Protokoll der Sitzung vom 16.06.2005

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Ich möchte bei Ihnen dafür werben, dass das Thema „Kitazeit ist Bildungszeit – Berlin bleibt

Vorbild bei der Versorgung mit Kindertagesstättenplätzen“ heute Gegenstand der Aktuellen Stunde wird. Wir kommen damit als Koalition übrigens auch einem Wunsch der Oppositionsparteien nach, die nach der letzten Jugendausschusssitzung beklagt hatten, dass vor der Verabschiedung des Kitagesetzes nicht genug Zeit zum Diskutieren war. Wenn wir das heute in der Aktuellen Stunde nachholen, ist auch dem Willen des Parlaments Rechnung getragen.

Warum ist das Thema heute besonders aktuell? – Ich hatte es schon angesprochen, das Abgeordnetenhaus wird heute das „Gesetz zur Weiterentwicklung des bedarfgerechten Angebots und der Qualität von Tagesbetreuung“ beschließen. Die Koalition zieht damit für Berlin die Konsequenzen aus den Ergebnissen der PISA-Studie im vorschulischen Bereich der Drei- bis Sechsjährigen sowie im Grundschulbereich. Sicherlich sind die von den Oppositionsparteien vorgeschlagenen Themen auch wichtig. Kein Mitglied dieses Hauses wird aber ernsthaft bestreiten wollen, dass die Zukunft unserer Stadt vor allen Dingen in der Ausschöpfung des intellektuellen Potentials der hier lebenden Menschen liegt. Hier drängt die Zeit, wie wir alle wissen. Das neue Berliner Schulgesetz war ein erster Schritt für die Reform des Berliner Bildungswesens; das heute vorliegende Kitareformgesetz ist ein weiterer Schritt in diese und von allen als richtig anerkannte Richtung.

Präsident Momper eröffnet die Sitzung um 13.03 Uhr.

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 70. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Vertreter der Medien sehr herzlich.

Ich habe die große Freude, ein Geburtstagskind unter uns zu begrüßen. Herr Krüger hat Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, gute Gesundheit!

[Allgemeiner Beifall]

Sie wissen ja: Was gibt es Schöneres, als den Geburtstag im Parlament zu verbringen, erst recht bei einer so inhaltsvollen, langen und langwierigen Sitzung. Viel Spaß, Herr Krüger!

Der Regierende Bürgermeister beabsichtigt, eine Erklärung zur Zukunft der BVG abzugeben. Die Regierungserklärung werde ich nach dem Tagesordnungspunkt 2 – also nach der Spontanen Fragestunde – aufrufen. Im Anschluss an die Erklärung wird es – wie es die Geschäftsordnung vorsieht – eine Aussprache geben.

Die Fraktion der CDU hat darum gebeten, ihren in der 53. Plenarsitzung am 17. Juni 2004 überwiesenen Antrag Drucksache 15/2909 über „Neue Bauordnung Berlin“, damals federführend an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr sowie mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Betriebe und Technologie, zusätzlich mitberatend an den Ausschuss für Verwaltungsreform und Kommunikations- und Informationstechnik zu überweisen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Am Montag sind vier Anträge auf Durchführung einer

Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Fraktion der PDS und der SPD zum Thema: „Kitazeit ist Bildungszeit – Berlin bleibt Vorbild bei der Kitaversorgung“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Die gescheiterte Anti-Drogenpolitik des Senats – Rauschgiftkriminalität in Berlin weiter auf dem Vormarsch“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Wo PDS drauf steht, ist nicht nur PDS drin: rot-rote Koalition im Wandel – Risiko für Berlin!“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Finanzsenator Sarrazin am Ende – unseriöse Haushaltsaufstellung durch Taschenspielertricks!“.

Im Ältestenrat konnten wir uns auf ein gemeinsames Thema nicht verständigen. Deshalb rufe ich zur Begründung der Aktualität auf. Es beginnt Herr Nolte von der SPD. – Bitte schön, Herr Kollege Nolte, ergreifen Sie das Wort! Immer zur Aktualität!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP) – Frau Jantzen (Grüne): Na ja!]

Ich nenne noch einmal zwei Punkte, die zeigen, warum das Gesetz und die Debatte darüber besonders dringlich sind: Der erste Punkt ist der Umbau des Kindergartens zu einer sozialpädagogischen Bildungseinrichtung mit dem schon vorgestellten Berliner Bildungsprogramm – also Stärkung der vorschulischen Aufgaben des Kindergartens. Natürlich bleibt – und das ist auch Teil des Gesetzes, über das wir heute debattieren werden – das sozialpädagogische familienergänzende Angebot erhalten, also die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die ja nicht nur ein familien- und jugendpolitisches, sondern auch ein wirtschaftspolitisches Thema für die Stadt ist, sowie die Betreuung der Kinder bei familiärem Bedarf und bei besonderen individuellen Bedürfnissen des Kindes. Der zweite Punkt – und auch der ist dringlich und zu debattieren – ist die Verlagerung der Horte, die bisher an Kindertagesstätten und Schulen waren, einheitlich an die Berliner Schulen. Dies ist ein Projekt, das das Ziel hat, die Angebote der Jugendhilfe und der Schule zu verzahnen, also sozialpädagogische und schulische Aufgaben zu integrieren und entsprechende Synergieeffekte dabei zu erzielen.

Die Themen, über die wir heute debattieren werden, sind nicht allein Themen der Jugend- und Familienpolitik, sondern auch Themen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Zukunft der Stadt und der Berliner Wirtschaft hängt daran, dass wir die jungen Menschen gut ausbilden, dass sie ordentliche Schulabschlüsse in Berlin erhalten und dass sehr viel weniger die Schule abbrechen oder ohne

Nolte

Dass das nicht ohne Folgen bleiben kann, ist logisch. Nach Aussagen der Polizei ist es nicht mehr möglich, den notwendigen konstanten Verfolgungsdruck aufzubauen, der ein dauerhaftes Fernhalten der Straftäter an bestimmten Orten gewährleistet. Es reicht eben nicht aus, hin und wieder einfach mal vorbeizuschauen. Solche Einsätze – das wissen Sie – führen lediglich zu kurzfristigen Verdrängungseffekten. Konstanz und permanente Präsenz sind die Grundvoraussetzungen für eine effektive Drogenbekämpfung durch die Polizei.

Aber für den rot-roten Senat ist dies offensichtlich kein Problem. Jedenfalls verweigert er der Berliner Polizei die Kräfte im Bereich der Drogenkriminalitätsbekämpfung, die nötig wären.

Die bedrückenden Ergebnisse habe ich geschildert. Auch Ihre Lobbyarbeit für den Bereich der so genannten weichen Drogen zeigt erste Auswirkungen. Seit kurzem verfolgen Sie die Linie der faktischen Freigabe des Cannabiskonsums, denn nichts anderes bedeutet es, wenn der Senat die Staatsanwaltschaft anweist, bis zu einer Menge von 10 Gramm zwingend von einer Strafverfolgung abzusehen. In der Folge sind schon jetzt genau die Effekte eingetreten, vor denen wir als Union immer gewarnt haben. Unter Jugendlichen, aber auch schon in anderen Bevölkerungskreisen gibt es kein Unrechtsbewusstsein mehr, das vom Drogenkonsum oder dessen Duldung abhält.

Schulabschluss verlassen. Die Reform der Schule und der Kindertagesstätten ist dazu ein wichtiger Schritt.

Lassen Sie uns in der Aktuellen Stunde darüber sprechen, welche Veränderungen in den Kindertagesstätten durch das Reformgesetz bereits in Angriff genommen wurden und welche Veränderungen möglicherweise in Zukunft noch notwendig werden können. Bildungsreform ist ein stetiger Prozess, und heute entscheiden wir über einen wichtigen Zwischenschritt.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Herr Kollege Nolte! – Für die Fraktion der CDU hat Herr Kollege Henkel das Wort zur Begründung der Aktualität! – Bitte schön, Herr Henkel!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gaebler! Anfang dieser Woche titelte eine große Berliner Tageszeitung auf Seite 1 „Rauschgiftkriminalität nimmt in Berlin weiter zu – Polizei stellt Anstieg bei privatem Drogenanbau um 34 % fest“. Dieser alarmierende Umstand ist uns Grund genug, um eine Aktuelle Stunde über die gescheiterte Drogenpolitik dieses rot-roten Senats zu beantragen. Was hat uns der Senat nach dem Machtwechsel 2001 in Sachen Drogenpolitik nicht alles vorgegaukelt! Da hieß es, man müsse aufhören, junge Leute zu kriminalisieren. Mehr Toleranz und Großzügigkeit seien angesagt, dann werde alles besser. Dann hieß es, die harte Linie der Union sei an einer Verschärfung der Drogenprobleme schuld. Selbsternannte Experten aus der Gutmenschenfraktion meinten sogar, ein Verzicht auf Repression, ein Zurückweichen aus der Szene bringe wie von selbst einen Rückgang der Drogenkriminalität. Der Gipfel einer völlig verfehlten, linksideologischen Drogenpolitik war dann die These, man müsse Fixerstuben einrichten, die Sucht quasi akzeptieren und nur für bessere Konsumbedingungen sorgen. Der Rest werde sich dann schon fügen.

Weit gefehlt, meine Damen und Herren aus der Koalition! Die tatsächlichen Folgen Ihrer Politik werden jetzt deutlich. Von einer Entspannung der Lage kann überhaupt keine Rede sein wie u. a. auch in dem bereits von mir erwähnten Pressebericht zu lesen war. Bei den Drogendelikten ergibt sich laut Kriminalitätsstatistik im Jahr 2004 ein genereller Anstieg von 3 % im Vergleich zum Vorjahr. Beim Handel mit der bewusstseinsstörenden Droge LSD gab es sogar einen Zuwachs von 33 %. Beim privaten Anbau von Drogen wie beispielsweise Cannabis wurde – wie bereits erwähnt – ein Anstieg von 34 % festgestellt.

[Frau Dott (PDS): Was kann man denn noch privat anbauen?]

Allein Ihr laxer Umgang mit Drogen wäre schon schlimm genug, aber das Ganze wird noch deutlich verschärft durch den Abbau von in der Drogenbekämpfung eingesetztem Personal. Unter Ihrer Verantwortung, Herr Körting, stehen immer weniger Polizeibeamte für diese Aufgabe zur Verfügung.

[Frau Seelig (PDS): Ganz aktuell!]

[Beifall des Abg. Goetze (CDU)]

[Brauer (PDS): Berlin – eine Opiumhöhle! – Weitere Zurufe von der PDS]

[Doering (PDS): Und bei Alkohol?]

Lieber Herr Kollege Doering! Mir ist noch gut in Erinnerung, wie der Polizeipräsident bei der Vorstellung der Kriminalstatistik genau davon gesprochen hat: mangelndes Unrechtsbewusstsein! – Dass sich dieses ausbreitet, ist ein Ergebnis Ihrer Politik.

[Beifall bei der CDU]

Der irrsinnige Eindruck, alles sei erlaubt, macht sich breit.

Damit nicht genug! Gleichzeitig sparen Sie im Zeitraum 2004 bis 2006 knapp eine Million € im Bereich des Sozialsektors für die Bekämpfung des Drogenmissbrauchs, weil Sie sich vorgenommen hatten, die AntiDrogenarbeit neu auszurichten. Schon jetzt ist aber absehbar, dass dies vor allem zu Lasten der Präventionsarbeit geht. Ihre Politik steht nämlich lediglich für den Ausbau der Integrationsmöglichkeiten für Süchtige.

[Frau Hinz (PDS): Was ist daran aktuell?]

Die Förderung von sieben regionalisierten, mit Jugendlichen arbeitenden Präventionsprojekten haben Sie eingestellt. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, und deshalb bleibt es dabei: Sie nehmen die Sucht hin, Sie arrangieren sich mit der Sucht, aber an einem suchtfreien Leben haben Sie offenbar wenig Interesse.

Die PDS spielt das alte Spiel: Je nach Ebene wird entweder linksradikal geholzt oder realpolitisch der Machterhalt geprobt. Da wird im Bund Hartz IV als Teufelszeug gebrandmarkt, und hier stecken Sie die 200 Millionen € an Einsparungen ein und feiern Haushaltskonsolidierung.

Harald Wolf verkündet offen Niedriglohnpolitik und blockiert heimlich, wo er kann, die positiven Spielräume der Arbeitsmarktreform. Petra Pau geißelt auf Bundesebene den rot-grünen Sicherheitswahn, verkündet vollmundig, das Folterverbot gelte absolut,

Mit der von uns beantragten Aktuellen Stunde wollen wir den Blick der Berlinerinnen und Berliner auf die gescheiterte Drogenpolitik des Senats richten. Die Berliner sollen die fatalen Folgen Ihrer Politik erkennen, und die Leute sollen Sie messen an dem, was Sie unserer Stadt und vor allem ihren Menschen antun. An Sie, meine Damen und Herren im Senat, richte ich den dringenden Appell: Verlassen Sie endlich den Pfad der Drogenpolitik der 70er Jahre! Handeln Sie zeitgemäß! Ahnden Sie Drogendelikte konsequent!

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Gewähren Sie kein Arrangement mit der Sucht, sondern helfen Sie den Süchtigen auf dem Weg in ein Leben ohne Drogen! Und haben Sie vor allem die Bürger und ihr Recht auf Sicherheit bei allem, was Sie tun, im Blick! – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Fraktionsvorsitzende, Herr Ratzmann. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Computerwelt bezeichnet man als trojanisches Pferd ein Programm, das sich als nützlich tarnt, in Wirklichkeit aber im Verborgenen unerwünschte Aktionen ausführt.

[Frau Michels (PDS): Sprechen Sie von Hartz IV? – Weitere Zurufe von der PDS]