Protokoll der Sitzung vom 21.03.2002

Ich weiß nicht, was ein Neubau soll, zumal es sich herumgesprochen hat, dass auch der Nebenbei-Justizsenator Diepgen dieses Projekt schon ganz leise beerdigt hatte. Denn auch schon zu seiner Herrschaftszeit wurde zwar viel darüber geredet, aber wenig oder genau genommen gar nicht gehandelt. Aus diesem Grunde geht der Vorwurf an Sie zurück.

Aus meiner Sicht gibt es noch andere Gründe als nur die Finanzen, einen Neubau abzulehnen. Gerade weil die Überbelegung im Strafvollzug nicht zu leugnen ist – da sind wir uns alle einig –, muss man fragen: Gehören wirklich alle, die im geschlossenen Vollzug sitzen, unbedingt hinein? Es sind auch Fragen der Rechtspolitik, die neu zu stellen und flexibler anzuwenden sind. Da geht es nicht darum, Straftäter zu verschonen, sondern darum, breitere Zusammenhänge zu bedenken und andere Maßnahmen zu verhängen. Es ist doch wirklich nicht gerecht, dass Leute, die beispielsweise ihre Geldstrafe nicht bezahlen können oder wollen, sie stattdessen absitzen und dafür das Land Berlin noch kräftig Geld kosten und zusätzlich zur Überbelegung beitragen.

Es kann auch nicht im Sinne des Vollzugszwecks sein, wenn man nach einem Neubau verlangt, wie Sie das immer wieder tun, dessen Betrieb vermutlich aus dem vorhandenen Personalbestand abgedeckt werden muss. Denn es ist mir nicht bekannt, dass in der letzten Zeit mehr ausgebildet würden. Und bei der jetzigen Haushaltslage wissen wir, dass die Aufstockung von Personal ganz bestimmt nicht bevorsteht. Bisher sind neue Einrichtungen immer dadurch besetzt worden, dass in anderen Einrichtungen ausgedünnt wurde. Das hat nicht dazu beigetragen, dass die schwierigen Bedingungen sich verbessert hätten, und zwar nicht nur für die Strafgefangenen, sondern vor allem auch für die Vollzugsbediensteten, die ihrem eigentlichen Auftrag dann kaum noch nachkommen können.

Die Überbelegung erzeugt Druck, das ist völlig klar. Aber genauso, wie breite Straßen nicht unbedingt dazu beitragen, den Autoverkehr zu bremsen und ökologisches Bewusstsein zu entwickeln, genauso wenig werden mehr Haftplätze einfach so dazu beitragen, die Probleme des Strafvollzugs zu lösen. Ich glaube,

da muss man sich dann doch noch in Zukunft ein bisschen mehr einfallen lassen, damit der Strafvollzug nicht zum reinen Racheinstrument verkommt, sondern seinen Aufgaben gerecht wird.

Wenn man schon Geld ausgeben will, dann soll man es so tun, dass Grundlagen geschaffen werden für ein straffreies Leben danach, dass die freien Träger besser unterstützt werden, dass vor allem auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit innerhalb des Strafvollzugs – die beträgt jetzt mehr als 50 % – mit neuen Mitteln angegangen wird. Ich glaube nicht, dass die Privatisierung der Dinge, die Sie in Ihrem Antrag formuliert haben, dazu beiträgt. Denn einiges davon würde den Strafgefangenen die raren Arbeitsmöglichkeiten auch noch beschneiden. Außerdem kostet auch Privatisieren Geld; das wurde schon vorhin gesagt.

Ich rede nicht über die flexiblere Handhabung der Möglichkeiten des offenen Vollzugs. Das ist schon oft besprochen worden, und ich denke, da ist auch noch einiges drin. Wenn insgesamt schon Baugeld übrig bleibt – was nicht geschehen wird –, dann sollte es in die Instandsetzung der JVAs gesteckt werden, denn die befinden sich tatsächlich in einem beklagenswerten Zustand. An dieser Stelle gebe ich Herrn Braun Recht. Ich glaube, dass viele Möglichkeiten unausgeschöpft sind, und man nicht unbedingt einen Neubau braucht. Aus diesem Grunde werden wir den Antrag ablehnen.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Ratzmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu später Stunde scheint, was dieses Thema angeht, zumindest darin Einigkeit zu bestehen, dass wir alle die Zustände in der JVA Tegel, die es wohl hauptsächlich betrifft, beklagen und dass diese Zustände katastrophal sind und da ganz schnell etwas gemacht werden muss. Ich denke, das ist hier Konsens. Dass das mit einem Neubau einer Haftanstalt behoben werden kann und dass allein die Überbelegung die Ursache dieses Problems ist, dem kann ich allerdings nicht folgen.

Wenn man sich die letzten Zahlen ansieht, die von der Senatsverwaltung für Justiz veröffentlicht worden sind, dann wird man feststellen, dass das Land Berlin derzeit 5 300 Inhaftierte hat, und wenn man sich die Belegungskapazitäten ansieht, dann wird man feststellen, dass diese Kapazitäten um 250 Plätze insgesamt überschritten sind. Aber es ist – meine Fraktionsvorsitzende hat gerade darauf hingewiesen – wie im wirklichen Leben auch hier so, dass nicht die Frauen und die Jugendlichen das Problem sind, sondern dass die Männer das Problem sind,

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Beifall der Frau Abg. Seidel-Kalmutzki (SPD)]

nämlich hier der geschlossene Männervollzug, der mit 411 Plätzen überbelegt ist. Wenn man sich allerdings auf der anderen Seite ansieht, dass es 260 Ersatzfreiheitsstrafer gibt und dass Berlin im Bundesvergleich immer noch das Schlusslicht in der Zweidrittel-Entlassung ist, dann sind hier in der Tat einige Kapazitäten drin, um jedenfalls dieses Problem der Überbelegung anzugehen. Dem entgegenzusetzen, dass wir in dieser Situation eine neue Haftanstalt mit 645 Plätzen brauchen, dient nicht dazu, dieses Problem zu lösen, sondern hier neue Haftplätze zu schaffen und damit einer Politik der weiteren Kriminalisierung Vorwand zu geben.

Wir müssen uns in dieser Haushaltssituation natürlich fragen, woher denn die 80 Millionen § kommen sollen, die dieser Neubau kosten soll, und ob es nicht auch im justizpolitischen Bereich bessere Plätze gibt, um dieses Geld einzusetzen und eher den Bereich der Prävention zu stärken, um zu verhindern, dass weitere Menschen in die Justizvollzugsanstalten kommen.

Es ist eine Chimäre, Herr Kollege Braun, wenn Sie meinen, dass diese Gelder dadurch eingespart werden können, dass private Anbieter herangezogen werden sollen, um diese Justizvollzugsanstalt zu bauen. Herr Flügge hat uns im Rechtsausschuss darüber informiert und gesagt: Ja, wir haben es versucht, aber es

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hat sich einfach niemand gemeldet, der dieses lukrative Unternehmen in Angriff nehmen will, um diese JVA tatsächlich zu bauen. Wenn man sich die Entwicklung ansieht, dann gibt es in der Tat wohl gute Gründe, dieses Unternehmen auf der privaten Ebene nicht anzugehen.

Mit einem Punkt, der in Ihrem Antrag auch noch einmal genannt ist, muss man wohl aufräumen: Es war nicht der rotgrüne Senat, der dieses Vorhaben neue Haftanstalt in Großbeeren beerdigt hat, sondern es war der Justizkommissar Diepgen, der die ersten Schreiben an die Verantwortlichen nach Brandenburg gesandt und gesagt hat: Das wird uns wohl zu teuer, dieses Vorhaben können wir nicht realisieren und können es nicht umsetzen. – Und auf dieser Linie und auf keiner anderen Linie ist der Justizsenator Wieland dann geblieben.

Meine Vorrednerin, Frau Dott, hat einen wichtigen Punkt angesprochen: dass nämlich auf der rechtspolitischen Ebene und im Umgang mit dieser Justizressource etwas geändert werden muss. Frau Schubert, da sind Sie direkt angesprochen, in die Verantwortung zu gehen und dafür zu werben, dass mit einer knappen Ressource Justizvollzug und mit einer Ressource, die sich in diesem Zustand befindet, nicht weiter so mit der Verhängung von Freiheitsstrafen umgegangen werden kann und anders umgegangen werden muss. Auch hier ist Verantwortung bei der Richterschaft einzufordern, hier ist Aufklärung zu betreiben, wie es in den Berliner Justizvollzugsanstalten aussieht und dass auch die Richterschaft weiß, wohin sie Menschen schickt, wenn sie Haftstrafen verhängt. Wenn die Justiz Leute in die Justizvollzugsanstalten schickt, dann muss sie auch dafür Sorge tragen, dann muss das Land Berlin dafür Sorge tragen, dass menschenwürdige und annehmbare und am Resozialisierungsgedanken ausgerichtete Zustände da sind.

[Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

Sind die nicht da, Herr Kollege Gram, dann ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie in den Justizvollzugsanstalten hergestellt werden. Wenn wir das nicht können und nicht in der Lage sind, den bundesgesetzlichen Vorgaben der Resozialisierung Folge zu leisten, dann müssen wir uns fragen, wie wir mit diesen Sanktionsmechanismen weiter umgehen. Das muss auch jeder Richter wissen, und da muss jeder Richter aufgeklärt werden, wie er mit seinen Urteilen umgeht. Im europäischen Vergleich gibt es sehr wohl Beispiele, die davon absehen, bestimmte Haftstrafen zu verhängen. Ich gucke da nur nach Italien, da ist es gang und gäbe, dass Haftstrafen unter drei Jahren gar nicht erst vollstreckt werden, sondern mit anderen Sanktionsmechanismen belegt werden. Darüber müssen wir nachdenken. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Ausschüsse empfehlen mehrheitlich gegen die Stimmen der Fraktion der CDU die Ablehnung des Antrags.

[Zuruf von der CDU: Unerhört!]

Wer also dem Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/277 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. –

[Zuruf von der CDU: Das ist die Mehrheit! – Gelächter bei der PDS]

Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der FDP, SPD, Grünen und der PDS abgelehnt.

[Wieland (Grüne): Bei einigen Enthaltungen!]

Nein, Enthaltungen – ich hatte danach gefragt – waren keine!

[Wieland (Grüne): Doch!]

Im Nachhinein können wir das leider nicht mehr zulassen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 11 A, Drucksache 15/307:

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung vom 14. März 2002 zum Antrag der Fraktion der CDU über Überprüfung von Mitgliedern der Landesregierung auf eine Mitarbeit im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS), Drucksache 15/89

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU, Drucksache 15/307-1, vor sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP, Drucksache 15/307-2.

Nach Ende der Rederunde gibt es auf Antrag der Fraktion der CDU eine namentliche Abstimmung. Ich bitte die Abgeordneten, bereits während der Rederunde zu überprüfen, ob ihre Karten richtig eingelegt sind, damit es nachher etwas schneller geht.

Zum Änderungsantrag der CDU gibt es eine erneute Änderung, d. h. eine Ergänzung. Hinter den Wörtern „der Regierende Bürgermeister“ sollen die Wörter „unter Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Belange“ eingefügt werden. Im Hinblick auf diese Änderung hat die Fraktion der FDP erklärt, ihren Änderungsantrag zurückzuziehen. – Widerspruch erhebt sich nicht. Also entspricht das den Tatsachen.

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. – Dann treten wir in die Beratung ein. Zunächst hat der Abgeordnete Dr. Lindner für die FDP-Fraktion das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Es ist ein recht leidiges Kapitel, das hier in die vorläufige parlamentarische Schlussrunde geht. Die Vertreter von SPD und PDS hatten bemerkt, eine konkrete Regierungsbildung, eine konkrete Koalition könne nicht eine Sonderregelung nach sich ziehen. Sie erlauben natürlich schon, dass eine Regierungskonstellation wie diese durchaus Anlass gibt, darüber nachzudenken, bestimmte gesetzliche Vorhaben, bestimmte Anträge in eine bestimmte Richtung zu bringen.

[Zurufe von der SPD – Gaebler (SPD): Zweierlei Recht!]

Es ist doch gar nicht von der Hand zu weisen, dass eine Partei an der Regierung beteiligt ist, die vom Staatssicherheitsdienst gesagt hat, dass er das Schild und Schwert der Partei sei.

[Oh! bei der PDS – Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Das ist keine Erfindung der FDP.

[Gram (CDU): Sie hören es nicht gerne, aber es stimmt!]

Uns allen sind ferner die eindringlichen und intensiven Schilderungen des Kollegen Cramer in der ersten Beratung zu diesem Thema noch in Erinnerung, als er aus den verschiedenen Protokollen des Bundestages und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Verstrickungen des Senators Gysi geredet hat – nicht Stasi, Gysi! Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass mit Frau Knake-Werner eine Senatorin dieser Regierung angehört, die in den achtziger Jahren noch Mitglied der DKP war. Das war eine Zeit, in der es an allen Universitäten, in allen Bereichen einen Strauß von kommunistischen und linken Parteien gab, aber die DKP war das verlängerte Sprachrohr aus Ostberlin.

[Zurufe der Abgn. Frau Schaub (PDS) und Pewestorff (PDS)]

Deswegen haben wir Anlass, darüber nachzudenken, ob die bisherigen Regelungen zur Überprüfung von Senatoren noch Sinn machen.

Ich gebe Ihnen in einer Sache Recht. Richtig ist, dass wir Regelungen treffen müssen, die unabhängig davon Bestand haben, wer an der Regierung ist. Da müssen wir einmal sehen, was wir als Antrag von SPD und PDS haben. Das Herumgeeiere, das dem Ganzen zu Grunde liegt, findet Eingang in die Formulierungen, die Sie jetzt gewählt haben. Statt ein klares Muss hineinzusetzen – der Regierende Bürgermeister muss weiterleiten –, haben Sie ein Soll gewählt. Herr Benneter hat dazu im Ausschuss erklärt, das müsse man so interpretieren, als wäre es ein Muss. Dann schreiben wir doch gleich ein Muss hinein! Der zweite Halbsatz, den Sie angefügt haben, diese doppelte Verneinung, das zementiert auch noch Ihr Unbehagen, das Sie bei diesem Thema haben. Das verstehe ich nicht. Gehen Sie doch offensiv an die Sache heran. Streichen Sie diesen zweiten Halbsatz. Es ist doch nicht so, dass es hier um das Verhältnis eines Dienstvorgesetzten zu seinen untergebenen Beamten geht. Der Regierende Bürgermeister ist nicht der Dienstvorgesetzte der Senatoren. Die Senatoren verdanken ihre Stellung ausschließlich diesem Haus und der Wahl in diesem Haus.