Protokoll der Sitzung vom 19.02.2004

Schadensfeststellung für (Fehl-)Entscheidungen im Verantwortungsbereich des Senators für Stadtentwicklung

Beschlussempfehlung Haupt Drs 15/2461 Antrag der CDU Drs 15/2311

Der Dringlichkeit hinsichtlich der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses – Drucksache 15/2541 – wird ersichtlich nicht widersprochen.

Im Ältestenrat haben wir uns auf eine Redezeit von bis zu 20 Minuten pro Person bei freier Aufteilung auf zwei Redebeiträge verständigt. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. – In der ersten Runde hat der Abgeordnete Dr. - Lindner, Vorsitzender der FDP-Fraktion, das Wort. – Bitte schön, Herr Dr. Lindner!

Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Es ist mir sehr wichtig, dass wir, bevor wir in die Frage Tempodrom und seine Entwicklung bis heute einsteigen, einmal festhalten, dass das nicht dazu führen kann, dass wir Engagement von Bürgern gerade im kulturellen Bereich auf Dauer verdammen oder in den Dreck ziehen. Mir ist klar, dass das Projekt Tempodrom in seiner Entstehungsgeschichte – als es noch ein Zelt war, auf dem Platz, wo heute das Bundeskanzleramt steht – wichtig gewesen ist. Frau Irene Moessinger hat hier einen wesentlichen Beitrag für die Entwicklung der Kultur geleistet – Off-Kultur. Ihr ist zu danken, sie hat eine spannende Sache gemacht, und sie hat die Off-Kunst gefördert. Wir erleben auch heute noch, dass sich Bürger in dieser Stadt – wie Peter Raue über die Stiftung „Neue Nationalgalerie“, der mit dem MoMA ein großartiges Projekt nach Berlin gezogen hat – gerade im Bereich der Kultur und auch des Kultursponsorings engagieren, und diese Stadt ist darauf angewiesen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Was anschließend passierte, kann man vielleicht als die Vertreibung aus dem Paradies beschreiben. – Ich

Sen Böger

möchte jetzt nicht im Einzelnen die Situation bewerten, als Frau Moessinger mitgeteilt bekam, sie müsse mit ihrem Tempodrom den Platz verlassen und sich einen neuen suchen. Aber das ist der Beginn einer sehr unerfreulichen Reise, die in Kreuzberg endete, wo das erste Mal Senator Strieder – damals Bezirksbürgermeister – als politischer Pate dieses Projekts auf den Plan getreten ist.

Wenn wir sehen, welche Baukosten damals kalkuliert waren, dann bekommen wir eine gewisse Antwort, wohin sich die Reise fast zwangsläufig entwickeln musste. Es gab im März 1996 eine Pressemitteilung der Stiftung Neues Tempodrom, in der von Baukosten in Höhe von 60 Millionen DM ausgegangen wurde. Das war eine realistische Betrachtung, und genau dort sind wir nach den vielen Jahren herausgekommen, bei 80 Millionen DM. Aber wie es so ist im Leben – in der Regel kommt es nur in der Bibel vor, da gab es dann mal die wundersame Brotvermehrung –, damals hat es leider keine wundersame Eigenkapitalvermehrung gegeben: Es hat eine wundersame Baukostenreduzierung gegeben, denn in der Vorlage, die dann geliefert wurde, waren es am Ende des Tages nur noch 30 Millionen DM Baukosten. Da hat man das so lange heruntergerechnet, bis die eher schmalen Eigenkapitalmittel zusammen mit den Mitteln, die das Land Berlin damals zur Verfügung gestellt hatte oder zur Verfügung stellen wollte, ausreichten, die Sache doch durchzuziehen. Die Kostenschätzung belief sich auf 28 bis 32 Millionen DM, die sich folgendermaßen zusammensetzte: 7 bis 8 Millionen DM aus Sponsorenmitteln – das waren, im Unterschied zu den späteren so genannten Sponsoringverträgen, wohl echte Sponsorenmittel –, 7 bis 8 Millionen DM aus dem Umweltetat, 8 Millionen DM aus Lottomitteln und dann diese Umzugsentschädigung. Damals hatte sich übrigens – weil wir vom rot-grünen Klientelprojekt sprechen – schon die heutige EU-Kommissarin Schreyer dafür stark gemacht, dass es im Wege dieser Umzugsentschädigung eine möglichst hohe Beteiligung des Bundes und des Landes gibt, und gefordert, dass das Tempodrom mehr Geld bekommen soll.

Wir treten dann in eine Phase ein, die sich vielleicht als schwarz-rote Gründungsphase der Stiftung Neues Tempodrom beschreiben lässt. Da entsteht schon eine Reihe von Fragen, Fragen im Anschluss an die gerade genannten ursprünglichen Baukosten, nach einer realistischen Baukostenschätzung, nach dem, was fast jeder Investor überall vorlegen muss – auch bei kleinen Projekten und bei jeder Sparkasse –, nämlich eine Wirtschaftlichkeitsberechnung, das Vertragswerk einreichen, Bauverträge, die Kalkulationen, gegebenenfalls Gründungsgutachten bei Bauvorhaben und Sicherheiten der Initiatoren. Das alles sind Fragen, die in der Gründungsphase hochgekommen sind und wir im Untersuchungsausschuss durchleuchten müssen. Ich freue mich und finde es gut, dass die CDU – obwohl damals auch ihre Senatoren Kurth und Branoner an dem Projekt beteiligt waren – ohne Umschweife und ohne irgendwelche Kurven zu drehen, gleich gesagt hat: Das hindert uns nicht daran, zusammen mit der FDP diesen Untersuchungsausschuss

zu fordern und auch für dessen Einsetzung zu sorgen. Das ist ein offener und vernünftiger Umgang mit Fragen, die unter Umständen für die CDU selbst unangenehm werden könnten.

[Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Wir treten dann ein in eine Weiterentwicklung in den Jahren 1999 bis 2000. Damals hatten wir die erste Baukostensteigerung um 20 % – angeblich wegen eines zu lockeren Bodens –, und die zweite Baukostensteigerung im Februar 2000, also gerade mal drei Monate später, folgte auf dem Fuß – angeblich wegen höherer Kosten in der Haustechnik. – Das ist natürlich lustig: Vor Baubeginn eine Steigerung der Kosten für die Haustechnik zu haben, die erst in der Phase der Fertigstellung eines Projekts erfolgen kann, das spricht genau dafür, dass langsam, Schritt für Schritt, die ursprünglich kalkulierten 60 Millionen DM Stufe für Stufe wieder erreicht werden sollten, um das, was am Anfang völlig unmöglich gewesen wäre, dann sukzessive durch die Hintertür doch noch zu realisieren: Baubeginn Mai 2000.

Dann treten wir ein in die dritte Baukostensteigerung um 9 Millionen DM auf 53 Millionen DM, anstatt 30 Millionen DM, es folgt die vierte Baukostensteigerung im Spätsommer um 3 bis 6 Millionen DM – die Angaben hierzu schwanken – auf knapp 60 Millionen DM.

Dann entwickeln wir uns in die nächste heiße Phase – nennen wir es mal die rot-grüne Raketenphase auf dem Weg zum wirtschaftlichen Mond, die dann im Oktober 2001 ihren Höhepunkt erreicht. Da ist es schon spannend, wenn man heute im „Tagesspiegel“ liest, wie der damalige Bürgermeister und Senator für Justiz diese beiden Sitzungen, die dann im Oktober 2001 stattfanden und bei denen es um das Tempodrom ging, heute klassifiziert. – Ich zitiere aus dem „Tagesspiegel“:

Herr Strieder hat damals objektiv die Unwahrheit gesagt.

so Wieland am Mittwoch. Und weiter:

Denn Strieder war erst in der Senatssitzung vom 2. Oktober aufgefordert worden, die Verträge zu ändern.

also einen Tag, nachdem sie bereits unterzeichnet waren. –

Der Senat wollte mit der Forderung nach neuen Verträgen sicherstellen,

so Wieland –

dass die Pachteinnahmen ausreichen, um alle laufenden Kosten für das Haus zu bezahlen.

Also 13,5 Millionen DM waren der gewünschte Nachschlag, um angeblich die Sache vor dem sofortigen Absaufen zu retten. Und dann erklärt uns heute Herr Wieland, da sollten die Verträge geändert werden. Das finde ich schon ganz amüsant. Seit wann kann man durch Änderung des Vertragswerks die fehlende wirtschaftliche

Solidität des gesamten Projekts herstellen? Ich kann natürlich in Verträge hineinschreiben, was ich will. Aber das ändert nichts daran, dass die Solidität fehlt, und die kann man nur dadurch herstellen, dass man entweder die Einnahmen erhöht – beispielsweise die Pachteinnahmen, was jedoch nicht möglich war – oder das Eigenkapital.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Genau darum geht es!]

Aber durch eine bloße Änderung des Vertragswerks war das ganz sicher nicht möglich.

[Beifall bei der FDP]

Sechs Tage später – ich zitiere weiter – verkündet Senator Strieder in einer Vorlage, die Verträge seien überarbeitet worden, nennt jedoch in dem Papier kein Datum. Er teilt den Senatoren lediglich mit, es gebe nun eine – Zitat – „tragfähige juristische und wirtschaftliche Grundlage“.

Wegen dieser Versicherung stimmten die grünen Senatoren am 9. Oktober 2001 der Millionenhilfe für den Tempodrombau zu, sagte Wieland.

Ihm reichte in diesem Fall die Aussage des Kollegen Strieder, der sagte, es passt schon, jetzt haben wir eine solide wirtschaftliche Grundlage, und dann haben auch die drei Senatoren von den Grünen die Finger gehoben.

[Klemm (PDS): Das kann man aber Herrn Strieder nicht vorwerfen!]

Das ist gutgläubig, blauäugig kann man das vielleicht auch nennen. Ich glaube, dass es so ist: Sie wollten glauben, Peter ließ Sie glauben, und dann haben Sie auch geglaubt, was Sie glauben wollten. So war das damals im rot-grünen Übergangssenat. Es handelte sich ganz klar um ein rot-grünes Klientelprojekt, ein Prestigeprojekt. Außerdem war gerade Abgeordnetenhauswahl, und da dürfen wir nicht vergessen, dass der Justizsenator Wieland immerhin auch in Kreuzberg seinen Wahlkreis hatte, in dem er sich engagierte,

[Zurufe von den Grünen]

und da wäre es in der Tat eine Katastrophe gewesen, wenn dieses Projekt gescheitert wäre. So hat sich eben nicht ein ungläubiger Thomas entwickelt, sondern ein gläubiger Wolfgang – er hat geglaubt.

[Zurufe von den Grünen]

Wenn man sich in Erinnerung ruft, wie Bündnis 90/Die Grünen üblicherweise in diesem Hause aufklärerisch wirken! Wir konnten das gestern wieder im Hauptausschuss erleben. Da wird in der Schlusslesung Desinfektionsmittel bei der Hausreinigung im Justizetat thematisiert, es wird für jede Schraube, die in nichtgrünen Klientelobjekten wie dem Senatsgästehaus gebraucht wird, ein dritter und vierter Bericht angefordert.

[Zuruf des Abg. Over (PDS)]

Das ist das übliche Vorgehen. Und dann wundern wir uns, warum Ihre Senatoren nicht einfach mal das verlangt haben, was von Anfang an nötig gewesen wäre – eine Wirtschaftlichkeitsberechnung, ein Sanierungskonzept. Warum haben Sie sich die Verträge denn nicht einmal

vorlegen lassen? – Wir wollten glauben, Peter ließ uns glauben, und wir haben geglaubt. Das war damals die Weise, wie Sie vorgegangen sind.

[Beifall bei der FDP]

Übrigens haben Sie ja auch alle mitgezeichnet. Es gibt die Mitzeichnung der Finanzsenatorin Krajewski, eine Mitzeichnung der Wirtschaftssenatorin Freifrau von Friesen, eine Mitzeichnung der Kultursenatorin Goehler und natürlich auch eine Mitzeichnung des Justizsenators Wieland. Frau Klotz, Sie haben damals als Fraktionsvorsitzende einer Regierungsfraktion auch mit an dem Senatstisch gesessen. So erklärt sich auch Ihr Eiertanz, den Sie um die Frage des Untersuchungsausschusses, den wir heute einzusetzen haben, veranstalten. Als ich über die Zeitung gesagt habe, lassen Sie uns in der Opposition mal über einen Untersuchungsausschuss sprechen und für Montag Nachmittag ein Termin vereinbart war, da haben Sie, Herr Ratzmann – frisch wiedergewählter Fraktionsvorsitzender – und Frau Klotz, bevor wir uns getroffen haben, in einer Presseerklärung zum Besten gegeben:

Die Fragen zum Tempodrom liegen auf dem Tisch, der Senat muss sie zügig und ausführlich beantworten. Wir bezweifeln, dass ein zeitintensiver Untersuchungsausschuss die nötigen Fragen schnell genug finden kann.

Herr Dr. Lindner! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! Die haben noch alle genug Zeit. – Sie sagen weiter:

Von den Antworten auf die Fragen, die wir dem Regierenden Bürgermeister gestellt haben, wird abhängen, ob wir gegen Peter Strieder einen Misstrauensantrag ins Abgeordnetenhaus einbringen.

Wo ist der denn heute, der Misstrauensantrag? Oder waren die Antworten, die Sie Ihnen gegeben haben, so zufriedenstellend, dass Sie darauf verzichtet haben?

Wir haben uns zwei Tage später dann noch persönlich getroffen, und da stellten Sie wieder die Frage, warum wir unbedingt mit einem Untersuchungsausschuss daher kommen. Die Kehrtwendung kam dann am 17. Februar. Unter der Überschrift „Untersuchungsausschuss schnell einsetzen“ erklärte Oliver Schruoffeneger für die grüne Fraktion:

Der Untersuchungsausschuss Tempodrom kann am Donnerstag beschlossen und eingesetzt werden, wenn es nach der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geht.

Das ging so nach dem Motto: Der Zug ist längst durch den Bahnhof durchgefahren, jetzt versuchen wir noch aufzuspringen. Das war dann leider ein bisschen zu spät.

Damit haben Sie letztlich Versuche unternommen, alles auf Peter Strieder zu schieben. Das war der erste Versuch: Misstrauensantrag gegen Strieder, das reicht, Klappe zu, Affe tot. Der nächste Versuch fand dann im