Protokoll der Sitzung vom 17.03.2004

Die Fragen sind: 1. Wie viele sind es? 2. Wo fängt überhaupt der außertarifliche Bereich an? 3. Sind die Vorgaben und Grundsätze, die der Aufsichtsrat aufgestellt hat, tatsächlich eingehalten worden? – Diese Fragen müssen jetzt beantwortet werden. Der Landesrechnungshof sagt, die Grundsätze des Aufsichtsrats sind nicht eingehalten worden. Das wäre tatsächlich ein Skandal, da haben Sie Recht.

Dann stellt sich auch die Frage nach den personengebundenen Dienstwagen bei der BVG. Ich bin seit Jahren treuer Stammkunde der BVG und benutze sie auch gern. Im Gegensatz zu den Aussagen vieler Fensterreden von der FDP oder anderen funktioniert dieses Nahverkehrssystem auch. Es funktioniert erstaunlich schnell und erstaunlich gut, wenn man sich die Taktzeiten anschaut und wie schnell man von A nach B fahren kann. Da wundert es mich, dass so viele Leute aus den Führungsetagen der BVG einen personenbezogenen Dienstwagen brauchen. Ich bin sehr froh, dass Senator Sarrazin gesagt hat, das wird kritisch durchleuchtet und auch deutlich zurückgefahren – das ist das Mindeste.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön! – Für die CDU hat noch einmal Herr Kaczmarek das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben alle mit großer Aufmerksamkeit den Worten des Finanzsenators und Aufsichtsratsvorsitzenden gelauscht. Ich muss leider sagen, von Mentalitätswechsel habe ich – an dieser Stelle jedenfalls – überhaupt nichts bemerkt. Da war die Frage, wer ist denn jetzt schuld an den Missständen? – Ich hörte aus Ihren Äußerungen heraus, Herr Sarrazin: Eigentlich schuld ist derjenige, der sie aufdeckt. – Das ist der eigentlich bestrafenswerte Vorgang, dass sich Pressevertreter – oder gar Abgeordnete, wie furchtbar! – mit diesen Dingen beschäftigen, das Unternehmen sozusagen schlecht reden. Das ist für Sie offensichtlich der wirklich unangenehme Teil. Ich sage Ihnen ganz klar: Für uns ist nicht die Tatsache unangenehm und unerfreulich, dass Missstände aufgedeckt werden – das ist zwingend –, sondern dass solche Missstände überhaupt geschehen.

Ich gehe kurz auf zwei Aspekte ein, die noch nicht angesprochen wurden, auf die Zahl der Beraterverträge und auch auf deren Volumen. Da gab es im letzten Jahr bei der BVG eine Planung. Man wollte für Beraterverträge maximal 5 Millionen € ausgeben. De facto war es fast das Doppelte, 9 Millionen €. Man muss sich die Augen reiben. Wie kann es dazu kommen? – Der Aufsichtsrat hat sich dieses Themas schon angenommen. Es muss aufgeklärt werden, und es müssen eventuell auch Konsequenzen gezogen werden.

[Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Man reibt sich noch einmal die Augen angesichts dessen, womit sich der BVG-Vorstand sonst noch beschäftigt – Stichwort: elektronisches Ticketing.

[Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Das elektronische Ticket soll jede einzelne Fahrt elektronisch erfassen und abrechnen. Selbst die BVG sagt in einer Projektion, dass dadurch vermutlich Gesamtkosten in Höhe von mindestens 50 Millionen € verursacht würden.

[Cramer (Grüne): 150 Millionen €!]

Dazu kommen hohe Investitionskosten in Technik und große technische und wirtschaftliche Risiken. Letztlich muss man an jedem U-Bahneingang, U-Bahnausgang, SBahneingang, S-Bahnausgang wie auch in jedem Bus und in jeder Straßenbahn Erfassungssysteme dafür haben, um solch einen – wahrscheinlich doch – „Unsinn“ einzuführen. Man muss sich sehr genau anschauen, was der BVGVorstand da vorschlägt. Es gab eine Projektgruppe zusammen mit der S-Bahn und mit der DB-Regio. Dort wurde dreisterweise schon gesagt, so richtig finanzieren wird es sich wohl nicht, wir brauchen eine Anschubfinanzierung durch das Land Berlin und das Land Brandenburg. – Ich glaube, wir brauchen keine Anschubfinanzierung; denn das ist nicht die richtige Initiative zur richtigen Zeit, das ist die falsche Initiative zur falschen Zeit.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wir reden über ein großes landeseigenes Unternehmen. Wenn man die BVG regelmäßig benutzt und ein bisschen mitreden kann, weiß man, dass der absolute Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen guten Job macht.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Da habe ich übrigens auch einen Fahrer oder eine Fahrerin und werde chauffiert, kann aber in Ruhe meine Zeitung lesen und brauche keinen eigenen Dienstwagen. Das ist oft angenehmer, als viele es sich vorstellen.

Wir sollten dieses Unternehmen nicht in Grund und Boden reden. Wir sollten uns über seine Zukunft unterhalten, die Ungereimtheiten schnell aufklären, die Verantwortlichen benennen und dann gemeinsam die Konsequenzen ziehen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Sie reden von Regelverstößen, die Sie sich von niemandem aufzwingen lassen wollen. – Herr Sarrazin! Wir wollen Ihnen keine Regelverstöße aufzwingen. Aber was wir Ihnen aufzwingen wollen, ist, dass Sie Ihre eigenen Worte ernst nehmen und dazu stehen, dass Sie den Mentalitätswechsel in dieser Stadt und eine Haushaltssanierung wollen, und zwar eine Haushaltssanierung, die den Gerechtigkeitskriterien folgt und nicht der Willkür. Dazu wollen wir Sie allerdings zwingen, auch mit dieser Debatte.

Ich habe auch aufmerksam die Erfolgsmeldungen gehört. Der Erfolg, mit dem Sie begründen, dass Führungskräfte bei der BVG entsprechend höhere Gehälter bekommen, ist: „Der Zuwachs der Verschuldung ist zurückgegangen.“ – Na, Donnerwetter! Wenn das schon ein Erfolg ist, dann sind Ihre Maßstäbe mittlerweile schon relativ bescheiden. Eigentlich müsste doch der Maßstab sein: Wann werden keine neuen Schulden mehr gemacht? – oder noch viel besser und wichtiger: Wann wird der Schattenhaushalt abgebaut? Wann werden die Schulden zurückgezahlt? – Das sind die Fragen, die sich uns stellen müssen und an denen man Erfolg messen kann.

Auch die Vergleichszahlen von Kienbaum – oder welchem Berater auch immer – helfen uns nur bescheiden weiter. Tatsache ist: Die Zahl der Führungskräfte in diesen Bereichen ist zurückgegangen. Aber auch die Zahl der Beschäftigten ist dramatisch zurückgegangen; sie hat sich praktisch halbiert. Die Zahl der Führungskräfte hat sich nicht in gleichem Maße verringert. Deswegen muss man sagen: In diesen Leitungsbereichen ist unterproportional abgebaut worden – das alte Problem: Die Indianer hat man weggeschickt, die Häuptlinge sind zum großen Teil dort geblieben. Das kritisieren wir und prangern wir an.

Wenn Sie Vergleiche ziehen, vergleichen Sie doch auch einmal mit Berliner Unternehmen. Es gibt ein Berli

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ratzmann, ich empfehle Ihnen, das nächste Mal zu versuchen, frei zu sprechen und nicht die vorbereitete Rede völlig unabhängig von dem vorher hier Besprochenen einfach abzulesen. Vielleicht hilft Ihnen das. Vielleicht können Sie dann auch auf das hier Gesagte eingehen. So war es eine polemische Rede. Das offenbart ein politisches Kalkül, das von den Grünen hier an diesem Beispiel betrieben wird. Das heiße ich nicht gut, obwohl Sie es gern tun können. Sie werden aber auch den politischen Schaden davon tragen müssen.

Das politisches Kalkül bei den Grünen muss ich leider inzwischen so interpretieren, dass die viel besungene Freundschaft zur BVG als dem öffentlichen Nahverkehrsunternehmen offensichtlich darauf hinausläuft, es zu zerschlagen. Dies soll durch Skandalisierung der beschriebenen Vorgänge geschehen, aber nicht durch Problemlösungsstrategien. Das politische Kalkül, das von der FDP allwöchentlich in Anträgen nachzulesen ist, geht in die gleiche Richtung. Es geht um die schnellstmögliche Zerschlagung der BVG.

Ich finde es völlig in Ordnung, wenn Sie immer mehr Anträge stellen. Ich finde anderes aber eigenartig. Der Direktor für Marketing, Herr Tom Reinhold, ist sicherlich eine sehr geschätzte Persönlichkeit. Er sollte seine Arbeit auch richtig tun. Jedem ist es freigestellt, in entsprechenden politischen Parteien tätig zu sein. Wenn aber aus dem Haus der FDP ein Antrag nach dem anderen dringt und es dabei um die Zerschlagung der BVG geht, macht mich das stutzig.

ner Verkehrsunternehmen, das auch auf diesem Markt tätig ist, die Berliner S-Bahn, einem großen, bundesweit präsenten Konzern zugehörig, der auch hin und wieder SPD-Politiker unter Vertrag nimmt. Und dieses Unternehmen zahlt keineswegs vergleichbare AT-Gehälter wie die BVG und hat auch nicht den gleichen Ausstattungsstandard an Dienstwagen und anderen Privilegien und Vergünstigungen.

[Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Deswegen sollte man nicht so lange suchen, bis man vielleicht doch noch irgendein Unternehmen in diesem Land findet, dass vielleicht ähnliche Strukturen aufweist und ähnliche Privilegien gewährt. Man sollte sich an dem orientieren, was in dieser Stadt Maßstab ist. Die Bescheidenheit, mit der man in diesem anderen staatlichen Unternehmen vorgeht, ist Maßstab für die BVG.

Herr Sarrazin – ich hoffe, Sie haben Ihr Telefongespräch angenehmen Inhalts gleich beendet –, wenn Sie hier sagen, der Unternehmensvertrag sei ein Fehler gewesen, frage ich Sie, welchen Vorschlag Sie unterbreiten. Man kann sich darüber unterhalten, dass viele Bedingungen, die zu Grunde lagen, nicht eingetreten sind. Wollen Sie den Unternehmensvertrag kündigen oder modifizieren, wollen Sie andere Vorschläge für einen Unternehmensvertrag unterbreiten, oder wollen Sie gar keinen mehr haben? Wollen Sie die BVG vorzeitig dem Wettbewerb aussetzen? Was auch immer Sie vorhaben, Ihre Vorstellungen sind an dieser Stelle nicht deutlich geworden. Es genügt nicht, schon gar nicht für ein Senatsmitglied, einfach zu sagen, es wäre damals ein Fehler gewesen, es wären immer irgendwie die Vorgängersenate bis zurück in die Steinzeit gewesen, aber sie selbst hätten damit nichts zu tun; sie seien gerade erst da. Das, Herr Sarrazin, dient als Ausrede nach so vielen Jahren nicht mehr. Das können wir an dieser Stelle nicht akzeptieren.

Wir sollten uns auch nicht nur mit den Details dieser Finanzierungsfrage aufhalten. Es ist nur ein Symptom für den gesamten Zustand der BVG und auch ein Symptom für den gesamten Zustand der Wirtschaft in dieser Stadt. Es ist nicht so, dass in anderen städtischen Unternehmen, deren Performance nicht anders und wesentlich besser als das der BVG ist, großer Verzicht in den Chefetagen geübt wird. Ich erinnere nur an die Diskussion über Wohnungsbaugesellschaften, bei denen Prämien an Unternehmensvorstände gezahlt wurden und werden, obwohl kein operativer Gewinn, sondern vielmehr Verluste erzielt wurden. Ich erinnere nur an Vivantes, wo Spitzengehälter an die Führungskräfte gezahlt werden, obwohl das Unternehmen schon mehrfach vor dem Konkurs stand. Das sind nur wenige Beispiele für die Misswirtschaft in der Staatswirtschaft. Hier sind der Senat und Sie, Herr Sarrazin, ganz persönlich gefordert, diese Misswirtschaft zu beenden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Für die PDS hat Frau Matuschek das Wort.

Dass es hier um politisches Kalkül geht, ist doch offensichtlich jedem klar.

[Wieland (Grüne): Welches denn?]

[Dr. Lindner (FDP): Was hat denn das mit Reinhold zu tun?]

Die heutige Diskussion hat zum wiederholten Mal gezeigt, dass es nicht darum geht, die üblichen parlamentarischen Abläufe nach und nach auf die Reihe zu bekommen. Vielmehr ist schnelles Handeln gefragt. Deswegen haben wir uns auch wieder der Mühe unterzogen, diese Debatte zu führen. Schnelles Handeln ist gefragt, auch schnelles Handeln im Aufsichtsrat. Ich glaube nicht, dass man sich darauf hinausreden kann, dass ein bestimmtes Procedere so lange dauert, wie es dauert. Nein, Handeln ist gefragt sowie die Aufdeckung von Missständen. Ein Sanierungskonzept, das auch eine Chance auf Realisierung hat, muss entworfen werden.

Zum Sanierungskonzept ist schon so oft gesagt worden, dass die Kernkompetenz gestärkt werden muss,

[Zuruf des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Töchter auf Nebengeschäftsfeldern gegründet werden sollen und damit ein Ausbluten des Unternehmens in Kauf genommen wird.

Frau Matuschek

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Frau Matuschek! Sie haben hier einen Mitarbeiter der BVG zitiert und gemeint, er gehöre einer bestimmten Partei an. Sie sagten, er sei Marketingchef. Zum einen, Frau Matuschek, finde ich es unmöglich, einzelne Personen in einer öffentlichen Debatte zu benennen,

die überhaupt nicht Mitglied des Hauses sind, die nicht Stellung nehmen können. Natürlich gibt es bei der BVG – wie in allen anderen Unternehmen – Mitglieder wahrscheinlich aller Parteien. Was hat das nur mit unseren Anträgen zu tun, die zu mehr Wettbewerb bei der BVG und beim öffentlichen Nahverkehr führen sollen? Erläutern Sie uns bitte einmal, was das mit dem von Ihnen erwähnten Herrn, mit dem Marketingchef der BVG zu tun hat. Wir haben diese Anträge übrigens schon gestellt, als der Herr noch gar nicht bei dem Unternehmen tätig war. Es hat auch überhaupt nichts damit zu tun. Das ist eine dumme Unverschämtheit von Ihnen gewesen, sonst gar nichts.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Lindner!

[Dr. Lindner (FDP): Ich möchte eine Zwischenfrage stel- len! – Gestatten Sie eine Frage?]

Nein! – Eine Orientierung auf ein teures und in seiner Wirkung fragwürdiges elektronisches Ticketing –

[Dr. Lindner (FDP): Ich hatte eine Zwischenfrage!]

Nein! – Dennoch wird seitens des BVG-Vorstandes immer dieses elektronische Ticketing als Allheilmittel in Aussicht gestellt. Wir haben schon so oft gesagt, –

[Dr. Lindner (FDP): Darf ich meine Zwischenfrage stellen?]

Nein, Herr Lindner! – dass wir erwarten, dass das Unternehmen die Äußerungen aus dem politischen Raum wahrnimmt.