Protokoll der Sitzung vom 01.09.2005

Danke schön, Herr Präsident! – Ich frage den Senat: Sind dem Senat neun Monate nach InKraft-Treten von Hartz IV verlässliche Zahlen durch die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg oder die Jobcenter über die einzelnen Miethöhen von Alg-II-Empfängern

Wir haben versucht, von Topos die Unterlagen zu bekommen, auch diejenigen, die neu sein sollen. Sie haben

uns mitgeteilt, sie seien nicht versendefähig, weil die erstellten Tabellen zunächst noch ausgewertet werden müssten. Ich persönlich finde das nicht seriös. So etwas Ungesichertes in der Öffentlichkeit zu verbreiten, ist nicht im Interesse der betroffenen Menschen, weil es zur Verunsicherung beiträgt. Ich neige eigentlich überhaupt nicht zu Medienschelte, aber an dieser Stelle sage ich: Es wundert mich, auf welcher dürftigen Informationslage solche Schlagzeilen produziert werden, wie sie einige Zeitungen veröffentlicht haben. Auch das ist ein Stück Beteiligung an Panikmache.

übermittelt worden, und mit wie vielen Umzügen rechnet der Senat in den nächsten Monaten?

Jetzt ist aber Frau Senatorin Dr. Knake-Werner mit der Antwort an der Reihe und erhält das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! – Frau Radziwill! Ich könnte auf Ihre erste Frage ähnlich wie der Kollege Böger mit einem schlichten Nein antworten. Das tue ich allerdings nicht, weil ich schon der Auffassung bin, dass es bei diesem Thema sehr wichtig ist, zur öffentlichen Aufklärung beizutragen. Deshalb stelle ich noch einmal meine Position zu den jüngsten Ergebnissen des Stadtforschungsinstituts Topos dar, die neulich veröffentlich worden sind.

(D

Die Frage war, ob uns inzwischen Daten vorliegen. Wir brauchen verlässliche Daten, um eine seriöse Aussage machen zu können, und zwar über die tatsächlich anfallenden Wohnkosten der Betroffenen. Wir haben seit Beginn dieses Jahres bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesagentur und der Regionalagenturen nach diesen Zahlen gefragt. Es war nicht möglich, dazu Zahlen zu bekommen, und zwar aus einem einzigen, aber ganz entscheidenden Grund: Die Daten werden über A 2LL ermittelt und in der zentralen Datenbank in Nürnberg gespeichert. Das Problem ist nur: Es fehlt das entscheidende Modul, um diese Daten auch über die Software auswerten zu können. Wenn wir verlässliche Daten haben wollten, müssten wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern auffordern, sie handschriftlich aus jeder einzelnen Akte herauszuziehen, zu notieren und dann auszuwerten. Ich sage Ihnen ganz offen, das haben wir nicht getan, und ich beabsichtige auch nicht, das zu tun. Der bürokratische Aufwand in den Jobcentern ist zurzeit ausreichend groß. Ich wünsche mir, dass das, was dort an Bürokratie zu erledigen ist, eher rückläufig ist und endlich die Chance besteht, Menschen wirklich zu fördern und ihnen eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt zu eröffnen. Deshalb werde ich diese Anforderung nicht an die Jobcenter stellen. Es geht nicht nur Berlin so. Das ist in allen Großstädten so. Der Deutsche Städtetag hat uns vor zwei Tagen eine Mitteilung geschickt, in der 24 große Städte aufgeführt worden sind. Keine dieser Städte hat Zahlen über die tatsächlich anfallenden Wohnkosten, und alle bestätigen, dass sie die Möglichkeit zur Auswertung nicht haben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Für mich und meine Verwaltung sind die dort veröffentlichen Zahlen überhaupt nicht nachvollziehbar. Ich will es auch deutlich sagen: Ich finde sie auch nicht seriös und zudem ärgerlich, weil sie mit dazu beitragen, Menschen, die ohnehin schon Sorgen genug haben, weiter zu verunsichern. Warum sage ich das? – Das Institut Topos hatte im Frühjahr dieses Jahres Bewohner in zwei Kreuzberger Kiezen nach ihrer sozialen Situation befragt und die Ergebnisse zunächst einmal auf ganz Kreuzberg und dann auf ganz Berlin hochgerechnet.

Dann war die Prognose, dass angeblich 50 000 bis 70 000 Menschen in Berlin umziehen müssten. Auch damals haben wir schon gesagt, dass es absolut nicht nachvollziehbar und unseriös ist, weil die Richtlinie des Senats zur Wohnsituation von Arbeitslosengeld-II-Beziehern dort in keiner Weise berücksichtigt worden ist.

Daraufhin hat sich Topos offensichtlich veranlasst gesehen, seine eigenen Daten zu überprüfen. Sie haben gesagt, dass nun die Ausnahmeregelungen einbezogen werden. Das wurde mit einer einseitigen Presseerklärung mitgeteilt. Danach sei etwa die Hälfte der Betroffenen von Umzug bedroht, also zwischen 35 000 und 45 000. Diese neue Erkenntnis ist also nicht auf der Grundlage einer weiteren Studie entstanden, sondern ist nichts anderem zu entnehmen als dieser Presseerklärung. [Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön! – Eine Nachfrage von Frau Kollegin Radziwill! Sie hat gleich das Wort und auch das Mikrofon!

Nicht einbezogen ist dabei die von uns ausgewiesene Wirtschaftlichkeitsberechnung in der AV Wohnen und andere Möglichkeiten zum Umgang mit der Miete, wie etwa die Möglichkeit zur Zuzahlung. Das alles zusammen ist aber Kernstück des Senatsbeschlusses zum Umgang mit den Wohnungskosten für Langzeitarbeitslose. Wir haben dabei – das wissen Sie; wir haben darüber schon diskutiert – eine Fülle von Ausnahmeregelungen insbesondere für diejenigen geschaffen, die besonders schutzwürdig sind.

Frau Senatorin! Welche Anstrengungen unternimmt der Senat zusätzlich und besonders Ihr Haus, die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu informieren und vorhandene Bedenken und Ängste gerade bei Familien und älteren Menschen abzubauen? Ist bei der Informationsvergabe auch nicht an eine Zusammenarbeit mit den Jobcentern zu denken?

Frau Senatorin Dr. KnakeWerner – bitte schön!

st.

Danke schön! – Jetzt geht es weiter mit einer Nachfrage des Kollegen Liebich von der Fraktion der PDS – der hiermit das Wort hat.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Frau Abgeordnete! Es war eine der zentralen Aufgaben des Senats und insbesondere meiner Verwaltung, die Richtwerte festzulegen, die AV abzuschließen. Das haben wir Anfang Mai getan. Seit diesem Zeitpunkt sind den Betroffenen die Daten bekannt. Sie wissen, woran sie sind. Sie wurden von meiner Verwaltung ausführlich darüber informiert. Wir haben – was nicht immer selbstverständlich ist – in einer Riesenauflage ein leicht lesbares Informationsblatt an alle Jobcenter gegeben, damit erstens die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort sich informieren können, aber selbstverständlich auch die Betroffenen selbst. Ich schildere Ihnen meinen Eindruck: Wenn etwas brennt, wird uns das ziemlich schnell rückgemeldet. Wir haben in meiner Verwaltung auch extra eine Stelle dafür freigestellt, um Anfragen aufzunehmen und zu beraten. Es gibt keine Beunruhigung, die sich bei uns in irgendeiner Form niederschlägt. Die Menschen wissen, womit sie umzugehen haben, und orientieren sich daran. Jedes Jahr ziehen in Berlin 150 000 Familien um. Es gibt also auch eine ganz normale Mobilität in unserer Stadt.

Herzlichen Dank! – Frau Senatorin! Haben SPD, Grüne, CDU/CSU und FDP nicht beschlossen und ist es nicht geradezu das Ziel des HartzIV-Gesetzes – ich frage das auch in Verwunderung über die Fragesteller –, dass Alg-II-Empfänger umziehen sollen, wenn sie zu teuer wohnen? Wie gehen Sie damit um, dass diejenigen, die das Gesetz beschlossen haben, von uns verlangen, dass wir das Gesetz „aufweichen“ sollen?

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Frau Senatorin Dr. KnakeWerner – bitte!

(D

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege Liebich! Natürlich ist das Gesetz auf Grundsicherung ausgelegt. Das gilt auch für die Wohnkosten, deshalb steht auch im Gesetz: „Angemessene Wohnkosten werden übernommen.“ – Das Gute ist – und das können wir uns gemeinsam als etwas Positives an die Jacke heften –, dass es uns gelungen ist, Richtlinien zu verabschieden, die zum Ziel haben, den Einzelfall zu prüfen und von den Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, so wenige wie möglich zum Umzug bewegen zu müssen. Das ist überhaupt der allerletzte Weg, wenn alle Vorschriften, die wir erlassen haben, ausgeschöpft sind. Ich halte das für eine gute Regelung und glaube nicht, dass daraus größere Probleme entstehen.

Zweitens: Bei einer der letzten Trägerversammlungen der Jobcenter vor der Sommerpause habe ich angekündigt, dass wir Schulungskurse für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter anbieten. Da hat es jetzt die ersten Rückmeldungen gegeben. Die Schulungen sollen in kürzester Zeit stattfinden.

Danke schön, Frau Senatorin! – Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Lehmann! Er hat das Wort und gleich auch das Mikrofon!

Danke schön! – Die Frau Kollegin Oesterheld hat eine Nachfrage. – Bitte, Frau Oesterheld, Sie haben das Wort!

So ist es! – Sie haben schon erläutert, Frau Senatorin, wie es sich mit den Zahlen verhält. Wird der Senat seine eigenen Kriterien bezüglich eines Umzugs von Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und -Empfängern in günstigere Wohnungen gegebenenfalls „aufweichen“, wenn sich herausstellt, dass mehr Menschen umziehen müssen als erwartet? Wenn das so sein sollte – ist dies schon mit dem Senator für Finanzen abgesprochen worden?

Frau Knake-Werner! Wir haben das letzte Mal schon gesagt, Sie haben alle Sozialwohnungen aus der AV herausgenommen, denn fast alle, die in Sozialwohnungen wohnen, unterliegen nicht mehr der AV. Sie sagen uns, Sie hätten keine Zahlen, aber Sie wissen ganz genau, dass die Zahlen von Topos falsch sind. Sie haben den Arbeitsgemeinschaften das Sozialticket „aufgedrückt“, aber dass sie die tatsächlichen Wohnkosten erfassen sollen, was viel sinnvoller wäre, das verlangen Sie nicht. Können Sie mir dazu eine Antwort geben?

Frau Senatorin Dr. KnakeWerner – bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Der Senat hat diesbezüglich einen ganz klaren Entschluss gefasst. Er hat erstens die AV Wohnen verabschiedet und zweitens als Zusatzbeschluss die Regelung getroffen, dass wir innerhalb der nächsten zwei Jahre die Entwicklung insbesondere im sozialen Wohnungsbau genau beobachten und dann diese Frage noch einmal diskutieren. Wenn eine gravierende Veränderung eintritt, werden wir auch in der Lage sein, zu korrigieren, was zu korrigieren notwendig i

Frau Senatorin Knake-Werner – bitte!

Sehr geehrte Frau Oesterheld! Wenn man ein wenig von solider Sozialberichterstattung versteht – und in meinem Haus ist das ein sehr entwickelter und ich glaube auch hoch anerkannter Bereich –, dann weiß man, dass man auf Basis bestimmter Daten nicht hochrechnen darf. Das ist das Erste.

Zuerst erfolgen die Wortmeldungen nach der Stärke der Fraktionen. Es beginnt die SPD-Fraktion mit Herrn Dr. Felgentreu. – Er hat das Wort, bitte schön!

Das Zweite ist, dass man, wenn man glaubt, auf Grundlage des dürftigen Datenmaterials, das man selbst mit Umfragen ermittelt hat, hochrechnen zu können, wenigstens alle Kriterien berücksichtigen muss, die in einer solchen Regelung zu berücksichtigen sind.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Frage richtet sich an Frau Senatorin Schubert. Frau Senatorin! Trifft es zu, dass es sich bei dem Täter, der in Zehlendorf einen siebenjährigen Jungen auf dem Gewissen hat, um einen jugendlichen Intensivtäter handelt? Wie beurteilt der Senat den Umstand, dass dieser Täter offenbar trotz Haftbefehls auf freiem Fuß war?

[Zuruf der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

Man darf sich nicht wenige aussuchen und diese dann wiederum hochrechnen. Das ist keine solide Arbeit. Deshalb sage ich hier: Ich halte diese Zahlen nicht für nachvollziehbar.

[Frau Jantzen (Grüne): Bekommen wir denn einmal nachvollziehbare Zahlen?]

Frau Senatorin Schubert – bitte schön!

Darüber kann man gerne diskutieren. Aber das ist für mich der Punkt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Abgeordneter Dr. Felgentreu! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zunächst meine tiefe Betroffenheit für die Familie auszusprechen. Diese grauenvolle Straftat hat diese Familie in eine Situation gebracht, wo wir uns alle vorstellen können, wie die Eltern und die Geschwister dieses getöteten Kindes jetzt empfinden müssen, wie auch ihr Leben unter diesen schmerzlichen Empfindungen eine Veränderung erfahren wird. Ich möchte der Familie, den Angehörigen von hier aus noch einmal mein herzliches Mitgefühl übermitteln.

Was das Sozialticket angeht: Frau Oesterheld, das habe ich mir jetzt schon mehrmals angehört. Erstens bin ich froh, dass es das Sozialticket gibt

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Beifall der Abgn. Frau Radziwill (SPD) und Frau Dr. Tesch (SPD)]

und dass es das vor allen Dingen auch für Langzeitarbeitslose gibt. Das gibt es nämlich sonst in keiner Stadt, um das auch noch einmal deutlich zu sagen. Das Sozialticket verlangt von den Mitarbeitern einen einzigen Stempel auf ein vorliegendes Papier. Wenn sie die Wohnkosten erfassen sollten, müssten sie jede Akte ziehen, sie müssten handschriftlich – –

Ich möchte aber auch an alle, die sich in der Vergangenheit zu dieser grausamen Tat geäußert haben, appellieren, dass wir uns bei der Beurteilung des Geschehens und auch bei unserer Wortwahl unserer Verantwortung für die Gesellschaft, für die Angehörigen des Opfers und für den Zusammenhalt der Gesellschaft mit dem Rechtsstaat bewusst sein sollen, insbesondere sollten wir dieses grausame Geschehen nicht zum Gegenstand des Bundestagswahlkampfs machen. Denn ich glaube, das ist das Schlimmste, was der Familie passieren kann.

[Frau Oesterheld (Grüne): Bei der Bearbeitung kann man das doch aufschreiben! Das machen andere doch auch!]

Ja, glauben Sie es mir einfach! Ich habe die Antworten aus allen 12 Jobcentern hier und kann Ihnen gerne vorlesen, was uns die Jobcenter schreiben,

[Schruoffeneger (Grüne): Die Jobcenter, das sind Sie doch selbst!]