Es ist, denke ich, allgemein bekannt, dass der Senat ein waches Auge auf die Erscheinungen von Alkoholmissbrauch hat, die es bei den Jugendlichen gibt. Das ist sowohl eine Aufgabe der Gesundheits- als auch der Jugendverwaltung, entsprechende Aufklärung zu betreiben.
Dann kommen wir zur Mündlichen Frage Nummer 7 der Frau Abgeordneten Grütters von der Fraktion der CDU über
1. In welchem Umfang wird der Wissenschaftssenator seiner Lust zur Klientelpolitik nachgeben und SEDParteiwissenschaftler wie z. B. Professoren für Marxismus-Leninismus oder Juristen der MfS-Hochschule Golm rehabilitieren und in den Wissenschaftsbetrieb reintegrieren?
2. In welcher Höhe und aus welchen Töpfen will der Wissenschaftssenator diese Ost-Wissenschaftler, wie z. B. die Leibniz-Sozietät, in der sich Mitglieder der DDRAkademie der Wissenschaften zusammengeschlossen haben, institutionell fördern, und welche Berliner Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen müssen deshalb erneut mit einseitigen Kürzungen rechnen?
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Grütters, Sie beziehen sich auf die Studie „Die Ostberliner Wissenschaft im vereinten Berlin“ und die darin formulierten Empfehlungen. Ich erzähle Ihnen gern die Geschichte dieser Studie, denn kaum im Amt, war ich gebeten, an einer Tagung vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft der Volkswagenstiftung und des Wissenschaftsrates teilzunehmen, die unter dem Titel „10 Jahre danach“ stand und sich mit der Transformation der Ostberliner Wissenschaftslandschaft nach 1990 befasste. Den Termin hatte ich damals noch von meiner Vorgängerin im Amt geerbt.
Was ich auf dieser Tagung zu hören bekam, hat mich allerdings erstaunt. Da sprach der Konstanzer Philosoph Jürgen Mittelstraß davon:
Wenn ich einen Wunsch frei haben sollte, dann den, dass wir gut zu machen versuchen, was damals an persönlichem Unrecht geschah gegenüber Akademieangehörigen, die, obgleich von erwiesener Leistungsfähigkeit, freigestellt, unzureichend weiterfinanziert und schließlich doch fallen gelassen wurden, und ebenso gegenüber Hochschullehrern, die wiederum trotz dokumentierter Leistungsfähigkeit der Abwicklung ihrer Einrichtung zum Opfer fielen. Hier ist in zu vielen Fällen nicht nur fahrlässig mit der Ressource Geist umgegangen worden, sondern auch Würde und Leben einzelner Wissenschaftler verletzt worden.
Andere, wie der Göttinger Unipräsident Horst Kern, sprachen von der „Versündigung einer ganzen Generation“
und „Ungerechtigkeiten“, so der damalige LeopoldinaPräsident Benno Partier, von einer „gelegentlichen Fehlentscheidung der Ehrenkommission“, so Herr Thies, oder wie Richard Schröder von „ungerechtfertigten Härten an der Humboldt-Universität“.
Selbst Ihr damaliger Chef, Frau Grütters, der für die Abwicklung Ost verantwortliche damalige Wissenschaftssenator Manfred Erhardt,
Nun ist es gewiss nicht angenehm, mit den Sünden der eigenen Vergangenheit konfrontiert zu werden. Deshalb ist die heutige reflexartige Reaktion damals Beteiligter zumindest psychologisch gesehen durchaus verständlich. Nein, Frau Grütters, jetzt bricht nicht die Ostrevanche des rot-roten Senates aus, ich habe mir aber sehr wohl erlaubt, die Anregung dieser Tagung aufzugreifen.
Die beim Institut für Hochschulforschung in Auftrag gegebene Studie hatte nicht die Aufgabe, die Geschichte der Transformation der Ostberliner Wissenschaftslandschaft der 90er Jahre zu analysieren oder neu zu schreiben, vielmehr ging es darum, die heutige Situation der verschiedenen spezifisch Ostberliner Wissenschaftsmilieus zu untersuchen.
Dabei gab es drei klare Zielstellungen: Erstens wollten wir ein sachgerechtes Bild der verschiedenen Ostberliner Wissenschaftsmilieus haben. Zweitens sollte auf dieser Basis geprüft werden, ob und inwieweit Handlungsoptionen bestehen, um genauer zu identifizieren, einigungsbedingte Gerechtigkeitslücken in der Berliner Wissenschaft zu schließen. Drittens sollten entsprechende Handlungsempfehlungen an die Politik, die Hochschulen und die wissenschaftliche Gemeinschaft entwickelt und formuliert werden. Es geht also nicht um Klientelpolitik, sondern darum, die auf der bewussten Tagung deutlich gewordene kritische Prüfung und Selbstprüfung fortzuführen und empirisch zu untersetzen. All das ist geleistet worden und kann jetzt nachgelesen werden.
Sehr verehrte Frau Grütters, wenn allein an der Humboldt-Universität 90 Prozent der Angehörigen des wissenschaftlichen Mittelbaus und 80 Prozent aller Hochschullehrer, also Professoren und Dozenten, im Zuge der Neuordnung der Universität diese verlassen mussten, handelt es sich bei diesen Personen ganz offensichtlich nicht nur um SED-Sozialwissenschaftler oder gar um Professoren und Professorinnen für Marxismus-Leninismus. Mal abgesehen davon, dass an der Humboldt-Universität Philosophie, Sozialwissenschaften, Soziologie und sogar ML auf sehr unterschiedliche Weise gelehrt wurden – apologetisch und indoktrinär auf der einen, zum kritischen Denken anregend und provozierend auf der anderen Seite. Doch das nur nebenbei.
Es geht auch nicht um Rehabilitierung und Versöhnung. Die Transformation der Ostberliner Wissenschaft ist Geschichte, und weder die Autoren der Studie noch ich behaupten, dass dies eine Geschichte ausschließlicher Verfehlungen gewesen wäre. Aber die besagte Tagung hat eben auch deutlich gemacht, dass dieser Prozess weit davon entfernt war, ohne gravierende Ungerechtigkeiten verlaufen zu sein.
Die Studie zeigt – und darin liegt ihr eigentlicher Wert –, dass in der so genannten zweiten Wissenschaftskultur Berlins Potentiale liegen, die es wert sind, in die scientific community dieser Stadt integriert zu werden. Darauf zielt die Mehrzahl der Empfehlungen. Wenn Sie nach Personen und Einrichtungen fragen, dann darf ich Ihnen sagen, dass es sich hier um die HumboldtUniversität, die Akademie der Wissenschaften der DDR und die einstige Hochschule für Ökonomie sowie die Kunsthochschulen handelt. Golm, verehrte Frau Grütters, liegt außerhalb Berlins. Ihre Unterstellung, der Berliner Wissenschaftssenator würde sich für die einstige MfSHochschule stark machen wollen, stimmt also weder inhaltlich noch geographisch.
Zu Ihrer zweiten Frage, Frau Grütters: In der LeibnizSozietät sind beileibe nicht nur Mitglieder der einstigen Akademie der Wissenschaften. Die dort versammelten Professorinnen und Professoren sind im Übrigen alle promoviert und habilitiert. Zur Sozietät zählen beispielsweise auch Walter Jens, Ernst Engelberg, Hermann Haken, Friedhart Klix oder Günter Mühlpfordt. Diese Gelehrten von internationaler Geltung auch nur in die Nähe von MfS-Juristen zu rücken, ist nicht nur nicht sachgerecht, sondern beleidigend.
Wir sollten endlich diese Rhetorik des Kalten Krieges bei der Erörterung von Fragen lassen, zumal wenn sie die innere Einheit der Stadt betreffen.
Im Übrigen enthält die Studie eine Reihe von Empfehlungen, die an unterschiedliche Adressaten gerichtet sind. Die Politik ist nur einer davon. Die anderen sind Hochschulen, Forschungsinstitute und die wissenschaftliche Gemeinschaft selbst.
Darüber hinaus sind die einzelnen Vorschläge auch danach sortiert, ob und inwieweit ihre Umsetzung Haushaltsmittel erfordert. Einen eigenen Stellenpool beim Wissenschaftssenator werden wir uns nicht leisten können, ganz abgesehen davon, dass ich diese Entscheidung aus systematischen Gründen für nicht zukunftsweisend halte. Aber den Vorschlag, die zweite Wissenschaftskultur stärker untereinander und mit den staatlich geförderten Einrichtungen zu vernetzen, halte ich für diskussionswürdig und auch für finanziell machbar. Es gibt darüber hinaus noch weitere Empfehlungen, die im Kern darauf hinauslaufen, das dort vorhandene wissenschaftliche Potential für Forschung und Lehre bekannt und zugänglich zu machen.
Die Regierungsfraktionen haben die Absicht, eine geringfügige regelmäßige Unterstützung für die LeibnizSozietät in den Haushalt einzustellen. Sie würde gegenfinanziert aus Einsparungen durch Übernahme des Berliner beziehungsweise des Bundes-Tarifvertrages auf Wissenschaftseinrichtungen.
Wir können diesen fahrlässigen Umgang mit der Ressource Geist, von dem Mittelstraß sprach, nicht rückgängig machen. Wir können Nachwendebiographien nicht korrigieren, selbst da nicht, wo offensichtliches Unrecht geschehen ist.
Aber wir können versuchen, etwas von der Würde wieder herzustellen, deren Verletzung Mittelstraß und andere posthum konzediert haben. Das ist keine Klientelpolitik, sondern ein Beitrag zur Einigung der Stadt.
Danke schön, Herr Senator! – Frau Grütters hat eine Nachfrage und erhält dazu das Wort. – Bitte, Frau Grütters!
Herr Senator! Sicher kann man über Ungerechtigkeiten und gelegentliche Fehlentscheidungen, die Sie zitiert haben, streiten. Aber erwiesen ist das vielfältige Unrecht in der DDR. Deswegen muss ich Sie jetzt mit Ihrer Vergangenheit konfrontieren.
Herr Präsident! Das mache ich gerade! – In welcher Form sollen Ihres Erachtens nach Wissenschaftler rehabilitiert werden, die zu DDR-Zeiten relegiert wurden oder deren Karrieren in der DDR trotz persönlicher Integrität und fachlicher Qualifikation zerstört wurden? Das wäre auch ein Beitrag zur Einigung der Stadt.
Die Tagung, auf die ich mich bezogen habe, behandelte den Gegenstand der Transformation nach dem Ende der DDR.
Sie haben mich völlig auf Ihrer Seite, wenn es darum geht, das Verhältnis von Politik und Wissenschaft in der DDR kritisch aufzuarbeiten. Sie haben zum Beispiel in mir einen Vertreter der wissenschaftlichen Nachwuchsgeneration der Humboldt-Universität, der aus politischen Gründen, ohne dabei Schaden genommen zu haben, seine wissenschaftliche Karriere nicht fortsetzen konnte. Wir müssen uns jedem Kapitel der deutschen Geschichte, auch der DDR-Geschichte und auch der Nachwendegeschichte zuwenden. Das heißt auch, dass wir uns den speziellen Fällen der Abwicklung und der Ungerechtigkeiten dieses historischen Prozesses stellen. Ein Aufrechnen kommt für mich nicht in Frage.
Ihr Ex-Staatsekretär Pasternak hat ein Abschiedsgeschenk in Höhe von 20 000 € bekommen, mit denen er sich an dieser Studie beteiligen sollte. Das hat er angeblich nicht getan. Wohin ist dieses Geld geflossen?
Das Geld ist an den Auftragnehmer, das Hochschulforschungsinstitut in Wittenberg, geflossen. Herr Pasternak war weder bei der Ausführung noch bei der Vorstellung der Expertise beteiligt. Außer der Tatsache, dass er Mitarbeiter des Instituts ist und der Auftrag vergeben wurde, bevor Herr Pasternak die Absicht hatte, seinen Posten aufzugeben, ist kein unmittelbarer Zusammenhang mit Herrn Pasternak gegeben. Sie können die 20 000 € nachrechnen und ins Verhältnis setzen zu dem Personalaufwand für die Erstellung der Ihnen im Netz zugänglichen Studie. Sie können erkennen, dass sie keineswegs überbezahlt ist.
Danke schön, Herr Senator! – Eine Nachfrage des Abgeordneten Hoff von der PDS. – Bitte sehr, Herr Hoff!
In welcher Weise wollen Sie als Wissenschaftssenator diese Studie umsetzen, und werden Sie demnächst für den Wissenschaftsausschuss des Hauses eine Vorlage fertigen, in der Sie die Umsetzungsschritte der Studie darstellen? Sind Sie der Meinung, dass die eine oder andere Frage von Frau Grütters vom Duktus her an die schlechteste SED-Manier erinnert, in der man kritische Entscheidungen nie in Frage stellen und diskutieren wollte?