Wir werden auch das Projekt Berlin-Brandenburg, obwohl es angesichts der Berliner Haushaltslage schwer belastet ist, weiter zu verfolgen und voranzutreiben suchen, weil uns klar ist: Es gibt für Berlin nur eine Zukunft in der gemeinsamen Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg. Vor allem werden wir die Möglichkeiten und Chancen der Osterweiterung der EU nur gemeinsam mit Brandenburg und nicht gegen Brandenburg nutzen können.
Deshalb werden wir versuchen, diese Chance weiter zu nutzen, an dieser Chance weiterzuarbeiten, um für die Stadt neue Zukunftsmöglichkeiten zu erschließen.
Für die Eröffnung von Zukunftschancen für die Stadt gehört auch dazu, dass wir ein anderes Klima in der Innenpolitik brauchen. Wir brauchen einen Senat – und glücklicherweise haben wir jetzt eine Koalition, die das so vereinbart hat –, die gegenüber den Menschen anderer Nationalität, die in dieser Stadt leben und in diese Stadt kommen wollen, deutlich macht, dass sie hier als Zukunftspotential, als Menschen, die uns Qualifikationen bringen, die Arbeitskräfte sind, die ihre kulturellen Erfahrungen mitbringen, willkommen sind.
Wir wollen diese Menschen und sie hier gleichberechtigt behandeln und ihnen ihre Bürgerrechte geben.
Flüchtlinge werden zukünftig in dieser Stadt anständig behandelt werden und nicht als Objekte genutzt werden, auf deren Kosten man Stammtischparolen zur Befriedigung des rechten Randes in der eigenen Partei von sich gibt. Flüchtlinge werden hier eine Zuflucht und einen anständigen Aufenthaltsort haben.
Wir werden im Rahmen einer Politik der inneren Liberalität deutlich machen, dass die Polizei ein Partner der Bürger bei der Herstellung von innerer Sicherheit ist und dass sie nicht zu parteipolitischen Zwecken genutzt wird, sondern der Herstellung der öffentlichen Sicherheit im Sinne einer Deeskalation und der Kooperation mit den Bürgern dienen kann.
Ich komme nun zum Thema Mentalitätswechsel. In der Regierungserklärung hat der Regierende Bürgermeister gesagt, dass sich in dieser Stadt einiges ändern muss. Es soll nicht mehr diskutiert werden, um nicht zu entscheiden, sondern muss diskutiert werden, um zu entscheiden. Das beinhaltet zwei Elemente: Zum einen müssen wir uns in der Stadt darauf verständigen, was der Ausgangspunkt, was die Realität ist, welches die Probleme sind und welche Chancen es sind, die diese Stadt hat.
Wenn wir eine gemeinsame Problemsicht haben, können wir uns darüber streiten, wie wir Lösungen finden. Es geht allerdings nicht – das sage ich für uns ganz klar; wir werden es nicht hinnehmen –, dass man sich den Realitäten verweigert und so tut,
als ob die Haushaltslage nicht so ist, wie sie ist und so tut, als ob die wirtschaftliche Entwicklung Berlins nicht so ist, wie sie ist. Wir wollen eine gemeinsame Diskussion und eine neue Kultur des Dialogs mit den verschiedenen Interessengruppen in dieser Stadt, die eine Voraussetzung haben, die Wahrnehmung des Ausgangspunkts sowie den Streit und die Diskussion über die Art und Weise, wie die Lösungen und Auswege sein können. Es muss aber zu jedem abgelehnten Vorschlag eine Alternative geben. Sonst hat die Diskussion keine ehrliche Grundlage. Es kann sich hier keiner mehr vor dieser Herausforderung drücken. Es kann sich keiner mehr, weder in diesem Parlament noch in der Stadt, vor der Notwendigkeit drücken, dass wir diese Stadt nur in einem Gemeinschaftswerk aller Bürger und aller Interessengruppen auf die Füße stellen können.
Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten. Wir haben unsere Vorschläge öffentlich unterbreitet. Wir werden weitere Vorschläge zur Lösung dieser Probleme machen. Diese Vorschläge werden nicht einfach sein. Sie werden in sehr vielen Interessengruppen den Protest hervorrufen. Wir werden bereit sein und haben das Interesse daran, mit all diesen Interessengruppen in die Diskussion und Auseinandersetzung zu gehen, wie wir es am Beispiel der Hochschulmedizin gezeigt haben. Wir sind auch bereit, uns Alternativvorschläge anzuhören.
Nur wenn es keine Alternative gibt, wenn sich dieser Diskussion verweigert wird, dann sind wir auch entschlossen, unsere Vorschläge durchzusetzen und umzusetzen, weil es notwendig ist, dass in dieser Stadt endlich wieder entschieden und gehandelt wird und nicht Verschiebeverfügungen erteilt werden. Die Stadt muss in die Lage versetzt werden, ihre Zukunftsaufgaben zu bewältigen. Wir müssen den Sanierungsfall Berlin, Herr Steffel, durch die Nutzung der Chancen, die diese Stadt bietet, auch sanieren.
Ich bin sofort fertig, Herr Präsident! – Die Chance, die diese Stadt hat, besteht nicht daran, zu leugnen, dass sie ein Sanierungsfall ist, sondern zu wissen, dass sie sanierungsfähig ist. Ich fordere alle auf, sich an diesem Sanierungswerk zu beteiligen und sich nicht den damit verbundenen Notwendigkeiten zu verweigern. Offene Diskussionen und Auseinandersetzungen müssen sein. Es muss aber auch im Interesse der Stadt und vor allem im Interesse der Zukunft der Menschen in dieser Stadt entschieden werden!
Vielen Dank, Herr Wolf! – Bevor wir zur nächsten Fraktion haben, hat der Abgeordnete Niedergesäß von der Fraktion der CDU das Wort zu einer Kurzintervention von maximal 3 Minuten. § 63 der Geschäftsordnung erlaubt dies. Ich bitte um Gehör und strenge Disziplin bei den 3 Minuten!
Vielen Dank, Herr Präsident! So lange werde ich nicht brauchen. – Herr Wolf! Sie haben in sehr vielen Redewendungen überzeugend die Probleme dargestellt.
Bleibt schön ruhig, ihr Sozialdemokraten! – Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie das Milliardenproblem des sozialen Wohnungsbaus, des kuriosen Finanzierungsmodells, das die Damen und Herren Sozialdemokraten 1972 eingebracht haben, lösen wollen. Bei der von mir gestellten Frage sind Sie sicherlich die einzige Partei, die sich diesbezüglich in diesem Haus nicht mit Schuld beladen hat. Sie stehen inzwischen bei 45 Milliarden DM bis 50 Milliarden DM Schulden. Jährlich kommen – unter Mitrechnung der Verzinsung – mindestens 4 Milliarden § bis 5 Milliarden Euro hinzu. Wie wollen Sie sich aus dieser Klemme lösen?
Die CDU hat – das muss ich zur Ehrenrettung sagen – in der zweiten Hälfte der 80er Jahre versucht, aus diesem Riebschläger-Modell auszusteigen. Daraufhin ist sie prompt abgewählt worden. Das kann Ihnen nun nicht passieren. Welchen Vorschlag können Sie unterbreiten, wie wir aus dieser Schuldenfalle herauskommen? Alles, was Sie sonst zur Konsolidierung vorschlagen, können Sie wirklich in den Rauch schreiben. Die Vorschläge sind gegen diesen Brocken peanuts. Erklären Sie mir bitte, wie Sie aus dieser Milliardenfalle herauskommen wollen! – Danke!
Herr Präsident! Wenn man so nett gefragt wird, gebietet es die Höflichkeit, auch zu antworten. Herr Niedergesäß! 1. Wenn ich mich an die Westberliner Zeit richtig erinnere, war der Grund für die Abwahl der CDU 1989 nicht der, dass sie versucht hat, aus dem Westberliner System des sozialen Wohnungsbaus auszusteigen. Der Grund war ein ähnlicher Grund, weshalb sie jetzt abgewählt wurden: Sie war verstrickt in Filz und Korruption.
2. Es ist natürlich richtig, Herr Niedergesäß, dass die zinsgleichen Ausgaben aus dem sozialen Wohnungsbau eine erhebliche Haushaltsbelastung sind. Zur historischen Wahrheit gehört auch, dass die CDU sowohl in der 80er Jahren als auch in den 90er Jahren kräftig mitgemacht hat. Nun wissen Sie – wie ich –, dass diese Verpflichtungen bindend sind und erst einmal bedient werden müssen.
Richtig! – Wenn Sie die Koalitionsvereinbarung aufmerksam gelesen haben, wird Ihnen nicht entgangen sein, dass wir mit dem Bund Gespräche aufnehmen wollen, inwieweit das spezifische System der Wohnungsbauförderung, wie es in Westberlin – und nur dort – bundesweit einmalig existiert hat, nicht auch eine teilungsbedingte Sonderlast ist, von der Berlin durch eine solidarische Aktion entlastet werden muss.
Ansonsten werden Sie auch bei aufmerksamer Lektüre der Koalitionsvereinbarung festgestellt haben, dass wir aus diesem System weitgehend ausgestiegen sind und es keine Wohnungsbauförderung dieser Art mehr geben wird und zumindest keine weiteren Risiken aufbauen. Ich weiß, dass der Finanzsenator intensiv an Möglichkeiten arbeitet, wie man mindestens die bisher gewährten Anschlussförderungen in den Kosten reduzieren kann. Herr Niedergesäß, sachdienlichen Hinweisen und Ideen von Ihrer Seite stehen wir aufgeschlossen gegenüber!
[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen – Niedergesäß (CDU): Machen wir!]
Vielen Dank, Herr Wolf! – Nun hat endgültig für die Fraktion der Grünen der Abgeordnete Wieland das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Regierender Bürgermeister! Wir haben kurze Zeit gemeinsam regiert. Zunächst ein paar Worte des Mitgefühls, weil danach viel Kritik kommt – kommen muss. Man hörte, dass die Regierungserklärung gut werden sollte. Noch nie sei in der Senatskanzlei so lange an einer Regierungserklärung gearbeitet worden. Man hat sich extra zwei Wochen Zusatzformulierungszeit genommen.
Und dann kam wieder dieses negative Medienecho. Schon am Tag der Regierungserklärung hatte die „Süddeutsche Zeitung“ in einer Art Vorverurteilung – Herr Kollege Benneter, ich gebe es zu – den früheren Ghostwriter von Willy Brandt, Klaus Harpprecht, zu Wort kommen lassen. Der legte die Latte hoch. Ich zitiere:
Sache des Regierenden und seines Stabes ist es, die Kapitel zu einem Buch zusammenzufügen, das seine Handschrift trägt, falls er eine hat. Er muss den Geist beschwören, der das Programm durchwebt. Er hat die Tonlage anzuzeigen, die Grundakkorde anzuschlagen, die Generalthemen vorzugeben, die historische Ortsbestimmung zu versuchen, das intellektuelle, das moralische Niveau glaubwürdig zu demonstrieren und vor allem die Formulierungen zu liefern, die hernach – wie wir hoffen – in aller Munde sein werden.
Immerhin versteht er es, Sehnsüchte zu wecken, zum Beispiel das Heimweh nach Zeiten, in denen die Bürgermeister von Berlin ihre Muttersprache beherrschten – lange ist es her.
Das war etwas hart. Das gebe ich zu. Nach der Phase des Dasist-gut-so-Hosiannas ist jetzt die Phase des Kreuziget-ihn.
Ich habe mich umgehört, was von der Regierungserklärung des Klaus Wowereit noch in aller Munde oder wenigstens im Gedächtnis geblieben ist. Da kam einmal „Sparen bis es quietscht“. Das war in der Regierungserklärung nicht drin. Das ist haften geblieben. Dann kam der „Mentalitätswechsel“. Der war schon in der vorletzten Regierungserklärung im Sommer des vergangenen Jahres. Möglicherweise sind die Regierungserklärungen zu dicht aufeinander gefolgt.
Anders als die „Berliner Zeitung“, die extra den Leiter der Redeschule, Herrn Ditko, live kommentieren ließ, der sagte:
Körpersprache zu tot; keine Bewegung, und wer sich selbst nicht bewegt, kann den Saal nicht bewegen. Deswegen gibt es keinen Applaus“.
haben wir das nicht als Theaterkritik gesehen. Unsere rhetorischen Ansprüche waren gering – wenn wir ehrlich sind. Wir haben nach den Inhalten gefragt. Wir wollten bei den Inhalten mehr und Deutlicheres hören als bei Eberhard Diepgen. Wir wollten klare Vorgaben und Programmatik haben. Wir wollten nicht nur die Ziele – Herr Wolf, da stimmen wir großenteils überein –, sondern auch das Herunterbrechen der Ziele, nämlich: Wie kommen wir denn hin? – Das wollten wir hören. Und schließlich wollten wir auch eine Art Philosophie einer erstmals rot-roten Regierung in dieser Stadt erleben. Da wurden wir vollständig enttäuscht. Das hat auf ganzer Linie gefehlt.
Gerade weil dieser Senat nach eigener Einschätzung einen Fehlstart hingelegt hat, gerade weil sich der Finanzsenator die Freiheit nimmt zu sagen: Wahlkampf? – Da war ich nicht dabei. Ich habe keine Wahlversprechungen gemacht; also kann ich auch keine brechen. Koalitionsvereinbarung? – Da war ich nicht dabei. Die habe ich auch nicht unterschrieben; also gilt sie für mich nicht. Keine Wirkung für den Finanzsenator. – Wenn Sie es nicht sagen, dann erklären Sie doch durch Ihr Handeln alles zu Makulatur. Gerade weil auch die Frage ist, ob das, was in der Regierungserklärung gesagt wurde, heute und morgen noch Gültigkeit hat, deswegen hätten wir in diesem Zirkus Sarrazini eine Klarheit und eine notwendige Stringenz vom Regierenden Bürgermeister erwartet.
Stattdessen kamen viele allgemeine Beschwörungsformeln – als wäre hier ein Guru des positiven Denkens am Werk. Ich rufe einige in Erinnerung, Herr Böger, damit auch durch Sie ein Ruck geht: