Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Ich erwähnte am Beispiel der deutsch-polnischen Wirtschaftsförderung bereits die Notwendigkeit, gerade dem Mittelstand Hilfestellung bei der Erschließung neuer Geschäftskontakte in den Beitrittsländern zu geben. Die Beitrittsländer müssen in den nächsten Jahren Anschluss an die Standards der EU finden – gerade im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur, des Umweltschutzes, aber auch der Lebensmittelsicherheit. Es gibt hier eine ganze Menge Know-how, das deutsche und auch Berliner Firmen zu bieten haben, welches sie in den Beitrittsstaaten verkaufen können. Hier ist aktive Wirtschaftspolitik gefordert, um Türen vor Ort zu öffnen, dauerhafte Präsenz der Wirtschaftsförderung aber auch der Berliner Spitzenpolitiker. Davon können wir zur Zeit nur relativ wenig sehen, hier herrscht starker Veränderungs- und Verbesserungsbedarf.

[Beifall bei der CDU]

Berlin ist auf eine intakte Verkehrsinfrastruktur angewiesen, gerade gen Osten. Die Güterverkehrs-prognose der Bundesregierung sagt klar, bis zum Jahre 2015 wird sich der Güterverkehr verdreifachen. Was das für unsere Straßen von und nach Berlin bedeutet, kann sich jeder ausmalen – hier herrscht Handlungsbedarf, sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Ich gebe hier nur das Stichwort, dass eine ICE-Verbindung nach Warschau überfällig ist und dass auf der anderen Seite die Straßen und Eisenbahnverbindungen für den Personen- und Güterverkehr fit gemacht werden müssen. Für eine Übergangszeit werden wir aber mit dem Status quo leben müssen, und dabei bedarf es intelligenter Ideen, wie man Teile des Verkehrs auf andere Verkehrsträger – z. B. von der Straße auf die Schiene – verlagern kann. Wir fordern, dass man mit Polen gemeinsam darüber nachdenkt, ob nicht die Einrichtung einer rollenden Landstraße möglich ist, um Lkw von der Straße herunterzuholen und auf die Schiene zu setzen. Es gibt hier auch das EUFörderprogramm „Marco Polo“, das eventuell helfen könnte, bei der Finanzierung einen Beitrag zu leisten.

[Beifall bei der CDU – Henkel (CDU): Sehr gut!]

Zum Schluss meiner Rede möchte ich Ihnen zwei Zahlen nennen und deutlich machen, dass wir auch in Berlin einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten haben:

Allensbach hat zum Jahreswechsel eine Meinungsumfrage in Deutschland durchgeführt und hat die Bevölkerung danach gefragt, wie sie die Bedeutung der Brüsseler Verordnungen einschätze. 80 % der Deutschen haben gesagt, dass nur 20 % der Entscheidungen in Brüssel für Deutschland wichtig seien. 80 % sind es in Wirklichkeit. Information und Aufklärung beginnt in der Schule, deshalb fordern wir, dass Europa auf den Lehrplan kommt, damit die Jugendlichen frühzeitig lernen und erkennen, was Europa bedeutet.

Die Erweiterung bringt für Berlin Chancen und Risiken. Damit sie genutzt werden, die Risiken beherrschbar bleiben, ist jedoch von uns Eigeninitiative gefordert. Dazu fordern wir den Senat auf. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU – Henkel (CDU): Bravo!]

Danke schön, Herr Kollege Tromp! – Das Wort für die Fraktion der SPD hat nunmehr der Kollege Zimmermann. – Bitte schön, Herr Zimmermann!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst festhalten, dass dieser rot-rote Senat, diese rot-rote Koalition durch eine Politik der Liberalität, der Weltoffenheit, der Offenheit gegenüber allen Kulturen eine wichtige Voraussetzung dafür schafft, dass Berlin auch beim Beitritt unserer östlichen Nachbarn eine hochattraktive Stadt ist. Das ist eine nicht zu unterschätzende Voraussetzung für den kommenden Beitrag am 1. Mai dieses Jahres.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Die Sozialdemokratie hat bereits in der Vergangenheit, weit vor dem Fall der Mauer, bewiesen, dass sie in der Lage ist, die Verständigung mit Osteuropa voranzutreiben. Dort sind bereits Grundlagen gelegt worden. Die Sozialdemokratie hat über Jahrzehnte Kompetenz erworben im Umgang und in der Verständigung mit Osteuropa. Jetzt zeigt sich, dass diese Kompetenz wichtig ist, und sie zeigt sich in der aktuellen Politik dieser Regierung und dieser Koalition.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Wir haben ein Problem, und der Kollege Tromp hat es zu Recht angesprochen. Wir haben das Problem der Akzeptanz in der Bevölkerung. Ich möchte den Zahlen, die Herr Tromp genannt hat, eine weitere hinzufügen. Nach einer jüngsten Umfrage sehen rund 60 % der Ostdeutschen den Beitritt mit Sorge und nur rund 35 % mit Freude. Das ist der Durchschnitt in Ostdeutschland, in Berlin sieht es etwas besser aus. Da sind es 51 %, die mit Sorge dem Beitritt unserer östlichen Nachbarn entgegenblicken. Das muss uns hellhörig machen, das muss uns veranlassen, dass wir jetzt und auch in den nächsten Monaten stärker darauf hinwirken, ein Bewusstsein in der Öffent

lichkeit für die Chancen der Osterweiterung für Berlin zu schaffen. Wir sind dabei alle gefordert, und ich plädiere dafür, diese Anstrengungen auch zu unternehmen.

Zwei Bedenken greife ich auf, die wir ernst nehmen müssen. Das eine ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit – Herr Tromp hat es bereits angesprochen – und da die Übergangsfristen. Wir müssen die Sorge der Menschen, dass es eine erhöhte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt geben könnte, ernst nehmen. Wir müssen Fakten entgegenhalten. Einen Fakt nenne ich, der sehr viel von diesen Bedenken wegnehmen kann. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und das Bundesfinanzministerium haben berechnet, dass die Nettoimmigration von Arbeitnehmern aus den Beitrittsländern nach Deutschland zunächst 180 000 bis 200 000 Menschen betragen und dann über die Jahre sukzessive abnehmen wird. Das heißt, es wird zu Bewegung in den grenznahen Gebieten kommen, aber es wird nicht diese dramatische Entwicklung nehmen, dass die Menschen wirklich Angst um ihre Arbeitsplätze haben müssen. Diese Gefahr, die von manchen sehr schwarz gemalt wird, ist stark zu relativieren. Mit diesen Zahlen können wir die Ängste der Bevölkerung relativieren.

Ein zweites Bedenken greife ich auf, nämlich, dass mit Öffnung der Grenzen reihenweise Unternehmen abwandern würden, weil sie unter besseren Bedingungen in den östlichen Nachbarländern günstiger produzieren könnten. Auch dabei muss gesagt werden – das sind Berechnungen des Bundesfinanzministeriums und des DIW –, dass am Ende der Export von Unternehmen den anderen Entwicklungen bei weitem nachstehen wird. Anders gesagt, es wird ein überdurchschnittliches Ausbaupotential für die Wirtschaft in Ostdeutschland und besonders Berlin bestehen, so dass etwaige Abwanderungseffekte kompensiert, sogar überkompensiert werden. Auch dabei kann man den Menschen plausibel machen, dass die Chancen eindeutig die Risiken überwiegen. Dass müssen wir den Menschen sagen.

Ich will auf die entscheidenden Punkte eingehen, die Berlin dazu beitragen kann. Wir müssen uns zwei Fragen stellen. Was bringt der Beitritt der Nachbarn für Berlin? Was kann Berlin zum Gelingen der Integration Osteuropas beitragen? – Die Schwerpunkte einer aktiven Mittel- und Osteuropapolitik sind bereits seit langem festgelegt. Der Senat hat es in seinem Positionspapier dezidiert aufgeschrieben. Einige Stichpunkte nenne ich. Wir müssen die Außenhandelsbeziehungen verbessern. Gerade für Berliner mittelständische Unternehmen entstehen neue Betätigungs- und Absatzmöglichkeiten, die genutzt werden müssen. Wir sollten darauf achten, dass sich die Wirtschaftsförderung, die vorhanden ist, zielgerichtet auf diese Möglichkeiten orientiert. Das wäre eine Aufgabe der Förderpolitik in Berlin. Wir müssen – da kann ich Herrn Tromp nur zustimmen – auf allen Ebenen darauf drängen, dass die Verkehrsinfrastruktur in Richtung Osten ausgebaut wird; wir müssen unser Hauptstädtenetzwerk mit den Partnerstädten Warschau und anderen entwickeln – und

übrigens dann gegenüber der EU auf Einhaltung und Fortschreibung der Programme wie z. B. URBAN drängen, von denen Berlin profitiert; wir müssen gemeinsam mit Brandenburg eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit organisieren – auch das, Herr Tromp, steht bereits in dem Arbeitsprogramm, das wir gemeinsam mit den Brandenburgern umsetzen wollen. – Am Ende kann man sagen, vieles von dem, was Sie angesprochen haben und was auch in den uns vorliegenden Anträgen gefordert wird, ist bereits erklärte Politik der Koalition, steht in den Programmen des Senats und muss mit Leben erfüllt werden.

[Abg. Schruoffeneger (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Wir sollten darauf drängen, dass es mit Leben erfüllt wird.

Wir werden uns im Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten und Medienpolitik Ihre Anträge genau ansehen. In diesem Ausschuss ist es schon einmal vorgekommen, dass ein vernünftiger Antrag der Opposition angenommen wird, das kann überhaupt nicht ausgeschlossen werden. Wir werden im Detail beraten, wo es noch weiteren Handlungsbedarf gibt,

[Krestel (FDP): Aber nicht so gönnerhaft!]

über das hinaus, was der Senat ohnehin macht. Deswegen werden wir gemeinsam für einen vernünftigen Beitritt sorgen.

Herr Kollege Zimmermann! – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schruoffeneger? – Redezeit haben Sie noch genug.

Herr Schruoffeneger! – Bitte!

Danke! – Das ist ja jetzt fast eine Endfrage.

So ist es!

Herr Zimmermann! Nachdem Sie uns jetzt die Erfolgsstory und das, was wir in den Partnerschaften mit Osteuropa machen sollten, erzählt haben, können Sie mir erklären, warum das Land Berlin und der Senat es in den letzten 24 Monaten geschafft haben, insgesamt 12 Hochschulpartnerschaften zwischen Berliner Hochschulen und ost- und mitteleuropäischen Hochschulen zu beenden? Halten Sie das für einen sinnvollen Weg

[Niedergesäß (CDU): Skandal!]

in dem Sinn, den Sie eben beschrieben haben, Partnerschaften aufzubauen?

Bitte schön, Herr Zimmermann!

Hochschulpartnerschaften sind ein sinnvolles Instrument, um die Kooperation zu verbessern. Warum diese Partnerschaften beendet wurden, kann

ich Ihnen im Einzelnen nicht sagen. Aber der Grundsatz ist richtig: Wir müssen sowohl im Wissenschaftsbereich als auch im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich zu einer Kooperation kommen. Wenn einzelne Projekte wegfallen und durch neue Projekte ersetzt werden und dann der Saldo dennoch stimmt, Herr Schruoffeneger, dann bin ich sicher, werden auch Sie daran nichts auszusetzen haben. – Danke schön!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Herr Kollege Zimmermann! – Das Wort für die FDP-Fraktion hat nunmehr der Kollege Hahn. – Bitte schön!

Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen!

[Beifall bei der FDP]

Es ist spät, eigentlich zu spät für eine Europapolitische Debatte. Wir haben heute Mittag in der Fragestunde über die Aktion toter Winkel diskutiert. Jetzt diskutieren wir hier im toten Winkel des Parlamentsbetriebs. Der Sender hat bereits abgeschaltet, die Pressetribüne ist leer, , Pardon – Frau Grunert achtet auf die sprachliche Korrektheit – ich werde mich auch darum bemühen. Der zuständige Senator Wolf ist gegangen, er saß aber den gesamten Nachmittag herum, wie er auch sonst sein Amt führt: mutlos, kraftlos, lustlos.

[Henkel (CDU): Saftlos!]

Immerhin, der Regierende Bürgermeister ist da.

Ich habe eben etwas lauter gesprochen, weil ich Sie wach rütteln möchte, im wörtlichen, aber auch im übertragenen Sinne. Es ist wahrlich spät, dass wir gewahr werden, was durch die Osterweiterung von uns verlangt wird. Wir diskutieren heute eben nicht nur einige Anträge der CDU-Fraktion, die zudem in reichlich Fachchinesisch formuliert wurden, sondern wir diskutieren ein für Berlin existentiell bedeutendes Thema: Sind wir vorbereitet auf die Veränderung Europas? Das Thema ist zentral für die künftige Entwicklung Berlins, für Wirtschaft, Arbeitsmarkt und öffentliche Finanzen.

Vor acht Wochen erschien ein alarmierendes Interview des IFO-Präsidenten Hans-Werner Sinn in der „Welt“. Unter der Überschrift: „Löhne im Osten müssen sinken – IFO-Chef Sinn: Ostdeutsche Länder sind bei der EU-Osterweiterung zunächst Verlierer“ führte er auf die Frage aus:

Bei Politikern in Ostdeutschland wächst die Sorge, dass mit der EU-Osterweiterung der Aufbau Ost endgültig zum Erliegen kommt. – Sind solche Befürchtungen berechtigt? – Hans-Werner Sinn: Sie sind berechtigt, denn zum einen werden die aus Brüssel kommenden Fördermittel deutlich reduziert und fehlen künftig beim Ausbau der Infrastruktur, zum anderen wird der Wettbewerbsdruck unvergleichlich viel härter und eine Intensität an

nehmen, die sich anfangs der 90er Jahre noch niemand vorstellen konnte.

Er sagte weiter, für das Wachstum in Ostdeutschland fürchte er eine negative Entwicklung:

Zwar befindet sich Ostdeutschland nach der Osterweiterung nicht mehr in einer Randlage. Das wird ganz langfristig auch ökonomische Vorteile bringen. Vorläufig verlieren die ostdeutschen Länder aber als Investitionsstandort an Attraktivität. In Ostdeutschland sind die Löhne fünfmal so hoch wie in Tschechien und Polen. Deshalb sind die neuen Bundesländer als Zielregion für Kapital zunehmen uninteressant. Westdeutsche und internationale Investoren werden weiterhin über Ostdeutschland hinweghüpfen.

Das ist wohl die Wahrheit. Was hier für Ostdeutschland gesagt wurde, gilt natürlich genauso für Berlin.

Wie sind wir also auf die Osterweiterung vorbereitet? – Von den negativen und problematischen Seiten war bisher in der öffentlichen Debatte nicht die Rede. Das ist noch immer ein Tabuthema. Können wir uns das Tabu leisten? – Nein, sage ich. Insofern sind die Anträge der CDU durchaus berechtigt, wenn sie das Tabu ansprechen.

Wie steht es mit den Chancen der Erweiterung? Sind wir vorbereitet, um Chancen wahrnehmen zu können? – Da gibt es das Positionspapier des Landes Berlin zur Zusammenarbeit mit den mittelosteuropäischen Staaten des Senats. Der Kollege Zimmermann hat es erwähnt.. Darin findet sich die Feststellung, dass nicht alles nach Wunsch laufe. Das war reichlich euphemistisch formuliert. In Wahrheit ist die Lage viel dramatischer. Der „Tagesspiegel“ fasste das im Oktober 2003 sehr schön zusammen. Unter der Überschrift: „Dortmund liegt Polen näher als Berlin“ führte er aus:

Berlin kann, was die Dynamik des Osthandels angeht, im Vergleich mit anderen Bundesländern trotz seiner Lagevorteile bisher nicht Schritt halten. Zehn Prozent des Berliner Exports gehen in die Länder Mittel- und Osteuropas.