Protokoll der Sitzung vom 28.10.2004

b) Antrag

Antidiskriminierungs- und Integrationsfördermaßnahmen für Berlin

Antrag der SPD und der PDS Drs 15/3254

Für die Beratung ist eine Redezeit von bis zu fünf Minuten pro Fraktion vorgesehen. Es beginnt die Fraktion der SPD. Der Kollege Kleineidam nähert sich und hat das Wort. – Bitte schön!

Danke sehr, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Wir erleben es nicht oft, dass den Beratungen eines Gesetzes hier im Haus eine so breite und ausführliche öffentliche Diskussion vorangeht, wie es in diesem Fall geschehen ist. Die Diskussion wurde vor 13 Monaten durch das so genannte Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Gang gesetzt und war – so jedenfalls mein Erleben – teils durch große Sachlichkeit geprägt, leider aber auch von starken Emotionen gekennzeichnet. Deshalb ist es notwendig, bevor wir in die eigentliche Beratung eintreten, noch einmal deutlich zu machen, worum es tatsächlich geht.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil deutlich gemacht, dass religiöse Symbole bei staatlich Bediensteten verboten werden können, dass es dafür aber eines Gesetzes bedarf. Es hat zugleich deutlich gemacht, in welchem Spannungsfeld ein solches Gesetz zu bewerten ist. Es hat darauf hingewiesen, dass die religiöse Vielfalt in unserer Gesellschaft immer mehr zunimmt. Wir wissen alle aus eigenen Erfahrungen, dass es dabei auch sehr problematische Bereiche gibt. In allen Religionen sind fundamentalistische Strömungen problembehaftet –

Ich weiß, dass es daran Kritik gibt, und weise deshalb darauf hin, dass der Kitabereich in unserem Land rechtlich anders konstruiert ist. In die Schule müssen die Kinder auf Grund der Schulpflicht gehen; sie haben keine andere Wahl. Und wenn ich mit der Polizei oder mit dem Strafvollzug konfrontiert werde, habe ich auch keine Wahl; dort gelten andere Maßstäbe, deshalb diese Differenzierung. Es geht mit dem Neutralitätsgesetz darum, Konflikte abzubauen, zu vermeiden, um letztlich ein friedliches Miteinander der unterschiedlichen Religionen in dieser Stadt zu ermöglichen.

Dafür ist es erforderlich, dass ein konstruktiver Dialog in Gang kommt. Wir haben Ihnen daher parallel zu dem Gesetz einen Antrag vorgelegt, der Integrationsmaßnahmen und Antidiskriminierungsmaßnahmen beinhaltet. Wir können sie im Einzelnen noch in den Ausschüssen diskutieren. Das will ich hier nicht weiter ausführen. Aber ich möchte für die Beratung alle Mitglieder dieses Hauses ganz herzlich darum bitten, sich um große Sachlichkeit zu bemühen und insbesondere keine in Berlin lebenden Menschen zu diskriminieren, nur weil sie einer Religion angehören. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir sollten das Gesetz, sollten den Antrag sorgfältig diskutieren und deutlich machen: Berlin ist eine weltoffene Stadt, in der alle Menschen, die hier friedlich miteinander leben wollen, willkommen sind.

wenn ich es so formulieren darf – und werfen Fragen auf. Die Frage, die sich uns stellt, ist: Wie muss sich der Staat in solchen Konflikten verhalten?

Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Alternativen aufgezeigt. Es hat gesagt: Zum einen kann sich im Bereich Schule gerade auch die Pluralität der Gesellschaft widerspiegeln, um so die Schülerinnen und Schüler zu Toleranz zu erziehen. – Auf der anderen Seite hat es aber auch gesagt: Es kann eine Situation entstehen, die so konfliktträchtig ist, dass der Staat sich verstärkt auf seine neutrale Position zurückziehen muss. – Wir, das heißt, meine Fraktion der SPD, sind der Auffassung, dass bei den Diskussionen in unserer Stadt eine Betonung der staatlichen Neutralität erforderlich ist, wollen dabei aber zugleich ganz deutlich machen, dass es nicht darum gehen kann, eine Religion gegen die andere auszuspielen. Die 200 000 Muslime, die in Berlin leben, haben selbstverständlich das Recht, ihrer Religion nachzugehen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Und es steht uns in keiner Weise zu, durch ein Gesetz Bewertungen vorzunehmen.

[Beifall des Abg. Zillich (PDS)]

Wir haben darüber zu entscheiden, wie die staatlichen Organe sich in dieser gesellschaftlichen Diskussion verhalten. Die Koalition hat deshalb ein Neutralitätsgesetz vorgelegt – bzw. der Senat hat es eingebracht –,

[Ritzmann (FDP): Wer hat es denn geschrieben?]

das alle Religionen gleich behandelt. Ich weise noch einmal auf das Bundesverfassungsgericht hin, das sich in seinem Urteil diesbezüglich ganz eindeutig geäußert hat:

Schließlich bedarf die Einführung einer Dienstpflicht, die es Lehrern verbietet, in ihrem äußeren Erscheinungsbild ihre Religionszugehörigkeit erkennbar zu machen, auch deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, weil eine solche Dienstpflicht in verfassungsmäßiger Weise nur begründet und durchgesetzt werden kann, wenn Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei gleich behandelt werden. Damit erübrigt sich jede Diskussion darüber, ob wir allein das Kopftuch oder andere Symbole verbieten können. Wir haben alle Religionen gleich zu behandeln.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Der vorliegende Gesetzentwurf geht über die ursprünglich aufgeworfene Frage, die sich auf die Schule bezog, hinaus und bezieht konsequenterweise alle Bereiche staatlichen Handelns von hoher Sensibilität, nämlich die Bereiche, wo der Staat den Bürgerinnen und Bürgern im wahrsten Sinne des Wortes mit Staatsgewalt gegenübertritt, den Strafvollzug, die Rechtspflege, die Polizei, mit ein. Wir haben – in einer abgeschwächten Form – weiterhin die Kindertagesstätten mit einbezogen.

[Zuruf der Frau Abg. Schultze-Berndt (CDU)]

[Zurufe der Abgn. Frau Schultze-Berndt (CDU) und Frau Senftleben (FDP)]

Danke schön, Herr Kollege Kleineidam! – Es folgt die Fraktion der CDU. Der Kollege Apelt hat das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist nicht verwunderlich, dass die CDU eine andere Auffassung hat, als diesem Gesetzentwurf zu Grunde gelegt worden ist. Ohnehin ist die Frage, in welcher Form Religionsfreiheit gewährt werden darf – sie ist auch grundgesetzlich festgeschrieben –, höchst umstritten. Selbst die Bundesverfassungsrichter sind sich in ihrem berühmten „Kruzifix-Urteil“ vom Mai 1995 und in dem ebenso umstrittenen „Kopftuch-Urteil“ vom September 2003 nicht einig gewesen. Beide Urteile sind nicht einstimmig ergangen. Die Richter stimmten einmal 6:2 und einmal 5:3.

[Frau Seelig (PDS): Das ändert aber nichts!]

Einig sollten jedenfalls wir uns darin sein, dass es uns um die Ausübung von Religionsfreiheit in dem Sinne geht, dass jeder Grundrechtsträger seinen Glauben leben kann und Bekenntnisse nicht oktroyiert werden dürfen. Das hat etwas mit Toleranz und dem Selbstverständnis zu tun, dass wir religiöse Bekenntnisse anerkennen und akzeptieren müssen. Und niemand – das gilt für Christen, Moslems, Juden gleichermaßen – darf sich als etwas Besseres dünken. Gleichbehandlung – Herr Kleineidam sagte es eben – ist damit eingeschlossen. Wir möchten ganz ausdrücklich die Gleichbehandlung von Religionen.

Insofern hoffen wir, dass wir zu einem Rechtsfrieden zurückfinden, den dieser Gesetzesantrag bisher nicht vorgibt. Ich hoffe auch für unsere Fraktion, dass Sie in den Ausschüssen bereit sind, noch einmal darüber zu diskutieren, um einen Ansatz zu finden, der allen Menschen in dieser Gesellschaft gerecht wird. – Danke schön!

aber trotzdem hat er wieder versucht, ein Vorurteil zu reanimieren, wonach das Kopftuch dem Charakter nach ein anderes Symbol darstellt als das Kreuz, die Kippa oder sonst ein religiöses Symbol.

Das ist nicht bewiesen, und darüber haben wir schon des öfteren geredet. Es ist auch nicht Aufgabe dieses Hauses – wie Herr Kleineidam richtig bemerkt hat –, die religiösen Motive des Einzelnen, wenn er ein religiöses Symbol trägt, zu bewerten.

Dies alles gipfelt allerdings in dem Neutralitätsgebot, das das Grundgesetz vorgibt. Durch die grundgesetzliche Verweisung auf die Kirchenartikel der Weimarer Rechtsverfassung gestaltet das Grundgesetz das Neutralitätsgebot im Sinne einer Zusammenarbeit des Staates mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften, was auch deren Förderung – wir spüren das – einschließt. Zu diesem Neutralitätsgebot gehört auch das Verbot der Missionierung und damit der Oktroyierung von Anschauungen und – ich gehe noch weiter – der bewussten Beeinflussung, etwa im öffentlichen Dienst.

In diesem Punkt trägt der Gesetzentwurf auch den richtigen Ansatz. Aber dann findet er den falschen Schluss. Warum? – Weil Sie Symbole und ihre Wirkungen gleichsetzen, die nicht gleichzusetzen sind; weil Ihr Verhältnis zum Neutralitätsgebot des Staates ein ganz anderes ist. Das Kreuz als Symbol christlicher Überzeugung hält sich an diesen Neutralitätsgrundsatz. Dem Christentum kann man heute kaum noch nachsagen, dass es nicht auf der Basis des Grundgesetzes fußt oder dass es – weil es missionarisch tätig ist – den Staat in Frage stellt. Das Gleiche gilt etwa auch für das Judentum und den Davidstern.

[Ritzmann (FDP): Und der Islam?]

Dagegen ist das Kopftuch das Symbol eines politisch fundamentalen Islamismus.

[Beifall bei der CDU]

Es ist gerade seit den 70er Jahren Teil der ReIslamisierung von Staat und Gesellschaft geworden. Es ist Teil der Betonung eines sittlichen Unterschieds zwischen Frauen und Männern. Es ist – auch wenn die Trägerinnen das vielleicht nicht so bewusst wahrhaben wollen – Symbol für ethische Werte, die für uns nicht gelten. Oder es werden mit diesem Symbol Werte in Frage gestellt, die für uns selbstverständlich zu gelten haben wie z. B. Gleichberechtigung, gesellschaftliche Gleichstellung von Männern und Frauen und Gleichwertigkeit.

[Beifall der Frau Abg. Schultze-Berndt (CDU)]

Das Kopftuchtragen bildet einen wichtigen Bestandteil einer angestrebten islamischen Ordnung, wie sie von einigen islamischen Gruppen proklamiert wird. Das hat mit einer modernen, demokratischen Gesellschaft nichts mehr gemein.

Mit ihrem Gesetzentwurf und der Gleichstellung der Symbole unterstellen Sie allen diesen religiösen Symbolen und Bekenntnissen den gleichen Ansatz, obgleich Sie wissen, dass gerade die christlich-jüdisch-abendländische Tradition und deren Erbe in unser modernes Staats- und Rechtswesen eingegangen ist.

[Frau Seelig (PDS): Er ist aber verfassungskonform!]

Es dürfte insofern nicht verwunderlich sein, wenn die Kirchen gegen Ihren Ansatz Sturm laufen, weil Sie in der Tat die Falschen treffen. Dieses christlich-jüdische Erbe ist Bestandteil unseres Selbstverständnisses geworden und ein Stabilitätsfaktor in unserer Auseinandersetzung mit

jeder Art von menschenverachtenden Ideologien, Werten, aber auch von religiösen Systemen.

[Beifall bei der CDU]

Das Wort für die Fraktion der PDS hat nun der Kollege Wolf. – Bitte schön!

Wir haben von Herrn Apelt keine Kreuzritterrede zur Verteidigung des Abendlandes gehört, wie sie sonst Herr Henkel üblicherweise vorträgt,

[Ritzmann (FDP): Es war der gleiche Inhalt!]

[Frau Schultze-Berndt (CDU): Er hat es auch begründet. Sie hätten zuhören sollen!]

[Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

Das ist nicht unsere Aufgabe. Es schürt in dieser aktuellen Auseinandersetzung eher Vorurteile, anstatt dass es zum Frieden in dieser Stadt beiträgt.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen und der FDP – Zurufe von der CDU]

Es ist bekannt, dass es zwischen SPD und PDS eine Reihe von ernsten Differenzen in diesem so genannten Kopftuchstreit gab. Ich habe an dieser Stelle am 19. Februar gesagt – und finde das auch nach wie vor richtig –: Mit staatlichen Verboten, die auf religiöse und weltanschauliche Symbole zielen, sollte man vorsichtig sein, und zwar aus grundsätzlichen bürgerrechtlichen und rechtsstaatlichen Erwägungen, aber auch mit Blick auf die praktischen Risiken und Nebenwirkungen. – Sicher ist, dass wir keiner Regelung zustimmen werden, die allein gläubige Muslime – so, wie Herr Apelt das gemacht hat – unter den Verdacht stellt, das Neutralitätsgebot des Staates zu verletzen.