats, den Haushalt zu konsolidieren auch nicht gerecht. Es ist aber ganz offensichtlich, dass bei bestehenden Strukturen keine wesentlichen Einsparungen zu realisieren sind, ohne dass Wissenschaft und Forschung insgesamt Schaden nehmen. Nur strukturelle Veränderungen können langfristig wettbewerbsfähige Institutionen erhalten.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Um international konkurrenzfähig zu sein, werden in Deutschland in den nächsten Jahren mindestens 50 % eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen müssen.

[Czaja (CDU): Ist das jetzt eine Oppositions- oder eine Regierungsrede?]

Für die Reproduktion von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern rechnet man 10 bis 20 % eines Jahrgangs. Das heißt, das Studium muss in den meisten Fällen direkt in das Berufsleben führen. Fachhochschulen sind dafür die am besten geeigneten Einrichtungen. Deshalb müssen die Kapazitäten dort ausgebaut und an den Universitäten abgebaut werden. Dieses unternimmt diese Koalition.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Es ist aber in der Übergangszeit auch anzustreben, dass durch eine stärkere Differenzierung von Lehrleistungen innerhalb der Universitäten in den einzelnen Fächern und zwischen den Fächern Kapazitäten erschlossen wer

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Im Jahr 2000 hat eine vom Senat eingesetzte Arbeitsgruppe die so genannte Berlinstudie vorgestellt. Sicherlich können sich der eine oder die andere noch daran erinnern. Ausgehend von den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts einerseits und den Stärken und Schwächen Berlins andererseits wurde ein mehrdimensionales Leitbild entworfen, das die Debatten der 90er Jahre aufgriff, sortierte und endlich einmal Vorschläge für Aktionspläne und konkretere Umsetzungsschritte unterbreitete. Um das Leitbild zu illustrieren, ist der Studie ein „Blick in die Zukunft: Berlin 2015“ vorangestellt. Diese Anfangspassage möchte ich kurz zitieren:

In diesen Tagen besucht eine Kommission der UNO Berlin, das von der UN-Generalversammlung soeben zur Welthauptstadt des Wissens 2016 deklariert wurde. Die Kommission soll erkunden, wie Berlin es geschafft hat, sich von einer heruntergekommenen Stadt der alten Industrie, die am Ende des 20. Jahrhunderts nur noch über politisch motivierte Subventionen lebensfähig zu sein schien, zum weltweit ausstrahlenden Mekka der Wissenschaften, zur Modellregion für Urbanisten aller Kontinente, zum Kultort der künstlerischen und kulturellen Eliten, zum begehrten Forum für die Präsentation aller um globale Geltung Kämpfenden höheren Ehrgeizes zu entwickeln.

Dieses Zitat macht überdeutlich: Krasser kann der Gegensatz nicht sein zwischen dem, was wir derzeit vom rot-roten Senat erleben und erleiden müssen – an Negativkampagne, an Zerstörung des gerade erst im Berliner Bewusstsein angekommenen guten Rufs des Wissenschaftsstandorts Berlin –, und dem, was eigentlich zu tun wäre.

den. Die fortschreitende Modularisierung, die wir vorantreiben – z. B. mit den Abschlüssen „Bachelor“ und „Master“ –, gibt dabei Anlass für Hoffnungen. Die Lehre muss in allen Bereichen der Universitäten endlich den notwendigen Stellenwert erhalten. So werden wir in Berlin auch weiterhin 85 000 Studienplätze anbieten können – übrigens sogar besonders in den Studiengängen, die der Finanzsenator in verzeihlicher Unkenntnis als „nicht relevant“ bezeichnet hat.

Berlin ist als Studienort sehr begehrt. Das zeigt sich auch darin, dass wir die meisten Studenten aus anderen Bundesländern „importieren“ und dass auch viele ausländische Studierende nach Berlin kommen. Solange es eine undifferenzierte Berlinhilfe gab, war das kein Problem, aber seit deren Wegfall ist notwendigerweise mit den Ländern und mit dem Bund über die Finanzierung zu verhandeln. Es kann doch nicht sein, dass die reichen Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg ihre Landeskinder auf Kosten der Berliner Steuerzahler ausbilden lassen und die Absolventen dann wieder aufnehmen. Bayern soll nach Untersuchungen eines Bildungsforschers damit Kosten in Höhe der Ausgaben für die MaximilianUniversität in München sparen. Hier müssen wir mit dem Bund und den Ländern in Verhandlungen treten, um in der Bildungsfinanzierung einen Ausgleich zu erreichen.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf des Abg. Eßer (Grüne) – Weitere Zurufe]

Das ist ein Irrtum! Liebe Frau Grütters! Sie können die Geschichte immer klittern, aber ich kann Ihnen Literatur zur Verfügung stellen: Wissenschaftliche Gesellschaft des Landes Berlin; Tagung im Jahre 1995; Vorschlag der SPD, Hochschulverträge abzuschließen. – Dass das nachträglich erfolgt ist, finde ich sehr schön, und Ihr Kollege Herr Engler, mit dem wir das zusammen gemacht haben, würde Ihrer Klitterung, die Sie hier dargestellt haben, sicherlich nicht folgen.

Die Berliner Wissenschafts- und Forschungslandschaft muss sich auf eine hinreichend breite, aber insgesamt doch begrenzte Zahl von Schwerpunkten konzentrieren. Diese Schwerpunktbildung darf sich nicht auf drei oder vier kleinere Schwerpunkte beschränken. Die Berliner Einrichtungen müssen im Wettbewerb und in der Kooperation die Besonderheiten in die Waagschale werfen. Aus gutem Anlass bemüht sich auch die Wirtschaft um die Wissenschaftspolitik dieses Landes. In Initiativen gemeinsam mit der Wissenschaft und mit der Politik beginnt ein Pflänzchen zu wachsen. Die gemeinsame Einsicht in die Haushaltslage des Landes, aber auch die Entwicklung notwendiger Perspektiven für Wissenschaft und Forschung zeigen, dass nicht alles eine platte Frage des Geldes ist. Dieser Dialog gibt uns Hoffnung. Lassen Sie uns bitte diesen gemeinsam pflegen! – Ich danke!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Das Wort hat nun Frau Paus. – Bitte schön!

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Kurth (CDU)]

Okay! Wir wissen, dass es der Senat mehr mit Churchill hält: Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen! – Aber, meine werten Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der PDS, das Problem ist, dass bei Ihrer Politik ein einfacher Arztbesuch zukünftig nicht mehr reichen wird. Mit Ihrer Politik ohne Perspektive schicken Sie Berlin auf die Intensivstation.

[Pewestorff (PDS): Aber erst zum Hausarzt!]

Aus der Existenz eines derzeit gesunden Beines – nämlich der Wissenschaft – und eines derzeit lahmenden Beines – der Wirtschaft – schließen Sie, dass es billiger ist, beide zu amputieren, statt für eine Stütze für das eine Bein zu investieren.

Dabei zeigt sich bereits jetzt: Wenn es Ansiedlungserfolge von Unternehmen gibt, dann wegen der in Deutschland einzigartigen Zusammenballung von wissenschaftlichen Einrichtungen mit einem breiten Spektrum an Fachgebieten und einer starken internationalen Ausrichtung auch und gerade – sie wurden heute bereits mehrfach erwähnt – in den Geistes- und Sozialwissenschaften.

Eins von vielen Beispielen: Sarrazin verkündet seit inzwischen einem Jahr, er wolle bei den Hochschulen 200 Millionen € kürzen. Aber erst jetzt gibt es von Ihnen die Klärung, dass bereits eine Nullrunde bei den nächsten Hochschulverträgen für die Universitäten eine reale Kürzung ihrer Mittel um gut 120 Millionen € bedeuten würde, wenn es so bleibt, dass sie die steigenden Pensionslasten und den Personalüberhang zu tragen haben. Außerdem müssten sie noch die Tarifentwicklung tragen und die bereits vereinbarte Studienplatzverlagerung von den Universitäten zu den Fachhochschulen umsetzen.

Oder ein anderes Beispiel: Sarrazin fordert ebenso lange den Abbau von 20 000 Studienplätzen, vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Und erst jetzt hat der Senat, und auch eher leise, beschlossen, dass an den im Koalitionsvertrag verankerten 85 000 Studienplätzen festgehalten werden soll. Erst heute hat Herr Flemming zugegeben, dass wir mehr als 85 000 Studienplätze brauchen, wenn Sie eben gesagt haben, es ist tatsächlich richtig, wir brauchen perspektivisch 50 % eines Jahrgangs, die eine Hochschulausbildung absolvieren.

[Gaebler (SPD): Ich denke, die Medizin ist das Wichtigste, was wir haben!]

Noch einmal zur Erinnerung auch für das breitere Publikum: In Berlin gibt es 18 Hochschulen, davon 12 staatliche. Es gibt hier knapp 50 Forschungsinstitutionen sowie eine Reihe forschender Bundesanstalten. Es gibt hier mit Adlershof Europas größten Wissenschaftspark. Es gibt hier mehr als 130 000 Studierende und mehrere Zehntausend direkt oder indirekt in der Wissenschaft Beschäftigte.

[Beifall des Abg. Hoff (PDS)]

Das ist für Unternehmen attraktiv. Sie kommen zu Wissenschaftsstandorten. Das muss allerdings verstärkt angegangen werden, durch eine ganze Palette von Dingen, die man da tun muss. Dazu liegt bisher von Ihnen nichts vor. Wir sagen, es ist ein lohnendes und notwendiges Ziel, aus Wissen Arbeit zu machen, auf diese Weise zumindest den Bundesdurchschnitt bei den kommunalen Steueraufkommen zu erreichen und damit die Einnahmen für das Land Berlin um 800 Millionen € zu erhöhen – netto 800 Millionen € mehr.

Herr Flierl, Sie haben uns heute als zuständiger Fachsenator geantwortet, und da war auch eine Reihe von guten Ansätzen dabei, in welche Richtung die Verhandlungen um die neuen Hochschulverträge laufen sollen. Auch wir sagen: Es ist richtig, den Vorschlag der Universitäten aufzunehmen, mit Unterstützung der HIS die Rationalisierungspotentiale im Bereich der Universitätsverwaltung zu ermitteln und Einsparungen umzusetzen. Es ist richtig, Einsparpotentiale durch ein verbessertes Flächenmanagement zu nutzen. Es ist richtig, die Hochschulen von den Pensionszahlungen entlasten zu wollen und sie damit allen anderen Einrichtungen des Landes gleichzustellen. Es ist richtig, den Personalüberhang an den Hochschulen in den zentralen Stellenpool mit einzubeziehen, um künftig eine vernünftige Struktur zwischen Professoren, akademischem Mittelbau und sonstigen Mitarbeitern an den Hochschulen zu schaffen. Es ist richtig, der Empfehlung der Expertenkommission zu den Kunsthochschulen zu folgen, die dort vorgeschlagenen Verbesserungssynergien zu nutzen, aber die Eigenständigkeit der drei Kunsthochschulen und die UdK zu erhalten.

Wir sagen, es fehlt ein nicht unwichtiger Punkt: die Verankerung der 1 300 Studienplätze in der Lehramtsausbildung, um auch ansonsten den Wissenschafts- und Bildungsstandort Berlin zu stärken. Diese 1 300 Studienplätze in der Lehramtausbildung an den 4 Universitäten gehören mit auf die Agenda bei den Hochschulverträgen, um die Bildung auch an den Berliner Schulen zu sichern. Auch dazu bringen wir heute einen Antrag ein.

[Beifall bei den Grünen]

In all diesen Punkten haben Sie unsere volle Unterstützung, inklusive eines entsprechenden Antrags unserer Fraktion zu den künstlerischen Hochschulen, Unterstützung allerdings, die Sie wohl auch dringend brauchen gegenüber Ihren eigenen Koalitionsfraktionen. Anders ist

das, was nach wie vor an öffentlicher Debatte stattfindet, nicht zu interpretieren. Aber, Herr Flierl, wir sagen auch ganz deutlich: Das reicht nicht. Berlin braucht auch einen öffentlich sichtbaren gewählten Wissenschaftssenator. Es ist zu wenig, dem selbst ernannten Wissenschaftssenator Sarrazin einmal unfreundlich einen Brief zu schreiben. Zu Ihrem bisherigen Agieren kann ich nur sagen: too less, too late.

[Gaebler (SPD): Nicht für ganz Deutschland!]

Immer noch gibt es eine Diskrepanz, Herr Flierl, zwischen Ihrer mündlichen Aussage, es gehe um ausfinanzierte 85 000 Studienplätze – das habe ich heute mit Genugtuung oder Freude gehört –, zu dem, was Sie uns schriftlich gegeben haben. Da fehlt leider dieses kleine Wörtchen „ausfinanziert“ in der schriftlichen Stellungnahme.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Da wird man misstrauisch bei Ihnen!]

Insofern hätten wir es doch gern, wenn die schriftliche Stellungnahme entsprechend korrigiert würde.

Und auch erst jetzt traut sich der Wirtschaftssenator bei einem Vortrag zu der Aussage in Richtung Sarrazin:

Auch redundante Strukturen müssen vor dem Ehrgeiz kurzfristig kalkulierender Controller geschützt werden, die in solchen nicht relevanten Strukturen nur Überschuss und nicht eine Art kultureller Versicherung gegen unvorhersehbare, schwer kalkulierbare Veränderungen der wirtschaftlichen Umwelt sehen.

Richtig, sage ich zu Herrn Wolf; aber auch zu Ihnen: Wo ist Ihre öffentliche Stimme? Wo setzen Sie sich als Wirtschaftssenator öffentlich damit auseinander und unterstützen Ihren Wissenschaftssenator?

Insofern denke ich, muss man sich daran orientieren: Was sind Maßstäbe von Prioritätensetzung in der Haushaltskonsolidierung in Berlin? – Und da sind aus meiner Sicht die beiden richtigen Stichworte schon gefallen. Das erste, Prioritätensetzung, heißt, dass man sich überlegt, wo man möglicherweise weniger spart als in anderen Ressorts. Und wenn ich mir anschaue, wie der Nachtragshaushalt 2001, wie der Haushalt 2002, wie der Nachtragshaushalt 2003 gestaltet worden ist, dann hat es hier eine Prioritätensetzung, eine möglicherweise auch dem Finanzsenator nicht ganz so leicht gefallene, aber im Senat gemeinsam getroffene Prioritätensetzung für die Bereiche Wissenschaft und Forschung gegeben. Und ich finde, das muss man sich auch von der größten Oppositionsfraktion im Hause nicht wegreden lassen. Hier hat es eine Prioritätensetzung gegeben, und hier ist die Regierungserklärung, die der Regierende Bürgermeister hier gehalten hat und auf die sich die Senatoren in der Koalition beziehen. Hier hat es kein Abweichen von der Regierungsvereinbarung gegeben.