Protokoll der Sitzung vom 20.01.2005

Antidiskriminierungs- und Integrationsfördermaßnahmen für Berlin

Beschlussempfehlung InnSichO Drs 15/3567 Antrag der SPD und der PDS Drs 15/3254

verbunden mit

Entschließungsantrag

Neutralitätsgesetz – politische Entscheidung treffen, statt gerichtliche abwarten!

Antrag der FDP Drs 15/3574

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne also die II. Lesungen und schlage vor, die Einzelberatung der zwei bzw. drei Artikel zu verbinden und höre hierzu keinen Widerspruch. Ich rufe auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel I bis II bzw. I bis III Drucksache 15/2509 bzw. 15/3249 unter Berücksichtigung der Beschlussempfehlung Drucksache 15/3566.

Für die Beratung steht den Fraktionen nach der Geschäftsordnung eine Redezeit von bis zu 5 Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD. Der Abgeordnete Dr. Felgentreu hat das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die mit dem Vorhaben verbundenen Fragen, ein Neutralitätsgesetz für Berlin zu schaffen, sind für eine detailreiche Feinschmeckerdebatte unter Staatsrechtlern wie geschaffen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Unterscheidung zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit, die Fragen nach Beamtenrechten und -pflichten, die Unterscheidung zwischen Schmuck und weltanschaulichen Symbolen, die Unterscheidung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit, all das lässt sich mit großem juristischem Scharfsinn lange, ausführlich und sehr wahrscheinlich ergebnislos diskutieren. Das ist nicht unser Ansatz!

Für die SPD-Fraktion ist der Streit um ein Neutralitätsgesetz, vulgo Kopftuchgesetz, vor allem der Ausdruck eines gesellschaftlichen Problems. Wie gehen wir damit um, dass in unserer Zeit erstmals deutsche Muslime in Berufe drängen, mit deren Auftrag die extremen Ideologien des so genannten politischen Islam unvereinbar sind? – Klar ist, eine Ideologie, die den Islam auf die Unterordnung der Frauen, die Unterordnung des Staates unter die Scharia und eine wortgetreue Auslegung des Koran reduziert, darf die Autorität des Staates nicht für sich in Anspruch nehmen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Die Stadt Berlin, in der so viele Muslime leben, muss insbesondere diejenigen vor autoritärer Einflussnahme schützen, die im Fokus islamistischer Bestrebungen stehen: die einfachen Leute in den von Zuwanderungen geprägten Innenstadtquartieren, die Kinder und Jugendlichen gerade an Grund- und Hauptschulen. Klar ist auch, dass das, was wir tun, mit dem Grundgesetz und der Verfassung von Berlin in Einklang stehen muss.

Aus diesem Grund sind wir als einziges Land mit Regierungsbeteiligung der SPD den unbequemen Weg gegangen, der erforderlich war. In kameradschaftlicher Atmosphäre, aber mit inhaltlicher Schärfe haben wir den Streit mit dem Koalitionspartner geführt. Auch haben wir uns nicht gescheut, die notwendige Konsequenz aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu ziehen, das für eine Dienstpflicht zu weltanschaulicher Neutralität im Auftreten die Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften voraussetzt. Dieser Punkt aber musste zwingend auch eine Auseinandersetzung mit der Kirche zur Folge haben.

Wir haben uns für den Diskussionsprozess über die gesellschaftliche Bedeutung der Debatte die notwendige Zeit gelassen. An ihrem Ende steht ein Gesetz mit einer klaren Aussage.

[Zuruf des Abg. Ritzmann (FDP)]

Ja, Herr Ritzmann, wir machen klare Aussagen. Wir machen keine Entschließungen, in denen wir sagen, dass wir Gesetze schlecht finden. Wenn wir sie schlecht finden, dann lehnen wir sie ab.

[Zuruf des Abg. Ritzmann (FDP)]

Wollen Sie jetzt grundsätzlich dazu übergehen, Ihre Wortbeiträge als Entschließungen einzubringen? – Sehr merkwürdiges Verfahren, Herr Ritzmann! –

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Nein, unser Gesetz hat eine klare Aussage: Überall dort, wo Beamte und Angestellte des Landes Berlin – ausgestattet mit staatlicher Autorität – dem Bürger gegenübertreten, müssen sie in ihrem äußerlichen Auftreten weltanschauliche Neutralität wahren. Wir lassen dem Einzelnen aber einen Spielraum zu entscheiden, wann die Grenze zwischen zulässigem Schmuck und unzulässiger Bekundung überschritten ist.

[Mutlu (Grüne): Was ist daran klar? – Frau Senftleben (FDP): Guter Einwand!]

Unsere Aufgabe ist es nicht, Herr Mutlu, mögliche Konflikte zwischen Dienstaufsicht und Mitarbeitern für jeden Einzelfall im voraus zu klären.

Von der Haltung der CDU unterscheiden wir uns nicht nur in unserem Anspruch, das Gleichbehandlungsgebot des Verfassungsgerichts ernst zu nehmen. Wir haben den Ehrgeiz, die Frage staatlicher Neutralität über den Bereich der Schule hinaus auch für Polizei und Justiz zu entscheiden. Ihr Vorschlag, Herr Henkel, das Kopftuchverbot des Schulgesetzes von Baden-Württemberg zu übernehmen, wird den Berliner Verhältnissen nicht gerecht. Der Berliner Staat steht – anders als Baden-Württemberg – nicht in der Tradition des Pietismus.

[Dr. Lindner (FDP): Ha!]

Wir knüpfen an die Tradition von Aufklärung und Toleranz an. Wo jeder nach seiner Façon selig werden darf, hat der Staat sich in Zurückhaltung zu üben.

Auch in diesem Sinne nehmen wir den Föderalismus ernst. Wir sind stolz auf die Werte, die der Verfassung von Berlin zu Grunde liegen: Aufklärung, Toleranz, Rechtsstaatlichkeit.

[Zuruf von der CDU: Aber nicht Beliebigkeit!]

Das von der Regierungskoalition formulierte Gesetz dient dem Schutz und der Ausgestaltung dieser Werte. Wir wünschen uns eine fortgesetzte Diskussion über die Kraft der Werte einer freiheitlichen Demokratie, über ihre Vielseitigkeit und ihre Verbindlichkeit in einer Zuwanderungsgesellschaft. Das hohe Gut der Religionsfreiheit werden wir nicht preisgeben. Wir verpflichten Berlins Lehrerinnen und Polizisten, Richterinnen und Staatsanwälte zu Zurückhaltung und Neutralität, um diese Freiheit zu schützen. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn sich eine breite Mehrheit dieses Hauses für den von der SPD beschrittenen Weg entscheidet. Gehen Sie diesen Weg mit uns mit!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Den Berlinerinnen und Berlinern islamischen Glaubens möchte ich bei dieser Gelegenheit ein frohes und besinnliches Opferfest wünschen. Ihnen, meine Damen und Herren, danke ich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke sehr! – Für die Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Herr Henkel das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Berlin sagt Nein zum Kopftuch im öffentlichen Dienst“ – so lautet die Überschrift über einen Antrag meiner Fraktion, der zum Gegenstand hat, dass Mitarbeiterinnen des Landes Berlin das Tragen eines Kopftuchs während der Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit zu untersagen ist. Wenn der Senat sich an dieser klaren und eindeutigen Vorgabe in seinem Gesetz gehalten hätte, würden wir heute über eine Vorlage abstimmen, die zu diesem Thema keine Fragen offen lassen würde. Statt dessen präsentiert man uns ein Gesetz, welches nach dem Streit in der rot-roten Koalition zum Thema Kopftuch ganz offensichtlich nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zusammenfasst, Herr Dr. Felgentreu.

[Beifall bei der CDU]

Was Rot-Rot als Antwort nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Kopftuchdebatte einbringt, ist aus unserer Sicht von einem antireligiösen Staatsverständnis geprägt. Unserer Überzeugung nach spielt das Kopftuch gerade im Glauben des Islams eine gänzlich andere Rolle als das Kreuz im christlichen oder die Kippa im jüdischen Glauben.

[Beifall bei der CDU – Brauer (PDS): Aha!]

Die Tatsache, dass alle religiösen Symbole mit politischreligiösen Symbolen gleichgesetzt werden, widerspricht unserem Staats- und Verfassungsverständnis und dessen christlicher Prägung.

Dr. Felgentreu

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und der PDS]

Wieder einmal folgten den durchaus richtigen Erkenntnissen des Herrn Innensenators, der in Verbindung mit dem Kopftuch von einem Symbol der Gegengesellschaft sprach und der das Kopftuch als Kampfmittel definierte, keine wirklichen Taten. Wieder einmal beschränkte er sich auf marginale Korrekturen der bestehenden Rechtslage. Offensichtlich verfügt Erhart Körting weder über den nötigen Rückhalt noch über die Kraft, sich in der SPD-Fraktion und bei der PDS durchzusetzen.

[Beifall bei der CDU – Oh! von der SPD und der PDS]

Ich weiß gar nicht, warum Sie aufschreien. Sie nehmen wohl Ihre eigenen Landesparteitagsbeschlüsse nicht ernst. Wenn Sie sich die zu diesem Thema noch einmal vergegenwärtigen, dann ist Ihr Zwischenrufen ziemlich unangemessen. –

Die CDU ist der Auffassung, dass das Tragen eines Kopftuchs nicht mit dem Tragen eines Kreuzes am Revers oder eines Davidsterns an einer Kette gleichgesetzt werden darf. Letzteres muss auch im öffentlichen Dienst weiter möglich sein, denn auch ein Staat, der sich selbst zu religiös-weltanschaulicher Toleranz verpflichtet, darf die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Werte, Überzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen.

[Beifall des Abg. Hoffmann (CDU)]

Deshalb – und weil der Streit zwischen SPD und PDS anhielt – brachten wir Anfang 2004 unser Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes ein. Danach soll das Tragen eines Kopftuchs unzulässig sein, weil zumindest ein Teil seiner Befürworter mit ihm sowohl eine mindere Stellung der Frau in Gesellschaft, Staat und Familie als auch eine fundamentalistisch-kämpferische Stellungnahme für einen islamischen Gottesstaat entgegen unserer Verfassungsordnung verbindet. Unser Gesetz stellt klar, dass die Bekundung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen dem Bildungsauftrag der Schule entspricht und daher in der Regel zulässig bleibt. Das Bundesverfassungsgericht hat, Herr Dr. Felgentreu, anerkannt, dass bei der Gestaltung einer Verhaltensregelung Schultradition und die konfessionelle Zusammensetzung und Verwurzelung der Bevölkerung berücksichtigt werden darf. Im christlich geprägten Deutschland

[Frau Dr. Hiller (PDS): 80 % der Berliner sind Atheisten!]

kann es dabei keine aus der Verfassung abgeleitete Verpflichtung geben, alle Religionen gleich zu behandeln. Eine Privilegierung christlicher Bildungs- und Kulturwerte ist daher aus unserer Sicht zulässig.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der PDS]

Ihr Gesetz untersagt das Führen aller religiösen und politisch-religiösen Symbole für nur einige Beschäftigtengruppen im öffentlichen Dienst, darunter Beamte und