Protokoll der Sitzung vom 01.09.2005

Danke schön, Herr Braun! – Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Regierende Bürgermeister. – Bitte schön, Herr Wowereit!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete Senftleben! Den letzten Teil Ihrer Frage kann ich nicht beantworten. Sie kennen mich gut genug und wissen, dass mir nie einfallen würde, eine Abgeordnete zu korrigieren oder gerade da zu intervenieren.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich das erste Mal von der Empörung hörte, habe ich gedacht: Das ist Wahlkampf. – Das ist es sicher auch. Ich habe anfangs auch gedacht, so müsste man die Sache auch behandeln. Mittlerweile bin ich ganz anderer Auffassung. Wir kommen hier an gesellschaftspolitische Diskussionen heran, die weit mehr sind als Wahlkampf, die auch Grundfesten unseres Zusammenlebens betreffen. Deshalb will ich gern die Gelegenheit nutzen – auch wenn es vielleicht von der fragenden Fraktion anders gemeint war –, ganz grundsätzlich etwas hierzu zu sagen.

[Heiterkeit]

Ich weiß nicht, warum Sie jetzt lachen.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Sie müssen mal schauen, wer alles lacht!]

In der Tat habe ich vor einem Jahr, als das Institut zum ersten Mal die Zahlen genommen hat, darauf hingewiesen – und wenn Sie mir zugehört hätten, so habe ich dies erneut getan –, dass das Bildungsmonitoring in vielen Bereichen erklärungsbedürftig ist.

Der Regierende Bürgermeister als Institution wird im Jahr etwa 500 Mal oder mehr angefragt, ein schriftliches oder persönliches Grußwort abzugeben oder als Redner

RBm Wowereit

Sehr geehrter Herr Rüster! Vielen Dank für Ihr Schreiben vom 12. September, in dem Sie mich über die Gründung des Folsom Europe e. V. informieren und mir zugleich Einblicke in Tradition, Umfang und Ausstrahlung des gleichnamigen Straßenfestes in San Fransisco gewähren. Berlin ist als lebendige und tolerante Stadt eines der wichtigsten touristischen Ziele in Europa, was durch eine Reihe von erfolgreichen Großveranstaltungen und Festivals noch unterstrichen wird.

bei Veranstaltungen aufzutreten. Grußworte sollen dazu dienen, dass Menschen, die in die Stadt kommen, begrüßt werden. Grußworte sollen dazu dienen, dass Institutionen, die zum Beispiel Jubiläen feiern, die Grüße des Senats, des Landes Berlin erhalten. Es gibt hier Abstufungen, und wir können nicht alle Wünsche erfüllen. Es gibt auch immer eine Abwägung, wo man ein Grußwort abgibt.

Zu dem – sicherlich pikanten – Fall dieser Veranstaltung, die am Wochenende stattfinden wird – übrigens nicht zum ersten Mal –, gab es selbstverständlich auch eine Prüfung. Es gab vor allem einen Vorlauf. Die die Stadt Berlin bewerbenden Institutionen haben sich nämlich bemüht, dass diese Veranstaltung, die erfolgreich in den USA stattfindet, in die Stadt kommt, und auf diese Weise ist sie auch nur nach Berlin gekommen. Ähnliche Veranstaltungen – nur nicht mit demselben Titel – gibt es in Hamburg, höchstwahrscheinlich in Köln, aber mit diesem internationalen Charakter nur in Berlin. Sie ist beworben worden, dass sie nach Berlin kommt, und sie ist unterstützt worden – auch vom Regierenden Bürgermeister, aber nach Prüfung.

Es verwundert daher nicht, dass in Berlin eine leistungsfähige Messe- und Tourismuswirtschaft eine gute Infrastrukturveranstaltung wie den geplanten Folsom Street Fair bietet.

[Zuruf von der CDU: Und so weiter!]

Ich würde mich freuen und es begrüßen, wenn auch dieses große Straßenfest ein festes Datum im bunten und breitgefächerten Veranstaltungskalender Berlins wird.

[Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Zur Sache! – Frau Radziwill (SPD): Das ist die Sache!]

Ich darf Ihnen vorlesen, wie dies gelaufen ist, denn es gibt einen Vorlauf aus dem Jahr 2003. Hans-Peter Nerger, der Geschäftsführer der Berlin Tourismus Marketing GmbH schreibt an Herrn Daniel Rüster von Folsom Europe e. V.:

Das ist unterzeichnet von Herrn Eder, Industrie- und Handelskammer.

Am 6. November habe ich dann einen ähnlichen Unterstützungsbrief geschrieben, und daraufhin ist es auch gelungen, diese Veranstaltung nach Berlin zu holen. Sie ist im letzten Jahr erfolgreich durchgeführt worden. Kein Mensch hat sich aufgeregt. Das Bezirksamt SchönebergTempelhof hat alle Genehmigungen erteilt – wie auch in diesem Jahr.

Sehr geehrter Herr Rüster! Die Berlin Tourismus Marketing GmbH hat mit Freude zur Kenntnis genommen, dass mit der Gründung des Folsom Europe e. V. das seit 20 Jahren in San Francisco erfolgreiche Straßenfest „Folsom Street Fair“ nun auch in Berlin veranstaltet werden soll. Die deutsche Hauptstadt, seit über 100 Jahren Zentrum der homosexuellen Bewegung Europas, hat sich in den letzten Jahrzehnten einen hervorragenden Ruf als weltoffene und tolerante Stadt erworben. Die Vielfalt der schwul-lesbischen Szene ist durch das Engagement des Landes und vieler Berlinerinnen und Berliner einzigartig. Die Stadt ist Schmelztiegel eines zusammenwachsenden Kontinents. Die schmerzhaften Jahre des Naziterrors hat sie ebenso gemeistert wie die kritischen Phasen des Kalten Krieges. Bis heute ist Berlin ein Symbol des Aufbruchs, des Zusammenlebens aller Menschen, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Religion oder sexueller Orientierung. Gerade deshalb unterstützt die Berlin Tourismus Marketing GmbH das ehrenamtliche Engagement von Folsom Europe. Keine andere Stadt Europas wäre als Gastgeber besser geeignet für dieses Straßenfest. Mein Haus würde es sehr begrüßen, wenn weitere publikumswirksame Veranstaltungen, Festivals etc., die ein hohes Besucheraufkommen nach sich ziehen, in Berlin fest etabliert würden. Bitte seien Sie daher so freundlich und informieren Sie mich über den Erfolg.

Diese Veranstaltung gibt eine Broschüre heraus, um auch international für sich zu werben, und diese Broschüre hat höchstwahrscheinlich Herr Zimmer in die Hand bekommen – wodurch auch immer.

[Heiterkeit – Zurufe von der CDU]

Eines sage ich dazu ganz deutlich: Für Menschen, die mit dieser Szene nichts zu tun haben, sowohl homosexuelle wie auch heterosexuelle Menschen – das ist eine Facette auch im schwullesbischen oder heterosexuellen Bereich; es geht hierbei ja nicht nur um Schwule, sondern auch um Heterosexuelle, die zur Fetischszene gehören –, sind bestimmte Anzeigen und bestimmte Darstellungen sicherlich gewöhnungsbedürftig, oder sie wollen sich gar nicht daran gewöhnen. Es ist aber eine Zielgruppe, und wenn eine solche Broschüre ein Grußwort enthält, dann kann man gern die Frage stellen: Muss man, oder kann man? – Vor dieser Diskussion hätte ich Ihnen gesagt: Muss man nicht, aber kann man! – Nach dem, was jetzt öffentlich diskutiert worden ist – vor allem auch mit den erfolgten Diskriminierungen –, würde ich sagen: Muss man nicht, aber man sollte als Regierender Bürgermeister Menschen, die in diese Stadt kommen und auf ihre Art und Weise friedlich etwas zusammen machen, auch begrüßen.

Am 5. Oktober schreibt die IHK Berlin, auch wieder an Herrn Rüster:

RBm Wowereit

Mit Entsetzen und Verärgerung folgen wir der Berichterstattung der letzten Tage. Insbesondere die Berichte in der ‚Bild’ und ‚BZ’ empfinden wir als unzumutbare Schlammschlacht, die weder dem Amt des Regierenden Bürgermeisters noch unserer Veranstaltung würdig sind. Wir verstehen natürlich die Hintergründe der Artikel – insbesondere in Wahlkampfzeiten –, und auch wir wissen um die Belastung mancher Journalisten, in Zeiten des Sommerlochs die Seiten ihrer Zeitung zu füllen. Aber den Regierenden Bürgermeister unserer Stadt, unsere Veranstaltung und Sponsoren sowie die Besucher unseres Straßenfestes auch nur in die Nähe des Rechtsextremismus zu bringen, ist unerträglich und widerwärtig. Ich finde es beschämend, für eine Schlagzeile vor keiner Schandtat zurückzuschrecken. Natürlich gibt es bei Schwulen und

Lesben, bei Fetischisten und Interessierten der Lederszene einige wenige Menschen, die rassistischem und rechtem Gedankengut nahe stehen. Dies ist aber doch kein szenetypisches, sondern ein allgemeines gesellschaftliches Problem jeder Demokratie, das aufrechte Bürger wie wir genauso bekämpfen wie auch Sie.

Was hier gelaufen ist – nicht nur durch Ihre Initiativen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, sondern auch durch bestimmte Publikationen –, hat Tausende von Menschen diskriminiert und verletzt. Dieses habe ich auch durch diverse E-Mails erfahren, die Menschen haben mir das mitgeteilt.

Ich sage noch eines ganz deutlich: Seitdem ich Regierender Bürgermeister bin, bin ich es gewohnt, dass ich von Menschen beleidigt, diskriminiert und diffamiert werde. Damit muss sich ein Regierender Bürgermeister auseinander setzen. Ob das mehr ist, weil jemand offen sagt, er sei schwul, ist ein anderes Thema. Da gibt es das Instrument der Strafanzeige oder das Instrument des Presserechts, und insofern muss man es vielleicht hinnehmen, obwohl man es auch nicht gut findet, wenn man beleidigt wird – wie jüngst gerade bei einem TV-Sender. Damit muss man sich auseinander setzen. Das ist das Eine.

Als Mitbegründer und Ideengeber zu dieser Veranstaltung empfinde ich es als persönlich beleidigend, mich und all die anderen, die ehrenamtlich an unserem Benefiz-Event arbeiten, in die rechte Ecke zu stellen. Als eingetragener Lebenspartner eines in Berlin lebenden israelischen Juden, dessen Vorfahren in deutschen KZ einsaßen und zum Teil dort von den braunen Schergen ermordet wurden, empfinde ich tiefste Verachtung für diese unseriöse und undemokratische Schmutzkampagne der Springer-Presse. Wir weisen hier nochmals deutlich jede Unterstellung, wir oder unsere Sponsoren würden Gewalt verherrlichen und neonazistisches Gedankengut unterstützen, entschieden zurück.

Was ich aber – und dafür stehe ich als Regierender Bürgermeister dieser Stadt Berlin – nicht hinnehme, das ist, dass kollektiv Menschen diskriminiert, in eine Ecke gestellt und aus dieser Stadt vertrieben werden sollen, die ein Recht haben, hier zu sein. Und dafür steht Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister.

Das von der Presse zitierte Berliner Institut für Faschismusforschung und antifaschistische Aktion e. V. hat bekanntermaßen einen eher zweifelhaften Ruf. Wer sich die abstrusen Pressemitteilungen auf der Webpage ansehen will – – [Beifall bei der SPD, der Linkspartei.PDS und den Grünen – Beifall der Frau Abg. Meister (FDP)] Dann gibt es noch eine Auseinandersetzung mit der IHKUnterstützung – ja oder nein?

Nicht nur ich, sondern auch die Fraktionsvorsitzenden dieses Hauses haben ein Schreiben von Daniel Rüster, dem Vorstandsvorsitzenden von Folsom Europe e. V., bekommen. Dieses Schreiben möchte ich – zumindest weitgehend – vorlesen. In diesem Schreiben wird genau ausgedrückt, worum es hier eigentlich geht:

Ich meine, das sagt vieles aus, und viele andere Menschen sind auch davon betroffen. Es geht hierbei nicht um den persönlichen Geschmack, Vorlieben oder sonst was oder um die Unterstützung von Dingen, die nicht in die Öffentlichkeit gehören. Es gehört zu unserem Leben. Man kann sich gern darüber streiten, ob das eine Stilfrage für den Regierenden Bürgermeister ist, wenn er dazu ein Grußwort schreibt. Aber wie ich bereits betont habe: Bitte, lassen Sie es auch in Wahlkampfzeiten nicht zu, dass der Ruf dieser Stadt Berlin, eine tolerante und weltoffene Stadt zu sein, wo jeder nach seiner Façon glücklich werden kann, durch eine solch billige Polemik gefährdet wird! – Das ist mein Anliegen, und darum bitte ich Sie recht herzlich!

Auf Grund der heutigen Berichterstattung in der Berliner und bundesweiten Tagespresse möchte ich die Gelegenheit nutzen, um die grassierenden Falschmeldungen und Verunglimpfungen zu kommentieren. Als Anlage fügen wir die Presseerklärung bei.

Verehrte Damen und Herren!

[Beifall bei der SPD, der Linkspartei.PDS und den Grünen]

Eine Nachfrage des Kollegen Braun – bitte schön!

Herr Regierender Bürgermeister! Ich halte es für unerträglich, dass Sie Teilen dieses Hauses oder Teilen dieser Stadt unterstellen, sie würden – –

[Zurufe von der SPD und der Linkspartei.PDS: Frage!]

Herr Kollege Braun, ich möchte Sie bitten, eine Frage zu stellen!

Man kann der Auffassung sein, dass das eine Gratwanderung ist. Da kann ich Ihnen ohne Bedenken zustimmen. Ich habe auch keinen Aufruf im „Tagesspiegel“ oder sonst wo gemacht, dass die Leute nun alle dorthin gehen sollten. Das Grußwort steht in einer Broschüre, die für die Klientel wirbt, die dort eingeladen wird. Wenn

man meint, das kritisieren zu müssen, soll man es tun. Aber noch einmal – und das geht dann an die Substanz und ist schädlich für Berlin: Wenn Sie glauben, dass die 15 000 Menschen, die dorthin gehen werden, nicht zu Berlin gehören, sondern in den Keller oder sonst wohin gehören und kein Recht haben, sich auf der Straße zu zeigen, dann sind wir allerdings in einer gesellschaftspolitischen Debatte, die ich Gott sei Dank anders führe, als es die CDU/CSU macht.

Ja! – Ich halte es für unerträglich, dass der Regierende Bürgermeister

[Zurufe von der SPD und der Linkspartei.PDS: Frage!]

Teilen dieser Stadt unterstellt, sie würden Homosexuelle oder Sonstige in dieser Stadt diskriminieren wollen oder ich würde mit meinen Anfrage – –

[Unruhe]

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Herr Kollege Braun, ich möchte Sie nochmals bitten, eine Frage zu stellen!

Frau Abgeordnete SchultzeBerndt hat das Wort zu einer Nachfrage. – Bitte schön!